Benutzer Anmelden als
Lesezeit: 4 Minuten

Hyperbare Oxygenationstherapie (HBO)

Bei der HBO handelt es sich um eine Sauerstoff-Überdruck-Therapie, die aus der Tauchmedizin stammt. Der Patient atmet in einer Überdruckkammer reinen Sauerstoff ein. Je nach Indikation herrschen in der Kammer 2,4 – 2,8 bar Luftdruck. Erst bei einem Druck über 3 bar wirkt Sauerstoff schädlich.

Was geschieht im Körper?
Das wichtigste physikalische Gesetz, auf das die HBO-Therapie aufbaut, ist das Gesetz von HENRY. Es besagt, dass Flüssigkeiten unter Druck mehr Gas aufnehmen. Da das natürlich auch für das Blut gilt, ist es dem Körper möglich in der Druck-Kammer mehr Sauerstoff aufzunehmen als unter Normaldruck.
Der Sauerstoff-Partialdruck im Blut wird durch das Einatmen von Sauerstoff unter Überdruck auf das 15 – 30fache erhöht. Der Sauerstoff wird über die Blutbahnen zu den Geweben transportiert, wo er durch Diffusion (Ausgleich des Druckunterschieds) in die Körperzellen gelangt.

Die Wirkung:
Durch den wesentlich erhöhten Sauerstoffgehalt können die Körpergewebe wesentlich besser mit Sauerstoff versorgt werden. Unter anderem werden Abwehrmechanismen stimuliert und die Neubildung der Blutgefässe im Wundbereich aktiviert. Unter Überdruck gewinnt der Sauerstoff bei vielen Keimen eine ausgeprägte antibakterielle Wirkung. Das ist bei der Behandlung zahlreicher Erkrankungen von grösster Bedeutung.

Anwendungen der HBO:

Bei vielen Erkrankungen, die mit mangelnder Sauerstoffversorgung verbunden sind, kann die HBO-Therapie erfolgreich, teilweise sogar lebensrettend eingesetzt werden.

Die Indikationen bei der die hyperbare Sauerstofftherapie teilweise alleine, teilweise unterstützend eingesetzt wird:

akute idopathische Innenohrschwerhörigkeit (“Hörsturz”) mit oder ohne Tinnitus
akute Kohlenmonoxid- und akute Luft-/Gasembolie
Anämie
besondere Form der Colitis ulcerosa und Morbus Crohn (schwere Darmentzündungen)
bestimmte Gefäßerkrankungen der Augen
Dekompressionskrankheit
Erfrierungen
Gasbrand (clostridiale Myonekrose)
gefährdete Transplantate
Knalltrauma mit oder ohne Tinnitus
Knochen – und Weichteilnekrosen als Bestrahlungsfolgen
Migräne
Multiple Sklerose
Osteomyelitis (Knochenmarksentzündung)
Problemwunden und Geschwüre, z.B. bei Diabetes und Raucherbein
Rauchgasvergiftung
Rückenmarksverletzungen
schwerste Extremitätenverletzungen (Crushinjury)
Verbrennungskrankheit
Weichteilnekrosen

Notwendige Voruntersuchungen: Es muss festgestellt werden, ob ein Patient in einer Druckkammer behandelt werden darf. Dazu wird eine Tauglichkeitsuntersuchung durchgeführt. Hierzu gehören eine ausführliche Untersuchung mit Lungenfunktionsprüfung und Ohrmikroskopie ebenso, wie eine Röntgenaufnahme der Lunge und ein EKG. Die Laborwerte des Blutbildes und des Urins müssen vorliegen und geprüft werden.

Risiken:
Bei der Einhaltung der strengen Sicherheitsvorkehrungen und nach einer sorgfältigen Voruntersuchung bei Beachtung eventueller Einschränkungen gibt es keine bedrohlichen Risiken.

Der Behandlungsablauf:
Die Kammer, die der Patient betritt, erinnert an ein Kleinflugzeug. Über jedem Sitz ist ein Anschluss für die Sauerstoffmaske, aus der der medizinisch reine Sauerstoff eingeatmet wird. Nachdem die druckdichten Türen geschlossen sind, wird durch einen Kompressor Luft in die Kammer gepumpt. Das Personal verkündet gern in Analogie zum Wassersport: “Jetzt haben wir die vorgesehene Tauchtiefe von 15 m erreicht.” Nach dem Erreichen des erforderlichen Behandlungsdrucks atmen die Patienten durch die Inhalationsmasken 60 bzw. 90 Minuten reinen Sauerstoff.

Die Technik:
Die Anlage wird im Normalbetrieb mit Computerunterstützung und weiteren elektronischen Systemen gesteuert.
Zwei Monitore dienen zur Patientenbeobachtung. Auf einem weiteren Monitor können alle relevanten Daten wie Druck, Druckänderung, Temperatur, Sauerstoffgehalt der Kammeratmosphäre und die Stellung der wesentlichen Ventile beobachtet werden.

Der Kammerfahrer wird wie in einer Lokomotive durch eine “Totmannschaltung” zur dauernden Aufmerk- samkeit gezwungen. Der programmierte Fahrverlauf (Tauchgang) kann zu jeder Zeit auf eine manuelle Steuerung umgeschaltet werden, um so auf eventuelle Schwierigkeiten einzelner Patienten bei der Druckanpassung reagieren zu können.
Bei Stromausfall wird die Kammer mechanisch weiterbedient. Die vorhandenen Reserven in Druckluftflaschen sind darüber hinaus so dimensioniert, daß jede denkbare Behandlungsform von einem gesonderten Fahrstand aus vollkommen stromlos zu Ende geführt werden kann.

Kritisches:
Jährlich werden in Deutschland als Spätfolge der Diabeteserkrankung 7 von 1000 Diabetikern amputiert. Diese Zahl liegt um etwa den Faktor 25 über den von Nichtdiabetikern. Bereits 1990 forderte die Internationale Diabetes Föderation, dass die Amputationsrate um mindestens 50% reduziert werden muß. Durch die Überdruck-Therapie könnte dieses Ziel erreicht werden. Zwei 1996 erschienene Studien besagen sogar, daß 75-85% der Amputationen vermieden werden können. Die Behandlungskosten der Überdruck-Therapie beim diabetischen Fuss (4000 – 12000 ?) mögen auf den ersten Blick als recht hoch zu erscheinen, sind aber dennoch kostengünstiger als die Amputation mit langem Aufenthalt in der Intensivstation – abgesehen von den ethischen Gründen, die gegen die Amputation sprechen: Mit ihr geht ein hoher Verlust von Lebensqualität einher. Außerdem versterben ca. 30% der Patienten infolge der Amputation. Der Ausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Deutschland erkennt die Amputation als Leistung , die von den Krankenkassen bezahlt werden muss, an, aber noch nicht die Überdruck-Therapie als innovatives Verfahren, für das angeblich nicht genügend wissenschaftliche Studien vorliegen. Da die Kassen immer mehr gezwungen sind, ökonomisch zu denken, ist zu erwarten, daß in Zukunft zumindest in Einzelentscheidungen die Überdruck-Therapie bei schlecht heilenden Wunden genehmigt wird. Die Berufsgenossenschaften und privaten Krankenkassen gehen mit gutem Beispiel voran.