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Naturheilkunde
Lesezeit: 8 Minuten

Tibetische Medizin bei Frauenbeschwerden

Erfahrungen einer Heilpraktikerin

Medizin vom „Dach der Welt“. Was romantisch klingt, entwickelte sich in Tibet vor Jahrhunderten unter härtesten klimatischen Bedingungen. Die Tibetische Medizin (Sowa Rigpa) hatte dabei von Anfang an ein ganzheitliches Menschenbild, das Körper, Geist und Energien als Einheit sieht. Neben der Behandlung von Krankheiten stehen v.a. Gesunderhaltung und Vorbeugung im Fokus. Grundlegend dabei ist die „innere Balance“, das Zusammenspiel und die Harmonie der 5 Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum, die nach der Tibetischen Konstitutionslehre in den 3 Säften bzw. Prinzipien Lung (Wind), Tripa (Hitze) und Beken (Schleim) wirken. In diesem Beitrag werde ich auf die Frauenheilkunde und die sich anbietenden Ansätze aus der Tibetischen Medizin eingehen.

Aus dem Rhythmus geraten

Frauen in meiner Praxis leiden an unterschiedlichsten Beschwerden, z.B. einem Prämenstruellen Syndrom, Dysmenorrhö, Kopfschmerzen, Verdauungsschwäche, depressiven Verstimmungen, wandernden Schmerzen im Bewegungsapparat, Nackenverspannungen, rezidivierenden Zystitiden, unerfülltem Kinderwunsch, sexueller Unlust und Schlafstörungen. Könnten diese ursächlich zusammenhängen? Und warum zeigen Frauen in der heutigen Zeit immer wieder bestimmte Störungen? Nach tibetischer Lehre liegt es daran, dass wir durch Stress, Schichtarbeit, Mangel an alltäglichen Ritualen u.v.m. wenig Rücksicht auf die Rhythmen der Natur und der Elemente nehmen, die in der Tibetischen Medizin eine große Rolle spielen. So folgen die 3 Säfte einem Tages- und Jahreszyklus (Abb. 1).

Tibetische Medizin und Konstitutionslehre in meiner Praxis

Zunächst bestimme ich bei meinen Patientinnen den Konstitutionstyp. Körperliche Merkmale, u.a. Körperbau und -größe, Hautbeschaffenheit und Haare, mentale und psychologische Eigenschaften weisen darauf hin, in welchem Verhältnis die 3 Säfte vorhanden sind. Um herauszufinden, was auf einen selbst zutrifft, bietet sich der Typentest an, der kostenlos im Internet zu finden ist. Tibetische Zungen-, Urin- und Pulsdiagnose zeigen Abweichungen vom Gleichgewicht, und unter Einbezug der Anamnese und des Beschwerdebilds erarbeite ich einen individuellen Therapieplan, der Methoden der Tibetischen Medizin mit anderen naturheilkundlichen Mitteln und Ansätzen kombiniert.

Für die o.g. Störungen kommen vielfältige Ursachen in Frage. In meiner Praxis begegnen mir derzeit bestimmte Phänomene verstärkt:

• Mangel an innerer Wärme, Nierenschwächung
Das Verdauungsfeuer wird als „medrod“ bezeichnet und fungiert als zentrale Feuerstelle in unserem Organismus. Man kann es sich als Kochtopf über dem Feuer vorstellen. Das verbindende Beken ist für die Durchfeuchtung und Mischung des Nahrungsbreis verantwortlich. Tripa als Verdauungsfeuer medrod „kocht“ die Nahrung und spaltet sie auf, während Lung (Wind) das Feuer anfacht. Bilder aus diesem Wissensschatz zeigen uns, was wir benötigen, wenn diese Balance ins Wanken gerät.

Häufig stelle ich ein geschwächtes medrod fest, das z.B. durch kalte Getränke, kühlende Speisen, Rohkost, Salate und Süßspeisen reduziert wird und zu einem inneren Kältezustand führt, der „Kalte-Nieren-Krankheit“ genannt wird. Diese schwächt nicht nur die Verdauung, sondern auch die Funktion aller Abdominalorgane. Mögliche Symptome sind Unfruchtbarkeit, sexuelle Unlust bei Frau und Mann, Dysmenorrhö, wiederkehrende Blasenentzündungen, chronisch kalte Hände und Füße sowie ein allgemeiner Energiemangel. Die Formel Se‘bru 5 (Granatapfel 5, in Padma DigesTib) mit Scharfstoffen, ätherischen Ölen und Fruchtsäuren wirkt wie eine Wärmflasche von innen. Sie kann langfristig bei chronisch kalten Nieren sowie kurzfristig bei akut geschwächtem Verdauungsfeuer eingesetzt werden. Se‘bru 5 ist ein stärkendes Basismittel für unser medrod (Abb. 2).

• Windstörungen: Wenn alles verrücktspielt

Zusätzlich tritt oft ein Übermaß des Lung-Prinzips auf, das den inneren Kältezustand verstärkt. Stress, sensorische Überstimulierung und mentale Überforderung fördern einen Lung-Überschuss. Man kann es sich vorstellen, als ob ein kalter Wind durchs Haus bläst und alles durcheinanderwirbelt – auf mentaler, emotionaler, körperlicher und hormoneller Ebene. Windstörungen umfassen u.a. nervöse Beschwerden, Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsmangel, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und Nackenverspannungen. Die Tibetische Medizin kennt 4 Therapieansätze: Ernährung, Lebensstil, Arzneimittel und äußere Anwendungen. Wärmende und erdende Maßnahmen, wie z.B. warme, leicht verdauliche und regelmäßige Mahlzeiten, beruhigen den Wind. Zusätzlich werden Agar-Rezepturen eingesetzt, z.B. Dza ti 10 (Muskatnuss 10, Padma NervoTib), das wärmende, balsamische und einhüllende Komponenten umfasst (Abb. 3).

Bei allem sollte man eines im Sinn behalten: Ist das medrod und damit die Verdauung schwach, werden Nährstoffe nicht vollständig aufgespaltet und absorbiert. Dadurch ist auch die therapeutische Einflussnahme auf die drei Säfte über Ernährung und Pflanzenrezepturen beeinträchtigt.

Lebensstil und äußere Anwendungen

Unter den äußeren Therapien eignen sich für Frauen mit Windstörungen v.a. die Tibetische Ölmassage (Ku Nye), Horme (Mongolische Massage mit Kräutersäckchen), Tibetische Akupunktur, Tibetische Stockmassage Yuk chö und Moxibustion, ebenso die Kombination mit anderen Akupunktur- und Massageformen (z.B. Breuß, Honigmassage), Reflexzonentherapie, Dorntherapie, Energiearbeit oder Schröpfen.

Natürlich sollten die Patientinnen lernen, wie sie durch ihren Lebensstil mehr Harmonie erfahren und somit ihre Elemente und Säfte ausbalancieren können. Dabei helfen mentales Training und Körperübungen, z.B. Tibetisches Heilyoga Nejang, Körperübungen des Lu Jong, Tibetische Niederwerfungen, aber auch klassisches Yoga, Mentaltraining oder Meditation. Wichtig ist auch die Gestaltung des Alltags. Ich empfehle Spaziergänge in der Natur, Gespräche mit Freunden, sorgsamen Umgang mit sozialen Medien, Computer und Fernsehen. In meiner Praxis hat es sich oft bewährt, dass ich mit meinen Patientinnen ein „5-Minuten-Ritual“ erarbeite und einübe, das über 80 Tage als Hausaufgabe durchgeführt wird. Die Auswahl der passenden Techniken wird für jede Patientin individuell angepasst. Sie umfasst u.a. die Reinigung der inneren und äußeren Kanäle, Yogaübungen, Visualisierungsmeditationen, Dankbarkeits- und Achtsamkeitsrituale.

Fallstudien

Windstörung nach Trennung
Eine 55-jährige Patientin (Mischtyp Lung/Tripa, keine Vorerkrankungen) erlebte nach einer Trennung eine komplette Umstellung ihrer Lebensumstände. Sie klagte über klimakterische Beschwerden, Schlafstörungen, Hitzewallungen, depressive Verstimmungen und Wutgefühle. Die Pulsdiagnose zeigte eine Erhöhung des Lung-Prinzips.

Zur Besänftigung von Lung erhielt sie Padma NervoTib (Dza ti 10), morgens und abends je 2 Kapseln. Sie bekam bereits regelmäßig Ölmassagen (Ku Nye und Horme) im Abstand von 8 Wochen, diese wurden weitergeführt und für 3 Wochen mit Akupunktur und Moxa ergänzt.

Nach einem Monat hatten sich die Beschwerden deutlich gebessert, der Schlaf war wieder erholsam. Die Patientin berichtete über eine deutlich stabilere Gefühlslage. Nach Festigung dieses Zustands wurde das tibetische Präparat auf 2 Kapseln abends reduziert. Die Beschwerden traten seither kaum mehr auf.

Hormonelle Dysbalance und Windstörung
Eine 33-jährige Patientin, Lung-Typ, keine Vorerkrankungen, hatte 6 Monate zuvor ihr Kontrazeptivum abgesetzt und klagte seitdem über Dysmenorrhö mit starken Schmerzen im Abdomen und Rücken sowie über Nackenverspannungen und Verdauungsbeschwerden nach fettreicher Nahrung.

Die Pulsdiagnose ergab ein Übermaß an Lung, eine geschwächte Niere und eine leichte Leberstagnation. Die Zungendiagnose zeigte erhöhtes Lung und Tripa sowie eine Blutstagnation. Der Urin wies auf Anzeichen von zu viel Hitze hin. Die Patientin hatte starke Kälte im unteren Rücken und Bauch sowie Myogelosen mit schmerzhaften Verhärtungen in der Muskulatur des Nackens und der Halswirbelsäule.

Gegen die abdominale Kälte und um medrod zu stärken, erhielt die Patientin Padma DigesTib (je 2 Kapseln morgens und abends). Nach Bedarf nahm sie ein weiteres tibetisches Präparat zur Unterstützung der Fettverdauung ein. Zusätzlich verordnete ich selen-Loges 100 (1 Tablette morgens) und als Tonikum Myco-Vital Cordyceps (1 Kapsel nachmittags). Einmal wöchentlich erhielt sie eine Ampulle Juv 110 Injektionslösung subkutan, einmal monatlich Vitamin B12 plus Folsäure Hevert (20 mg Folsäure, 1500 µg Vitamin B12) intramuskulär. Alle 3 Wochen wurde Tibetische Akupunktur kombiniert mit Moxa angewendet, außerdem die Tibetische Stockmassage Yuk chö. Schließlich begann die Patientin eine dreiwöchige Entgiftungskur mit Ceres-Urtinkturen (Gentiana, Solidago, Taraxacum – Einnahme nach Organuhr).

Nach 4 Wochen waren die Menstruationsbeschwerden deutlich milder ausgeprägt, die Blutungen weniger schmerzhaft, die Nackenschmerzen besser, die Verdauungsprobleme verschwunden. Die gynäkologische Nachuntersuchung stand zum Berichtszeitpunkt noch aus. Die Behandlung wird bis zur Stabilisierung und nachhaltigen Verbesserung der Symptome weitergeführt.

Erklärung: Das Absetzen des Kontrazeptivums löste eine Störung des Gleichgewichts aller Säfte aus, die hormonelle Dysbalancen und Lung-Überschuss zur Folge hatten. Die resultierende Auskühlung führte zu Schmerzsymptomen und schwächte das Verdauungsfeuer. Dieses wurde nun unterstützt und erwärmt. Externe Therapien, die das Lung dämpfen, und diverse Supplementationen stärkten die Nieren-Energie, harmonisierten die Säfte und förderten die Selbstregulation.

Fazit

In meiner Praxis stelle ich bei meinen Patientinnen häufig einen Überschuss des Lung-Prinzips gemäß der Tibetischen Medizin fest. Die Folge sind „Windstörungen“ mit psychischen sowie somatischen Stresssymptomen. Bei Frauen wird dies oft verstärkt durch ein geschwächtes Verdauungsfeuer medrod, kombiniert mit der hormonellen Zyklizität, was die typische Frauenbeschwerden hervorruft.

Die einzigartige, ganzheitliche Sichtweise des Tibetischen Medizinsystems auf den Organismus und die bildhaften Beschreibungen von Lung, Tripa und Beken helfen Patientinnen, die Zusammenhänge zwischen mentalen, emotionalen und körperlichen Funktionen besser zu verstehen und zurück zu ihrem natürlichen Rhythmus zu finden. Sie sind motiviert, Ernährung- und Verhaltensmaßnahmen besser und konsequenter in Eigenregie umzusetzen.

Für Sie als Behandler ist von Vorteil, dass bereits erste Kenntnisse der Tibetischen Säftelehre erlauben, typgerechte Ernährungsempfehlungen zu geben. Und die tibetischen Rezepturen bzw. Präparate können ebenso in andere heilkundliche Therapie- und Behandlungskonzepte integriert und gut mit sonstigen Präparaten sowie äußeren Anwendungen kombiniert werden.

Nicola Götze
Dipl.-Betriebswirtin, Heilpraktikerin mit Schwerpunkten Traditionelle Tibetische Medizin, Familienstellen, Dorntherapie, Ohr- und Körperakupunktur
info@heilpraktikerduo.de

Foto: © zakalinka / adobe.stock.com

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