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BFH-Urteil: Erstmaliges berufsbegleitendes Studium als Werbungskosten absetzbar – Änderung der Rechtsprechung
1. Aufwendungen für ein berufsbegleitendes erstmaliges Hochschulstudium sind als Werbungskosten zu berücksichtigen, sofern sie beruflich veranlasst sind.
2. Die Auffassung, wonach Ausgaben für ein Erststudium an einer Universität oder Fachhochschule stets der allgemeinen Lebensführung zuzuordnen und deshalb nur als Sonderausgaben begrenzt abziehbar sind, wird aufgegeben (Änderung der Rechtsprechung).
Urteil vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01
Vorinstanz: FG Münster vom 21. August 2001 1 K 5736/98 E
(EFG 2002, 79)
G r ü n d e
I.
Die im Streitjahr 1997 31 Jahre alte Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ausgebildete Rechtsanwalts- und Notargehilfin. Zum 1. Februar 1988 wechselte sie in ein Beschäftigungsverhältnis bei der X-Bank. Neben dieser Tätigkeit besuchte sie die Westfalen-Akademie in Dortmund und erwarb im September 1994 den Abschluss “Staatlich geprüfte Betriebswirtin”.
Ab September 1995 war die Klägerin als Personalreferentin im Bereich Personalwesen der Bank tätig. Voraussetzung für die endgültige Besetzung dieser Stelle war ein akademischer Studienabschluss. Die Klägerin nahm daher zum 1. Dezember 1996 ein berufsbegleitendes Studium der Betriebswirtschaft mit der Fachrichtung Personalwesen an der Fachhochschule für Berufstätige (Staatlich anerkannte Fachhochschule der Akademiker-Gesellschaft für Erwachsenenbildung –AKAD–) auf, um den Abschluss “Diplom-Betriebswirtin (FH)” zu erwerben.
In der Einkommensteuererklärung für 1997 machte die Klägerin bei Einnahmen in Höhe von ca. 91 700 DM die Aufwendungen für ihr Fachhochschulstudium in Höhe von 7 544 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) sah die Aufwendungen als Berufsausbildungskosten an und ließ diese nur mit dem Höchstbetrag von 1 800 DM nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (ESTG) als Sonderausgaben zum Abzug zu. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 79 veröffentlichten Gründen statt. Im Wesentlichen führte es aus: Die Aufwendungen für das berufsbegleitende Erststudium seien als Werbungskosten anzusehen, sie dienten unmittelbar der Sicherung und Erhaltung des Erwerbseinkommens. Die Klägerin habe auf der von ihr wahrgenommenen beruflichen Position nur bei erfolgreichem Abschluss des Studiums verbleiben können. Das berufsbezogene Thema der Diplomarbeit aus dem Bereich des Personalwesens der Bank bestätige die Verknüpfung von Studium und ausgeübtem Beruf.
Aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalles seien die Aufwendungen für das berufsbegleitende Erststudium ausschließlich beruflich veranlasst. Da das Studium nicht der Allgemeinbildung der Klägerin gedient habe, verbiete sich eine Zuordnung der Studienkosten zu den Kosten der Lebensführung nach § 12 Nr. 1 ESTG. Dafür, dass die Klägerin etwa eine höhere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Stellung angestrebt habe, bestünden keine Anhaltspunkte. Ohnehin sei zweifelhaft, ob in der heutigen Arbeitswelt ein Studium generell eine solche Stellung zur Folge habe.
Mit dieser Einordnung der Aufwendungen für ein berufsbegleitendes Erststudium setze sich das FG zwar in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH– (z.B. Urteil vom 17. April 1996 VI R 94/94, BFHE 180, 341, BStBl II 1996, 450). Die höchstrichterliche Rechtsprechung stamme jedoch aus einer Zeit, in der der Steuerpflichtige den einmal erlernten Beruf im Regelfall sein gesamtes Berufsleben lang ausgeübt habe. Vor diesem Hintergrund sei die damalige Wertung der Rechtsprechung zu verstehen, die Ausbildung zu einem bestimmten (Lebens-)Beruf dem Bereich der Lebensführung zuzuordnen. Aufgrund der tiefgreifenden Änderungen und Entwicklungen im Berufsleben existiere jedoch ein derartiger “Lebensberuf” in weiten Bereichen der Arbeitswelt nicht mehr. Insbesondere die Computertechnik, die in alle Bereiche des täglichen Berufslebens Eingang gefunden habe, mache heutzutage eine ständige Fortbildung erforderlich, die dem Arbeitnehmer –wie im Streitfall– ein vertieftes und erweitertes Wissen für seine bereits ausgeübte Tätigkeit vermittele. Diese Fortbildung könne auch ein erstmaliges Studium umfassen. Auch Aufwendungen dafür könnten durch die Einkunftserzielung veranlasst sein. Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung beruft es sich vornehmlich auf die bisherige Rechtsprechung des BFH. Die vorinstanzliche Entscheidung lasse keine für die Praxis brauchbaren Unterscheidungsmerkmale erkennen, bei deren Vorliegen ein berufsbegleitendes Erststudium an einer Hochschule ausnahmsweise als berufliche Fortbildung zu qualifizieren sei.
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.
Die Revision des FA ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
Das FG hat die Aufwendungen für das berufsbegleitende Erststudium der Klägerin zu Recht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt. Diese Aufwendungen sind keine Kosten der Berufsausbildung i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 ESTG. Der erkennende Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung nicht mehr fest.
1. Diese unterschied zwischen den als Werbungskosten abziehbaren Kosten einer Fortbildung in einem bereits ausgeübten Beruf und den als Sonderausgaben begrenzt absetzbaren Kosten einer Ausbildung zu einem künftigen Beruf.
a) Als Fortbildungskosten erkannte der BFH nur Ausgaben an, die ein Steuerpflichtiger tätigt, um in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden, sowie Ausgaben, die ein Steuerpflichtiger macht, um sich in dem von ihm ausgeübten Beruf fortzubilden, damit er ohne Wechsel der Berufs- oder Erwerbsart, also ohne Übergang zu einem anderen Beruf, besser vorwärtskommen kann (Urteil vom 7. November 1980 VI R 50/79, BFHE 132, 49, BStBl II 1981, 216).
b) Dagegen nahm der BFH Berufsausbildungskosten bereits dann an, wenn die Aufwendungen dem Ziel dienen, Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für einen künftigen Beruf notwendig sind oder welche die Grundlage dafür bilden sollen, um von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln, die also einen Berufswechsel vorbereiten sollen (BFH-Urteil vom 9. März 1979 VI R 141/77, BFHE 127, 210, BStBl II 1979, 337). Derartige Aufwendungen stünden noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang. Ausgaben dieser Art erwachsen grundsätzlich jedem Steuerpflichtigen; sie gehörten daher zu den Kosten der Lebensführung und seien deshalb nach § 12 Nr. 1 ESTG nicht als Werbungskosten abziehbar. Sie seien nur bis zu den gesetzlich vorgesehenen Höchstbeträgen als Sonderausgaben zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 6. November 1992 VI R 12/90, BFHE 169, 436, BStBl II 1993, 108).
Diese Grundsätze gehen letztlich zurück auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH), der –ohne weitere Begründung– davon ausging, dass “die Erlangung der für den Lebenskampf notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten grundsätzlich der privaten Lebensführung zugehört, die Aufwendungen hierfür daher nicht abzugsfähig sind” (RFH-Urteil vom 24. Juni 1937 IV A 20/36, RStBl 1937, 1089, 1090).
c) Bei der Beurteilung der Kosten für ein Hochschulstudium typisierte der BFH bisher wie folgt:
aa) Zur Berufsausbildung und damit zur privaten Lebensführung gehöre stets das Erststudium an einer Hochschule (Universität oder Fachhochschule), unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige es direkt im Anschluss an die Schulausbildung oder erst nach einer langjährigen Berufstätigkeit –berufsbegleitend– absolviere. Ein erstmaliges Hochschulstudium eröffne dem Steuerpflichtigen stets eine andere (höherrangige) berufliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung. Es schaffe regelmäßig die Grundlage für eine neue oder andere als die bisherige Lebensgestaltung des Steuerpflichtigen (Grundsatzurteil des BFH vom 16. März 1967 IV R 266/66, BFHE 89, 511, BStBl III 1967, 723; Urteile vom 28. September 1984 VI R 44/83, BFHE 142, 262, BStBl II 1985, 94; vom 26. April 1989 VI R 95/85, BFHE 156, 494, BStBl II 1989, 616) .
Diese Auffassung liegt auch dem Urteil des erkennenden Senats in BFHE 180, 341, BStBl II 1996, 450 zugrunde, in welchem er die Kosten eines berufsbegleitenden betriebswirtschaftlichen Fachhochschulstudiums eines Sparkassen-Betriebswirts nicht als Werbungskosten anerkannt hat. Das akademische Studium müsse, so der erkennende Senat, einheitlich bewertet werden, da anderenfalls kaum zu bewältigende Abgrenzungsschwierigkeiten entstünden und der Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung gefährdet werde (s. auch FG Düsseldorf, Urteile vom 16. August 2000 7 K 4996/96 E, EFG 2001, 426, Rev. VI R 165/00; vom 7. Mai 2001 @ K 6082/99 E, EFG 2001, 1362, Rev. VI R 87/01; FG Münster, Urteile vom 12. Dezember 1997 11 K 3328/97 E, EFG 2001, 491, Rev. VI R 182/00; vom 28. Januar 1999 1 K 6829/97 L, EFG 2001, 493, Rev. VI R 5/01; Schuster in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 12 ESTG Rz. 139).
bb) Bei einem Zweitstudium (Zusatz-, Aufbau- oder Ergänzungsstudium) entwickelte der erkennende Senat seine ursprüngliche Rechtsprechung fort. Er nahm Fortbildungskosten an, wenn bereits das Erststudium zu einem Berufsabschluss geführt hatte, es sich bei dem Zweitstudium um ein darauf aufbauendes Zusatzstudium handelte, durch das die im Erststudium erworbenen Erkenntnisse ergänzt und vertieft wurden, und das Zweitstudium keinen Wechsel in eine andere Berufsart eröffnete (BFH-Urteile vom 17. April 1996 VI R 29/94, VI R 2/95, VI R 27/95, VI R 87/95, BFHE 180, 339 ff., BStBl II 1996, 444 ff.). Fortbildungskosten bejahte der erkennende Senat auch dann, wenn –trotz eines möglichen Wechsels in eine andere Berufsart—die vom Steuerpflichtigen angestrebte gegenüber seiner bisherigen Berufstätigkeit nur eine “Spezialisierung” bedeutete (BFH-Urteil vom 8. Mai 1992 VI R 134/88, BFHE 167, 538, BStBl II 1992, 965, zum Zahnmedizinstudium eines Humanmediziners, der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg werden wollte; s. auch BFH-Urteil vom 19. Juni 1997 IV R 4/97, BFHE 184, 283, BStBl II 1998, 239, zum Studium der Betriebswirtschaftslehre eines Diplom-Bauingenieurs mit dem Ziel, Projektleiter einer Baufirma zu werden oder eine eigene Baufirma zu gründen).
2. Diese bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung wurde zunehmend kritisiert (z.B. Hessisches FG, Urteil vom 29. September 1999 12 K 1823/97, EFG 2000, 355, rkr.; Niedersächsisches FG, Urteile vom 6. August 1997 XIII 252/93, EFG 1998, 640, Rev. VI R 5/98; vom 25. März 1998 IV 664/94, EFG 1999, 19, rkr.; FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 1998 III 75/97, EFG 1998, 1511, Rev. VI R 61/98; FG Brandenburg, Urteil vom 23. November 1999 3 K 1011/98 E, EFG 2000, 424, Rev. VI R 42/00; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 8. März 2000 V 221/98, EFG 2000, 780, Rev. VI R 60/00; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Februar 2000 4 K 344/98, EFG 2000, 783, Rev. VI R 113/00; FG Köln, Urteil vom 8. Februar 2000 9 K 1857/99, EFG 2001, 676, Rev. VI R 8/01; FG Münster, Urteil vom 17. April 2001 14 K 7649/98 E, EFG 2001, 1122, rkr.; Niedersächsisches FG, Urteil vom 28. Februar 2001 4 K 177/97, EFG 2001, 1424, Rev. VI R 106/01; FG Düsseldorf, Urteil vom 27. August 2001 17 K 4198/98 E, EFG 2001, 1600, Rev. VI R 119/01; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. August 2001 2 K 1607/99, EFG 2002, 127, Rev. VI R 120/01; FG Münster, Urteil vom 21. August 2001 1 K 5736/98 E, EFG 2002, 79, Rev. VI R 137/01; FG Düsseldorf, Urteil vom 17. Mai 2001 10 K 3721/98 E, EFG 2001, 1023, Rev. IV R 44/01, zu § 4 Abs. 4 ESTG; vgl. FG Berlin, Urteil vom 21. Januar 1997 5170/96, EFG 1997, 1105, Rev. VI R 85/97; Hessisches FG, Urteil vom 18. Juli 1997 11 K 1446/97, EFG 1998, 181, Rev. VI R 190/97; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 19 Rz. 60 unter Ausbildungskosten; ders., Steuer und Wirtschaft –StuW– 1999, 3 ff.; Prinz in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar,’ 21. Aufl., § 9 ESTG Rz. 268 f., 271; Söhn, StuW 2002, 97 ff.; Kreft, Vorab veranlasste Erwerbsaufwendungen im Einkommensteuerrecht, Berlin, Heidelberg, New York 2000, S. 77 ff.; ders., Finanz-Rundschau –FR– 2002, 657 ff.; Keßler, Lexikon des Steuer- und Wirtschaftsrechts –LSW– Heft 6/2000, Gruppe 4/129, Fortbildungskosten, 1, 2; Flies, Deutsches Steuerrecht –DStR– 1997, 725 ff.; E. Schmidt, FR 1997, 762 ff.; Balke, Neue Wirtschafts-Briefe –NWB–, Meinungen, Stellungnahmen 1997, 1269 ff.; Koenig, Deutsche Steuer-Zeitung –DStZ– 1996, 769; Gast-de Haan, Festschrift für L. Schmidt, München 1993, 105 ff.; Beul, FR 1986, 340, 347 ff.; Herb, Berufliche Ausbildung und Fortbildung im Einkommensteuerrecht, Augsburg 1986, S. 77 ff.; Df’lthey, FR 1984, 333 ff.; Stolz, FR 1979, 242, 246 f.; Suhr, StuW 1966, 579 ff.; Weisensee, DSTR 1965, 224 ff.; Gl@de, FR 1959, 297, 300; Heidrich, FR 1958, 532 ff.; Katzsch, Betriebs-Berater –BB– 1958, 300 f.).
Der Rechtsprechung wurde insbesondere entgegengehalten, die von ihr entwickelte Terminologie mit der Unterscheidung zwischen Berufsausbildung und Berufsfortbildung vernachlässige steuersystematische Gesichtspunkte (z.B. Prinz, a.a.O., § 9 ESTG Rz. 268 f.; Kreft, ER 2002, 657, 661 ff.). Die Rechtsprechung verwende zur Abgrenzung nur noch “Begriffsdefinitionen” und entferne sich damit immer mehr vom Gesetz (z.B. Söhn, StuW 2002, 97 f.). Vornehmlich die Zuordnung von Aufwendungen für ein Erststudium zum Privatbereich ohne Beachtung der das Studium veranlassenden Umstände beinhalte eine unzulässige Typisierung (z.B. Niedersächsisches EG in EEG 2001, 1424, Rev. VI R 106/01; Keßler, LSW Heft 6/2000, Gruppe 4/129, Fortbildungskosten, 1, 2). Zudem sei die Rechtsprechung in ihrer Kasuistik kaum mehr zu überschauen, sie sei in vielen Fällen schwer nachvollziehbar und führe deshalb zu Rechtsunsicherheit (z.B. Niedersächsisches EG in EEG 1998, 640, Rev. VI R 5/98; Hessisches EG in EEG 2000, 355, rkr.; Prinz, a.a.O., 5 9 ESTG Rz. 269; Koenig, DSTZ 1996, 769).
Die höchstrichterliche Rechtsprechung trage den tiefgreifenden Änderungen und Entwicklungen im heutigen Berufsleben sowie der zunehmenden Arbeitslosigkeit nicht ausreichend Rechnung (z.B. EG Düsseldorf in EEG 2001, 1023, Rev. IV R 44/01; E. Schmidt, ER 1997, 762 ff.). Die Rechtsprechung hemme die notwendige Flexibilität der Arbeitnehmer. Wegen der Vielgestaltigkeit der beruflichen Weiter- oder Fortbildung verstoße eine solche Typisierung gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und –insbesondere im Fall einer durch den Arbeitsmarkt veranlassten Umschulung– gegen das aus dem Sozialstaatsprinzip folgende Ziel der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit (z.B. EG Brandenburg in EEG 2000, 424, Rev. VI R 42/00). Die Rechtsprechung zur Anerkennung der Aufwendungen für ein Zweitstudium stelle sich als ein im Gesetz nicht angelegtes, sachlich nicht gerechtfertigtes Akademikerprivileg dar, da allein Hochschulabsolventen die Kosten für ein Zweitstudium als Werbungskosten geltend machen könnten (z.B. EG Schleswig-Holstein in EEG 2000, 780, Rev. VI R 60/00; Niedersächsisches EG, Urteile in EEG 1998, 640, Rev. VI R 5/98, und in EEG 2001, 1424, Rev. VI R 106/01).
Für die Annahme von Betriebsausgaben/Werbungskosten sei –von hier nicht interessierenden Einschränkungen abgesehen– ausschließlich auf den Veranlassungszusammenhang abzustellen (Prinz, a.a.O., § 9 ESTG Rz. 268 ff.; Schmidt/Drenseck, a.a.O., 19 Rz. 60 unter Ausbildungskosten; ders., StuW 1999, 3, 6 ff.; Gast-de Haan, Festschrift für L. Schmidt, München 1993, 105 ff.; Flies, DSTR 1997, 725, 727 ff.; Söhn, StuW 2002, 97, 98 ff.; Kreft, FR 2002, 657, 664 ff.); der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 7 ESTG sei einzuschränken.
3. Der erkennende Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr fest. Auch Aufwendungen für ein berufsbegleitendes erstmaliges Hochschulstudium können Werbungskosten sein. Ob das Studium eine Basis für andere Berufsfelder schafft oder einen Berufswechsel vorbereitet, ist unerheblich.
a) Der Einkommensteuer unterliegen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 ESTG) und damit der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. §§ 8 bis 9a ESTG). Das gebietet das objektive Nettoprinzip als Ausdruck des aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Was im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit aufgewendet wird, unterliegt nicht dem Steuerzugriff (BFH-Beschluss vom 30. Januar 1995 GrS 4/92, BFHE 176, 267, BStBl II 1995, 281, unter C. III. der Gründe; Tipke, StuW 1980, 1, 3; Wolff-Diepenbrock, DSTZ 1999, 717).
b) § 9 Abs. 1 Satz 1 ESTG definiert Werbungskosten als Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Die Rechtsprechung hat den Werbungskostenbegriff dem Begriff der Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 ESTG angeglichen (BFH-Urteil vom 4. März 1986 VIII R 188/84, BFHE 146, 151, BStBl II 1986, 373). Werbungskosten liegen danach vor, wenn sie durch den Beruf bzw. durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasse sind (z.B. Blümich/Lindberg, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., § 12 ESTG Rz. 14, m.w.N.). Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (BFH-Urteil in BFHE 169, 436, BStBl II 1993, 108). Dabei ist ausreichend, wenn die Ausgaben den Beruf des Arbeitnehmers im weitesten Sinne fördern (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 151, BStBl II 1986, 373). Der erforderliche Veranlassungszusammenhang kann bei jedweder berufsbezogenen Bildungsmaßnahme erfüllt sein, zumal in § 9 ESTG keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten enthalten ist. Ist der Veranlassungszusammenhang zu bejahen, bestehen keine Gründe, danach zu differenzieren, ob eine akademische oder eine nichtakademische Bildungsmaßnahme zu beurteilen ist. Denn in beiden Fällen werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Steuerpflichtige das erworbene Berufswissen am Markt einsetzen kann, um höhere Einnahmen zu erzielen bzw. die Einnahmen zu sichern (Suhr, StuW 1966, 579, 589).
c) Einer solchen Beurteilung steht § 10 Abs. 1 Nr. 7 ESTG nicht entgegen. Nach dieser Regelung sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung nur dann Sonderausgaben, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind”. Nach dem Gesetz hat der Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzug Vorrang vor dem Abzug von Berufsausbildungskosten als Sonderausgaben, so dass § 10 Abs. 1 Nr. 7 ESTG keine Sperrwirkung entfaltet (so bereits BFH-Urteil vom 19. April 1996 IV R 24/95, BFHE 180, 360, BStBl II 1996, 452; BFH-Beschluss vom 22. November 2000 VI B 174/00, BFH/NV 2001, 451).
Aus der Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 1 Nr. 9 ESTG (jetzt Nr. 7; eingefügt durch das Steueränderungsgesetz –StÄndG– 1968, BStBl I 1968, 116) ergibt sich nichts anderes. Zwar heißt es in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks V/3430, 8 f.; vgl. Bericht des Finanzausschusses zu BTDrucks V/3602, 2, 3):
“Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung, zu der auch eine Umschulung gehört, können nach geltendem Recht einkommensteuerlich nicht berücksichtigt werden. Bei diesen Aufwendungen handelt es sich um Lebenshaltungskosten, weil durch sie erst das für den Beruf typische Können und schließlich eine selbständige, gesicherte Lebensstellung erworben werden sollen. Anders als bei Fortbildungskosten fehlt den eigenen Aufwendungen für die Berufsausbildung der unmittelbare Zusammenhang mit Einnahmen; sie können daher nicht wie diese als Betriebsausgaben oder Werbungskosten geltend gemacht werden, sondern sind vielmehr nach S 12 ESTG vom Abzug ausgeschlossen. Ausbildungskosten in diesem Sinne sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs insbesondere auch die eigenen Aufwendungen für einen Berufswechsel oder für eine Berufsumschulung.
Die derzeitige steuerliche Behandlung der eigenen Ausbildungskosten wird den Anforderungen, die an eine fortschrittliche Bildungspolitik gestellt werden müssen, nicht mehr gerecht. Um die Ausbildungsförderung zu verbessern, insbesondere auch um Umschulungen mehr als bisher zu fördern, schlägt die Bundesregierung als ersten Schritt vor, in Zukunft die eigenen Aufwendungen für die Berufsausbildung als Sonderausgaben bei der Ermittlung des Einkommens zum Abzug zuzulassen und damit der derzeitigen Unterscheidung zwischen Ausbildungskosten und Fortbildungskosten weitgehend die Bedeutung zu nehmen.”
Damit hat der Gesetzgeber aber nicht die Abziehbarkeit von Betriebsausgaben oder Werbungskosten einschränken, wollen. § 10 Abs. 1 Satz 1 ESTG, der den Vorrang des Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzugs vorsieht, blieb unberührt. Es sollten vielmehr Abzugsmöglichkeiten geschaffen werden, die nach der seinerzeitigen Rechtsprechung nicht bestanden. Insbesondere hat der Gesetzgeber eine Fortentwicklung der Rechtsprechung hinsichtlich der steuersystematischen Einordnung von Berufsbildungsmaßnahmen nicht hindern wollen. Dementsprechend hat der erkennende Senat seine ursprüngliche Rechtsprechung im Hinblick auf Zweit- oder Zusatzstudien (s. oben unter II. 1. c bb) sowie betreffend Ausbildungsdienstverhältnisse fortentwickelt (Urteile in BFHE 132, 49, BStBl II 1981, 216: Hochschulstudium eines Bundeswehroffiziers; vom 28. September 1984 VI R 144/83, BFHE 142, 258, BStBl II 1985, 89: mittlere Reife eines Zeitsoldaten; vom 15. April 1996 VI R 99/95, BFH/NV 1996, 804: Verkehrsfliegerausbildung eines Bundeswehrsoldaten). Im Übrigen sind z.B. auch die in § 10 Abs. 1 Nr. 6 ESTG ausdrücklich aufgeführten Steuerberatungskosten im Fall beruflicher Veranlassung unstreitig vorrangig als Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu berücksichtigen (Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz. 520 unter Rechtsverfolgungskosten, m.w.N.).
d) Einem Abzug der Aufwendungen für ein aus beruflichen Gründen aufgenommenes Erststudium als Werbungskosten steht § 12 Nr. 1 Satz 1 und Satz 2 ESTG ebenfalls nicht entgegen. Solche Kosten stellen nicht zugleich Aufwendungen für die private Lebensführung dar, welche die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt.
Nach ständiger Rechtsprechung dient das in § 12 Nr. 1 ESTG enthaltene Aufteilungs- und Abzugsverbot vornehmlich der steuerlichen Gerechtigkeit. Ein Steuerpflichtiger soll nicht durch eine mehr oder weniger zufällige oder bewusst herbeigeführte Verbindung von beruflichen und privaten Erwägungen Aufwendungen für seine Lebensführung nur deshalb steuerlich geltend machen können, weil er einen entsprechenden Beruf hat, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen aus versteuerten Einkommen decken müssen. Es soll verhindert werden, dass der Steuerpflichtige derartige Aufwendungen als durch den Betrieb bzw. als beruflich veranlasse darstellt, ohne dass für das FA die Möglichkeit besteht, diese Angaben nachzuprüfen und die tatsächliche berufliche oder private Veranlassung festzustellen (BFH-Beschluss vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, unter II. 3. der Gründe). Dies ist hinsichtlich der Kosten für ein Studium nicht zu befürchten. Die damit in Zusammenhang stehenden Aufwendungen, insbesondere die Studiengebühren, weisen keinen Bezug zur privaten Lebensführung auf. Eine private (Mit-)Veranlassung ist insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt anzunehmen, dass ein erfolgreicher Studienabschluss möglicherweise eine höherrangige berufliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Stellung eröffnet.
Eine Zuordnung derartiger Aufwendungen zu den Kosten der privaten Lebensführung ließe die tiefgreifenden Veränderungen im Berufsleben, Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt außer Acht. Die bisherige Rechtsprechung, welcher die “Lebenskampfthese” des RFH zugrunde liegt (siehe oben unter II. 1. b), stammt aus einer Zeit, in der es zum Regelfall gehörte, den ursprünglich erlernten Beruf das gesamte Berufsleben lang auszuüben. In der heutigen Zeit kann dagegen ein Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen, nur eine Berufsausbildung absolvieren zu müssen. Die Arbeitsmarktsituation erfordert es immer häufiger, umzulernen und die erforderlichen Kenntnisse für eine völlig anders geartete Berufstätigkeit zu erwerben. Darüber hinaus steigen die Anforderungen an das dem allgemeinen Entwicklungsstand angepasste berufliche Spezialwissen, so dass die Fort- und Weiterbildung zunehmend wichtiger wird. Insbesondere Arbeitnehmer stehen heutzutage nach mehreren Jahren der Berufstätigkeit vor der Situation, eine bessere oder höher bezahlte Stellung ohne ein Hochschulstudium nicht erreichen oder beibehalten zu können. Das aktuelle Berufsleben ist durch einen zunehmenden Arbeitsplatzwechsel gekennzeichnet. Es gibt zudem eine Vielzahl von vor allem neuen Berufen und Berufsbildern, die nicht mehr klar voneinander abgrenzbar sind und ständig wechseln.
e) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar noch mit Beschluss vom’8. Juli 1993 2 BvR 773/93 (Die Information über Steuer und Wirtschaft –Inf– 1993, 549) die in der Rechtsprechung vorgenommene Abgrenzung zwischen den –als Werbungskosten abziehbaren– Berufsfortbildungskosten und den –als Sonderausgaben beschränkt abziehbaren– Berufsausbildungskosten für mit der Verfassung vereinbar erklärt. Die Entscheidung enthält –entsprechend der Aufgabenstellung des BVerfG– keine Aussage zur Auslegung des einfachen Rechts. Im Übrigen hatte das BVerfG aber schon im Jahr 1984 darauf hingewiesen, dass die Entscheidung, ob ein anderer “Beruf” im Sinne der bisherigen Rechtsprechung anzunehmen sei, schwierig und oft kaum zuverlässig durchführbar sei. Es sei ferner zu berücksichtigen, dass sich im Bildungswesen ebenfalls tiefgreifende Änderungen und Entwicklungen vollzogen hätten. Die einzelnen Bereiche der Aus- und Fortbildung, die früher stärker gegeneinander abgeschottet gewesen seien, wiesen heute breitere Übergänge, Zwischenformen und Angebote auf. Daher sei es “zweifelhaft, ob früher getroffene höchstrichterliche Entscheidungen zur Abgrenzung zwischen Fortbildungs- und Ausbildungskosten gegenwärtig unverändert aufrechterhalten werden können” (Beschluss vom 22. Mai 1984 1 BvR 523/84, Inf 1984, 406).
4. Im Streitfall hat das FG anhand seiner tatsächlichen Feststellungen zutreffend entschieden, dass die Kosten für das berufsbegleitende Erststudium der Klägerin beruflich veranlasse sind. Der berufliche Anlass ist deshalb gegeben, weil die Klägerin nach Jahren der Berufstätigkeit an einer Bildungsmaßnahme teilgenommen hat, um in ihrem Beruf besser voranzukommen, ihre Kenntnisse zu erweitern und ihre Stellung im Unternehmen zu festigen. Das Studium der Betriebswirtschaft diente dazu, den vom Arbeitgeber geforderten akademischen Abschluss zu erwerben, um in der bereits erlangten Position einer Personalreferentin verbleiben zu können und den Anforderungen dieser beruflichen Tätigkeit dauerhaft gerecht zu werden. Die Klägerin hat die Studienkosten deswegen getätigt, um höhere Einnahmen zu erzielen bzw. diese Einnahmen zu sichern.
5. Eine Anrufung des Großen Senats ist nicht erforderlich. Der IV. Senat hat mitgeteilt, dass er der Abweichung von seinen Urteilen in BFHE 89, 511, BStBl III 1967, 723, vom 24. Juli 1973 IV R 27/72 (BFHE 110, 265, BStBl II 1973, 817) und vom 19. Juni 1997 IV R 4/97 (BFHE 184, 283, BStBl II 1998, 239) durch die Zulassung des steuermindernden Abzugs beruflich oder betrieblich veranlasster Aufwendungen für ein den ausgeübten Beruf sachlich begleitendes erstmaliges Hochschulstudium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben zustimmt.