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Berufsordnung & Gesetze

Therapeuten müssen rechtlich immer auf dem neuesten Stand sein. Berufsordnung, Heilpraktikergesetz, Rahmenhygieneplan und Heilmittelwerbegesetz und andere sind relevant für jeden Heilpraktiker und Therapeuten, der in eigener Praxis tätig ist. Wir haben für Sie die wichtigsten Themen rund ums Berufsrecht für Heilpraktiker, Heilpraktiker für Psychotherapie, Tierheilpraktiker und sonstige Therapeuten zusammengestellt. 

 

Bestrafung eines “Wunderheilers”

Kammerbeschlüsse

2 Bestrafung eines “Wunderheilers”

GG Art. 12 I; HeilprG §§ 1 II, 5

Es verstößt gegen Art. 12 1 GG, wenn die Tätigkeit eines “Wunderheilers”, der Behandlungen Schwerkranker durch “Handauflegen” vornimmt, als “Ausübung der Heilkunde” im Sinne des Heilpraktikergesetzes angesehen und daraus die Erlaubnispflicht und damit zusammenhängend die strafrechtliche Sanktionierung abgeleitet wird, wenn der Betroffene nicht den Eindruck erweckt, ein nach heilkundlichen Maßstäben Geprüfter zu sein. (Leitsatz der Redaktion)

BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 3. 6. 2004 – 2 BvR 1802/02

Zum Sachverhalt:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft strafrechtliche Verurteilungen des Bf. wegen Verstößen gegen § 5 i. V. mit § 1 II HeilprG. Am 26. 11. 1996 erhob die StA gegen den Bf., welcher sich als “Wunderheiler” betätigte, Anklage wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz. Gegenstand der Anklage waren vor allem Behandlungen Schwerkranker durch “Handauflegen”. Das AG Frankfurt a. M. sprach den Angekl. frei. Zwar sei der Bf. nicht im Besitz einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz; diese sei jedoch auch nicht erforderlich gewesen. Das OLG Frankfurt a. M. hob dieses Urteil auf die Sprungrevision der StA hin auf (NJW 2000, 1807). Anders als die vom AG alleine in Bezug genommene verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung habe die Strafgerichtsbarkeit eine eigene Dimension des Heilkundebegriffs entwickelt, “um der Scharlatanerie und der schwindelhaften Kurpfuscherei zu begegnen”. Als Ausübung der Heilkunde gelte bereits ein Tun, das in den Behandelten den Eindruck erwecke, es ziele darauf ab, sie vor. Krankheit, Leiden und Körperschäden zu heilen oder ihnen Erleichterung zu verschaffen (“Eindruckstheorie”). Das AG verurteilte daraufhin den Bf. wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz in 28 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 250 Tagessätzen zu je 100 DM. Die dagegengerichteten Berufungen der StA und des Bf. verwarf das LG im Wesentlichen. Jedenfalls aus Sicht der behandelten Personen habe kein Zweifel daran bestanden, dass eine Heilung oder Linderung der Leiden Ziel des Handauflegens gewesen sei. Zudem sei auch von einer generellen Gefahr mittelbarer gesundheitlicher Schädigungen auszugehen, denen durch das Auslegen des Informationsblatts – aus dem sich unter anderem ergibt, dass eine ärztliche Behandlung nicht ersetzt werden könne – nicht hätte begegnet werden können. Das OLG hat die dagegen eingelegten Revisionen verworfen.

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Aus den Gründen:
III. Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 b i. V mit § 93 a II lit. b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93 c 1 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 12 1 GG hat das BVerfG bereits entschieden (vgl. BVerfGE 93, 213 [235] = NJW 1996, 709; BVerfGE 97, 12 [26] = NJW 1998, 3481; BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], NJW RR 2004, 705). Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet.

1. Die angegriffenen Urteile verletzen den Bf. in seinem Grundrecht aus Art. 12 1 GG.

a) Zwar ist das Ziel des Heilpraktikergesetzes, die Gesundheit der Bevölkerung durch einen Erlaubniszwang für Heilbehandler ohne Bestallung zu schützen, grundsätzlich mit Art. 12 1 GG vereinbar (vgl. BVerfGE 78, 179 [192] = NJW 1988, 2290). Bei der Gesundheit der Bevölkerung handelt es sich um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, zu dessen Schutz eine solche subjektive Berufszulassungsschranke nicht außer Verhältnis steht. Dass heilkundliche Tätigkeit grundsätzlich nicht erlaubnisfrei sein soll, hat im Hinblick auf das Schutzgut Gesundheit seinen Sinn. Es geht um eine präventive Kontrolle, die nicht nur die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern auch die Eignung für den Heilkundeberuf im Allgemeinen erfasst (vgl. BVerfGE 78, 179 [194] = NJW 1988, 2290).

b) Die angegriffenen Entscheidungen haben jedoch Bedeutung und Tragweite von Art. 12 1 GG verkannt, indem sie die Tätigkeit des Bf. als “Ausübung der Heilkunde” im Sinne des Heilpraktikergesetzes angesehen haben. Die hieraus abgeleitete Erlaubnispflicht und die aus diesem Umstand resultierende strafrechtliche Sanktionierung führen zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Berufswahlfreiheit des Bf. Eingriffe in die Freiheit der Berufswahl sind nach ständiger Rechtsprechung nur unter engen Voraussetzungen zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 93, 213 [235] = NJW 1996, 709 m. w. Nachw.).

aa) Die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz ist im Falle des Bf. schon nicht geeignet, den mit ihr erstrebten Zweck des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung zu erreichen.

Die Heilertätigkeit des Bf. beschränkt sich nach den fachgerichtlichen Feststellungen im Wesentlichen auf das Handauflegen. Ärztliche Fachkenntnisse sind hierfür nicht erforderlich, zumal der Bf. unabhängig von etwaigen Diagnosen einheitlich durch Handauflegen handelt. Eine mittelbare Gesundheitsgefährdung durch die Vernachlässigung einer notwendigen ärztlichen Behandlung ist mit letzter Sicherheit nie auszuschließen, wenn Kranke nicht bei Ärzten, sondern bei anderen Menschen Hilfe suchen. Dieser Gefahr kann aber gerade im vorliegenden Fall durch das Erfordernis einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz nicht adäquat vorgebeugt werden. Arzt und Heilpraktiker stehen einander im Behandlungsansatz viel näher als die Heiler. Wer einen Heilpraktiker aufsucht, wird den Arzt eher für entbehrlich halten, weil ein Teil der ärztlichen Funktion vom Heilpraktiker übernommen werden darf. Deshalb wird bei den Heilpraktikern das Vorliegen gewisser medizinischer Kenntnisse geprüft und für die Erteilung der Erlaubnis vorausgesetzt. Die Heilpraktikererlaubnis bestärkt den Patienten in gewisser Hinsicht in der Erwartung, sich in die Hände eines nach heilkundlichen Maßstäben Geprüften zu begeben (vgl. BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], NJW-RR 2004, 705). Nach den fachgerichtlichen Feststellungen vermeidet der Bf. diesen Eindruck. Ungeachtet dessen, dass von dem Handauflegen vornehmlich Personen betroffen waren, deren vorangegangene ärztliche Behandlung erfolglos geblieben war, hielt der Bf. die Kranken in allen Fällen dazu an, weiter mit der Schulmedizin zusammenzuarbeiten und den Kontakt zu den behandelnden Ärzten nicht abzubrechen.

Ein so genannter Wunderheiler, der spirituell wirkt und den religiösen Riten näher steht als der Medizin, weckt im Allgemeinen die Erwartung auf heilkundlichen Beistand schon gar nicht. Die Gefahr, notwendige ärztliche Hilfe zu versäumen, wird daher eher vergrößert, wenn geistiges Heilen als Teil der Berufsausübung von Heilpraktikern verstanden wird (vgl. BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], NJW-RR 2004, 705). Jedenfalls zielen die Heilpraktikererlaubnis und die ärztliche Approbation nicht auf rituelle Heilung. Wer Letztere – insbesondere bei einer vorangegangenen Erfolglosigkeit schulmedizinischer Behandlung in Anspruch nimmt, geht einen dritten Weg. Er setzt sein Vertrauen nicht in die Heilkunde und wählt etwas von einer Heilbehandlung Verschiedenes, wenngleich auch von diesem Weg Genesung erhofft wird. Dies zu unterbinden, ist nicht Sache des Heilpraktikergesetzes. Je weiter sich das Erscheinungsbild des Heilers von einer medizinischen Behandlung entfernt, desto geringer wird das Gefährdungspotenzial, das im vorliegenden Zusammenhang alleine geeignet ist, die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz auszulösen (vgl. BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], NJW RR 2004, 705).

bb) Ferner fehlt es hier auch an der Erforderlichkeit der Erlaubnispflicht – und der damit zusammenhängenden Strafdrohung – zum Schutz der Gesundheit.

Da die mit der Tätigkeit verbundenen Gesundheitsgefahren ersichtlich nur im Versäumen ärztlicher Hilfe liegen können, muss lediglich sichergestellt werden, dass ein solches Unterlassen nicht vom Bf. veranlasst oder gestärkt wird. Einer Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten auf den Gebieten, die den Heilpraktiker kennzeichnen, bedarf es hierzu aber nicht. Ausreichend sind vielmehr charakterliche Zuverlässigkeit und verantwortungsbewusstes Handeln. Es muss gewährleistet sein, dass der Bf. die Kranken zu Beginn des Besuchs ausdrücklich darauf hinweist, dass er eine ärztliche Behandlung nicht ersetzt. Hierfür hat der Bf. Sorge getragen; ob darüber hinausgehend das bloße Auslegen entsprechender Informationsblätter ausreichend gewesen wäre, kann daher dahinstehen (vgl. hierzu LG Verden, MedR 1998, 183 m. Anm. Taupitz). Kontrollen der Gewerbeaufsicht können die Einhaltung derartiger Aufklärungsverpflichtungen durchsetzen; eine gewerberechtliche Anzeigepflicht kann eine Kontrolle erleichtern. Einer Kenntnisprüfung auf der Grundlage des Heilpraktikergesetzes bedarf es für die Bekämpfung von Gesundheitsgefährdungen im vorliegenden Zusammenhang nicht (vgl. BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], NJW-RR 2004, 705).

c) Auch im Übrigen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht der hier notwendig strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Vorliegend ist der Eingriff in die Berufswahlfreiheit nur mit mittelbaren Gefahren für den zu schützenden Gemeinwohlbelang der Gesundheit der Bevölkerung begründet worden. Damit entfernen sich Verbot und Schutzgut so weit voneinander, dass bei der Abwägung besondere Sorgfalt geboten ist. Die Gefahren müssen hinlänglich wahrscheinlich und die gewählten Mittel eindeutig Erfolg versprechend sein (vgl. auch BVerfGE 85, 248 [261]; BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], NJW RR 2004, 705). Insbesondere an Letzterem fehlt es hier. Der Bf. hätte auf der Grundlage der fachgerichtlichen Rechtsauffassung seine Verurteilung nur abwenden können, indem er die für die Erlaubniserteilung nach dem Heilpraktikergesetz erforderliche Heilpraktikerprüfung abgelegt hätte. Diese Forderung ist jedoch unangemessen, weil eine derartige Prüfung mit der Tätigkeit, die der Bf. ausübt, kaum noch in einem erkennbaren Zusammenhang steht. Die in der Prüfung vorausgesetzten Kenntnisse kann der Bf. bei seiner Berufstätigkeit nicht verwerten (vgl. BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], NJW-RR 2004, 705).

2. Auf dieser Grundlage bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob die fachgerichtliche Auffassung, wonach die Tätigkeit eines Wunderheilers durch Handauflegen der Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz unterliege, den möglichen Wortsinn des Gesetzes als äußerste Grenze einer zulässigen richterlichen Interpretation (vgl. BVerfGE 92, 1 [12] = NJW 1995, 1141) überschritten hat.

Anm. d. Schriftltg.:
Zur Erlaubnis für die Tätigkeit eines “Wunderheilers” vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 1999, 40; zur Anerkennung eines Heilberufs als freiberufliche Tätigkeit s. BFH, DStR 2004, 130.

Quelle: NJW 40/2004, 2890f.