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Tierheilkunde
Lesezeit: 8 Minuten

Kleine Knospen, große Wirkung – Gemmotherapie in der Tierheilpraxis

Schlägt man in der Tierheilpraxis eine Behandlung mit Gemmomazeraten vor, wird man zumeist verständnislos angeschaut. „In aller Munde“ ist die Gemmotherapie nicht gerade – noch nicht. Denn die gut verträglichen und einfach anwendbaren Präparate aus jungen Knospen und Trieben von Bäumen und Sträuchern stellen eine vielseitige und in allen Krankheitsphasen unterstützend anwendbare Therapieoption dar, die hier in ihren Grundzügen vorgestellt wird.

Ursprung

Der belgische Arzt Dr. Pol Henry (1918-1988) gilt als Begründer dieser Therapiemethode. Er selbst bezeichnete sie zunächst als „Phytoembryotherapie“. Den Begriff „Gemmotherapie“ prägte schließlich der französische Homöopath Max Tétau (1927-2012).

Es handelt sich um ein relativ junges komplementärmedizinisches Verfahren, bei dem u.a. die Knospen (lat. gemma) bestimmter Bäume und Sträucher medizinisch genutzt werden. Durch Kaltextraktion mithilfe eines Alkohol-Glycerin-Wasser-Gemischs (Mazeration) und anschließender Verdünnung sollen Wirkstoffe aus dem jungen, teilungsaktiven Pflanzenmaterial herausgelöst und für den Organismus nutzbar gemacht werden.

Gemmotherapie als Heilverfahren

Ist sie Teil der Phytotherapie, ein Ableger der Homöopathie oder doch etwas ganz anderes? Sicher ist: Dr. Henry hat das Rad nicht neu erfunden. Bereits vor rund 2500 Jahren wurden in der Traditionellen Chinesischen Medizin und im Ayurveda Knospen zu Heilzwecken genutzt. Auch Hildegard von Bingen (1098-1179) empfahl die Einnahme von Pflanzenknospen in verschiedenen Zubereitungsarten.

Die heutige Gemmotherapie stützt sich auf zwei wesentliche Grundgedanken: zum einen die nachweisliche Reaktion des Körpers auf Pathogene mittels Bildung spezifischer und im Blutplasma messbarer Immunglobuline (relevant für die Diagnostik), zum anderen die Auswahl der dazu passenden Gemmomazerate nach dem Prinzip der sog. Pflanzensoziologie. Diese untersucht den Bewuchs einer Region und teilt ihn in bestimmte Biotope mit hierfür charakteristischen Pflanzen ein, welche aufgrund der Vergesellschaftung ähnliche oder synergistische Eigenschaften haben bzw. Effekte mit sich bringen. So rufen biotopspezifische Mazerate Veränderungen bestimmter Immunglobulin-Fraktionen im Blut hervor (Senkung oder kein weiterer Anstieg; Heilungsprozess wird möglich). Weiterführend werden auch Bewuchsveränderungen (als Folge klimatischer Umbrüche, jahreszeitlicher Bedingungen, Bodenveränderungen, genetischer Zyklen und weiterer Einflüsse auf die Landschaft) berücksichtigt. Tatsächlich können Parallelen zwischen der Waldentwicklung und der Entwicklung von Krankheitsgeschehen gezogen werden.

Dr. Pol Henry hatte kurz gesagt die Idee vom Einsatz bestimmter Pflanzen aus speziellen Baumbiotopen je nach Krankheitszustand und -verlauf.

Eingeteilt in die 4 Krankheitsstadien
• akut (α-Globuline im Blutplasma),
• subakut (β-Globuline erhöht),
• chronisch (γ-Globuline erhöht) und
• degenerativ (unbehandelter chronischer Zustand) werden Gemmomazerate aus passenden Biotopen ausgewählt, die nach ihren Leitbäumen benannt sind. Dabei korrelieren Pflanzen aus dem sog. Alnus-Biotop (Erle) mit akuten Krankheitszuständen, im Quercus-Biotop (Eiche) wachsen solche, die mit subakuten Krankheitsbildern in Verbindung stehen. Chronische Krankheitsgeschehen sind mit Pflanzen aus dem Fagus-Biotop (Buche) verknüpft, und das Calluna-Biotop (Besenheide, kein Leitbaum mehr) steht für Krankheiten mit degenerativem Charakter.

Herstellung und Auswahl

Knospen bündeln aus Sicht der Gemmotherapie die gesamte Kraft der jeweiligen Pflanze. In ihnen liegen sämtliche Wirkpotenziale des gewählten Baums oder Strauchs, die durch die individuellen Besonderheiten der im Knospenmaterial enthaltenen Inhaltsstoffe charakterisiert sind, hochkonzentriert vor. Nachweisbare Vitalstoffe in Pflanzenknospen sind neben Aminosäuren, Enzymen, Wachstumsfaktoren und Vitaminen auch Phytohormone und Giberelline (pflanzliche Steroide).

Um diese Kraft verfügbar zu machen, wird das junge Pflanzenmaterial über 3 Wochen in ein Gemisch aus Wasser, Alkohol und Glycerin eingelegt und dessen Wirkstoffe herausgelöst. Dabei wird der Ansatz täglich verschüttelt oder verrührt und dann filtriert. Die entstandene Urlösung wird in der Regel (wieder mit Alkohol, Glycerin und Wasser) auf D1 potenziert. Andere Potenzen werden nicht hergestellt. Selten wird auch das Muttermazerat direkt verabreicht.

Die Auswahl der passenden Gemmopräparate kann nach der oben beschriebenen Pflanzensoziologie, aber auch rein indikationsspezifisch erfolgen. Dabei sind die Indikationen weitgehend an die aus der Phytotherapie bekannten Anwendungsbereiche angelehnt. Die Auswahl nach Pflanzensignaturen, die bestimmten Seelenzuständen entsprechen, oder jene nach Planetensignaturen ist möglich, dies erfolgt allerdings eher im Humanbereich. Ebenso gibt es Ansätze, die Gemmotherapie mit den aus der TCM bekannten Wandlungsphasen zu verknüpfen.

Gemmotherapie in der Tierheilpraxis

Derzeit wird das Verfahren in Deutschland in noch nicht vielen Tierheilpraxen eingesetzt. Generell ist es in unseren Nachbarländern sehr viel gebräuchlicher – hier jedoch auch vorwiegend im Humanbereich. Fachliteratur und Fortbildungen speziell für den veterinärmedizinischen Einsatz existieren (bislang) nicht; Indikationen müssen daher zunächst vom Menschen auf das Tier übertragen werden, soweit das möglich ist. Insofern kann die Gemmotherapie im Rahmen der Tierheilbehandlung als wirklich neues Verfahren angesehen werden.

Daraus abgeleitet empfiehlt sich eine vorsichtige und wohlüberlegte Vorgehensweise bei der Anwendung in der Tierheilpraxis, da bislang nur sehr wenige Erfahrungswerte bezüglich des Einsatzes am Tier vorhanden sind. Die Therapeuten, die bislang mit Gemmopräparaten in der Tierbehandlung arbeiten, verzeichnen ausnahmslos positive Ergebnisse.

Im Übrigen gelten alle Gemmopräparate in Deutschland als Nahrungsergänzungsmittel, sie unterliegen damit nicht den Einschränkungen durch das Tierarzneimittelgesetz.

Anwendung beim Tier

Die Gemmotherapie ist kombinierbar sowohl mit schulmedizinischen Behandlungsansätzen wie auch mit naturheilkundlichen Methoden (einschließlich der Homöopathie). Bei Tieren erfolgt die Anwendung der süß schmeckenden Mazerate eher in Tropfenform, weniger als Sprühlösung (wie beim Menschen). Diese werden unverdünnt auf die Schleimhaut aufgetragen oder verdünnt in Wasser oral eingegeben. Die äußerliche Anwendung von Gemmomazeraten ist möglich, wenn auch unüblich. Bei Welpen kann die Aufnahme auch über die Milch erfolgen (in diesem Fall wird das Muttertier behandelt).

Mehrere Gemmomittel können miteinander gemischt oder kombiniert gegeben werden. Von unterschiedlichen Firmen sind Komplexpräparate erhältlich, deren Einsatz am Tier ebenfalls möglich und stellenweise praktikabler ist als die Verwendung von mehreren Einzelmitteln.

Vorsicht bei Allergien

Es sind keine gravierenden Nebenwirkungen bekannt. Allenfalls können vereinzelt Überempfindlichkeitsreaktionen auftreten. Daher sind Allergien und allergische Dispositionen im Vorfeld unbedingt abzuklären.

Gemmomazerate – eine Auswahl

Nun stelle ich einige Gemmomazerate vor, die sich in meiner Praxis bewährt haben:

Schwarze Johannisbeere (Ribes nigrum)

Die Schwarze Johannisbeere ist dem Alnus-Biotop zugeordnet und somit ein Mittel für die Akutphase. Es gilt in der Gemmotherapie als „pflanzliches Cortison“. Seine Wirkrichtung liegt im Bereich des Immunsystems und der Infektabwehr (v.a. Atemwege). In meiner Praxis wird das Mazerat erfolgreich beim Katzenschnupfen-Komplex eingesetzt, ebenso (unterstützend) bei Allergien beim Hund, Ekzemen beim Pferd und insgesamt bei entzündlichen sowie schmerzhaften Geschehen, v.a. im Bereich der Atemwege und der Haut. Auch entzündliche Gelenkserkrankungen lassen sich hiermit gut behandeln.

Schwarzerle (Alnus glucinosa)

Die Haupteinsatzgebiete der Schwarzerle liegen im Bereich der Blutgefäße, des Magen-Darm-Traktes und des Urogenitalsystems. Alnus glucinosa ist ein Mittel für akute Krankheitsgeschehen – ob Cystitis bei der Katze, Durchblutungsstörungen bei alten Tieren oder entzündliche Prozesse im Magen-Darm-Trakt mit Krampfneigung. Erfahrungsgemäß verbessert es die Fließfähigkeit des Blutes, wirkt entzündungshemmend, antibakteriell und krampflösend.

Esche (Fraxinus excelsior)

Fraxinus setze ich gerne bei akuten, subakuten und schmerzhaften Erkrankungen im Bewegungsapparat des Pferdes ein, v.a. bei Beteiligung der tiefen Beugesehnen und des Fesselträgers. Auch in der begleitenden Behandlung eines Tying-Up (Kreuzverschlag) eignet sich die Esche.

Heckenrose, Hundsrose (Rosa canina)

Als Strauch des Quercus-Biotops setze ich Rosa canina gerne bei subakuten Erkrankungen im Bereich der Atemwege und der Gelenke ein. Ihr werden antivirale, immunstärkende und schmerzstillende Wirkungen zugeschrieben. Zusammen mit Ribes nigrum lassen sich Erfolge bei hartnäckigem Katzenschnupfen erzielen. Im Bewegungsapparat kann man hiermit z.B. die Behandlung einer Kniegelenksarthrose gut unterstützen.

Silberlinde (Tilia tomentosa)

Die Silberlinde ist dem Quercus-Biotop zugeordnet. Ihre Hauptwirkrichtungen sind die Psyche und der Magen-Darm-Trakt. Tilia tomentosa wird mit angstlösenden, krampflindernden, beruhigenden und schlaffördernden Effekten verbunden. Ihr Einsatz hat sich bewährt bei Unruhezuständen (v.a. beim Pferd), nervösem Reizmagen beim Hund und (in Kombination mit Bach-Blüten) bei Nervosität und Ängsten

der Katze. Sie gilt auch als das Mittel der Kinder und Jungtiere.

Rotbuche (Fagus sylvatica)

Der Leitbaum des Fagus-Biotops findet seinen Einsatz vorwiegend bei Erkrankungen mit chronischem Verlauf. Sehr gute Erfolge habe ich erzielen können in der Begleitbehandlung von Stoffwechselstörungen beim Pferd (v.a. EMS). Fagus kann zur Stärkung der Nierenfunktion und Unterstützung eines normalen Fettstoffwechsels beitragen. Weiter werden der Rotbuche entzündungshemmende und diuretische Effekte zugeordnet. Darüber hinaus steht sie im Zusammenhang mit der Regulation der Freisetzung von Histamin, weshalb ein weiteres Einsatzgebiet die Allergie- bzw. Begleitbehandlung von Ekzemen ist.

Olivenbaum (Olea europaea)

Wirkrichtungen sind das Milz-Pankreas-System, die Leber und Gefäße. Olea europaea wird zur Senkung von Blutfetten und Blutdruck sowie zur Verbesserung der Fließfähigkeit des Blutes herangezogen und kann zur Unterstützung der Regulation von Fettstoffwechselstörungen beitragen. In der Begleitbehandlung des Equinen Metabolischen Syndroms ist die Olive meiner Erfahrung nach sehr hilfreich.

Wolliger Schneeball (Viburnum lantana)

Hierbei handelt es sich um einen Strauch aus dem Fagus-Biotop. Er gilt als Reinigungsmittel für Bronchien und Lunge. Viburnum lässt sich gut unterstützend einsetzen bei Equinem Asthma und Reizhusten unterschiedlicher Genese (zusammen mit Ribes nigrum). Die Wirkung des Wolligen Schneeballs auf die Schilddrüse erklärt seine Einsatzmöglichkeit bei Hyperthyreose (hier wird er mit Rotem Hartriegel kombiniert).

Besenheide (Calluna vulgaris)

Jene Namensgeberin des Calluna-vulgaris-Biotops ist charakterisiert durch ihre stark entzündungshemmende Wirkung für die Be-

reiche Bewegungsapparat, Niere sowie ableitende Harnwege. Unterstützend setze ich diese Knospe gerne bei chronischen Nierenerkrankungen (CNE) der Katze, auch bei entzündlichen Gelenkserkrankungen bei Pferden und Hunden ein.

Mistel (Viscum album)

Breit gefächert sind die Effekte des Gemmomazerats aus Mistelknospen: blutdruckregulierend, krampflösend, verdauungsfördernd, stoffwechsel- und hormonregulierend. Gute Erfahrungen habe ich in der begleitenden Therapie des Equinen Sarkoids gemacht, sowohl innerlich angewendet wie auch äußerlich aufgesprüht. Auch der unterstützende Einsatz bei Mastzelltumoren kann hilfreich sein.

Fazit

Derzeit sind mehr als 50 Gemmomazerate auf dem Markt, und regelmäßig kommen neue hinzu. Auch insofern lässt sich feststellen, dass kleine Knospen große Wirkung zeigen. Gerade für die Tierheilpraxis kann die Gemmotherapie aus meiner Sicht ein interessanter und hilfreicher Ansatz mit großem Potenzial sein: Die Mazerate werden von Tieren zumeist gut akzeptiert, wirken nachhaltig und überzeugen auch die Tierbesitzer nicht zuletzt aufgrund der einfachen Anwendung. Ich möchte diese tolle Therapiemethode in meiner Praxis nicht mehr missen.

Tanja Erlei
Tierheilpraktikerin, Dipl.-Pädagogin, Fachkraft für tiergestützte Therapie und Pädagogik in eigener Praxis, Dozentin an den Paracelsus Gesundheitsakademien
tanja@schoenborner-muehle.de

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