Smart Grid: „Intelligentes“ Stromzählen mit Vernunft – Funkende Zähler müssen nicht sein
Es war kein Faschingsscherz, als am Rosenmontag 2011 bekannt wurde, dass der EU-Energiekommissar Günther Oettinger bald alle Stromkonzerne zu monatlichen Stromrechnungen und detaillierten Auskünften über den Verbrauch von Strom und Gas zwingen möchte. Im Endeffekt könnte das auf einen Zwang für alle Wohnungen und Betriebe in der EU hinauslaufen, „intelligente“ Zähler (sogenannte Smart Meter) einbauen zu lassen.
Tatsächlich hat das Umrüsten in Europa längst begonnen. So ist auf der Homepage des Stromkonzerns E.ON nachzulesen: „In Kürze wird der Konzern europaweit 1,8 Millionen Smart Meter installieren.“ Bereits heute schon sind in Schweden rund eine Million Smart Meter im Einsatz, und in Spanien kommen bis 2014 rund eine Dreiviertelmillion dazu. Auch für Deutschland ist der Umstieg seit einem Bundestagsbeschluss von 2008 unausweichlich geworden: Bis 2015 sollen die herkömmlichen Zähler, für die man bisher lediglich einmal im Jahr eine vorgedruckte Postkarte ausfüllen musste, flächendeckend ausgetauscht sein. Spätestens 2012 – nach dem GAU in Japan wohl schon eher – wird die Bundesregierung der EU detailliert darlegen, wie sie in den kommenden Jahren eine umfassende „intelligente“ Strominfrastruktur einführen will.
Laut Oettinger soll es künftig „eine detaillierte Verbrauchs- und Kostenrechnung, und die jeden Monat“ geben – was in der Regel Fernablesung von Strom und Gas bedeutet. Die lässt sich technisch auf unterschiedlichen Wegen realisieren: per Funk, per DSL-Kabelverbindung oder aber per Telefonnetz, gegebenenfalls auch per Kabelfernsehnetz. Verbraucher erweisen sich als intelligent, wenn sie darauf achten, dass mit künstlich-intelligenten Zählern in ihre Häuser und Wohnungen keine Technologien eingebaut werden, die dauerhaft mit gesundheitlich bedenklichen Emissionen einhergehen. In einer Zeit, in der man aus Respekt vor potenzieller radioaktiver Strahlung inzwischen ganze Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen bereit ist, sollte es obsolet sein, Mobilfunkstrahlung zwecks Fernablesung von Strom-, Wasser- und Gaszählern in fast alle Wohnräume hineinzuzwingen.
Intelligentes Energiesparen – was heißt das?
Mehr Energieeffizienz – so lautet das suggestive Stichwort zur Rechtfertigung der Zwangseinführung von „schlauen“ Zählern unterm Strich. Doch gegenüber den vorliegenden Beschlüssen und drängenden Planungen gibt es in der Bevölkerung – sofern sie überhaupt um Smart Metering weiß – mancherlei Skepsis: Einer FORSA-Umfrage vom Mai 2010 zufolge fielen mehr als der Hälfte der Verbraucher spontan nachteilige Aspekte ein. Tatsächlich lassen sich eine Reihe gewichtiger Rückfragen anführen.
1. Wird durch „intelligente“ Strom- und Gaszähler wirklich nennenswert Energie gespart?
Das ist mehr als fraglich, denn es geht bei der neuen Smart-Technologie zwecks Erstellung detaillierter Auskünfte um ein häufigeres Abfragen und Weitervermitteln von Zahlen, sodass hier erst einmal in bisher ungewohntem Maße Energie verbraucht wird. Die freie Enzyklopädie Wikipedia informiert über „intelligente Stromzähler“ ungeschminkt: „Bedingt durch die zusätzliche Kommunikation kommt es, verglichen mit einem bisher üblichen Ferraris-Zähler, zu einem höheren Eigenverbrauch.“ Nach Aussage von Dr. Christian Becker, dem Chef der Stadtwerke Aachen, wurden in Feldversuchen die entstehenden Kosten für den Datentransfer im Intervall von 15 Minuten und die Datenspeicherung mit 2 bis 3 Euro pro Monat angegeben: Damit werde fast jede Stromenergie-Einsparung wieder aufgefressen. Selbst das einschlägige Magazin „Klimaretter“ räumt ein: „Smart Grids sollen also nicht unbedingt Energie sparen …“ Das bleibt zunächst einmal festzuhalten. Zudem liegt die kritische Frage nahe, ob nicht die dank Smart Grid anvisierten CO2-Einsparungen durch die Marktmechanismen des Emissionshandels teilweise oder vollständig kompensiert werden dürften.
2. Kann dank Smart Metering der Eigenverbrauch durch sorgfältige Beobachtung gesenkt und somit profitabler gewirtschaftet werden?
Kunden haben hier die Möglichkeit, ihre Verbrauchswerte regelmäßig per Mausklick einzusehen und dadurch zu erkennen, welche Geräte im Haushalt wie viel Energie verbrauchen. So wirbt etwa T-Systems: „Die digitalen Zähler senden die Verbrauchsdaten per Funk oder DSL an die Versorgungsunternehmen. Eine Software verarbeitet die Informationen und stellt sie dem Endkunden in einem personalisierten Internetportal zur Verfügung – auf Wunsch sogar im 15-Minuten-Takt. Der Kunde hat so seinen Verbrauch immer im Blick und kann ihn entsprechend beeinflussen. Experten schätzen, dass Verbraucher dadurch bis zu 15 Prozent der Stromkosten sparen können.“ Andere Erfahrungen deuten auf eher 10 Prozent und weniger hin.
Hinzugerechnet werden muss auch die Frage: Wer trägt die beträchtlichen Anschaffungskosten für die „intelligenten“ Zähler sowie anschließend die laufenden Bereitstellungskosten? Laut Deutscher Energie-Agentur – so ist wiederum Wikipedia zu entnehmen – werden je nach Anbieter einmalig 35 bis 100 Euro und jährlich zwischen 60 und 240 Euro in Rechnung gestellt: „Dem stehen im Mittel optimistisch gerechnete Einsparungen von 9 bis 42 Euro gegenüber. Ist daneben ein paralleles Telekommunikationsnetz notwendig und noch keine DSL-Verbindung vorhanden, verschlingt die permanente DSL-Verbindung pro Jahr rund 131 kWh – ein Kühlschrank kommt im Vergleich auf weniger als 100 kWh im Jahr.“ Wer intelligent ist, der rechne!
3. Geht es bei dem Versuch der politisch anvisierten Generaleinführung dieser neuen Technologie um industriellen Profit?
Bei „Spiegel Online“ war bereits im September 2009 nachzulesen: „Durch die Modernisierung der Stromnetze entsteht ein Milliardenmarkt – und immer mehr IT-Riesen wollen darin Geld verdienen.“ Und weiter: „Das Geschäftsfeld gilt unter Experten als einer der großen Mega-Märkte des kommenden Jahrzehnts.“ Im März 2011 vermerkt die „Augsburger Allgemeine“: „Die IT-Industrie erhofft sich ein Milliardengeschäft. Sie rechnet bis zum Jahr 2014 mit rund 100 Milliarden Euro Umsatz weltweit aus Smart-Grid-Technologien.“ Neben den Energieversorgern wollen auch Gebäudetechniker und Elektroinstallateure an der neuen Technik verdienen.
Würde angesichts dieser Erkenntnis die Bezeichnung „intelligente“ Stromzähler nicht am ehesten jenen Stromkunden zustehen, die ihren Stromverbrauch bewusst auf herkömmliche Weise messen lassen und dabei grundsätzlich in ihrem Verbrauch sparsam verfahren wollen, ohne hierüber eine minütliche oder viertelstündliche Rechenschaft zu benötigen? Aber für sie lässt die Politik in absehbarer Zeit wohl wenig Raum. Dabei wäre bei ihnen das Wort „Intelligenz“ wirklich angebracht – da nur menschliches Bewusstsein auf eine Weise intelligent ist, die die ethische Dimension ganzheitlich in das Wahrnehmungsfeld integriert.
4. Drängt sich bei dieser Technologie nicht in der Logik des Systems ein gesellschaftspolitischer Druck zur Teilnahme auf?
Smart Grid meint eine Vernetzung der Zählerinformationen, durch die dann bei mehr oder weniger flächendeckender Anwendung beispielsweise der Geschirrspüler oder die Waschmaschine gezielt zu Uhrzeiten mit sonst geringerer Auslastung des Stromnetzes angeschaltet werden können – und zwar am Ende sogar nicht nur vom Wohnungsinhaber zu Hause oder auf Reisen, sondern womöglich vom Stromlieferanten. Mit Recht bemerkt aber Marcus Rohwetter in der ZEIT (Nr. 23/2011), dass Spül- und Waschmaschinen nicht ohne Grund meist die einzigen von Energiekonzernen beigebrachten Beispiele sind, weil alle anderen Haushaltsgeräte doch mehr oder weniger tageszeitgebunden zu laufen pflegen: „Wer will schon um Mitternacht raus, um die nasse und frisch gewaschene Wäsche in den Trockner umzuheben? Abgesehen davon, dass sich bei den Nachbarn nicht besonders beliebt macht, wer in der hellhörigen Altbauwohnung allnächtlich das Schleuderprogramm heulen lässt. Der Spareffekt bei Wasch- und Spülmaschinen ist überdies gering.“
Es stellen sich aber zudem unter baubiologischen Aspekten Rückfragen. Angepeilt werden nämlich Umverlagerungen von Stromflüssen gerade auch auf die Tiefschlafzeiten der meisten Menschen. Das wäre sowohl bei niederfrequent fließendem Strom als auch in besonderer Weise bei hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung von funkenden Zählern gesundheitlich nicht unbedenklich. Der Arzt Dr. Karl Braun-von Gladiß gibt zu bedenken: „Eine der basalen Forderungen aller für den problembewussten Umgang mit Mobilfunk plädierenden Wissenschaftler heißt, die Mobilfunkdichte vor allem nachts zu reduzieren, weil das biologische System in dieser Zeit besonders sensibel ist. Dementsprechend zweifelte bislang kein unabhängiger Wissenschaftler an der Notwendigkeit, nachts die Sendeleistungen von Mobilfunkbasisstationen herunterzuregeln, was technisch gut möglich ist.“ Energiesparen darf nicht mit Risiken für die Gesundheit verbunden sein!
5. Wie steht es bei Smart Grid um die Sicherheit des extrem hohen Datenverkehrs?
Thomas Fischermann vermerkt unter der Überschrift „Attacke im Sicherungskasten“ in der ZEIT: „In den USA, wo schon Millionen intelligenter Stromzähler (smart meters) in den Haushalten installiert sind, interessieren sich Hacker brennend für die neue Technik. Auf ihrer jährlichen Generalversammlung, der Black Hat Convention in Las Vegas, gibt es seit Jahren passende Fortbildungsangebote.“ Hier auf Sicherheit zu setzen, ist zwar unbedingt geboten; doch sicher bleibt dabei wohl nur, dass damit Kosten für das System entstehen, kaum aber, dass jegliche Hacker-Gefährdungen für Einzelne wie auch für übergreifende Strukturen aus geschlossen werden können. Vielleicht wird man eines Tages mit Wehmut an die alten Zähler zurückdenken …
6. Wie sicher ist der Datenschutz beim Smart Metering?
Dem Deutschen Bundestag liegt seit Frühjahr 2011 eine Petition vor, die von über 1.600 Personen mitunterzeichnet wurde und auf das Recht zielt, dass ein Wohnungsinhaber jederzeit den Austausch elektronischer Geräte zur Erfassung des Verbrauchs von Energie, Wasser usw. in seiner Wohnung („intelligente“ Zähler/ Smart Meter) gegen herkömmliche Stromzähler, Wasserzähler usw. verlangen können müsse. In der Begründung heißt es, die neuen Zähler bedrohten „die Unverletzlichkeit unserer Wohnungen. Mithilfe der elektronischen Verbrauchsaufzeichnungen dieser Geräte kann unsere Anwesenheit und unser Verhalten in unserer Privatwohnung in bisher ungekanntem Maße nachvollzogen und ausgewertet werden. Aus den Schwankungen des Stromverbrauchs kann Analysesoftware beispielsweise errechnen, welche Geräte wir zu welcher Zeit und zu welchem Zweck jeweils betreiben und betrieben haben. … Auch lassen sich Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten unseres Verhaltens in der eigenen Wohnung ermitteln. Die Verwendungs- und Missbrauchsmöglichkeiten von Informationen über unser Verhalten zuhause sind hoch …“
In der Tat: Würden solche Zähler in fast jeden Haushalt hineingezwungen, wären wir da mit drei Jahrzehnten Verspätung nicht nahe an „Big Brother“ herangekommen? Nach Einschätzung des unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein ist eine entsprechende Erfassung des privaten Stromverbrauchs nur dann zulässig, wenn der Kunde explizit eingewilligt hat; anderenfalls verstößt sie gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Aber wahrscheinlich wird dieses Gesetz einer künftigen EU-Regelung angepasst werden!
7. Müssen Smart Meter unbedingt per Funk laufen?
Zähler sollen die Daten direkt und möglichst per Funkverbindung melden“, erklärt Marcus Rohwetter tatsächlich in der ZEIT vom 10. Februar 2011. Dabei haben die Energieversorger technisch durchaus Möglichkeiten, „intelligente“ Stromzähler ohne zusätzliche elektromagnetische Hochfrequenzbelastung bereitzustellen – etwa über die DLS- oder Telefonleitung. Alles andere wäre unter dem Aspekt der staatlich gebotenen Vorsorge als bedenklich einzustufen. Denn die Verstrahlung durch Mobilfunk geht längst zu weit, gemessen an den warnenden Stimmen von unabhängigen Forschern verschiedener Länder. Ganz neu untermauert wird dies jetzt durch eine Langzeitstudie aus Bayern, die besagt, dass Mobilfunk-Effekte einem Dosis-Wirkungs-Zusammenhang unterliegen und langfristig zu Gesundheitsschäden führen können (nachzulesen in „Umwelt – Medizin – Gesellschaft“ 1/2011). Bereits Anfang 2010 wurde bekannt, dass über ein Drittel der Hausärzte in Deutschland von einem Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und gesundheitlichen Beschwerden ausgeht. Professor Andreas Kappos von der Bundesärztekammer warnt: „Gerade langfristige Wechselwirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder mit dem menschlichen Organismus sind noch weitgehend ungeklärt und vermutlich auch nicht in unmittelbarer Zukunft zu erforschen, da sich die Expositionsbedingungen ständig verändern.“
Regelmäßige, beispielsweise minütliche Funksignale durch die Wohnung hindurch könnten eine dauerhafte Irritation darstellen, die zu den oft ohnehin schon vorhandenen Mobilfunk- Emissionen von außen oder innen noch hinzukäme. Aus Vorsorge-Gründen sollten daher nichtfunkende Systeme favorisiert werden, mögen sie auch mit höherem Installations- und Kostenaufwand verbunden sein. Entscheidend ist hier die „Gesamtbilanz“, zu der die Volksgesundheit gehört. Die Bundesregierung empfiehlt ausdrücklich, dass man sich Elektrosmog möglichst wenig aussetzt und herkömmliche Kabelverbindungen bevorzugt, wenn auf den Einsatz von funkgestützten Lösungen verzichtet werden kann. Bei Smart Metering kann man das im Prinzip auch – und sollte es entsprechend tun!
8. Wie steht es bei dem „intelligenten“ Zähl-Vorhaben um die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Minderheit Elektrosensibler?
Dass Menschen tatsächlich elektrosensibel sein können, wurde bereits 1991 in einer Studie aus Dallas untermauert. Freilich gibt es durchsichtige Interessen und entsprechende Studien, die das Befinden Elektrosensibler als rein subjektive und anders zu erklärende Beschwerden wegzudiskutieren suchen. Doch das muss Betroffenen gegenüber als zynisch erscheinen.
Professor Kappos zufolge kann ein Mensch elektromagnetische Strahlung offensichtlich fühlen: „Die Schwellen hierfür sind individuell sehr unterschiedlich.“ Bei Elektrosensiblen „handelt es sich um Personen, die angeben, unter dem Einfluss hochfrequenter elektromagnetischer Strahlen unter zum Teil schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden. Die für die Beschwerden als Ursache angesehene elektromagnetische Strahlung ist dabei meist in einem Dosisbereich weit unterhalb der behördlicherseits vorgegebenen Grenzwerte.“ Schätzungen zufolge geht es immerhin um fünf bis neun Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend.
Wie der Umweltmediziner Joachim Mutter über Erfahrungen mit den neuen Funksystemen aus seiner Praxis berichtet, haben Patienten nach dem Einbau von neuen Wärme-Messzählern auf Funkbasis „vielerlei Beschwerden und Krankheiten erworben“ – obwohl sie nicht einmal davon wussten, dass sich neue Strahlenquellen im Haus befanden. Es handelte sich um das „Spektrum des Mikrowellensyndroms: Schlaflosigkeit, Kopf- und Körperschmerzen, Herzpalpitation, Blutdruckkrisen, Schwindel, Müdigkeit, Gedächtnisschwäche, Augenbrennen, Hautbrennen, Tinnitus, Depressionen etc. Diese wurden erst besser (nach Latenz von zwei bis vier Tagen), nachdem die Fachfirma die elektronischen Wärmezähler demontiert und dafür wieder die alten Messröhrchen an den Heizkörpern angebracht hatte.“ Hier geht es um weit ärgere Symptome als etwa um eine harmlose Kontraktion der Pupille bei Sonnenlicht, also um keineswegs zu vernachlässigende biologische Phänomene, wie mitunter zu argumentieren versucht wird.
Manche Funksensiblen sind vor der verbreiteten Mobilfunkstrahlung längst in die Keller geflohen. Werden nun gerade dort zwangsweise funkende Strom-, Gas- oder Wasserzähler installiert, resultiert daraus ein quälender Zustand für die Betroffenen. Und das in besonderem Maße, wenn sie ihre Wohnung oder ihr Haus bereits nach außen gegen Funk abgeschirmt haben – da dann die elektromagnetischen Hochfrequenzwellen durch die Abschirmung reflektiert werden. Von solchen Reflexionen wären beispielsweise auch Besitzer einer hübschen Edelstahlküche tangiert. Betroffen wären Elektrosensible durch ein breitflächig durchgesetztes Smart Metering ohnehin überall dort, wo sie – selbst falls für sie Ausnahmeregelungen getroffen werden können – in Mehrfamilien- oder Hochhäusern entsprechendem neuen oder zusätzlichen Mobilfunk aus benachbarten Wohnungen ausgesetzt sein würden. Dass dieser Aspekt bislang kaum ernsthaft debattiert wird, lässt nach den humanen Leitwerten in unserer Gesellschaft fragen.
9. Bedeutet vielleicht das bei Smart Metering mitunter verwendete Powerline- Modell (PLC; DLan), bei dem Daten über das hauseigene Stromnetz versandt werden, eine kabelgestützte Entlastung?
Unter baubiologischem Aspekt ist diese Lösung nicht unproblematisch, da hierbei elektromagnetische Strahlung im ganzen Haus messbar wird, sofern nicht geschirmte Kabel eingebaut sind. Der Schweizer Ingenieur Peter Schlegel weiß: Der Frequenzbereich dieser Strahlung stört nicht nur den Empfang von Kurzwellen- Radiosendern, sondern „verursacht elektrosensiblen Personen spontane Beschwerden“. In Kenntnis solcher Strahlung ist sich auch der promovierte Physiker Stefan Spaarmann aus Leipzig im Klaren: „Nie würde ich mir eine solche Technologie ins Haus holen!“ Kurz: Einen Zwang sollte es auch zu diesem Modell nicht geben.
EU-Forderungen und Gegenforderung
Die Mitteilungen der EU-Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und verschiedene Ausschüsse vom 12. April 2011 zu diesem Thema geben Anlass zu der Befürchtung, dass es zu entsprechenden Zwangsmaßnahmen kommen könnte. Es heißt da: „Die Kommission wird im Zuge der Überarbeitung der Energiedienstleistungsrichtlinie Mindestanforderungen an Form und Inhalt der Informationsbereitstellung an Kunden und an den Zugang zu Informationsdienstleistungen und zum Nachfragemanagement (z.B. hausinterne Verbrauchssteuerung) einführen.“ Das deutet auf den Willen zur Durchsetzung bestimmter Forderungen an den Kunden hin – und jeder Wohnungsinhaber ist ja zwangsläufig „Kunde“. Nachdem es um detaillierte Möglichkeiten zur Verbrauchssteuerung und obendrein um „Normen für die Interoperabilität intelligenter Verbrauchszähler (Strom, Gas, Wasser und Wärme)“ gehen soll, könnte die Versuchung naheliegen, hier auf den generellen Einsatz von Funktechnologie innerhalb aller Haushalte zuzusteuern – auch wenn davon nirgends im Papier ausdrücklich die Rede ist.
Der IT-Industrie und ihrer Lobby kämen politische Vorschriften in dieser Richtung wohl zu Pass. „Der Staat ist so eng und vielfältig mit der Stromwirtschaft verwoben, verschlungen, verknotet, ja teilweise verschmolzen, dass viele Beobachter von einem stromindustriellpolitischen Komplex sprechen“, erklären Christiane Grefe, Götz Hamann und Rüdiger Jungbluth in jener ZEIT-Ausgabe, die just nach der Japan-Katastrophe erschien (Nr. 12/2011).
Den zitierten Forderungen an die EU-Bürgerinnen und -Bürger stehen allerdings umgekehrt deren Forderungen an die Politik gegenüber, die meint, womöglich zu entsprechenden Eingriffen in die Bürgerrechte legitimiert zu sein. Was gilt eigentlich noch das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung, wenn es um Funkemissionen geht? Der Mediziner Braun-von Gladiß argumentiert in der Stellungnahme für eine Bürgerinitiative: „Für Menschen, die ein Mobilfunkgerät grundsätzlich weder besitzen noch benutzen – wie ich zum Beispiel –, hieße es, die letzte mobilfunkfreie Zone in der eigenen Wohnung aufzugeben, wenn sie zustimmen, eine solche Einrichtung in der Wohnung oder im Haus installieren zu lassen.“ In einem freien Land habe man das Recht, sich beispielsweise vegetarisch zu ernähren oder in Bezug auf Alkohol abstinent zu leben. „Da wir in keinem totalitären System leben, darf es auch kein Automatismus werden, jemanden nur deshalb, weil er Strom beziehen möchte, zu zwingen, in seinem Hause oder seiner Wohnung Mobilfunk zu dulden.“
Zeichnet sich am Ende eine regelrechte „Öko-Diktatur“ ab, argumentativ gestützt und beschleunigt durch die Katastrophe in Japan? Wie lange gelten in dieser Hinsicht noch bürgerliche Freiheitsrechte? Da Smart Metering auch ohne allgemeinen Zwang zum Funksystem funktionieren kann, darf die Tendenz zur Vernetzung und zur normierten Einheitlichkeit nicht ins „Totalitäre“ umschlagen. Noch schützen uns hierzulande Gesetze vor zu viel staatlicher Willkür. Doch den „Mitteilungen“ der EU-Kommission zufolge „könnten in den speziellen nationalen Rechtsvorschriften Anpassungen erforderlich sein, um einigen Funktionen der „intelligenten“ Netze Rechnung zu tragen.“ Und was soll man davon halten, wenn einige Politiker bereits eine Verstaatlichung der Stromnetze fordern, um so den Zugang direkt regulieren zu können? Wäre heutzutage nicht im Gegenteil eine Dezentralisierung der Stromversorgung angesagt?
Hoffentlich kommt es am Ende in Europa nicht zu ähnlichen Zuständen wie jetzt bereits im US-Bundesstaat Kalifornien, wo sich Proteste gegen „strahlende“ Stromzähler ausbreiten. Laut Presseberichten hat ein Landkreis nördlich von San Francisco in einer Verfügung beschlossen, die Einführung der Smart Meter ein Jahr lang zu stoppen. Als Begründung für diese Vorsorge wurde ein potenzielles Gesundheitsrisiko im Zusammenhang mit der Funktechnologie genannt: Herz-Rhythmus- und Schlafstörungen, Tinnitus, Krebs sowie Angstzustände kommen immer wieder als erlebte Folgen der dortigen Smart-Meter ins Gespräch.
Die Propaganda für Smart Metering läuft seit geraumer Zeit – und die Presse spielt großenteils mit. Sie liefert ohnehin weitgehend nur „eine Berichterstattung, die geprägt ist von der Nähe und Kooperation mit Wirtschaft und Verbänden statt durch Vorsicht und Abstand“, wie Albrecht Müller in seinem Bestseller „Meinungsmache“ (2010) vermerkt. In der Bevölkerung könnte aber in Zeiten des Widerstands gegen „Stuttgart 21“ und gegen das pseudo-ökologische E10-Benzin das Ansinnen, monatliche Stromrechnungen womöglich auf der Basis von Indoor-Mobilfunk durchzusetzen, wenig Beifall finden. Der eingangs erwähnten FORSA-Umfrage zufolge zeigte sich 2010 immerhin jeder Fünfte der Nutzung digitaler Zähler gegenüber ausdrücklich skeptisch; es dürften deutlich mehr werden, falls digitale Zähler systematisch funkgestützt sein sollten.
Aus gutem Grund muss die Bundesregierung in ihrem Mobilfunkforschungsbericht 2011 einräumen, dass das Phänomen der wegen elektromagnetischer Felder besorgten oder sich durch sie beeinträchtigt fühlenden Personen „nicht zu unterschätzen“ sei. In den Mitteilungen der EU-Kommission ist dementsprechend eine Unsicherheit darüber erkennbar, „ob die Verbraucher die neue Technologie annehmen werden“. Nichts gegen Energie-Sparen! Dann aber bitte so, dass der Allgemeinheit keine Technologie im Privatbereich vorgeschrieben wird, die umstritten ist. Es gibt eben nicht nur wissenschaftliche Harmlosigkeitserklärungen, sondern auch diverse Forschungsergebnisse im In- und Ausland sowie ungezählte bittere Erfahrungen Einzelner, derentwegen Mobilfunk im Verdacht steht, zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu führen. Zu einer willkürlichen Verordnung dauerfunkender Zähler in sämtlichen Häusern und Wohnungen darf es deshalb unter keinen Umständen kommen. Alternative Lösungen müssen angestrebt werden. Der Zweck von Smart Grid heiligt nicht alle Mittel.
Prof. Dr. Werner Thiede
Pfarrer der Evang.-Luth. Kirche (Regensburg) und Publizist
werner.thiede@web.de
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