Depression – Krankheit mit tausend Gesichtern
Grundsätzlich kann jeder Mensch depressiv werden. Weder Ruhm noch Reichtum schützen vor Depressionen: Marilyn Monroe, James Dean, Prinz Claus der Niederlande, Ernest Hemingway sind nur einige Beispiele dafür.
Die Depression zählt zu den weit verbreitetsten Krankheiten überhaupt; die Zahl der Betroffenen ist steigend. Nach Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkranken weltweit 18 Prozent aller Menschen einmal in ihrem Leben an einer Form der Depression. Depressionen sind im höheren Lebensalter oft schwerer und bedürfen meist einer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik, andererseits sind immer mehr junge Menschen depressiv. So stiegen in jüngster Zeit die Depressionsraten bei bis zu 25jährigen vier- bis fünfmal höher als bei über 55jährigen. Besonders Frauen wurden doppelt so häufig wie Männer behandelt.
Der Übergang vom Stimmungstief zur Krankheit ist fließend. Trauer, Traurigkeit und Verzweiflung sind Erfahrungen, die
jeder Mensch kennt und immer wieder durchmacht. Sie sind Reaktionen z.B. auf erlittene Verluste (Tod eines geliebten
Menschen oder Tieres, Trennung von einem Lebenspartner), auf Versagensängste oder Schuldgefühle. Der Betroffene
braucht Zeit, solche Problemsituationen oder Lebenskrisen angemessen verarbeiten zu können. Man spricht jedoch von
einer Depression, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, das traurige Ereignis aus eigener Kraft zu
verarbeiten, sich nicht, auch
nicht kurzfristig, ablenken oder aufheitern läßt und sein Stimmungstief an
Intensität und Dauer über das gewöhnliche Maß hinausgeht.
Ursachen, Auslöser
Depressionen treten wie bereits angedeutet besonders im Zusammenhang mit Verlustereignissen auf. Es kann sich um den Verlust eines geliebten Partners oder Tieres, aber auch um den Verlust einer Arbeitsstelle (Arbeitslosigkeit), der Heimat (Emigration) oder der Erschütterung des inneren Wertesystems (z.B. “Wende” 1989) handeln. Bei anderen Patienten erklärt sich die Entwicklung einer Depression durch die Aufeinanderfolge individuell bedeutsamer, negativer Erlebnisse (unerfüllte Liebe, familiäre Konflikte, beruflicher Streß).
Merkwürdigerweise beginnt eine Depression oft auch in dem Augenblick, in dem jemand ein Ziel erreicht, nach dem er lange gestrebt hat. Das kann eine sportliche Leistung sein, eine berufliche Beförderung oder auch eine Heirat. Alles Augenblicke, in denen der Standpunkt neu bestimmt, das Leben neu überdacht und die Richtung, in der man weitergehen will, neu festgelegt werden muß. Ähnliche Situationen der Ungewißheit stellen die Übergangsphasen des Lebens wie Pubertät oder Klimakterium dar. Auch hier ändern sich Ziele, Inhalte und Aufgaben. Und Änderungen münden oft in Orientierungslosigkeit und lösen Depressionen aus. Bei der Entwicklung einer Depression ist immer auch die individuell psychische Konstellation einzubeziehen.
Die sog. endogenen Depressionen entstehen hingegen nicht durch äußere Einflüsse, sondern kommen, wie der Name sagt, „aus dem Inneren” des Patienten selbst. Ihre genaue Genese ist bislang noch unbekannt; erbliche Veranlagung spielt gewiß eine Rolle.
Rein biologisch betrachtet ist die Depression eine biochemische Fehlregulation im Gehirn bzw. im zentralen Nervensystem. Es liegt, vereinfacht gesagt, ein Defizit der beiden Neurotransmitter Noradrenalin (antriebssteigernd) und Seretonin (stimmungsaufhellend) im synaptischen Spalt vor. Dadurch verläuft die Weiterleitung von Nervenimpulsen, die eine signifikante Rolle für das gesamte körperlich-seelische Befinden spielen, nicht regelgerecht (siehe Skizzen).
Typische Symptome
Nicht selten beginnt eine Depression mit Ein- und Durchschlafstörungen. Körperliche Beschwerden wie Appetitlosigkeit, „Herzbeklemmungen”, Schwindelgefühle oder Engegefühl im Hals lassen den Betroffenen befürchten, an einer „schlimmen Krankheit” zu leiden. Untersuchungen zeigen aber keine Abweichungen vom Normalen.
Kernsymptom einer Depression ist der Verlust der Lebensfreude.
Die Patienten fühlen sich schwermütig, traurig, unglücklich, niedergeschlagen. Schwer Depressive können sich weder freuen noch traurig sein; eine gefühlsmäßig innere Leere stellt sich ein. Je nach Dauer und Ausprägungsgrad eher Depression kommt es später zu Hoffnungslosigkeit, einer allgemeinen negativen Einstellung bis hin zu Selbstmordgedanken bzw. konkreten Selbstmordabsichten.
Vitalitätsverlust, mangelnder Antrieb, Selbstvernachlässigung (oder auch das Gegenteil: pedantische Reinlichkeit und Ordnung, „Waschzwang”), ständiges Erschöpftsein, Appetitlosigkeit, keine Kraft, die alltäglichen Dinge des Lebens zu regeln. Schwer depressive Patienten grübeln z.B. den ganzen Tag über Fehler, die sie gemacht haben bzw. darüber, daß sie völlig verschuldet sind. Diese Gedanken können ein Stadium erreichen, daß sie unkorrigierbar werden, obwohl die gedanklichen Annahmen in der Regel nicht stimmen. Das Arbeitsniveau senkt sich ab. Phobien stellen sich ein. Sie werden sicht selten mit Alkohol oder anderen Suchtgiften betäubt.
Bei Frauen treten plötzlich Menstruationsstörungen auf. Der Intimverkehr wird zur Qual. zärtliche Berührungen, z.B. an den Brüsten, „schmerzen”. Schließlich verlieren depressive Frauen wie Männer jedes Interesse an Erotik und Sex.
Depressive Patienten vereinsamen, meiden mehr und mehr Kontakte zu Freunden, zur Nachbarschaft, verlassen auch kaum mehr ihre Wohnung. Hinzu kommt arges Mißtrauen gegen alle therapeutischen Bemühungen, so daß der Zustand rasch in ein chronisches Stadium übergehen kann.
Schwierig hingegen ist es, Anzeichen einer Depression zu erkennen, wenn die Betroffenen auf den ersten Blick alles andere als depressiv erscheinen. Es gibt Menschen, die leiden an körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Herzschmerzen, Rückenschmerzen u.ä., obwohl sich ein organisches Leiden nicht feststellen läßt. Diese Schmerzen sprechen auch auf eine körperliche Therapie nicht an. Daß sich hinter den somatischen Symptomen eine Depression versteckt (larvierte Depression), wissen sie nicht oder wollen es auch oft nicht glauben. Menschen, die ihre seelischen Konflikte mit dem Körper austragen, sind besonders schwer von einer antidepressiven Therapie zu überzeugen. Dazu kommt, daß diese Art von Symptomatik als Zeichen einer Depression auch vom Therapeuten zunächst übersehen werden kann.
Behandlung
Die frühzeitige Erkennung und konsequente Behandlung von Depressionen senkt die gerade bei Depressionen um ein Vielfaches erhöhte Selbstmordrate entscheidend und kann die Chronifizierung verhindern. Im Gesamtbehandlungsplan einer Depression sollen prinzipiell psychotherapeutische und pharmakologische Behandlungsansätze kombiniert werden. Eine Prophylaxe gibt es nicht. Depressionen kommen sozusagen aus heiterem Himmel. Auch ein Zusammenhang mit Jahreszeiten oder Witterung („Winter-, Nebeldepression”) ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen und trifft höchstens auf sog. depressive Verstimmungen zu.
Psychotherapie
Grundsätzlich ist eine verständnisvolle, geduldige und Hoffnung vermittelnde Einstellung gegenüber dem Erkrankten anzustreben. Die Vermittlung, daß eine Depression eine Krankheit und nicht persönliche Schwäche oder Verfehlung darstellt, ist in diesem Zusammenhang wichtig.
Spezifische psychotherapeutische Ansätze wie die kognitive Verhaltenstherapie, die auf eine Veränderung der negativen Gedanken und somit auf eine Verbesserung der Stimmung abzielt, oder andere Ansätze wie interpersonale Psychotherapie, derzeit von amerikanischen Kollegen favorisiert, sind hier zu nennen.
Pharmakotherapie
Antidepressiva wirken spezifisch auf eine Depression unabhängig von deren Ursache und Ausprägung. Zu den wirksamen Antidepressiva zählt neben den synthetisch hergestellten das Johanniskraut.
Antidepressiva mildern die Beschwerden und decken sie nicht zu. Alle gängigen Substanzen unterscheiden sich in ihrer
Wirksamkeit nicht wesentlich. 60 bis 80 Prozent der Patienten sprechen auf Antidepressiva positiv an. In der Regel
dauert es 8 bis 14 Tage, bis sich die volle Wirkung entfaltet. Ein „Super-Antidepressivum”, welches allen Patienten
rasch und überzeugend hilft, gibt es bislang nicht. Positive Begleiteffekte wie Schlafförderung und innerlich
beruhigende Wirkung stellen sich aber oft schon nach der ersten Einnahme ein.
Bis auf Johanniskraut, welches
weitgehend frei von unerwünschten Wirkungen ist, haben alle anderen, nämlich die sog. chemischen Antidepressiva,
Nebenwirkungen.
Neuerdings werden sog. Seratonin-Wiederaufnahme-Hemmer von der chemischen Pharma-Industrie empfohlen. Ihre Nebenwirkungen sind erheblich. Weniger stark und beschwerlich, doch ebenso häufig sind die Nebeneffekte der „klassischen” trizyklischen Substanzen wie z.B. Saroten”. Hier sind zu nennen: Mundtrockenheit, Müdigkeit, Verstopfung, Schwindelgefühl, Blutdrucksenkung. Besondere Vorsicht ist bei Patienten geboten, die unter Herzrhythmusstörungen leiden, unter erhöhtem Augeninnendruck oder unter einer Vergrößerung der Prostata.
Die meisten Depressionen können heute ambulant oder klinisch erfolgreich behandelt werden. Eine individuell abgestimmte Kombination aus medikamentösen, psychotherapeutischen und soziotherapeutischen Maßnahmen verspricht den besten Erfolg.
Stephan Volk et al.
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