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Psychotherapie
Lesezeit: 8 Minuten

Wenn Kränkungen krank machen

© Michael Schindler I fotolia.comNiemand ist geschützt vor bewussten oder unbewussten Kränkungen, die im Zusammenleben mit anderen passieren.

Ein Mann wie ein Baum, sie nannten ihn Bonsai!

Auch Menschen, die nach außen hin stark wie ein Baum wirken und mit beiden Beinen im Leben stehen, können extrem verletzbar sein. Davor sind weder Politiker noch Pfarrer oder Ärzte gefeit. Niemand! Sogar Boxweltmeister Max Schmeling gab zu: „Die Kritik der anderen hat mich so stark getroffen, weil sie meinen eigenen Zweifeln entsprach“. Auch ein körperliches Schwergewicht zu sein, schützt nicht vor Kränkungen durch Geringschätzung und Demütigung.

Wenn unsere wunden Punkte getroffen sind, tritt automatisch eine der FFF-Reaktionen ein:

Fight: Wir treten aggressiv hinsichtlich unseres Kontrahenten auf, sei es verbal, schriftlich oder gar handgreiflich.

Flight: Wir fliehen in eine Kompensation, die bis in den Alkoholismus oder in die Drogensucht ausarten kann.

Freeze: Wir erstarren und fühlen uns wie in einem Gefühlssumpf gefangen. Folgen können eine tiefe Niedergeschlagenheit oder eine Depression sein.

Emotionale Ohrfeigen hinterlassen blaue Flecken auf der Seele

Wenn Menschen sich sehr oft gekränkt und zurückgewiesen fühlen, kann das zu psychosomatischen Beschwerden bis hin zu Verbitterungsstörungen führen. Naturheilkundlich gesehen lassen Bitterkeit und Wut die Gallenflüssigkeit stocken. Gallensteine können entstehen. Diese sind quasi Ausdruck blockierter Gefühle, Gefühlsverhärtung, unterdrückter Aggressionen, die den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes versteinern lassen. Ärgert man sich über eine erlittene Kränkung häufig, intensiv und lange, steigen auch die Blutfett- und Zuckerwerte. Mit der Zeit werden Herz und Gefäße geschädigt, der Blutdruck schnellt in die Höhe und das Risiko eines Herzinfarktes oder Schlaganfalls wächst.

Von Mimosen, sturen Eseln und beleidigten Leberwürsten

Was kränkt Menschen am meisten? Warum sind manche empfindlicher als andere? Wovon hängt es ab, ob wir uns gekränkt fühlen und beleidigt sind? Es liegt in der Natur des Menschen, alles richtig und keine Fehler machen zu wollen. Dennoch ergeben sich manchmal Unstimmigkeiten über etwas, das ein anderer Mensch anders sieht als man selbst – nämlich als falsch. Wird dieses Dilemma im Vorfeld nicht angesprochen und konstruktiv gelöst, können ungewollt Kränkungen entstehen.

Jede Person reagiert unterschiedlich auf eine Handlung oder verbale Äußerung

Es kommt auf die Situation und den Menschen an, der uns kränkt, und darauf, wie jeder persönlich Kränkungen verarbeiten kann. Ganz allgemein kann man sagen: Je näher uns der „Verursacher“ steht, desto eher fühlen wir uns angegriffen, abgewertet oder beschämt. Ist uns eine Sache besonders wichtig, sind wir umso schneller gekränkt, wenn sie unerfüllt bleibt. Auch zu hohe Erwartungen, die wir an jemanden oder etwas haben, tragen zu Enttäuschungen bei, wenn das Erwartete nicht eintritt.

Was lernen wir daraus? Keine Erwartung! Keine Enttäuschung!

Kritik kränkt am meisten, weil sie einer Attacke auf unser Selbstwertgefühl gleichkommt. Und genau darin liegt der Hauptgrund für den Grad der Verletzungen: in der Stärke unseres Selbstwertgefühls. Je geringer dies ist, desto schneller fühlen wir uns angegriffen. Oftmals ist es hilfreich zu unterscheiden, ob man unsere Leistung kritisiert oder uns als Person, was als weitaus schlimmer empfunden wird. Aber auch Nichtbeachtung, Ignoranz und Ablehnung durch andere verletzen und werten ab. Dieses Gefühl der Verzweiflung durch Nicht-Wahrgenommen-Werden resultiert oft aus der Kindheit. Wer mit Nichtbeachtung bestraft wurde, kennt dieses tiefe Gefühl der Not, nicht gesehen zu werden. Bei Zurückweisung und Ablehnung bekommen wir nicht die Liebe und Anerkennung, die wir brauchen und die wir uns sehnlichst wünschen.

Warum können viele „austeilen“ – aber nicht „einstecken“?

Manche Menschen poltern wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen herum, schrumpfen aber auf „Mimosengröße“, wenn man kontert. Manchmal stecken destruktive Gefühle wie Neid und Eifersucht dahinter. Man verträgt keine Augenhöhe, keinen Glanz neben sich. Man möchte Macht walten lassen, um den anderen klein zu halten. Natürlich um selbst groß zu wirken. Deshalb teilt man lieber aus, aus dem tieferen Grundbedürfnis heraus, sich selbst zu schützen. Dahinter steckt ebenfalls ein geringes Selbstwertgefühl.

Was muss man sich gefallen lassen, was nicht? Die Stopp-Regeln

  • Sobald es in die Fremdabwertung geht: Stopp! Niemand hat das Recht, Sie niederzumachen.
  • Sobald Ihre eigenen Bedürfnisse eingeschränkt, beschnitten, Ihnen ausgeredet oder abgesprochen werden: Stopp!
  • Sobald Sie ein unangenehmes Körpergefühl bemerken, hat jemand Ihre Toleranzgrenze überschritten: Stopp! Dies zeigt sich z.B. durch ein Kloßgefühl im Hals, Enge in der Brust, Ziehen im Magen usw. Ein ganz klares Zeichen, Grenzen aufzuzeigen und auch mal „Nein“ zu sagen.

„Nein“ zu sagen ist schwer, meinen Sie. Fragen Sie sich doch umgekehrt: Was sind das für Leute, die es schaffen, dass Sie „Ja“ sagen, obwohl Sie „Nein“ meinen? Da bekommt das Ganze doch eine andere Dynamik. Haben Sie erst das Muster der Schmeichler, Erpresser, Unter-Druck-Setzer erkannt, können Sie rechtzeitig stoppen. „Nein“ zu sagen heißt aus der Komfortzone herauszukommen und die eigenen Wünsche zu äußern. Viele haben Angst, die anderen würden rebellieren. Das tun sie auch, da sie ihr neues Verhalten nicht gewohnt sind. Doch meist legt sich das mit der Zeit. „Nein“-Sagen kann man üben. Und mit jedem „Nein“, das ausgesprochen wird, steigt das Selbstwertgefühl.

Auf die Tagesform kommt es an!

Weitere Faktoren, die bei einem Kränkungsgeschehen Einfluss haben, sind Ort und Zeitpunkt des Geschehens, die momentane körperliche und seelische Verfassung, aber auch Erfahrungen in ähnlichen Situationen.

„Oh, bist du wieder schwanger?“ Das kann ganz schön kränkend sein, wenn man gerade ein paar Kilo zugelegt hat, ohne schwanger zu sein. An einem Tag kann eine solche Äußerung gut gehen, an einem anderen ins Auge. Je nach Tageszustand verarbeiten Menschen Kränkungen besser oder schlechter. Ist man in einer guten körperlichen und seelischen Verfassung, ist man selbstsicherer. Fremde Meinungen sind nicht so wichtig.

Frisch verliebte Menschen etwa haben einen emotionalen „Airbag“ um sich herum. Sie fühlen sich einfach großartig und niemand kann ihnen etwas anhaben. Auf der anderen Seite besitzt jeder „rote Knöpfe“, die, kaum sind sie aktiviert, eine Reaktion zünden. Diese haben mit seelischen Wunden zu tun, die noch nicht ganz verheilt sind, z.B. wenn eine Trennung noch nicht gänzlich aufgearbeitet wurde.

Mit Humor und Selbstwert gegen Kränkungen − Expertentipps

Wünschen Sie sich auch manchmal ein dickes Fell, um einen Schutz vor Kränkungen zu haben?

Wollen Sie in Kränkungssituationen eine schlagfertige Antwort parat haben?

Denken Sie oft heimlich, Sie hätten gern ein so hohes Selbstwertgefühl, dass Sie nicht mehr so leicht kränkbar sind?

Hier sind einige Möglichkeiten, um gegen Kränkungen vorzugehen:

Achter-Form (nach Phyllis Krystal)

Die 8 ist ein Schutz-Symbol, um sich den eigenen Raum zu bewahren. Durch die bildliche Vorstellung einer auf dem Boden liegenden 8 wird dem Unterbewusstsein mitgeteilt, dass man sich von dieser oder jener Person abgrenzen möchte. Sie visualisieren zwei goldene Kreise, die sich berühren. In dem einen stehen Sie, im anderen befindet sich die Person, von der Sie sich abgrenzen möchten. Dann lassen Sie neonblaues Licht vom Berührungspunkt aus im Uhrzeigersinn erst um den gegenüberliegenden Kreis fließen, dann um Ihren eigenen herum. Wenden Sie die 8 immer dann an, wenn Sie das Gefühl haben, jemand möchte Sie kontrollieren oder manipulieren.

Humorvolle Schlagfertigkeit

Indirekt kann man sich auch mit Humor wehren, z.B.:

„Deine Antwort gefällt mir nicht.“ – „Glaub ich, ich vermute, dass es ursprünglich an der Frage liegt.“

Verstehen Sie einfach alles falsch:

„Spinner!“ – „Angenehm, Jäger.“ oder „Sag mal, kommst du da überhaupt mit?“ – „Wohin?“

Selbstbild − Fremdbild

Erstellen Sie eine Liste von A-Z und schreiben Sie zu jedem Buchstaben Eigenschaften, Stärken, Fähigkeiten und Fertigkeiten von Ihnen dazu. Dann bitten Sie Personen Ihres Vertrauens um Ergänzung. Andere sehen oft Sachen in Ihnen, die Ihnen gar nicht bewusst sind.

ausdauernd, aufmerksam zuhören…

basteln, backen…

Der leere Stuhl − Perspektivwechsel

Stellen Sie sich auf einem leeren Stuhl denjenigen vor, der Sie gekränkt hat. Erzählen Sie dem nicht anwesenden Konfliktpartner, was Sie gekränkt hat. Sprechen Sie Ihre Befürchtungen und Ängste aus. Sagen Sie ihm, was Sie sich wünschen würden. Achten Sie dabei auf Ihre Gefühle. Achten Sie darauf, was Sie im Inneren an Antworten von der imaginierten Person bekommen. Dann tauschen Sie die Rollen. Spüren Sie in den anderen hinein. So erhalten Sie Erkenntnisse darüber, was den anderen bewogen hat, Sie absichtlich oder unabsichtlich zu kränken. Versöhnlichkeit und Vergebungsbereitschaft können entstehen.

Hammer- und Nagelprinzip

Fragen Sie sich in einer Kränkungssituation: „Bin oder war ich der Hammer oder der Nagel?“ Meist ist die Antwort: „Ja, da war ich wohl der Nagel.“ Ich frage dann nach: „Ja, sind Sie denn behämmert?“ Lachende Antwort: „Ja, sieht so aus.“ – „Wollen Sie das?“ – „Nein.“ – „Was wollen Sie lieber sein?“ – „Der Hammer natürlich.“ – „Was könnten Sie in Zukunft tun, um der Hammer zu sein? Welche Auswirkungen hat das langfristig auf Ihre Gesundheit und Ihr soziales Umfeld, wenn Sie das Nageldasein weiterleben?“

Fazit

Verbale Attacken oder unfaire Handlungen wird es immer geben. Deshalb ist es egal, ob Sie sich hineinsteigern oder nicht. Es steht in Ihrer Verantwortung. Denn die Dinge sind wie sie sind. Man kann sie nur akzeptieren, sich auf eine Lösung besinnen, im emotionalen Gleichgewicht bleiben und sich Unterstützer suchen. Das sind auch die Faktoren einer resilienten Persönlichkeit. Indem Sie die Widerstandskraft gegen äußere Einflüsse trainieren, bleiben Sie vital, fit und gesund.

Fragen Sie sich!

Dipl.-Päd. Doris JägerDipl.-Päd. Doris Jäger
Naturheiltherapeutin, Gesundheits-Coach, Resilienz-Trainerin und Dozentin

office@nhp-jaeger.at

Literatur

  • Haller, Reinhard: Die Macht der Kränkung, Ecowin Verlag, 2017
  • Wardetzki, Bärbel: Mich kränkt so schnell keiner, Kösel Verlag, 2005
  • Krystal, Phyllis: Loslassen – das Handbuch, Ullstein Verlag, 2007

Foto: © Michael Schindler / fotolia.com

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