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Migräne

Schon Hippokrates kannte vor mehr als 2.000 Jahren Patienten mit typischem halbseitigen Kopfschmerz und nannte sie nach dem griechischen Wort “hemicrania”, das soviel bedeutet wie “die Halbköpfigen (-Kranken)”.

Nach neuesten Untersuchungen leiden etwa 20 Prozent aller Deutschen unter regelmäßigen oder sogar häufigen Kopfschmerzen. Das sind beinahe fünf Millionen Bundesbürger. 70 Prozent davon sind Frauen. Abgesehen von denjenigen, deren Kopfschmerzen organische Ursachen haben (wie hoher Blutdruck, Augenstörungen oder Tumore), leiden fast alle anderen an Migräne oder unter Spannungskopfschmerzen. Rund ein Drittel davon ist in Behandlung. Zwar haben die meisten Migränepatienten wegen ihrer Beschwerden schon einmal einen Therapeuten aufgesucht. Viele brechen aber die Behandlung ab, weil sie nicht die gewünschten Resultate zeigt.
Typisch für die Migräne ist, dass der Schmerz nur einseitig auftritt. Es handelt sich um einen mittelschweren bis schweren pulsierenden Schmerz, der sich bei unterschiedlicher Anstrengung verstärkt und häufig von Übelkeit und Erbrechen begleitet wird. Die Anfälle kehren periodisch wieder. Von Migräne spricht man, wenn der Patient mindestens schon fünf Attacken er lebt hat, bei denen der Anfall zwischen vier und 72 Stunden dauerte und die geschilderten Symptome aufwies. Die Migräne kann von einer “Aura” begleitet sein, ebenso von Seh- und Sprechstörungen und / oder Lähmungen an Armen und Beinen.

Beim Spannungskopfschmerz leidet der Patient unter einem drückenden, dumpfen Schmerzgefühl im ganzen Kopf, der nicht anfallartig auf tritt. Symptome wie Übelkeit oder Erbrechen bestehen nicht. Migräne und Spannungskopfschmerz können auch parallel auftreten. Spannungskopfschmerzen, wie das Wort schon sagt, werden tatsächlich durch körperliche und / oder seelische Verspannungen ausgelöst.

Migräne-Ursachen

Der Ruf einer “hysterischen” Frauenkrankheit haftet dem Leiden völlig zu Unrecht an. Als gesichert gilt, dass die Anlage zur Migräne vererbt wird.
Die neueste Hypothese sagt, dass bei bestimmten Auslösefaktoren, also durch bestimmte Reize, biochemische Veränderungen im Gehirn stattfinden. Und diese Veränderungen hemmen die Hirnaktivität, setzen gefäßaktive Substanzen frei und verändern die Weite der Blutgefäße. Das ist mit einer erhöhten Durchlässigkeit der Blutgefäße verbunden, durch die es zum Austritt von Flüssigkeit in das benachbarte Gewebe kommt. Eine Entzündung entsteht, die die Nervenzellen reizt und so Schmerzen verursachen kann. An diesem Ablauf sind chemische Botenstoffe – genannt Neurotransmitter – maßgeblich beteiligt.
Auffällig ist nach Meinung von Experten, dass bei praktisch allen Migränepatienten eine Störung der Reizverarbeitung vorliegt. Offenbar reagieren sie auf bestimmte Reize (z.B. Geräusche oder grelles Licht) mit einer erhöhten Sensibilität. Die Reize werden ungenügend “gefiltert”. Eine Migräneattacke ist die Folge.

Migräne ist also keinesfalls ein Anfallsleiden. Die Ursache der Krankheit, die eindeutig biologisch und nicht psychisch bedingt ist, liegt in einer angeborenen Störung der Energiereserve in Nervenzellen. Die Betroffenen kompensieren diese Störung mit Überaktivität. Diese stimulieren sie selbst, sei es z.B. durch starken Kaffeekonsum oder auch immer wieder provozierte Stresssituationen (auch unter bewußter Art).

Das Gehirn ist überaktiv. Die Folge: Das System schaukelt sich mehr und mehr auf, bis es schliesslich – und das ist der Migräne-“anfall” – in sich zusammenbricht. Das Paradoxe daran: Trotz der unerträglichen Kopfschmerzen scheint das Gehirn sich bei der Migräneattacke regelrecht zu “erholen”; es zeigt dann zumindest genau die gleichen Aktivitätsmuster wie beim Gesunden.

Gerade diese neuen Erkenntnisse belegen die Bedeutung und den Bedarf einer ganzheitlichen Behandlung.

Es gibt unzählige Auslösefaktoren für eine Migräneattacke:

Wetterwechsel, bestimmte Nahrungsmittel (z.B. Rotwein oder Käse) und schädigende Umwelteinflüsse (wie Stress, Lärm, Gerüche, grelle Beleuchtung) etc. Auch Hormonschwankungen, zum Beispiel in der Menopause, zuwenig bzw. zuviel Schlaf, selbst momentaner Stress-Abbau (!) können Attacken auslösen. Schokolade wird allerdings als Auslöser zu Unrecht verdächtigt. Heisshunger auf Süßes kann lediglich Vorsymptom, also Vorbote eines Anfalls sein.

Unentbehrlich: die Mitarbeit des Patienten

Der Kranke muss selbst genau darauf achten, was eine Migräneattacke bei ihm auslöst:

Was hat er gegessen?
Hat das Wetter gewechselt?
Hat er beruflichen Ärger?
In welcher Zeit des Zyklus tritt die Attacke auf?
Art, Dauer, Stärke des Schmerzes, Häufigkeit der Anfälle?
Ein “Kopfschmerz-Tagebuch”, in das man alle Daten einträgt, kann wesentlich dabei helfen, mögliche auslösende Faktoren zu identifizieren. Die Angaben unterstützen den Therapeuten, die genaue Art der Migräne zu diagnostizieren.

Wichtig:

Auf keinen Fall sollte der Patient unkontrolliert zu Schmerzmitteln greifen. Werden diese auf Dauer eingenommen, so können sie, neben anderen schwerwiegenden Nebenwirkungen, selbst wiederum Kopfschmerzen auslösen. Resultat einer andauernden Medikamenteneinnahme ist also chronischer Kopfschmerz, dem nicht mehr beizukommen ist. (Alleinige Lösung wäre hier ein unter Aufsicht des Therapeuten durchgeführter Entzug.)

Ganzheitliche Therapieformen

Psychologisches Training und Entspannungstechniken helfen, akute Stresssituationen zu bewältigen und zu einem inneren Gleichgewicht zu finden.

Besonders gute Erfahrungen hat man mit einem speziellen Gefäßtraining – dem sog. Biofeedback-Verfahren – gemacht, das den Migränekranken lehrt, durch eigenen Willen die Weite der Blutgefäße im Gehirn zu regulieren. Die Dehnung der Gefäße werden durch Infrarotlicht gemessen und auf einem Monitor verbildlicht. Durch Rückmeldungen lernt der Patient Gefäßveränderungen willentlich zu regulieren, um dadurch den Schmerz möglichst abzuwenden. Wird dieses Verfahren konsequent durchgeführt, stellt es eine wichtige Hilfe im Umgang mit Migräne dar.

Yoga, Chi Gong, Tal Chi oder das Autogene Training können zusätzlich helfen, ins Gleichgewicht zu kommen. Folgende nicht-medikamentöse Ansätze und Methoden der ganzheitlichen Migräne- Therapie gelten als bewährt:

1. Führung und Beratung der Patienten

Aufklärung über das derzeitige Wissen zur Migräne, Vermittlung eines verständlichen Krankheitsmodells, Bedeutung der attackenauslösenden Faktoren, Aufklärung über ungünstige Verhaltensmuster, Anleitung zum Führen eines Kopfschmerz-Tagebuches.

2. Aerobes Kreislauftraining

Körperliche Bewegung, wie Jogging, Radfahren, Schwimmen.

3. Anfallsbehandlung

Gefäßtraining mit Hilfe von Biofeedback.
Strategien zur Schmerzbewältigung: innere oder äußere Ablenkung, Schmerzfokussierung.
Die Hilflosigkeit der Migränepatienten gegenüber der Attacke soll durch Strategien vermindert werden, die der Patient dem Schmerz entgegensetzen kann. Nicht der Schmerz soll den Patienten beherrschen, sondern der Patient den Schmerz.

4. Prophylaxe

Migräne-Prophylaxe ist vor allem dann angezeigt, wenn der Patient trotz aller Behandlungsversuche weiterhin an mehr als zwei Migräneanfällen im Monat leidet, die länger als zwei Tage dauern.

Maßnahmen zur Prophylaxe:

Einüben der muskulären Entspannung nach Jacobson: Wahrnehmen von muskulären Verspannungen und gezieltes Entspannen der Muskulatur auch in typischen Alltagssituationen.
Erlernen von Strategien zum Erkennen und Bewältigen von privaten, beruflichen und seelischen Belastungssituationen; Veränderung von ungünstigen psychisch-geistigen Einstellungen wie z.B. ehrgeizigem Leistungsstreben.
Besonders wichtig: Ausreichender, regelmäßiger Schlaf. Guter Stuhlgang.
Kontrolle, gegebenenfalls Substitution der Mineralstoffe und Spurenelemente (u.a. Eisen).
Übrigens:

Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. hat zur medikamentösen Prophylaxe folgende Richtlinien angegeben: Medikamente, wenn innerhalb der letzten drei Monate mehr als zwei oder drei Attacken pro Monat auftreten, die länger als 48 Stunden dauern, Anfälle also, die vom Patienten subjektiv als unerträglich empfunden werden, sowie komplizierte Attacken mit neurologischen Ausfällen.
Zur medikamentösen Vorbeugung verordnet die Schulmedizin u.a. Beta-Rezeptorenblocker. Sie wirken erweiternd auf die Blutgefäße. Die Nebenwirkungen dieses Medikamentes sind nicht unerheblich (Potenzstörungen, Unruhezustände etc). Ergotaminpräparate, Coffein und Codein können zur Abhängigkeit führen.
Kalziumantagonisten werden ebenfalls wegen diverser Nebenwirkungen, wie z.B. starker Gewichtszunahme von den Patienten nicht akzeptiert.
Der Wirkstoff Cyclandelat ist hingegen wesentlich verträglicher. Dieser sogenannte KaIzium-Overloadblocker wirkt ausgleichend auf die Blutgefäße im Gehirn.

Immerhin:

Allein schon durch ganzheitliche, nicht-medikamentöse Migränetherapie kann bei einem Großteil der Patienten die Häufigkeit und Intensität der Attacken ganz erheblich vermindert und die Lebensqualität der Betroffenen entscheidend verbessert werden.