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Biologische Bodendiagnostik

Bei dem überwiegenden Teil der heute zur Behandlung kommenden Krankheitsfälle handelt es sich um Entartungsleiden. Sie beginnen fast durchweg bereits im frühen Kindesalter, und zwar mit einer Fehlfunktion ganzer Organsysteme, die anfangs unmerklich als mangelhafte Abwehr und Verdauungsfunktion, Appetitlosigkeit und Infekt Anfälligkeit, später als Kreislauf, Drüsen, Stoffwechsel und ähnliche Störung in Erscheinung tritt und letztlich in eine der bekannten Zivilisationskrankheiten ausläuft.

Mit den von der Naturwissenschaft der letzten 150 Jahre geschaffenen Mitteln sind diese Entartungskrankheiten nicht kausal zu behandeln, ihre Symptome werden nur unterdrückt oder verschoben. Durch zahlreiche Außenseiter sind dagegen Heilverfahren entwickelt worden, von denen immerhin ein guter Teil offenbar kausale Wirkung hat. Die Schulmedizin hat denn auch mit und ohne offizielle Anerkennung dieser Anleihen nach und nach Vieles in ihre Behandlungspläne übernommen, obwohl in keinem einzigen Fall der “exakte” Nachweis geführt worden ist, warum naturheilerische Verfahren bei Entartungsleiden kausal wirken. Es besteht lediglich eine Reihe von Hypothesen, denen man es ansieht, dass sie an der Wahrheit vorbeigehen, und die nur den fruchtlosen Versuch darstellen, mit den unzulänglichen Mitteln der materialistischen Logik biologische Vorgänge zu erklären. Inzwischen ist den Einsichtigen unter uns längst klar geworden, dass die zunehmenden, in der Konsequenz und Art ihres Ablaufes unheimlichen Entartungsvorgänge beim hochzivilisierten Menschen Gründe haben, die man mit der uns überlieferten Denkweise nicht meistern kann. Man suchte und fand neue Aspekte. Unter den unmittelbar beteiligten “Laien” bildeten sich Bewegungen aus, die eine besondere Lebensweise vorschreiben, mit uralten Rezepten den wissenschaftlich gebildeten Arzt oder auch Heilpraktiker entbehrlich zu machen suchen und den Horizont insofern erfolgreich erweitern, als sie Nahrungspflanzen und Nahrungstiere in die reformerischen Gedanken mit einbeziehen.

Ganz ähnlich verlief seit längerer Zeit die Entwicklung bei den medizinischen Außenseitern. Man stellte mit Erfolg den einseitig degenerierenden Einflüssen des zivilisatorischen Milieus die naturnahe und ständige Übung der organismischen Funktionen gegenüber und man erweiterte den medizinischen Gesichtskreis weit über die Grenzen des gewebs pathologischen Denkens hinaus zu den Höhen der Ganzheitsbetrachtung, die nicht nur die korrelativen Beziehungen innerhalb des Organismus mitsamt den Funktionen des vegetativen Nervensystems einbezieht, sondern auch die Umweltbeziehungen.
Alle diese Wege entspringen letztlich der mehr instinktgeborenen als exakt bewiesenen Überzeugung, dass die zunehmende Isolation des Menschen und seiner Geschöpfe, der Nutztiere und Kulturpflanzen, die alle diese zivilisations beteiligten Organismen von der lebendigen Umwelt bewusst absetzt, an der offensichtlich rapide zunehmenden Entartung vegetativer (und psychischer) Funktionen schuld sei.

Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass trotz der großen Verbreitung dieses Gedankens, trotz zunehmender Einsicht bei Laien und Fachleuten von einem praktisch fruchtbringenden Einfluss solchen reformierten Denkens auf die offizielle Lebensordnung der Menschen nicht gesprochen werden kann. Es werden vorläufig immer noch einzelne Anregungen – teilweise sogar falsch verstanden in das überkommene System übernommen in der Annahme, dass man damit die Welt sanieren könne. Und das wird vorläufig auch so bleiben, aus einem sehr einleuchtenden Grund: Eine Organisation des zivilisatorischen Lebens ist unter den obwaltenden Umständen nur möglich mit den Mitteln einer Wissenschaft. Aus dem Instinkt geborene und lediglich mit Hilfe der Erfahrung gehärtete Grundsätze der “biologisch” Denkenden aber werden nicht als Wissenschaft anerkannt, und das nicht ganz zu Unrecht. Ehe ein Grundsatz zu einer zivilisatorischen Reform benutzt werden kann, muss er zu Wissenschaft geworden sein. Wenn wir bedenken, dass die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung des vorigen Jahrhunderts, mit modernsten Mitteln erweitert und gesichert, sich vorläufig praktisch bewährt hat, sowohl was den Seuchenschutz wie was die Nahrungsversorgung der Menschheit betrifft, so müssen wir einsehen, dass an diesem System nicht eher gerüttelt werden wird, als lückenlos bewiesen ist, dass es falsch ist. Dazu aber fehlen bisher die Grundlagen. Hätte die Biologie die gleiche Entwicklung erfahren wie die Chemie dann wären die Grundlagen vorhanden, so aber sind sie es nicht.

Unglücklicherweise liegt die Erklärung für den großen Fehler der heutigen Zivilisation – naturwissenschaftlich gesehen – auf einem Gebiet, das bisher weder der Chemie noch der Biologie ausreichend zugänglich war: auf dem Grenzgebiet der Makromöleküle. Das organische Makromolekül, das nicht mehr lebende Zelle, aber noch nicht leblose Substanz ist, birgt das Geheimnis der lebendigen Beziehungen zwischen allen Organismen auf der Erde. Über ein großes Rätselraten um seine biologische Bedeutung einerseits, seine chemische andererseits ist man noch nicht wesentlich hinausgekommen. Immerhin hat die letzte Zeit bezüglich des Schicksals der lebendigen besser: halblebendigen makromolekulaeren Substanz einige sehr entscheidende Erkenntnisse gebracht, die es erlauben, sich über die biologische Bedeutung dieser Substanz ein deutliches Bild zu machen, welches in Zukunft wohl in allen Einzelheiten ergänzt werden muss, im Grundsätzlichen aber keine wichtige Änderung mehr erfahren wird.

Einerseits hat das “Gesetz von der Erhaltung der lebendigen Substanz” inzwischen von einzelnen Nachuntersuchern teilweise bestätigt – gezeigt, dass beim Untergang von Zellen, Geweben und Organismen die lebendige Substanz in spezifischer Form den Zelltod überlebt und nicht, wie bisher genommen, analytisch in leblose Substanz zerfällt. Da es sich hier um eine biologisch aktive Substanz handelt, die als Träger der organismischen Gestaltungskraft, geistig wie körperlich, als morphologischer Ausdruck des Lebens an sich angesprochen werden muss, bedeutet ihre Erhaltung nichts anderes, als dass mit dem Tode eines Organismus zwar sein individuelles Leben beendet ist, nicht aber das Leben desjenigen Substrates, das ihn gestaltet hatte. Und das gilt für alle auf der Erde lebenden Organismen, für Pflanzen, Insekten, Tiere, Menschen und Mikroben.
Andererseits darf als schlüssig bewiesen gelten, dass makromolekulare Substanz in spezifisch lebendigem Zustand ohne jeden Verlust an biologischen Eigenschaften bis zu den letzten Stationen des Stoffwechsels von Organismen, d. h. bis in seine Zellkerne gelangt. Dieser Nachweis ist, erleichtert durch die pathogene Stigmatisation, der Virusforschung bezüglich der pathogenen Formen lebendiger Substanz längst gelungen. Ebenso hat die Forschung durch die Darstellung der Bakteriophagen erwiesen, auf welche Weise, eine lebende Substanz Eingang findet in das Innere von Mikroben. So, wie es in der Natur fast nur apathogene, physiologische Bakterien gibt, aber nur winzige Bruchteile von pathogenen, so befinden sich im Kreislauf der lebendigen Substanz normalerweise nur Physiologische “Vira”. (Nur ist der Weg der hier und da auftretenden pathogenen Viren leichter zu verfolgen und daher zuerst entdeckt worden.) Sie sind der biologisch wichtigste Teil jeder Ernährung.

Nun ist an dem Aufbau dieser spezifisch lebenden Substanzen logischerweise nicht ein einzelner Organismus beteiligt, sondern jeweils auch die Nahrungsspender, und auch diese beziehen biologisch aktive Substanz wieder von ihren “biologischen Vorgängern”. Offenbar hat der einzelne Organismus zwar eine begrenzte Fähigkeit, lebende Substanz in seinem Sinne zu spezifizieren, um die von ihm benötigten, hochspezifizierten Bausteine für Zellkerne herzustellen, er ist aber nicht in der Lage, den ganzen Aufbauvorgang von der leblosen, mineralischen Substanz bis zu den höchstentwickelten Formen lebender Substanz selbst vorzunehmen. Er bezieht sie aus der Umwelt. Erkennt man also den Kreislauf spezifisch lebender Substanz als biologisch wichtigsten Teil der Ernährung an, so muss aus einer chronischen Unterernährung mit makromolekularer Substanz eine schrittweise Degeneration spezifischer Zellsubstanz resultieren, sobald die individuelle Leistungsgrenze der spezifischen Neubildung überschritten wird. Das ist im Bereich der Zivilisation offenbar der Fall, und es ist nicht von ungefähr, wenn seit Jahrzehnten die Entartungserscheinungen mit der Ernährung in kausalen Zusammenhang gebracht werden, und zwar wiederum bei Pflanzen, Tieren und Menschen. Unsere ganze zivilisatorische Organisation ist ja auf dem Grundsatz aufgebaut, dass die Möglichkeit einer Aufnahme makromolekularer Substanz durch Organismen zu verneinen sei, von der Kunstdüngung bis zur “wissenschaftlichen” Menschennahrung.

Als außerordentlich wichtige Überträger spezifisch lebendiger Substanzen treten im Kreislauf die Mikroben, insbesondere die Bakterien auf, und zwar vermehren sich, je nach dem biologischen Zustand des Substrats jeweils ganz bestimmte Bakterien, die dann die Oberhand haben. Sie spielen bei dem Übertragungsvorgang lebender Substanz von einem Organismus auf den anderen, z. B. von einem gestorbenen auf einen lebenden, eine entscheidend wichtige Rolle, indem die Abfallsubstanz eine lange Kette von Mikroben durchläuft und biologisch umgebildet wird, ehe sie wieder von höheren Organismen verwertet wird. Auch dieser Vorgang ist im Bereich der menschlichen Zivilisation seit dem Gebrauch isolierender, sterilisierender, antiseptischer und antibiotischer Wirkstoffe nachhaltig gestört worden.

Die Stätte, an der die biologisch wichtigste Umbildung der Abfallsubstanz gestorbener Zellen, Gewebe und Organismen stattfindet, ist die 1ebendige Oberschicht der Erde. Hier können auch die Umbildungsvorgänge, die beteiligten Mikroben und Mikroorganismen, als notwendige Voraussetzungen für einen physiologischen Ablauf am besten studiert werden Nach eingehendem Studium dieses Vorganges kann man z. B. den Humus “Das primitivste Gewebe der Erde” nennen. Es ist anzunehmen dass dieser Gewebsbildungsvorgang die biologische Grundlage für die Erhaltung und das Wachstum höherer Organismen darstellt. Nur wenn dieser Vorgang, im Bereich der Zivilisation aufs schwerste gestört, wieder in Gang gebracht wird, dürfen wir hoffen, Probleme der Entartung unserer Kultur zu beherrschen. Ich halte es keineswegs abwegig, wenn man postuliert: Im Boden wird nicht nur Gesundheit und Erbgesundheit höherer Organismen begründet, sondern auch ihre biologische Vernunft; sie ist eine Funktion der physiologischen lebendigen Substanz, nicht der destruierten.

Wenn es gelingen soll, die Landwirtschaft als Grundlage unseres Lebens und unserer Gesundheit wieder auf den rechten Weg zu führen, so bedürfen wir wissenschaftlicher Methoden der Bodenuntersuchung. Ohne solche lässt sich in der Moderne keine Humuswirtschaft lenken, geschweige denn bauen. Die Vorschriften für “naturgemäßen” Land und Gartenbau sind halb so verwirrend vielgestaltig, weil ihnen die Grundlage fehlt. Man muss wissen, in welchem Acker die Humusbildung als Voraussetzung für gesundes Pflanzenwachstum in Ordnung ist und welche organische Materie, welche Abfälle, welche Kompostbehandlung diesem Vorgang dient. Die chemische Untersuchung lässt hier vollkommen im Stich, und selbst wenn es möglich wäre, jede Boden und Kompostprobe für viele tausende von Euro einer genauen Elementaranalyse zu unterwerfen, würde auch das nicht ausreichen zu einem Urteil über die biologische Wertigkeit. Der Automatismus lebendiger Vorgänge ist mit der Analyse der daran beteiligten Materie nicht zu fassen.

Umso leichter gelingt das, wenn man die Beobachtung aller bisher erwähnten Voraussetzungen für eine physiologische Gewebsbildung zu Hilfe nimmt. Man kann mit Hilfe der Bodenkolloide und der mit ihnen ernährten Mikroben zu jeder beliebigen Jahreszeit ein treffendes Urteil sowohl über die Menge, wie über die Güte der lebendigen Bodensubstanz abgeben, man muss sich lediglich hüten, dabei analytische Methoden anzuwenden, weil die empfindlichen Spezifitäten der lebenden Bodensubstanz damit grundlegend verändert oder zerstört werden würden. Das ganze Geheimnis besteht darin, dass künstlich diejenigen Vorgänge in Gang gebracht werden, die zur Humusbildung führen, und es erleichtert diese Arbeit ungemein, dass an diesem Vorgang in letzter Station diejenigen Bakterien beteiligt sind, die als physiologische Symbionten höherer Organismen bekannt sind. Diese Methode der biologischen Bodenuntersuchung hat ihre Bewährungsprobe im Großen und in der täglichen landwirtschaftlichen Praxis bereits bestanden. Sie wird seit längerer Zeit routinemäßig durchgeführt und dient u. a. der regelmäßigen, zwangsweisen gewerblichen Kontrolle von landwirtschaftlichen und gärtnerischen Betrieben, die angeben “biologisch” zu arbeiten und für ihre Produkte (noch) Vorzugspreise bekommen.

Dabei werden recht interessante Beobachtungen gemacht. Dass die Verwendung von Salzdüngern die Werte herabsetzt, war zu erwarten, und da es unrentabel ist, gleichzeitig eine intensive Kunstdüngung und eine organische Volldüngung anzuwenden, kann man indirekt herausbekommen, ob kunstgedüngt wird oder nicht. Ebenso ergeben sich enge Beziehungen zwischen dem Bodenbefund und dem Geschmack und der Haltbarkeit der darauf gewachsenen Pflanzen. Als wertvoll für die Weiterentwicklung der Humuswirtschaft aber muss es angesehen werden, dass sich mit der biologischen Bodenuntersuchung die Fehler und Mängel der bisher angewendeten, unterschiedlichen Wirtschaftssysteme aufdecken lassen. Vor allem hat sich erwiesen, dass der Humusbildungsvorgang ebenso der “Ernährung” durch eine quantitativ und qualitativ ausreichende, spezifische lebende Substanz bedarf wie die Gewebsbildung bei höheren Organismen.

Die Methode ist theoretisch ein sehr wichtiger Bestandteil der biologischen Therapie und sollte es auch praktisch werden. Sie ließe sich zwanglos dort einbauen, wo es um die Produktion von Heilnahrung geht, nicht nur in klinikeigenen Gärtnereien wo sie zuerst verwendet wurde – sondern auch in der Klientel des praktischen Arztes und der Naturheilkundler. Man wird damit dem Ideal einer Ganzheits Behandlung wieder um ein bedeutendes Stück näher kommen.

Quelle: Priv. Doz. Dr. med. Habil. Hans Peter Rusch (Erfahrungsheilkunde – Karl F. Haug Verlag)