Krebstherapie
Hoffnungsschimmer in der Krebstherapie
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden starben im Jahr 2000 in Deutschland insgesamt über 800.000 Menschen, davon erlagen mehr als 200.000 einem Krebsleiden. Damit ist Krebs nach Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems die zweithäufigste Todesursache. Die Zahl der an Krebs erkrankten Personen in Deutschland wird auf 4 bis 5 Millionen geschätzt, pro Jahr gibt es circa 350.000 Neuerkrankungen. Gegenwärtig wird Krebs als eine Krankheit angesehen, die durch Mutationen in Genen bedingt ist, welche das Wachstum und Absterben der Körperzellen kontrollieren. Die Fehlfunktion dieser mutierten Gene führt dazu, dass Krebszellen unkontrolliert wachsen und nicht mehr absterben. Besonders aggressive Tumorarten zeichnen sich durch invasives Wachstum und Metastasenbildung aus. Schon 1924 fand der deutsche Nobelpreisträger Professor Dr. Otto Heinrich Warburg heraus, dass diese Zellen zur Gewinnung von Energie nicht den normalen Weg der Glucoseverbrennung einschlagen, sondern Glucose (Traubenzucker) auch in Anwesenheit von Sauerstoff zu Lactat (Milchsäure) vergären (Warburg et al., 1924). Im Jahr 1931 erhielt der Biochemiker, Arzt und Physiologe den Nobelpreis für Medizin (“for his discovery of the nature and mode of action of the respiratory enzyme”). Warum die Krebszellen die Glucoseverbrennung “abschalten”, konnte er jedoch nicht erklären.
Erst der Krebsforscher Doktor Johannes F. Coy entdeckte 1995 am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg das Enzym Transketolase-like 1 (TKTL1), welches einen alternativen Stoffwechselweg in der Zelle ermöglicht (Coy et al., 1996; Coy et al., 2005). “Damit könnten die Krebsforschung revolutioniert und neue Diagnose- und Therapiechancen eröffnet werden”, so der Krebsforscher Coy. Die Transketolase ist ein Schlüsselenzym im nicht-oxidativen Abschnitt des Pentosephosphatstoffwechsels. Der Pentosephosphatweg ist ein multifunktionaler Stoffwechselweg, dem bisher drei wesentliche Aktivitäten zugeschrieben werden und deren jeweilige Intensität vom Gewebetyp sowie vom Stoffwechselzustand der Zelle abhängt. Die erste Funktion dieses Stoffwechselweges ist die Bereitstellung von Reduktionskraft in Form von NADPH, die essentiell für alle synthetischen Prozesse in der Zelle ist. Der Pentosephosphatweg dient weiterhin der Bereitstellung von Ribosen. Dies sind Zuckermoleküle, die Grundbausteine der Nukleinsäuren und damit der Erbsubstanz darstellen. Zum Dritten vollzieht der Pentosephosphatweg die Umwandlung von Pentosen in Hexosen, die dem glykolytischen Abbau zu Pyruvat (Brenztraubensäure) zugeführt werden.
In der menschlichen Erbsubstanz konnten bislang 3 Transketolase-Gene (TKT, TKTL1, TKTL2) identifiziert werden. Jedoch wurde nur für TKTL1 eine Überexprimierung in Tumorgeweben nachgewiesen (Langbein et al., 2006). Das TKTL1-Gen ist infolge einer Mutation gegenüber den anderen Transketolase-Genen verändert (Coy et al., 1996). Aufgrund dieser Veränderung ist das Enzym in der Lage, unübliche und für den Menschen bislang nicht beschriebene biochemische Reaktionen zu katalysieren (Coy et al., 2005). Das TKTL1-Enzym ist in jenen Geweben aktiv, in denen bereits Warburg die Vergärung von Glucose zu Milchsäure in Anwesenheit von Sauerstoff beobachten konnte (Warburg et al., 1924; Coy et al., 2005; Langbein et al., 2006). Verglichen mit der von den meisten gesunden Zellen genutzten Glucoseverbrennung ermöglicht die Vergärung den Tumorzellen auch dann Energie zu gewinnen, wenn die Sauerstoffversorgung unterbrochen oder eingeschränkt ist. Da die Vergärung bei weitem nicht so effizient wie die Verbrennung ist, nehmen gärende Krebszellen das 20- bis 30-fache an Glucose im Vergleich zu gesunden nicht vergärenden Körperzellen auf. Jedoch verschafft die Vergärung den Tumorzellen einen selektiven Vorteil, so lange Glucose in unbegrenzter Menge zur Verfügung steht (Pfeiffer et al., 2001). Des Weiteren entstehen durch den Gärungsstoffwechsel Resistenzen gegen üblicherweise verwendete Chemotherapeutika (Xu et al., 2005). Dadurch wird ermöglicht, dass Krebszellen aggressiv werden, in andere Gewebe eindringen und metastasieren.
Nach den wissenschaftlichen Arbeiten Dr. Coys zufolge kann Krebs nun in zwei verschiedene Klassen unterteilt
werden:
. in Krebszellen, die Glucose verbrennen (TKTL1-negativ) und
. in Krebszellen, die Glucose vergären
(TKTL1-positiv).
Thiamin (Vitamin B1) ist ein Cofaktor von Transketolasen und wird aufgrund von Mangelerscheinungen häufig in hohen Dosen während der Krebstherapie verabreicht. Es ist jedoch bereits gezeigt worden, dass eine Thiamin-Substitution neben der erwünschten Verbesserung des Allgemeinzustandes des Patienten auch zu einer Steigerung des Tumorwachstums führen kann (Comin-Anduix et al., 2001). Eine Substitution von Oxythiamin, einem kompetitiven Hemmstoff der Transketolasen, führt hingegen zur Hemmung des Tumorwachstums (Boros et al., 1997; Rais et al., 1999). Die antagonistischen Effekte von Thiamin und Oxythiamin lassen sich durch die Wirkung dieser Substanzen auf TKTL1 erklären.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass TKTL1-positive aggressive Tumorzellen sowohl durch eine ernährungsbedingte Reduktion des Zuckerangebotes als auch durch die Gabe von Transketolase-Hemmstoffen (z.B. Oxythiamin oder anderen Transketolase-Hemmstoffen) beeinflusst werden können. Für die Planung der Therapie ist es daher von höchstem Interesse, Patienten mit TKTL1-positiven Tumoren diagnostizieren zu können.
Wie wird die aggressive Form des Krebses nun nachgewiesen und was sind die Vorteile dieses Tests?
Die R-Biopharm AG in Darmstadt bietet weltweit als einziges Unternehmen einen patentierten Test (RIDA PentoCheck® IHC)
an, mit dem die beiden Krebsformen unterschieden werden können. Durch den Nachweis des TKTL1-Enzyms in den Krebszellen
lässt sich feststellen, ob der Tumor über den TKTL1-Stoffwechsel Glucose vergärt. “Zukünftig sollte vor jeder
Chemotherapie die Untersuchung auf TKTL1 positive Zellen im Tumorgewebe durchgeführt werden”, bekräftigt Tumorbiologe
Coy. “Zellen, die Glucose vergären, sind gegen die meisten Chemotherapeutika unempfindlich. Dies konnte in einer
Studie eindrucksvoll belegt werden (Xu et al., 2005). Eine Chemotherapie, die dies nicht berücksichtigt, führt zwar
zur Zerstörung empfindlicher Tumorzellen, unempfindliche (resistente) dagegen wachsen jedoch weiter. Im Prinzip werden
durch diese Chemotherapie aggressive Tumorzellen selektioniert.” Zudem zerstören die entstehenden Abbauprodukte Lactat
und Kohlensäure das umliegende Gewebe (Matrixdegradation), was wiederum das Ausbreiten der Tumorzellen erleichtert
(Gatenby und Gawlinski, 2003). Zellen, die den Gärungsstoffwechsel betreiben, sind nicht länger auf Sauerstoff
angewiesen, überleben folglich auch bei Gewebehypoxie (Sauerstoffunterversorgung). Daraus ergibt sich folgende
Schlussfolgerung: Parallel zu jeder Chemotherapie sollte bei Nachweis TKTL1-positiver Zellen auch eine spezielle
TKTL1-Therapie angeboten werden, um dem Patienten eine bestmögliche Behandlung zu gewährleisten.
Doch was bedeutet dies für die Krebstherapie beziehungsweise letztendlich für den Krebspatienten?
Glucose
wird über die Nahrung in vielfältiger Form aufgenommen. Glucose kommt natürlicherweise in Früchten und Honig vor, sie
ist in Form von Saccharose im Haushaltszucker sowie als Bestandteil des Polysaccharids Stärke in Brot, Reis, Nudeln
und Kartoffeln enthalten. Forscher sehen nun die Möglichkeit, über eine kohlenhydratarme Ernährungsweise der
TKTL1-positiven Krebszelle ihre Energie- und damit Lebensgrundlage zu entziehen und sie zum Absterben zu bringen.
Tumorzellen, die Glucose vergären, sind auf diesen Zucker als alleinigen Treibstoff angewiesen. Weder Fructose, noch
Proteine oder Nahrungsfette können zur Vergärung herangezogen werden, da selbst die Betaoxidation als Quelle der
Energiegewinnung in vielen Tumorzellen “abgeschaltet” ist (Buzzai et al., 2005). Somit bleibt diesen Tumorzellen nur
die Möglichkeit, Energie aus der Glucosevergärung zu gewinnen. Sobald diese unterbrochen ist, stirbt die Zelle ab.
Eine auf den TKTL1-Stoffwechsel spezifisch ausgerichtete neue Ernährungstherapie wird derzeit von der Firma Tavartis
in Otzberg in Zusammenarbeit mit der Firma Evomed aus Darmstadt angeboten. Das Prinzip dieser so genannten
TAVARLIN-Ernährungsherapie basiert auf einer protein- und öl- beziehungsweise fettreichen Kost, die gleichzeitig
kohlenhydratarm ist (niedriger glykämischer Index). Diese verfolgt das Ziel, TKTL1-positive Zellen von der
Energieversorgung abzukoppeln und das Enzym direkt zu hemmen. Diese Ernährungstherapie kann unterstützend zu den
etablierten Krebstherapien angewandt werden. Da bereits gezeigt werden konnte, dass das Anschalten der Vergärung von
Glucose zu Resistenzen gegenüber vielen Chemotherapeutika führt, ist zu hoffen, dass mit einer Umstellung der
Ernährung auf das TAVARLIN-Ernährungskonzept die Entstehung von Resistenzen vermindert wird.
Ein weiterer Vorteil:
der Krebspatient kann erstmals selbst aktiv werden, indem er seine Ernährung dem Grad und Verlauf seiner Krankheit
entsprechend anpasst und modifiziert. Die TAVARLIN-Ernährungstherapie könnte auch für Krebspatienten in
fortgeschrittenen Stadien, die auf eine enterale Ernährung angewiesen sind, erweitert und ergänzt werden. Auf dem
Markt existiert eine Vielzahl protein- und fettangereicherter Sondennahrungen, die in der Tumortherapie eingesetzt
werden könnten.
Welche Alternativen gibt es?
Nach wie vor gehört die Krankheit Krebs zu den unheilbaren Krankheiten, die
den Betroffenen viel Schmerz und Leid zufügen. Doch wo liegt sie – die Gefahr? Neben Rauchen, übermäßigem
Alkoholgenuss und bestimmten Schadstoffen stellt die Ernährungsweise eine wichtige Ursache dar. Wie einzelne
Lebensmittel zur Krebsentstehung beitragen, ist in vielen Fällen aber noch nicht klar. Hier verhält es sich ähnlich
wie mit dem Rauchen: die Gefahr ist nicht unmittelbar erkennbar und auch nicht spürbar. Der Verzehr von zuviel
gegrilltem Fleisch ist ja schließlich nicht schmerzhaft – eher schmackhaft. Auf der anderen Seite sind in der Nahrung
zahlreiche Substanzen wie Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe vorhanden, die krebshemmend sein
können, zumindest aber das Risiko für Krebserkrankungen beträchtlich senken. Damit hat sich die Ernährungsforschung in
den letzten Jahren und Jahrzehnten intensiv beschäftigt. Es gilt also, nicht nur einen neuen Weg der Krebsdiagnostik
und -therapie, sondern auch einen neuen Weg der Krebsprävention einzuschlagen.
Fazit: Trotz dieser positiven Ergebnisse und Beobachtungen bezüglich einer glucosearmen Ernährungsweise zur Beeinflussung bestimmter Krebserkrankungen besteht intensiver Forschungsbedarf, um diese Wirkungen nicht zuletzt am Menschen mit klinischen Studien nachzuweisen. Zudem müsste durch eine patientenorientierte Forschung sowohl die Diagnose als auch die Ernährungstherapie zum Wohle der Krebskranken etabliert werden. Auf Basis der Beobachtungen zur krebshemmenden Wirkung von Transketolasehemmstoffen besteht die Hoffnung, TKTL1-positive aggressive Tumoren in der Zukunft neben einer adäquaten Diät mit einem maßgeschneiderten Krebsmedikament bekämpfen zu können.
Literatur
- Warburg O, Posener und Negelein: Über den Stoffwechsel der Carcinomzelle, 1924
- Coy JF, Dubel S, Kioschis P, Thomas K, Micklem G, Delius H, Poustka A.: Molecular cloning of tissue-specific transcripts of a transketolase-related gene: implications for the evolution of new vertebrate genes. Genomics. 1996 Mar 15;32(3):309-316
- Földi M, zur Hausen A, Jäger M, Bau L, Kretz O, Waterman D, Gitsch G, Stickeler E, Coy JF: Das Transketolase Protein TKTL1 ist in Ovarialkarzinomen überexprimiert.
- Rais B, Comin B, Puigjaner J, Brandes JL, Creppy E, Saboureau D, Ennamany R, Lee WN, Boros LG, Cascante M: Oxythiamine and dehydroepiandrosterone induce a G1 phase cycle arrest in Ehrlich’s tumor cells through inhibition of the pentose cycle. FEBS Lett. 1999 Jul 30;456(1):113-118
- Gatenby RA, Gawlinski ET: The glycolytic phenotype in carcinogenesis and tumor invasion: insights through mathematical models. Cancer Res. 2003 Jul 15;63(14): 3847-3854
- Langbein S, Zerilli M, zur Hausen A, Staiger W, Rensch-Boschert A, Lukan N, Popa J, Ternullo MP, Steidler A, Weiss C, Grobholz R, Willeke F, Alken P, Stassi G, Schubert P, Coy JF: Expression of transketolase TKTL1 predicts colon and urothelial cancer patient survival: Warburg effect reinterpreted. Br J Cancer. 2006 Feb 27;94(4):578-85.
- Coy JF, Dressler D, Wilde J, Schubert P: Mutations in the transketolase-like gene TKTL1: clinical implications for neurodegenerative diseases, diabetes and cancer. Clin Lab. 2005;51(5-6):257-273
- Xu RH, Pelicano H, Zhou Y, Carew JS, Feng L, Bhalla KN, Keating MJ, Huang P: Inhibition of glycolysis in cancer cells: a novel strategy to overcome drug resistance associated with mitochondrial respiratory defect and hypoxia. Cancer Res. 2005 Jan 15;65(2):613-621
- Pfeiffer T, Schuster S, Bonhoeffer S. Cooperation and competition in the evolution of ATP-producing pathways. Science. 2001 Apr 20;292(5516):504-7.
- Boros LG, Puigjaner J, Cascante M, Lee WN, Brandes JL, Bassilian S, Yusuf FI, Williams RD, Muscarella P, Melvin WS, Schirmer WJ. Oxythiamine and dehydroepiandrosterone inhibit the nonoxidative synthesis of ribose and tumor cell proliferation. Cancer Res. 1997 Oct 1;57(19):4242-8.
- Comin-Anduix B, Boren J, Martinez S, Moro C, Centelles JJ, Trebukhina R, Petushok N, Lee WN, Boros LG, Cascante M. The effect of thiamine supplementation on tumour proliferation. A metabolic control analysis study. Eur J Biochem. 2001 Aug;268(15):4177-82.
Links
- Deutsches Krebsforschungszentrum www.dkfz-heidelberg.de
- R-Biopharm AG, Landwehrstraße 54, 64293 Darmstadt; www.r-biopharm.com
- Tavartis GmbH, Krötengasse 10, 64853 Otzberg und Evomed MedizinService GmbH, Heidelberger Landstraße 190, 64297 Darmstadt; www.tavartis.de
- Otto Heinrich Warburg; http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Warburg
- Die Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik e.V., Mariahilfstraße 9, 52062 Aachen; www.ernaehrungsmed.de
Redakteur: Dipl. troph. Irina Baumbach, unter Mitarbeit von Sven-David Müller-Nothmann