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Pflege und Geriatrie
Lesezeit: 14 Minuten

Lebensqualität im Alter

Physiologische und pathophysiologische Aspekte des Alterns

EINFÜHRUNG
r9904_pp1Altern ist das Abenteuer des Lebens, es beginnt mit dem ersten Atemzug, dem Urschrei. Vom Alter zu sprechen heißt mit und über sich selbst sprechen, Bilanz ziehen, Hoffnungen zu pflegen und Wünsche zu haben. Das Altern ist objektiv gesehen nicht nur ein permanenter Lernprozeß, sondern auch ein Verlustprozeß. Allerdings wird von den “Alten” das persönlich Erlebte mehr und mehr zum alleinigen Gesprächsgegenstand gemacht. Jedenfalls geht das subjektiv psychisch und objektiv organisch sehr unterschiedlich empfundene Älterwerden mit veränderten und schwankenden Resorptions- und Eliminationsverhältnissen einher. Wir erleben es fast täglich, daß in Zeitungen oder Zeitschriften über Probleme des Alters und Alterns berichtet wird. Hierbei werden aber auch häufig die Begriffe “Gerontologie” und “Geriatrie” wissenschaftlich nicht immer subtil getrennt, was bisweilen dann zu Überschneidungen und Mißverständnissen führt.

BIOLOGISCHE ASPEKTE DES ALTERNS
Die Biologie des Alterns untersucht und beschreibt zunächst die Alterung von Zellen, Geweben, Organen und Organismen mit morphologischen, physiologischen und biochemischen Methoden. Dabei wird die physiologische Alterung von Erkrankungen unterschieden, die sich auf alternde Zellen, Gewebe und Organe vermehrt aufpropft. Die Klärung kausaler und zeitlicher Zusammenhänge zwischen der Biologie bzw. Physiologie und der Pathologie der Alterung ist die Hauptaufgabe der gerontologischen Grundlagenforschung und der Geriatrie, mit folgenden Prämissen: biologisches und kalendarisches bzw. chronologisches Alter eines Individuums sind nicht identisch. Die biologische Alterung verläuft zwar zeitabhängig, aber für die verschiedenen Zellen, Interzellularsubstanzen, Geweben und Organen eines Individuums nicht synchron und schon gar nicht uniform. Heute erstrangige genetische Alterstheorien prüfen besonders den Einfluß exogener wie endogener Faktoren auf die genetische Vorprogrammierung des biologischen und des chronologischen Alters. Zu deren Unterscheidung ist der gesicherte Beweis wesentlich, daß die meisten Bindegewebs- und Parenchymzellen des menschlichen Organismus, ihre Organellen, Membranstrukturen sowie die Strukturmakromoleküle ihrer Interzellulärsubstanz nicht ewig leben, sondern im Lebensablauf ständig ersetzt werden müssen. Demzufolge stellt sich auch die berechtigte Frage, ob die “Voralterung” auf den ganzen Menschen oder sich nur auf einzelne Organe oder Organsysteme auswirkt. Insbesondere wäre hier das Immunsystem zu erwähnen, auf das hier nachfolgend noch etwas näher eingegangen wird. Wenn schon keine Korrelation zwischen dem kalendarischen und biologischen Alter besteht. so dürfte die Betrachtung über das psychologische Altern noch größere Schwierigkeiten bereiten. Gemeint sind damit der geistig-seelische Abbau, der Verlauf der Demenz, das psychoorganische Syndrom in seinen verschiedenen Schweregraden, die Erschöpfung und die Leistungsminderung. Das vorzeitige Altern beruht nicht nur auf somatischen, sondern auch die entwicklungs- und sozialpsychologischen sowie sozialen Faktoren. Heute weiß man, daß Einschnitte im Lebensbereich, wie das Klimakterium, zusätzliche Leistungsminderung hervorrufen können, wenn bereits ein verändertes Immunsystem besteht.

Daß die verminderte Immunantwort generell im Alter ein morphologisches Substrat hat, ergab sich aus dem Nachweis der reduzierten und veränderten Thymusmasse. Der Thymus erreicht seine größte Ausdehnung im Kindesalter bis zur Pubertät. Nach der Pubertät erfolgt eine allmähliche Rückbildung des Organs, indem das Drüsengewebe durch Fettgewebe ersetzt wird. Beim alten Menschen finden sich lediglich noch Reste von Parenchym, ohne deutliche Differenzierung von Mark und Rinde. So führte jede Veränderung im Immunsystem zu weitreichender Manipulation in vielen Bereichen des Organismus. (Siehe Grafik)

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VIELE ALTE MENSCHEN HABEN ERHEBLICHE ENTWICKLUNGSPOTENTIALE
Altern darf nicht mit Abbauprozessen gleichgesetzt werden. Die Wahrscheinlichkeit von Funktionseinbußen nimmt im Alter zwar zu, aber auch seelische Wachstums- und Entwicklungsprozesse finden statt. Das soziale Umfeld und der Gesundheitszustand spielen ein ganz entscheidende Rolle. Auch im Alter stehen Umweltanforderungen, Belastungen und (vermehrt) Krankheiten im Wechselspiel den aktiven Adaptations- und Problemlösungsanstrengungen, aber auch dem bewußten Akzeptieren des nicht (mehr) Möglichen gegenüber. Es wäre illusorisch, anzunehmen, daß sich dies im Alter auf dem gleichen Niveau abspielen kann wie bei Jüngeren – speziell dann, wenn Dauerbelastungen wie chronische Krankheiten mit ständigen Schmerzen erhebliche Teile des Kräftepotentials aufzehren. Die in den vergangenen Jahren noch weithin anerkannten “Defizitmodelle” als Ausdruck eines stetigen Niedergangs der Möglichkeiten im hohen Alter betonten aber zu einseitig und zu statisch die von allen alten Menschen erlebte negative Seite des Alterns. Fast alle alten Menschen besitzen aber noch erhebliche Lern-, Anpassungs- und Fortentwicklungspotentiale – und nicht wenige nutzen sie auch!

Gesamte Belastungsfaktoren

  • gesundheitliche Probleme
  • Funktionseinbußen
  • chronische Schmerzzustände
  • Angst davor, von anderen Menschen abgelehnt zu werden
  • Sorge, am technischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt nicht genügend partizipieren zu können
  • Verlust von nahestehenden Menschen
  • abnehmende Kontaktmöglichkeiten
  • zunehmende Einsamkeit
  • finanzielle Sorgen
  • Schwierigkeiten mit der Wohnung
  • Sich-ausgeschlossen-Fühlen
  • verrinnende Zeit
  • “leere” Zeit
  • Angst vor schwerer Krankheit
  • Angst vor Verwirrtheit
  • Angst vor Schmerzen
  • Angst vor einem langen Sterben
  • Angst davor, von anderen Menschen abhängig zu werden

Erlebte Entwicklungspotentiale

  • wachsende Selbstbestimmung
  • wachsende Individualisierung
  • Zunahme an Erfahrungen und Wissen in Fragen des Lebens
  • vertieftes Erleben
  • Differenzierung der Wahrnehmung
  • Differenzierung der Urteile in ethischen Fragestellungen
  • größere Toleranz gegenüber anderen Lebensstilen
  • Fähigkeit, Kompromisse zu schließen
  • größere Gelassenheit und Ruhe
  • Fähigkeit, den Tod anzunehmen
  • Fähigkeit, sich an kleinen Dingen zu erfreuen
  • Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen
  • wachsende Beschäftigung mit dem Schicksal nachfolgender Generationen
  • wachsendes Verantwortungsgefühl für nachfolgende Generationen
  • wachsende Beschäftigung mit der Zukunft von Gesellschaft, Kultur und Politik
  • Auf die zahlreichen Einschränkungen, die alternde Menschen erfahren, sei hier nicht im einzelnen eingegangen, da diese weitgehend bekannt sein dürften. Zwei Aspekte seien hier allerdings besonders hervorzuheben: Der erste betrifft die behandelnden Therapeuten. Immer wieder ist zu hören, daß chronische Erkrankungen, vor allem wenn sie dauernd mit hartnäckigen Schmerzen verbunden sind, prinzipiell vorhandene Entwicklungsmöglichkeiten verbauen. In der Auseinandersetzung damit wird zuviel Kraft aufgezehrt, die dann für eine Weiterentwicklung nicht mehr zur Verfügung steht. Besonderes Augenmerk ist auf eine langfristig konzipierte und effektive Schmerztherapie zu richten.

    Der andere Appell ist an die Allgemeinheit gerichtet. Es ist notwendig, eine altenfreundliche Kultur zu schaffen, in der ältere Menschen zu Wort kommen, in der ihre Erfahrungen geschätzt und geachtet werden und die so beschaffen ist, daß sie auch den älteren Menschen die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen, technischen und kulturellen Fortschritt ermöglicht. Aufgabe der noch jungen Disziplin Gerontologie wird es sein, von dem bis jetzt etwas zu allgemeinen, unverbindlichen Niveau solcher Appelle zu wissenschaftlich abgesicherten Aussagen und darauf gründenden konkreten Forderungen zu kommen.

    “Gänzlich unvorbereitet treten wie in den Lebensabend ein, wir tun es unter der falschen Voraussetzung unserer bisherigen Wahrheiten … Wir können den Lebensabend nicht nach demselben Programm leben wie den Morgen, denn was am Morgen viel ist, wird am Abend wenig sein, und was am Morgen wahr ist, wird am Abend unwahr sein.”
    C. G. Jung “

    INSTANT AGEING” – EINE VIERTELSTUNDE 70 SEIN
    Eine zunächst vordergründig erscheinende Besonderheit unseres Gesundheitssystems besteht darin, daß die weitaus meisten Mitarbeiter und Behandler dieses Dienstleistungsbereichs in einer anderen Erfahrungswelt leben als die Mehrheit ihrer “Kunden”. Denn wie in jedem anderen Wirtschaftszweig sind auch im Gesundheitswesen naturgemäß gesunde Personen im berufstätigen Alter beschäftigt. Die meisten ihrer “Kunden” sind jedoch krank und im Rentenalter, d.h. älter als 65 Jahre. Trotzdem wird dieser großen “Kundengruppe” und deren besonderen Bedürfnissen weder bei der Praxisausstattung noch bei den organisatorischen Abläufen oder der Mitarbeiterschulung ausreichend Rechnung getragen. Mehrfach wurden daher bereits Vorschläge unterbreitet, Angehörigen medizinischer Dienstleistungsgruppen, Therapeuten, Klinik- und Praxispersonal, Pflegeberufen etc. im Rahmen ihrer Ausbildung Gelegenheit zu geben, einen Teil der von ihnen den Patienten zugemuteten Maßnahmen selbst über sich ergehen zu lassen. Die Notwendigkeit situationsgerechten Verhaltens älteren Patienten gegenüber ergibt sich aus den Besonderheiten dieser Altersgruppe. Es ist bekannt, daß der Anteil der chronisch Kranken einer Altersgruppe mit steigendem Lebensalter zunimmt. Das gemeinsame Aufeinandertreffen mehrerer verschiedener Krankheiten hat schwerwiegende negative Auswirkungen nicht nur auf die Gesundheit, sondern auch auf die soziale Kompetenz älterer Patienten. Die Anzahl der Hauptdiagnosen ist eng mit dem Alter korreliert. Ältere Menschen, die in häuslicher Umgebung leben, weisen im Durchschnitt 3,5 wesentliche Krankheitsdiagnosen auf. Bei instutionalisiert Versorgten (z. B. in Alten- und Pflegeheimen) steigt die Anzahl auf 6 Diagnosen an.

    RANGFOLGE CHRONISCHER ERKRANKUNGEN IM ALTER:

      Frauen 65-74 Jahre Frauen 75-84 Jahre Frauen über 85 Jahre Männer 65-74 Jahre Männer 75-84 Jahre Männer über 85 Jahre
    1 Degenerative Gelenkerkrank. Degenerative Gelenkerkrank. Degenerative Gelenkerkrank. Degenerative Gelenkerkrank. Denerative Gelenkerkrank. Schwerhörigkeit
    2 Arterielle Hypertonie Arterielle Hypertonie Arterielle Hypertonie Arterielle Hypertonie Scwerhörigkeit Degenerative Gelenkerkrank.
    3 Schwerhörigkeit Schwerhörigkeit Schwerhörigkeit Schwerhörigkeit Arterielle Hypertonie Arterielle Hypertonie
    4 Katarakt Katarakt Katarakt Koronarinsuffizienz Katarakt Katarakt
    5 Koronarinsuffizienz Koronarinsuffizienz Visusverminderung Tinnitus Koronarinsuffizienz Visusverminderung
    6 Status varicosus Visusverminderung Gefäßsklerose Diabetes mellitus Visusverminderung Gefäßsklerose
    7 Tinnitus Gefäßsklerose Koronarinsuffizienz Gefäßsklerose Tinnitus Koronarinsuffizienz
    8 Diabetes mellitus Tinnitus Degenerative Gelenkveränd. untere Extr. Katarakt Gefäßsklerose Taubheit
    9 Visusverminderung Status varicosus Tinnitus Cerebrovaskuläre Insuffizienz Malignome Degenerative Gelenkveränd. untere Extr.
    10 Gefäßsklerose Diabetes mellitus Status varicosus Status varicosus Diabetes mellitus Malignome

    Diese Grunderkrankungen bedingen natürlich ihrerseits eine Reihe von chronischen Behinderungen und Folgeerkrankungen, die in der täglichen Praxis dann auch entsprechend häufig gesehen werden. Aber wird auch entsprechend darauf Rücksicht genommen?

    Wie reagieren Therapeuten und deren Mitarbeiter,

    • wenn der Ältere sich langsam bewegt, weil er degenerative Gelenkbeschwerden oder einen Morbus Parkinson hat;
    • wenn er nicht sofort auf die Untersuchungsliege kommt, weil er die Höhe infolge Visusbehinderung nicht sich abschätzen kann;
    • wenn er ausschweifend und redundant berichtet oder häufig nachfragt, weil er schwerhörig ist?

    Theoretisch kennt jeder die Schwierigkeiten, die Alter und Behinderung mit sich bringen können, aber über eigene Erfahrungen verfügen doch nur die Betroffenen. Sobald man aber selbst einmal betroffen ist und Behinderungen und Beschwerlichkeiten am eigenen Leibe erfahren hat, haften diese Erfahrungen nachhaltiger als alle theoretischen Exkurse.

    DAS PROGRAMM
    In gemeinsamer Arbeit wurde ein einfaches, leicht reproduzierbares Verfahren entwickelt, um Studenten, Praxispersonal oder andere medizinische Mitarbeiter Leiden und Behinderungen sowie die daraus resultierenden Mühseligkeiten des hohen Lebensalters durch einen künstlichen “Alterungsprozeß” selbst erleben zu lassen. Mit Hilfe einfacher mechanischer Hilfsmittel können viele Behinderungen des hohen Lebensalters (z. B. Schwerhörigkeit, Visuseinschränkungen, degenerative Gelenkveränderungen) spielerisch und im Rahmen eines Gruppenspiels nachgestellt werden. Die Möglichkeiten sind z. B.:

    Eingeschränkte Sehfähigkeit – verschmierte Brille | Eingeschränkte Hörfähigkeit – Ohrstöpsel | Tinnitus – Walkman | Polyneuropathie – Schuhsohlen mit Erbsen | Parkinson – diverse Bandagen und Einengungen, Einschnürungen | Sensibilitätsstörungen – Gummihandschuhe | Rheuma – Hand-, Finger-und Knieschienen…

    Diese einfachen Manipulationen sollen in ihrer Summe zu einem artifiziellen Alterungsprozess führen, der als “Instant Ageing” bezeichnet wird. Im weitesten Sinn sind diese Ideen dazu angetan, Sensibilität und Know-how für den Umgang mit Älteren zu fördern. Das Ziel dieser Instant-Ageing-Arbeit wäre erreicht, wenn ein Teil oder alle zukünftig den besonderen Bedürfnissen und Schwierigkeiten älterer Patienten in der Praxis geduldiger und verständnisvoller begegnen würde.

    GERIATRISCHE THERAPIE MIT DER NATURHEILKUNDE
    Seit langem ist bekannt, daß wegen der veränderten Pharmakokinetik und -dynamik Ergebnisse von Therapiestudien, die mit jüngeren Patienten durchgeführt werden, keineswegs unmittelbar auf alte Menschen übertragbar sind. Dennoch werden gerade ältere Patienten häufig von der Studienteilnahme ausgeschlossen. Die Gründe hierfür, daß die Interessen der älteren Patienten im Rahmen der Arzneimittelprüfungen so oft nicht berücksichtigt werden, liegen unter anderem in ihrer hohen Multimorbidität, ihrer Polypharmazie und in ihrer oft mangelhaften Compliance. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Compliance bei der Durchführung von Therapiestudien mit Senioren, besonders in der ambulanten Versorgung, da die Verläßlichkeit bei der Medikamenteneinnahme unzureichend ist.

    Ein besonderes Problem bei der Polypharmakotherapie stellt sich in der Beurteilung der Pharmakokinetik und -dynamik vieler Medikamente, da zum Teil Wirkungsverstärkung -mit Abschwächung – sowie Arzeimittelinteraktionen die Folge sein können. Darüber hinaus sind bei alten Menschen die Magenmotorik und Säuresekretion zunehmend erlahmt; dies kann dann zu unterschiedlichen Dissoziationsverhalten führen, wobei Medikamente entweder besser oder schlechter aufgeschlossen werden und damit die Resorption im Darm beeinflußt. Ferner ist die Darmdurchblutung häufig vermindert, was die Resorption von Medikamenten einschränkt, zusätzlich noch bedingt durch die zunehmende Hypotrophie der Mucosa des Intestinaltraktes und die Abnahme der Sekretionsleistung von Magen, Galle und Pankreas. Eine weitere Einschränkung ist Bindung an Plasma-Albumin, das im Alter abnimmt. Viele Arzneimittel, die an Albumin gebunden und transportiert werden, kommen mehr und mehr in freier Form vor, so daß eine Wirkungsverstärkung die Folge ist. Durch Bewegungsarmut und Trägheit des älteren Menschen ist auch der Transport von Stoffen aus dem Blut zu den Zellen verlangsamt und Medikamente erreichen durch sklerosierende Gefäßprozesse, strukturelle Rückbildung und Abnahme der Kapillardichte häufig die Zielorgane nicht.

    Für eine ausgewogene Therapie mit Biotherapeutika gelten diese beschriebenen Feststellungen nicht, oder wenn, sicherlich nur eingeschränkt. Da im Alter der Gesamtwassergehalt des Körpers abnimmt, während der Fettgehalt ansteigt, ändert sich die Verteilung der Medikamente im Körper: lipophile Substanzen werden mehr und mehr retiniert, hydrophile hingegen vermehrt ausgeschieden. Eine veränderte Ausscheidung kann somit für den Patienten zu einem wahren Gesundheitsrisiko führen. Die für den Metabolismus verantwortlichen Leberenzyme sind altersabhängigen Alterationen unterworfen. Ferner hat die Geriatrie es auch mit altersspezifischen Leitsymptomen zu tun, wie wir sie allerdings auch bei Erkrankungen des jüngeren und erwachsenen Patienten kennen. Sie sind aber meist nicht nur vieldeutiger, sondern in ihrer kausalen Zugehörigkeit oft genug nur schwer zu entflechten. Als Beispiel sei das Leitsymptom Atemnot genannt, das durch das Versagen des linken, aber auch des rechten Herzens, oft genug auch durch eine obstruktive Atemwegserkrankung, durch Anämie, aber auch zentralnervös, entstehen kann. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß “Altersbeschwerden” häufig lediglich Mißbefindlichkeiten sind, die keinen Krankheitswert im engeren Sinne haben. Sie sind im Alter häufig auf Einflüsse der Umwelt und des Umfelds (Familie, Wohnung, Einsamkeit) zurückzuführen, imponieren als Störungen von (als wichtig angesehenen) Organfunktionen, werden individuell unterschiedlich gewichtet, sind häufig nicht therapiebedürftig, werden aber (über)- therapiert. Jedoch bestehen gelegentlich gewünschte und manchmal objektiv erforderliche begleitende und funktionsunterstützende Maßnahmen zur Verbesserung der Befindlichkeit. Dann ist die Verwendung von Pharmaka mit möglichst großer therapeutischer Breite angebracht. Pflanzliche und homöopathische Heil- und Arzneimittel als sinnvolle Multikompontenpräparate mit multifunktioneller Wirksamkeit sind auch sowohl für die therapeutische Intervention, wenn diese erforderlich ist, als auch für die Selbstmedikation wichtig. Solche Präparate zur Behandlung von Alters- oder Alterungsbeschwerden werden gemeinhin als Geriatrika bezeichnet.

    Zunehmend mehr Menschen erreichen heute ein hohes Alter. Die Zunahme der Lebenserwartung beruht auf dem höheren Lebensstandard, der besseren Hygiene, ausreichender Ernährung, medizinischer Versorgung und der größeren geistigen Freiheit. Für das Altwerden sind neben der Erbanlage ein aktiver Lebensstil, Mäßigkeit in bezug auf Ernährung und Genußmittel, eine gewisse Anerkennung und zwischenmenschliche Kontakte – einige Freunde außerhalb der Familie – entscheidend. Außerdem sollte man nicht am Besitz hängen und kein Selbstmitleid haben, sondern Selbstachtung. Diesen Weg kann das Vier-Punkte-Programm für Gesundheit bis ins hohe Alter zeigen.

    VIER-PUNKTE-PROGRAMM FÜR GESUNDHEIT BIS INS HOHE ALTER

    1. Angemessene Bewegung
    2. Bestmögliche Ernährung
    3. Blutgefäßtraining
    4. Geistiges Training

    “Trägheit macht traurig” Thomas von Aquin

    1. ANGEMESSENE BEWEGUNG
    Vor 25 Jahren konnte Prof. Hollmann von der Sportuniversität in Köln an untrainierten Siebzigjährigen nachweisen, daß bei täglich betriebenen Ausdauertrainings von zehn bis zwanzig Minuten in einigen Wochen ein Leistungsstand wie bei Fünfzigjährigen erreicht werden kann: der Mensch ist trainierbar, solange er lebt und kann sich um zwanzig Jahren verjüngen! Bei Menschen, welche bis ins hohe Alter ein körperliches Training betreiben und sich damit eine gewisse Leistungsfähigkeit erhalten, ist keine längere Phase der Pflegebedürftigkeit zu erwarten. Mäßiges Training und Fitness sind zuträglicher als reines Krafttraining, wie z. B. durch Wandern, Schwimmen, Radfahren und anderem.

    “Eure Nahrung sei einfach und knapp” Kneipp

    2. BESTMÖGLICHE ERNÄHRUNG
    Viele Ältere leiden infolge qualitativ unzureichender Ernährung an erheblichen Mangelzuständen, insbesondere an Vitaminen und Mineralstoffen, Spurenelementen und Enzymen. Daher sollte gerade die Ernährung älterer Menschen vollwertig, basenüberschüssig und ballaststoffreich sein. Allerdings sollte die diese Kostform in einer geeigneten Form zubereitet werden, da Zahnprothesen das sorgfältige Kauen oft erschweren.

    3. BLUTGEFÄßTRAINING
    Der Mensch ist so jung wie seine Gefäße, denn so bleibt er reaktionsfähig. Die besten Voraussetzungen für eine effektive Durchblutung der Organe und Zellen besteht in der sinnvollen Kombination von Ausdauersport und täglichen wechselwarmen Wasseranwendungen, wie sie bei Kneipp vorzüglich beschrieben werden. Sind die Gefäße reaktionsfähig, so erhöht sich die Abwehr und die Anpassungsfähigkeit bei Klimaschwankungen. Bereits nach zwei Wochen bringen tägliche Wechselduschen einen Trainingseffekt für den Gefäßtonus.

    4. GEISTIGES TRAINING
    Auch unsere geistigen Fähigkeiten sind trainierbar, so daß das Alter zu dem Abschnitt unseres Lebens werden könnte, in dem wir dank der vielen freien Zeit, die es uns schenkt, ungeahnte geistige Höhen erreichen könnten, denn Phantasie, Einfallsreichtum und Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Goethe, der dies geschafft hat, drückt es so aus: “Altwerden heißt, selbst ein neues Geschäft antreten. Alle Verhältnisse verändern sich, und man muß entweder zu handeln aufhören, oder mit Willen und Bewußtsein das neue Rollenfach übernehmen.” Als geistiges Training spielt neben viel Lesen die Arbeit mit einem Gedächtnistraining und lebendige Diskussion mit Mitmenschen und Nachbarn ein wichtige Rolle.

    ABSCHLUSS UND ZUSAMMENFASSUNG
    Leben ist Werden und Vergehen, und um dem Neuen Platz zu lassen, muß das Alte abtreten. Doch gibt es in diesem ewigen Kreislauf harmonische Abläufe und abrupte. Den Zivilisationsmenschen bedrängen die unvermittelten, als plötzlich empfundenen Übergänge. so spricht man vom gefürchteten “Knick in der Lebensmitte”. Herzinfarkte und andere Herz-Kreislaufleiden setzen zumindest der beruflichen Laufbahn oft ein vorzeitiges Ende, verbunden mit einem fortschreitenden Verlust an Leistungskraft, an Konzentration und “Energie”. Anderes bei dem Modell der gesunden Alten. Auch hier gilt die übliche Dreiteilung Kindheit und Jugend, Mittleres Alter und Alter. Aber auf Jugend und frühes Erwachsenendasein folgen die reichen Jahre.

    Jan W. Moestel , HP

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