Großmutters Wickel in der heutigen Zeit
Hp Sylvia Ackersmann
„Oma, hol bitte aus dem Garten eine Handvoll Kamille und eine Zwiebel; das Kind hat Ohrenschmerzen!” So höre ich heute noch meine Mutter rufen. Und flugs gab’s einen Ohrenwickel, der die Entzündung und Schmerzen vertrieb…
Leider ist dieses natürliche Heilverfahren, der Wickel, heute fast in Vergessenheit geraten. Verdrängt durch die moderne Schulmedizin, verdrängt aber auch durch unsere schnellebige Zeit. Dabei ist die Zeit etwas vom Kostbarsten während eines Krankheitsverlaufes. Die Zeit, die sich der Patient nehmen muß, um wieder zu genesen, und die Zeit des Betreuers oder des Therapeuten für den Patienten.
Nicht nur Kinder benötigen dieses Gefühl von „Umsorgt-Sein”, auch bei uns Erwachsenen trägt es zur Linderung und zum Wohlbefinden während des Genesungsprozesses bei. Mit einem Wickel kann man die therapeutische Wirkung wunderbar mit den Faktoren „Zeit” und „Zuwendung” kombinieren, und das ist nach meiner Erfahrung sehr bedeutsam für die Bewältigung von Krankheiten.
Gewiß muß man erwähnen, daß ein Wickel allein nicht geeignet ist, zur Behandlung schwerer Krankheitsprozesse, aber als unterstützende Maßnahme gilt er auch in solchen Fällen als probates Mittel.
Wer allerdings nach dem Spruch „Nützt es nichts, so schadet es nichts” handelt, sollte sich lieber von der Wickeltherapie distanzieren. Bedenken wir doch, das wir teilweise mit recht aggressiven Heilmitteln wie Senf, Ingwer und Zwiebeln agieren.
Wickel bei Ohrenschmerzen
In den meisten Büchern finden wir die Kamillen – und Zwiebelwickel separat aufgezeigt. Aus alten Überlieferungen und aus eigener Praxiserfahrung kann ich jedoch eine Kombination der beiden wärmstens empfehlen.
Wir benötigen:
- 1 Zwiebel
- 1 kleine Handvoll Kamillenblüten
- 1 Gazewindel1
- Flanellwindel
Zubereitung:
Zerschneiden Sie die Zwiebel in kleine, Würfel und vermischen Sie diese mit den Kamillenköpfchen. Setzen Sie einen Topf mit Wasser auf und legen Sie den Topfdeckel umgekehrt auf. Das Gemisch schlagen Sie nun in die Gazewindel ein, machen ein handgroßes Päckchen davon. Das Päckchen legen Sie auf den Topfdeckel und lassen es warm werden. Die Flanellwindel zu einem Schal zusammenfalten. Das nun richtig warme Kräuterpäckchen auf den Schal geben und diesen so um den Kopf legen, daß die Kräuter auf dem schmerzenden Ohr sind. Vorsichtig mit einer Sicherheitsnadel befestigen und je nach Vorlieben des Kindes ein Stirnband oder eine Mütze über den Wickel anziehen. So kann der Wickel nicht verrutschen, und das Kind darf sich frei bewegen.
Einwirkzeit:
ca. 1 – 2 Stunden oder länger
Kontraindikation: perforiertes Trommelfell
Bleiben wir noch bei der Kamille. Wie sagte einst schon K.H. Waggerl:
Die Kraft, das Weh im Leib zu stillen,
verlieh der Schöpfer den Kamillen,
Sie blühn und
warten unverzagt
auf jemand, den das Bauchweh plagt.
Der Mensch jedoch in seiner Pein
glaubt nicht an das,
was allgemein
zu haben ist. Er schreit nach Pillen.
Verschont mich, sagt er, mit Kamillen,
um
Gotteswillen!
Heißer Leibwickel mit Kamille
Gerade ein heißer Leibwickel mit Kamille hat schon so manchen Griff zur „Pille” überflüssig gemacht. Sei es bei
- Bauchschmerzen,
- Menstruationsbeschwerden,
- Schlafstörungen,
- Nervosität und, nicht zu vergessen in der heutigen Zeit,
- bei Angstpatienten und
- Panikattacken.
„Ich habe Angst! Und ich weiß nicht einmal genau warum…” Wie oft kommen Patienten mit dieser Aussage zu mir in die Praxis, und wie oft konnte ich vielen Menschen die Angst nehmen mit einem wohltuenden und entspannenden Kamillenwickel!
Natürlich muß man auch hier erwähnen, daß man Angst nicht mit einem heißen Leibwickel heilen kann. Dazu gehört unbedingt die Psychotherapie. Aber die beruhigende Kraft der Kamille dürfen wir gut und gern bei ängstlichen Patienten zur Therapieunterstützung einsetzen.
Wir benötigen:
- Kamillentee
- alte Leintücher
- 2 Frottiertücher
- 1 warme Wolldecke
- 2 Wärmflaschen
Zubereitung:
Zuerst kochen wir einen Kamillentee (zwei Eßlöffel Kamillenblüten mit 1 Liter kochendem Wasser übergießen und 10 Minuten ziehen lassen).
In der Zwischenzeit bereiten wir den Wickel vor. Als unterste Lage breiten wir die Wolldecke aus; darauf legt man zwei Frottiertücher (man beachte, daß die Tücher so lang sein müssen, daß wir den ganzen Leib des Patienten einwickeln können!).
Nun tauchen wir das eingerollte Innentuch in den heißen Tee, wringen es sehr gut aus und rollen es erst auf dem Frottiertuch rückenbreit aus.
Der Patient legt sich vorsichtig mit dem Rücken auf das heiße Tuch (hier müssen wir speziell bei unseren kleinen Patienten aufpassen, daß die Wärme erträglich ist!). Anschließend rollen wir das heiße Tuch ganz auf und legen es fest um den Leib des Patienten. Schlagen die beiden Frottiertücher herum und wickeln ihn zum Schluß in die Wolldecke ein. Falls nötig legen wir links und rechts noch eine Wärmflasche an den Körper.
Einwirkzeit:
ca. 1/2 Stunde
Kontraindikationen: Schwangerschaft, Verdacht auf (oder bestehende) Appendizitis.
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