Pharmakologie der Terpene
Der Begriff ätherische Öle umfasst eine Vielzahl chemischer Substanzen, die durch ihre physikalisch chemischen Eigenschaften, durch ihren Ursprung und nicht zuletzt aus einer gewissen Tradition zusammengehören, jedoch differieren sie sehr in ihrer chemischen Struktur. Wir sehen heute ätherische Öle als Substanzen pflanzlichen Ursprungs an, die bei relativ hohem Dampfdruck lipoid- oder alkohollöslich sind. Sie zeichnen sich durch einen mehr oder minder starken aromatischen Duft aus und besitzen meist öl- oder fettartige Konsistenz. In der Medizin haben sich ätherische Öle und deren Substanzen als Therapeutica behauptet, wenn auch der Schatten der Chemotherapie über ihnen liegt.
Versuchen wir die ätherischen Öle hinsichtlich ihrer chemischen Struktur auf einen Nenner zu bringen, so gelingt uns das nur mit einem Teil von ihnen, wenn auch mit dem größeren und bedeutenderen, den Terpenen, die durch v. BAYER, BALLAST, SEMMLER und THIEMANN, in ihrer Konstitution aufgeschlossen wurden.
Als Träger dieser Terpen Stoffe finden wir die verschiedensten Pflanzen. Der Extraktivstoff Terpentinöl von Pinus silvestris, der heimischen Kiefer unserer Wälder, und der Fichte, Picea excelsa, gibt dieser großen Gruppe ätherischer Öle ihren Namen.
Daneben stehen u. a.
das Pfefferminzöl, Eukalyptusöl, Kümmelöl, Fenchel und Thymianöl,
die aromatischen Stoffe der Zitrone und Apfelsine. Duftstoffe
von Geranien, Bergamotte, Rosen und Lindenblüten. Unter
diesen Terpenen finden wir Kohlenwasserstoffe, Alkohole, Aldehyde und Ketone, die wir alle als Derivate oder
Polymerisationsprodukte des Isoprens ansehen dürfen. Isopren ist ein Methylbutadien von der Formel
CH3
Dieses Methylbutadien ist zwar in der Natur frei noch nicht gefunden worden, dürfte jedoch bei dem Aufbau lebenswichtiger Substanzen des Pflanzen und Tierreiches in der Zelle als Zwischenprodukt auftreten. Vermutlich bedient sich die Natur z. B. zu der Synthese der hydroaromatischen Terpene der Dien Synthese (DIELS ALDER). Aus zwei Molekülen Isopren, wird durch Ringschluß Dipenten oder d, 1, Limonen, das monocyclische Terpen, dessen Kohlenstoffskelett dem des p Menthadien C10 H16 (zweifach ungesättigt) entspricht. Auf weitere Natursubstanzen polycyclischer Struktur, aus Isoprenbausteinen vielgestaltig aufgebaut, möchte ich nur kurz hinweisen, z. B. auf die Polyprene (Kautschuk undGuttapercha), die Karotinoide und Saponine und die große Zahl der Sterine und Steroide.
In der Reihe der Terpene, bei denen wir von acyclischen, monocyclischen und polycyclischen Formen sprechen können, erwähne ich besonders die NaturstoffeTerpentinöl, Menthol und Kampfer. Hierbei möchte ich anhand des Menthols die pharmakologische Bedeutung dieser Substanzen beschreiben, wobei jedoch nicht unbedacht bleiben darf, dass die Verschiedenheit ihrer chemischen Konstitution sie mit verschiedenartigsten pharmakologischen Wirkungen ausgerüstet hat. So nimmt z. B. der Kampfer eine Sonderstellung als Analepticum ein. Andererseits besitzen die vorerwähnten Substanzen viele paritätische Wirkungen, die offenbar der Gemeinsamkeit physikalischer Eigenschaften entsprechen, so dass hier eine zusammenfassende Besprechung gestattet sei. Wir verwenden heute Menthol in peroraler und percutaner Applikationsform. Für die parenterale wie auch perorale Resorption des Menthols sind insbesondere zwei seiner Eigenschaften von Bedeutung: seine Lipoid Löslichkeit und seine Flüchtigkeit.
Infolge der Flüchtigkeit dringt es in Gas oder Dampfform leicht in alle Zellen ein, obwohl von einer Wasserlöslichkeit des Menthols nicht gesprochen werden kann. Ferner löst es sich leicht in Fett oder fettähnlichen Substanzen, Wachsen, Lipoiden und Sterinen der Zellen und löst seinerseits Fette und Öle mehr oder weniger gut auf. Wenn wir also Menthol auf die unverletzte fettgeschützte Haut auftragen, so dringt es leicht in diese ein. Es ist dadurch besonders geeignet zu einer percutanen Therapie im Gegensatz zu nichtflüchtigen, wasserlöslichen Substanzen. Das Menthol lagert sich nach seiner Resorption, durch die Haut in lipoidreichen Zellen des Unterhautgewebes an, besonders in Zellen, der Nervenendigungen. Hier liegt seine große Bedeutung als Anti Pruriginosurn. Ebenso besteht eine starke Affinität des Menthols zum Cholesteringehalt der roten Blutkörperchen, mit denen es sich im Körper verteilt. Diese Affinität führt auch zur Anlagerung des Menthols an dieLeberzellen, die durch ihren reichen Cholesterin und Lipoidgehalt ausgezeichnet sind.
Interessant ist nun die Tatsache, dass die verschiedenen ätherischen Öle aufgrund ihrer verschieden hohen Dampfdrucke und Löslichkeitsgrade gegenüber verschiedenen Körperzellen spezifische Affinitäten aufweisen. So haben Menthol und Terpentinöl z.B. eine elektive Wirkung auf Leber- und Nervenzellen sowie auf die Bronchialschleimhaut, wohingegen andere, so die Substanzen des Oleum Juniperi und desOleum petroselini, die Nierenzellen in ihrer Arbeit beeinflussen. Andererseits haben die Substanzen des Oleum Anisi und des Oleum foeniculi dank ihrer Flüchtigkeit ihren besonderen Wirkungsbereich in der Bronchialschleimhaut.
Betrachten wir histologische Schnitte von mit ätherischen Ölen behandelten Geweben, so zeigen alle als gemeinsames Bild das der lokalen Entzündung mit ihren klassischen Symptomen, wenn auch in unterschiedlichen Graden. Als auffälligstes Merkmal dieser Reaktion auf den Reiz, denn als solches dürfen wir die Entzündung betrachten (Virchow), zeigt sich eine erhebliche Hyperämie. In eindringlicher Form tritt dieses Phänomen, verbunden mit Transsudation und Diapedese, im histologischen Bild z.b. von Leberschnitten nach oraler Menthol und Terpentinmedikation hervor. Physiologisch betrachtet kommt es hierbei zu einer starken Aktivierung des Lebergewebes, die sich in starkem Gallefluß äußert. Analoge Bilder sehen wir im parenchymatösen Gewebe der Niere nach Applikation entsprechender ätherischer Öle.
Nicht vergessen möchte ich die analeptische, kreislauf stimulierende Wirkung des Kampfers. Eine weitere, auch heute noch therapeutisch ausgenutzte Wirkung besitzen die ätherischen Öle, besonders das Oleum Tereb. in ihrer Chemotaxis auf die Leukozyten. Nach Injektion von Oleum Tereb. kommt es örtlich zu einer Leukozyten Ansammlung, zu einer aseptischen Eiterung, die früher bekanntlich als unspezifischer Reiz gegen Infektionen benutzt wurde. Erwähnt sei noch die mehr oder minder starke Hyperleukozytose im strömenden Blut nach Resorption von ätherischen Ölen. Die Ursache hierfür ist eine Reizung des Leukoblasten Gewebes im Knochenmark, das zu einer vermehrten Tätigkeit angeregt wird.
Nach diesen pharmakologischen Feststellungen über die allgemeinen Wirkungen der ätherischen Öle möchte ich ausführlicher den speziellen Einfluss der Terpene Menthol und Pinen auf Leber und Galle erörtern. Beide Substanzen werden heute gern als Cholagoga, Diuretica etc. verwandt. Menthol liegt nach DAB 6 im 01eum menth. pip. mit ca. 50’/o vor, teils frei, teils verestert. Das Alpha und Beta Pinen stellt den überwiegenden Anteil des Terpentinöls dar. Beide Naturstoffe sind also als Therapeutica anzusprechen. Bezüglich der Resorption dieser Substanzen wäre nach den obigen Erörterungen im besonderen noch zu erwähnen, dass die Lipoidlöslichkeit von Menthol und Pinen ihnen im Darm die Anlagerung an resorbierte Fette ermöglicht, mit denen sie der Leber zugeführt werden. Hier werden beide Öle von den lipoidhaltigen Parenchymzellen aufgenommen und regen diese zu einer mächtigen Vermehrung der Gallenproduktion an.
In früheren Arbeiten von SIEBOLD und RENNER wurde diese galletreibende Wirkung von 01. menth. pip. und Terebinth. als eine rein funktionelle und ganz spezifische auf die Leberzellen erkannt. Beide Öle zeigten eine selektive Wirkung auf die Leberzellen: die Gallenblase der Tiere, denen vorher Pfefferminzemulsion i. v. injiziert worden war, roch deutlich nach Pfefferminzöl, während der Urin einen solchen Geruch nicht aufwies, ebenso wenig die Ausatmungsluft. Untersuchungen über die Wirkung der Substanzen des 01. menth. pip. und des 01. Terebinth. auf die Leberzellen (Fütterungen von Mäusen mit im Verhältnis zum kleinen Mäusekörper großen Mengen Menthol) boten ähnliche Ergebnisse. Nach der Obduktion zeigte die Leber starke Blutfülle und Gallenansammlung im frischen Schnitt. Die Gallenblase wies eine reichliche Ansammlung von Galle auf. Beide Organe rochen stark nach 01. menth. pip. Die histologischen Leberschnitte zeigten bei Hämatoxylin Eosin Färbung eine erhebliche Blutfülle in allen Kapillaren, besonders aber in den Arteriae centrales. was also auf eine aktive Hyperämie durch funktionelle Anregung der Leberzellen hinweist. Das ätherische Öl selbst erfährt in den Leberzellen eine Entgiftung durch Veresterung mit Glykuronsäure oder Schwefelsäure; es wird in Ester Form vom Blut resorbiert und hauptsächlich durch die Niere, aber auch vom Darm ausgeschieden.
Über die cholagoge Wirkung geben uns experimentell physiologische Untersuchungen wertvolle Aufschlüsse. E. v. Müller hat in berühmt gewordenen Untersuchungen die Frage der galletreibenden Wirkung verschiedener Pharmaka geklärt. Er stellte fest, dass neben den gallensauren Salzen 01. menth. Pip. als stärkstes galletreibendes Mittel angesehen werden muss. Wertvoll sind auch vergleichende Versuche von SCHONGE, in denen er den Sterkobilingehalt der Fäces vor und nach Einnahme von 01. menth. pip. kolorimetrisch bestimmte. Es wurden von ihm genaue vergleichende Zahlen vorgelegt. Nach einmaliger Einnahme von 01. menth. pip. zeigte sich die von ihm untersuchte Filtrationsflüssigkeit der Fäces dunkler und farbstoffreicher als vor der Einnahme. Ebenso stellte SCHONGE fest, dass nach Darreichung von OL. menth. pip. weniger Resteiweiß im Stuhl erscheint. Es wird also das Nahrungseiweiß besser ausgenützt. Die Frage, ob die Ursache hierfür in einer gesteigerten Gallensekretion oder einer gesteigerten bzw. rationelleren Resorption seitens der Darmschleimhaut besteht, oder aber eine Sekretionsstimulation von Verdauungssäften vorliegt, konnte SCHONGE nicht klären. Eine andere Beobachtung führte SCHONGE auf die Tatsache der stark vermehrten Gallenabsonderung zurück, dass nämlich eine etwas abgeänderte Gmelinsche Probe nach Darreichung von 01. menth. pip. im Harn stark positiv ausfiel. Im “inneren Darmkreislauf” kam es also zu einer so reichen Rückresorption von Farbstoff aus dem Darm ins Blut, dass bei diesem hohen Bilirubin Spiegel die Niere den Farbstoff ausschied.
Außer den physiologischen Nachweisen cholagoger Wirkung von 01. menth. pip. bzw. Menthol liegen heute schon zahlreiche klinische Befunde vor, die das Menthol neben anderen ätherischen Ölen als galletreibendes Mittel bestätigen. Hier darf besonders der Anreiz zu starker Gallenproduktion bei funktioneller Schwäche post operationem genannt werden, ferner bei der Behandlung von Hepatopathien genereller Art, bei denen es zu einer Gallenproduktionsschwäche gekommen ist. Die Behandlung von Cholecystopathien akuter und chronischer Art mit Menthol hat ebenfalls gute Erfolge gezeitigt.
Da bei Unregelmäßigkeiten der Sekretion eine anhaltende Cholestase durch den Ausfall von Schutzkolloiden im Gallesekret die Bildung von Kriitallisationszentren besonders in den extrahepatischen Gallenwegen begünstigt, ist die Anregung einer starken Gallesekretion hier von großer Bedeutung für die Prohylaxe der Steinbildung. Eine weitere Frage, die Anlass zu lebhaftesten Diskussionen bot, ist die, ob es durch orale Einnahme von 01. menth. und anderen ätherischen Ölen tatsächlich zu einer Auflösung vonGallensteinen kommen kann. Verschiedene Versuche können als positiv gewertet werden. Es wurden Bilirubin Cholesterin Kalksteine mit zentraler Schichtung in vitro Rindergalle ausgesetzt, der in verschiedener Konzentration ein flüssiges Medikament aus ätherischen Ölmischungen zugefügt war. Das Ganze wurde im Brutschrank bei konstanter Temperatur von 37 Grad gehalten. Dabei zeigten die Steine je nach Größe der Oberfläche bei 5-10% -iger Öl Konzentration schon nach 2-8 Tagen eine erhebliche Gewichtsabnahme und Verkleinerung bis zu ungefähr 5%. Ein Teil der kleineren Steine wurde gänzlich aufgelöst. Höhere Konzentrationen an Ölen ergaben nach kürzester Zeit noch erheblich deutlichere Auflösungserscheinungen, können aber praktisch, nicht berücksichtigt werden, da hier nicht mehr von einer Annäherung an physiologische Bedingungen gesprochen werden kann. Natürlich liegen die Verhältnisse in vivo doch noch anders. Das Öl dürfte hier weder in solcher Konzentration, noch in gleicher Art in die Gallenblase gelangen. Dennoch lässt nach den bisherigen Erfahrungen selbst ein geringer Gehalt an ätherischen Ölen auch in vivo günstige steinauflösende Ergebnisse erhoffen.
Röntgenologisch zeigte sich tatsächlich, dass dem 01. menth. pip. und Pinen eine steinauflösende Wirkung zugeschrieben werden muss. Wahrscheinlich wird das Cholesterin Gerüst des Steines von dem Öl herausgelöst, wonach die Steine eine starke Unter und Aushöhlung der äußeren Schale aufweisen. Es bleibt also hauptsächlich die Kalkschicht neben der Bilirubinschicht bestehen. Diese Stein Filigrane bieten aber jeder Druckwirkung erheblich geringeren Widerstand, worauf es zum Zerbröckeln und zur Griesbildung kommt. Von der Herstellerfirma des Rowachol*) wurden mir einige Röntgenaufnahmen der Gallenblase zur Verfügung gestellt. Die Beurteilungen der Fachkollegen waren nicht immer eindeutig, ob es tatsächlich nach der Medikation zum Steinschwund gekommen war, ließen aber in vielen Fällen einen positiven Schluss zu. Sind doch bei der Beurteilung verschiedene Momente zu berücksichtigen: Lageveränderungen, Perspektive und Projektion. Das klinische Bild (Besserung und Symptomfreiheit) bot häufig eine eindeutige Parallele zu der entsprechenden Veränderung des Röntgenbildes, der Verkleinerung des Steines bis zum vollständigen Schwund, weshalb ich nach dem vielen Für und Wider die Steinauflösung für möglich, ja für wahrscheinlich halten muss.
Zusammenfassend, darf ich noch einmal auf die physikalischen Eigenschaften der ätherischen Öle, besonders der Terpene, Menthol und Pinen, und ihre pharmakotogischen Wirkungen, vor allem auf die Leberzellen, hinweisen. Die cholergetische Wirkung des Menthols wurde von mir hervorgehoben. Zum Schluss berührte ich die Frage der Gallensteinauflösung mittels Menthol und Pinen enthaltender Medikamente.
*) Rowa-Wagner http://www.dooyoo.de/leber-gallenerkrankungen/rowa_wagner/
Quelle: Dr. med. Albrecht Beichler, Erfahrungsheilkunde, Karl F. Haug Verlag.