Herzenssache
Prävention und Rehabilitation bei Herz-/Kreislauferkrankungen mit Zhineng Qigong
Herzkrankheiten in der Gesundheitsberichterstattung
Wussten Sie, dass Herz-Kreislauferkrankungen in Deutschland die häufigste Todesursache mit insgesamt 42,5% darstellen? Innerhalb der großen Gruppe der Herz-Kreislauferkrankungen ist die koronare bzw. ischämische Herzkrankheit die wichtigste Untergruppe. Diese ist als eine chronische, meist durch Arteriosklerose verursachte Erkrankung der Herzkranzgefäße definiert. Die zunehmende Verengung der betroffenen Arterien, auch als Koronarstenosen bezeichnet, führen dazu, dass der Herzmuskel hinter der Verengung nicht mehr ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt wird.
Bemerkbar macht sich die Ischämie meist durch Brustenge, ein dumpfes Druckgefühl hinter dem Brustbein, den sog. Angina-Pectoris- Anfällen. Der völlige Gefäßverschluss führt meist zum Herzinfarkt mit lebensgefährlichen Komplikationen.
In der Regel entwickeln sich Gefäßerkrankungen aufgrund von Risikofaktoren, wie z.B. erhöhter Cholesterinspiegel, Bluthochdruck, Genussgifte, ungünstige Ernährungsgewohnheiten, erhöhte psychische Belastungen, Disstress sowie Bewegungsmangel. Auch die Lebenseinstellung des Menschen stellt einen wesentlichen Faktor dar.
Gibt es Infarkttypen aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen?
Es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die Risikofaktoren für Herzkrankheiten darstellen; dies wurde erstmals in der Studie von Friedman/Rosenman erkannt.1) Vor allem Menschen mit hohem Ehrgeiz und Arbeitseinsatz, wenig Sensibilität für körperliche Prozesse und Signale, Unterdrückung bzw. Nicht-wahr-haben-wollen der Überforderung, die daraus resultierende Ungeduld und das Gehetzt-sein, das schließlich zu feindseligem, cholerischem, aggressivem Verhalten führen kann, sind bedeutende Faktoren.
Aber auch Persönlichkeitsstrukturen mit fehlendem Selbstvertrauen, das Verhalten des nach innen gekehrten Verlierers, das oftmals zum Rückzug von anderen Menschen führt, kann sich negativ auf die Herzgesundheit auswirken. Herz und Psyche beeinflussen sich gegenseitig durch neurobiologische Signale des Gehirns. Negatives Erleben könnte z.B. einen erhöhten Sympathikusreiz oder eine Ausschüttung anderer Stresshormone bewirken. Dies führt zu einer erhöhten Ruheherzfrequenz mit ungünstigen Auswirkungen für die Herzgesundheit. Außerdem kann ein „Belohnungssystem“ im Gehirn Risikoverhalten und Abhängigkeit fördern.
Psychosozialer Stress ist somit ein bedeutsamer Faktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Sowohl einmalige Lebensereignisse als auch alltägliche Stressoren können negativen Disstress auslösen, der eine schädliche Wirkung besitzt. Hingegen ist positiver Stress, der Eustress, ein wichtiger Mechanismus für Trainings- und Lernprozesse.
Stresszustände sind Grundlage aller Entwicklungsprozesse. Ziel des Organismus ist es folglich, sich dem Reiz anzupassen, zu lernen und sich zu entwickeln, sodass äußere Bedingungen bzw. Belastungen besser bewältigt werden können. Schwierig ist es, Belastungen, die auf den psychischen Organismus einwirken, objektiv zu erfassen. Bedeutend ist die Art und Weise, wie das Individuum Anforderungen aufnimmt. Wahrnehmungen, Gefühle, jegliche Form von Gedanken und Vorstellungen spielen bei der Reizbewältigung eine entscheidende Rolle. Von großer Bedeutung ist es demnach, Stressbewältigungsfähigkeiten individuell zu stärken mit dem Ziel eines breiten Bewältigungsprogrammes und einer hohen Anpassungsfähigkeit im Umgang mit Stressoren. Außerdem gilt es, psychische und physische Spannungszustände vorzubeugen oder zu reduzieren.2)
Zhineng Qigong (ZQG) − Fernöstliche Option zur Prävention und Rehabilitation
Techniken, die den Menschen dazu anleiten, sich und seine Umwelt bewusst und mit Akzeptanz wahrzunehmen und im „Hier und Jetzt“ zu leben, werden vor allem in östlichen Kulturen gelehrt und haben inzwischen auch den Westen erreicht. Qigong ist eine intensive Methode, mit der Menschen lernen, mit Stressbelastungen sicher und bewusst umzugehen, um dadurch Stressfolgen zu vermeiden.
Qigong ist eine der 5 Säulen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die verschiedenen Methoden dienen der Gesundheitspflege und dem achtsamen Umgang mit der Lebensenergie. Zhineng Qigong ist eine der effektivsten Qigong-Stile und bedeutet „Intelligenter Umgang mit der Lebensenergie“. Durch systematisches Training der fließenden Körperbewegungen wird diese Heilmethode nicht nur präventiv, sondern auch wirksam in der Rehabilitation eingesetzt.3)
Im Gegensatz zur östlichen Medizin setzt die westliche Medizin auf wissenschaftliche Methoden, die „kausale Analyse“. Es steht nicht das Befinden des Patienten im Mittelpunkt, sondern der messbare Befund. Patienten, die an Befindlichkeits- oder funktionellen Störungen leiden, bei denen sich oft zunächst kein Befund ermitteln lässt, sind nach westlicher Methode schlecht therapierbar. Die chinesische Medizin beschreibt den Menschen als Teil eines kosmischen, energetischen Gefüges. Jedes einzelne Element steht in Relation zum Ganzen. Der Mensch als Mikrokosmos untersteht der gleichen kosmischen Ordnung wie das ganze Universum. In dieser Ordnung herrschen die polaren Kräfte Yin und Yang. Die beiden wandeln sich endlos ineinander. Alle natürlichen Zyklen der Natur weisen den Wandel von Yin und Yang auf. So wie der Tag in die Nacht übergeht und dann wiederum in den nächsten Tag, so wandelt sich das Yang ins Yin und das Yin ins Yang.
Beide Kräfte wirken gemeinsam in unserem Körper. Geraten sie aus dem Gleichgewicht, ist der harmonische Lebensfluss gestört und wir fühlen uns krank.
Alles ist voneinander abhängig: Das Entsprechungssystem
Gedanken und Emotionen werden wie körperliche Energien betrachtet, die unseren Energiefluss und dadurch unsere Organsysteme stören können. Gestörte Körperfunktionen haben Einfluss auf unsere Gedanken und Emotionen, auch Einflüsse von außen können sich belastend auf unser Energiesystem auswirken.
Nach der chinesischen Lehre enthält jedes Organ eine spezielle Energie und ist mit einer Emotion verbunden:
Die Leberenergie bringt Potenzen und Begabungen, die in der Nierenenergie ruhen, nach außen. Mit Entschlusskraft, Initiative und Fantasie sorgt die Leberenergie dafür, dass das eigene Potenzial gelebt wird.
Die Lungenenergie ist Kontaktanlaufstelle, die den Austausch mit der Umwelt gewährleistet. Sie lässt Qi-Einflüsse zu und wehrt schützend ab. Das Energiesystem der Lunge arbeitet rhythmisch, diese Regelmäßigkeit gibt Stabilität und Kraft.
Die Milzenergie (Verdauungssystem) ist die Zentrale, die Klares vom Trüben trennt, nicht nur Nahrung, sondern auch Emotionales und geistiges Gut.
Die Nierenenergie ist die Basis; sie ist das Speicherorgan für unsere Lebensenergie und unsere Essenz. Das gesammelte Potenzial, die Informationen der Vorfahren sowie die eigene angeborene Konstitution (Anlagen, Talente, Begabungen) sind dort gespeichert.
Die Herzenergie entspricht der eigenen Identität. Das Energiesystem des Herzens ist die geordnete, gebündelte Form, die Koordination, die persönliche Ordnung, die Art, wie aktive Lebensäußerungen des Individuums nach außen gelebt werden.
Nieren- und Herzenergie befinden sich in einem speziellen Verhältnis. Die Niere ist der Speicher unserer Lebensenergie, dem Qi, und gilt als „Wurzel des Lebens“.
Die Nierenenergie, das Wasserelement, beeinflusst viele Körperfunktionen, z.B. die der Geschlechtsorgane, die Blutbildung und die Regulation des Wasserhaushalts. Das Wasserelement ist der Gegenpol zur Herzenergie, dem Feuerelement. Kann die polare Yang- Energie des Nierensystems das Herz-Qi nicht mehr genügend unterstützen, resultieren daraus allgemeine Schwäche und Depression. Herzerkrankungen entstehen, wenn das Feuer des Herzens nicht mehr genügend von der polaren Yin-Energie der Niere gekühlt wird. Dem Wasserelement ist die Emotion Angst zugeordnet. Ist das Gleichgewicht gestört, sind wir zaghaft, ängstlich und instabil. 4)
Nach der TCM-Lehre gilt die Praxis des Qigong und besonders des medizinischen-integrativen ZQG-Stils als wertvolle Methode, diese Lebensenergie zu bewahren bzw. den Energieverbrauch zu verlangsamen und zu harmonisieren. Menschen, die zu Herzerkrankungen neigen oder schon erkrankt sind, tendieren dazu, sich nach außen hin zu erschöpfen, also ihre Lebensenergie vermehrt zu beanspruchen. Ist das Herz bzw. die Feuerkraft, dem die Emotion Freude zugeordnet ist, im Ungleichgewicht, erreichen Leben, Liebe und Kontakt nicht mehr unser Herz; es wird schwer, sich zu öffnen und sich zu verbinden.
Der Qigong-Großmeister Dr. Pang entwickelte den Zhineng Qigong-Stil aus einer Kombination der Schlüsselelemente unterschiedlicher Qigong-Formen, worin auch die Effizienz dieser Körperübungen liegt. Dr. Pang, ein in westlicher und in der TCM ausgebildeter Arzt, definierte die Praxis des Qigong als Grundlage, die zur ganzheitlichen Sicht des Lebens führt. Der Geist wird bewusst nach innen fokussiert. Zu dieser geistigen Ausrichtung gehören Meditation, richtige Atmung und Körperhaltungen. Durch ZQG werden Lebensfunktionen verbessert und harmonisiert, natürliche Instinkte werden in bewusste Intelligenz transformiert. Durch den systematischen Trainingsaufbau der Achtsamkeitsübungen entwickelt sich sehr schnell das Qi-Gefühl, es verändern sich sowohl die Wahrnehmung nach außen als auch die eigene Körperwahrnehmung zum Positiven.
Zunächst wird bewusst der Austausch der Lebensenergie im Innern des Menschen mit dem Außen gefördert. Der Übende erfährt durch die meditativen, visuell durchgeführten Körperbewegungen eine Öffnung, was als Erleichterung empfunden wird. In der nächsten Stufe lernt der Übende, durch bewusste Bewegungsführung die körpereigene Energie wahrzunehmen. Körper und Geist werden als eine gesunde Einheit erlebt. Die folgende Übungsstufe intensiviert die Wahrnehmung der Organe, deren Funktionen und die damit verbundenen Emotionen. Dies verbessert die Organfunktionen, harmonisiert Gefühle, beeinflusst das vegetative Nervensystem und steigert die Bewusstseinskontrolle. Am Anfang jeder Übungseinheit wird ein Qi- Feld aufgebaut, das achtsame Sprechen von 8 Versen dient der mentalen und physischen Vorbereitung.
Im Westen leben die Menschen sehr zukunftsorientiert, Aktivität wird als positiv, Passivität als negativ gewertet. In unserer Gesellschaft besteht oft ein Missverhältnis zwischen Reden und Handeln: Diese Diskrepanz zu erleben, erzeugt Angst. Bewusstes Wahrnehmen, Beobachten, die Sinne einsetzen statt denken oder bewerten, befreit und beruhigt den Geist, öffnet − und zugleich grenzt es die Persönlichkeit ab. Wahrnehmung zulassen bedeutet Reduktion von Angst, Spannung und Schmerz. Respektvolles Verhalten fördert die innere Gelassenheit.
Fazit
Zhineng Qigong ist eine effektive Methode, die lehrt, adäquat mit Stressbelastung umzugehen, was in der heutigen Zeit immer wichtiger wird, da sich aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen die Anforderungen an die Leistungsbereitschaft des Einzelnen steigern werden. Massenkultur und Globalisierung sind Herausforderungen, denen Qigong gegenüber steht. Zhineng Qigong kann sowohl in der Gruppe als auch allein praktiziert werden. Durch das Üben in der Gruppe werden jedoch intensivere Resultate erzielt. Für die menschliche Entwicklung ist es äußerst wichtig, verschiedenen Gruppen anzugehören und anerkannt zu werden. Das Selbstwertgefühl und Wohlergehen wird von der Aufnahme in eine Gruppe wesentlich beeinflusst. Die persönliche Identität entsteht durch die Unterschiedlichkeit einer Person im Vergleich zu anderen, die den Einzelnen einzigartig macht, das wird in der Gruppendynamik des Zhineng Qigong erfahrbar. „Ich bin“ statt „Ich mache“, „geschehen lassen“ statt „beeinflussen“ − Zhineng Qigong zeigt den Weg.
„Schau in den Himmel
und du siehst dein Inneres.
Schau in dein Inneres
und
du wirst den Himmel entdecken.“
Chinesisches Sprichwort
Petra Kramer
Heilpraktikerin, Zhineng
Qigong Lehrerin, Herzsportgruppenleiterin, Dozentin an den Paracelsus Schulen
Kramer.petra@gmx.de
Literaturhinweise
1) Friedman, Meyer; Rosenman, Ray: The personality Assessment System as a Conceptual Framework for the Type A, B, C Coronary-Prone Behavior Pattern. Study, University of Missouri Columbia, Journal Article, 1974
2) Matlick, Michael; Unverdorben, Martin (Hrsg.): Herzgruppenbetreuung in Theorie und Praxis. Spitta Verlag, 2014
3) Hempen, Carl-Hermann: dtv-Atlas Akupunktur. Deutscher Taschenbuchverlag, 9. Auflage, 2009
4) Dr. Pang (Übersetzt von Ping Dietrich- Shi): Elementarbuch des Zhineng Qigong. Eigendruck
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