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Psychotherapie
Lesezeit: 18 Minuten

Wie denkt der Mensch sich gesund?

Mentale Kohärenz: Die Voraussetzung für Gesundheit

In diesem Artikel geht es um die Frage, was Gesundheit eigentlich ist und wie wir Gesundheit erreichen und aufrechterhalten können. Zur Klärung dieser Frage werden zunächst die Erkenntnisse der Gesundheitspsychologie beschrieben. In der Tat besteht zwischen unserer Psyche und unserer körperlichen Gesundheit ein enger Zusammenhang. Es gibt bestimmte psychische Voraussetzungen, um gesund zu werden und bleiben. Das gilt im verstärktem Umfang, wenn wir gesellschaftliche und individuelle Entwicklungen in der heutigen Zeit und in der nahen Zukunft betrachten. Anschließend wird das Kohärenzmodell von Antonovsky dargestellt. Antonovsky ist ein Forscher, der die mentalen Strategien gesunder Menschen intensiv studiert hat. Weiter schlagen wir eine Brücke zum Neurolinguistischen Programmieren (NLP). NLP hat die Verhaltensweisen und Denkmuster genialer und erfolgreicher Menschen untersucht. Der Clou besteht darin, daß diese Strategien weitervermittelt werden können und erlernbar sind. Das gilt natürlich auch für die Strategien vom gesunden Menschen: dabei handelt es sich um Denkmuster, mentale Vorstellungen und Handlungsweisen, welche wir in unser eigenes Repertoire aufnehmen und die natürlich auch an Klienten weitervermittelt werden können. Dazu werden einige NLP-Übungen vorgestellt.

Was ist Gesundheit?
Es klingt absurd, aber das Thema Gesundheit hat in der traditionellen Medizin lange Zeit ein Schattendasein geführt. Als gesund galt derjenige, der nicht krank war. Im Mittelpunkt der medizinischen Betrachtung stand die Krankheit oder, genauer gesagt, die Krankheiten. Es fällt auf, daß es zwar Krankheiten gibt, nicht aber “Gesundheiten”. Dies ergibt sich aus der medizinischen Sichtweise: während Gesundheit eher als allgemeiner Zustand des gesamten Organismus aufgefaßt wird, fällt der Blick bei Krankheiten auf die vielen unterschiedlichen Organe und Strukturen des Körpers. Diese zahlreichen organischen Erkrankungen werden natürlich jede für sich betrachtet, analysiert und behandelt. Der größere Zusammenhang des Zusammenspiels aller Organe oder, wenn wir noch weiter ausholen, der Zusammenhang von Psyche und Körper oder, um unseren Fokus noch weiter zu machen, die Einbettung des Menschen in eine Umwelt, in soziale Rollen, in Arbeitsverhältnisse wird von der traditionellen Medizin in der Regel ausgeblendet. Konzentrieren wir uns jedoch auf Gesundheit, so gibt bereits die deutsche Grammatik vor, daß dies ein ganzheitlicher Zustand ist. In der modernen Medizin herrscht gegenwärtig noch das Leitbild oder Paradigma der Biotechnik vor: der Mensch wird als eine physikalisch-chemische Maschine angesehen, die sich in ihre Einzelteile zerlegen läßt. Krankheitssymptome werden als lokale Äußerungen einzelner Organe aufgefaßt. Ein neuerer Ansatz ist die Psychosomatische Medizin. Diese Ausrichtung der Medizin bewertet Symptome als Informationen oder Nachrichten. So können beispielsweise Magenschmerzen Ursachen haben, die nichts mit dem Magen zu tun haben. Eventuell signalisieren sie dem betroffenen Menschen etwas (“friß deinen Ärger nicht immer in dich hinein”). Auch wenn die psychosomatischen Mediziner bereits ein anderes Verständnis von den Problemen ihrer Patienten haben, so steht im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen doch immer noch die sogenannte Pathogenese, das heißt die Entstehung von Krankheit.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte demgegenüber bereits vor einigen Jahrzehnten Gesundheit als einen “Zustand vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens, nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen”. Die WHO hat also Gesundheit im Sinne einer Zielbestimmung positiv formuliert, allerdings bleibt die Definition noch sehr allgemein und schwammig. Vor allem fehlt die Antwort auf die Frage: Wie wird man gesund?

Nun haben auch die Psychologen in den letzten Jahren ihr Scherflein zur Gesundheitsdebatte beigetragen und als neue Teildisziplin “Gesundheitspsychologie” eingeführt.

Die Gesundheitspsychologie umfaßt folgende Gebiete:

  • Verhütung und Behandlung von Krankheiten
  • Bestimmung von Risikoverhaltensweisen
  • Diagnose und Ursachenbestimmung von gesundheitlichen Störungen
  • Rehabilitation
  • Verbesserung des Systems gesundheitlicher Versorgung
  • Förderung und Erhaltung der Gesundheit

Wie man an dieser Aufstellung sieht, widmet auch die Gesundheitspsychologie einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit den Krankheiten. Sehr populär geworden ist durch die Gesundheitspsychologie das Modell der Risikofaktoren. Risikofaktoren sind gesundheitsbeeinträchtigende Variablen. In der Bundesrepublik steht zum Beispiel an erster Stelle der Risikofaktoren der Bewegungsmangel. Es folgen schlechte Ernährung und das Rauchen. Wenn ich also den ganzen Tag auf unergonomischen Stühlen sitze, mich von dort zum Fahrstuhl bewege, von diesem zu meinem Auto, unterwegs einen Hamburger mit Fritten vertilge (am besten im Drive-In!) und anschließend eine Zigarette “genieße” – dann habe ich gute Chancen, nicht besonders alt zu werden. Das ist mittlerweile auch mit zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen. Zur Förderung von Gesundheit (und vor allem zur Verminderung von Risikofaktoren) wurden in der Vergangenheit die unterschiedlichsten Trainingsprogramme aufgelegt und durchgeführt. So gibt es Kurse zur vollwertigen Ernährung, Raucherentwöhnungsprogramme, Streßbewältigungsseminare, Bewegungskurse für Herzkranke, Rückenschulen und vieles mehr. Die meisten dieser Kurse sind verhaltenstherapeutisch angelegt, viele sind auch standardisiert (z.B. “Nichtraucher in zehn Wochen”). Sie funktionieren dann, wenn der Kursteilnehmer sich und sein Leben sehr stark kontrolliert und sich “zusammenreißt”. Vielleicht fällt Ihnen dazu das alte Sprichwort ein “Nach der Gesundheit leben ist ein elend Leben”. Oft fehlt der Faktor Spaß und deswegen werden gesundheitsfördende Verhaltensweisen oft auch nicht beibehalten, wenn der Kurs vorüber ist. Auch werden tiefergehende Fragen (Was ist mein Lebenssinn? Welche Wertvorstellungen habe ich? Wie löse ich meine inneren Konflikte?) in der Regel ausgeblendet. Gesundheitspsycholgisch fundierte Trainingsprogramme sind daher ein Schritt in die richtige Richtung, sie reichen aber in ihrer momentanen Form nicht aus.

Was geht im Kopf gesunder Menschen vor? Noch einmal zurück zur eingangs gestellten Frage: Was ist Gesundheit? Eine neuere Teilrichtung der Gesundheitspsychologie zur Klärung dieser Frage befaßt sich mit der “Salutogenese”, wörtlich übersetzt “Entstehung von Gesundheit”. Im Mittelpunkt stehen nicht die Risikofaktoren (also das, was man nicht tun sollte), sondern die Gesundheitsfaktoren (was tun die Menschen im Idealfall?). Aaron Antonovsky, ein israelischer Forscher, sieht Gesundheit und Krankheit nicht als strikten Gegensatz, sondern als zwei Pole an den beiden entgegengesetzten Enden einer Skala. Meistens bewegen wir uns zwischen diesen beiden Polen irgendwo im mittleren Bereich.

Gesundheit —————————————-> <—————————————- Krankheit

Personen, die sich in Richtung auf Gesundheit bewegen, berichten über körperliches Wohlbefinden (Ruhe, Entspannung, Lustempfinden, Frische) und psychische Ausgeglichenheit (Lebensfreude, Zufriedenheit, Konzentrationsfähigkeit). Ob wir uns in Richtung Gesundheit oder aber in Richtung Krankheit bewegen, hängt dabei gar nicht so sehr von äußeren Umständen ab, sondern von unseren inneren Einstellungen. So wurden leitende Angestellte eines Betriebes untersucht, die in ihrem Beruf höchstem Stress ausgesetzt waren. Ein Teil dieser Führungskräfte erkrankte häufig, ein anderer Teil nicht. Die Kranken zeigten Entfremdungstendenzen, Gleichgültigkeit, starre Gewohnheiten und Hilflosigkeit, während die Gesunden sich durch Engagement, Neugier und Flexibilität bei Aufgabenstellungen auswiesen. Ferner bewerteten die Gesunden Probleme als Herausforderungen und hatten den Glauben, ihr Leben meistern zu können. Ein häufig geäußerter Satz war “Das Leben geht immer weiter”. Andere Untersuchungen differenzierten zwischen Optimisten und Pessimisten. Es zeigte sich, daß Optimisten eine höhere Lebenserwartung haben, Krankheiten schneller bewältigen, über reife Abwehrmechanismen verfügen (Humor, Sublimierung) und vor allem an die eigene “Selbstwirksamkeit” glauben.

Antonovsky, Begründer und Hauptvertreter der Salutogenese, ging in seinen Studien noch einen Schritt weiter und untersuchte Menschen, die extreme Situationen erlebt hatten. Er befaßte sich vor allem mit den Überlebenden aus Konzentrationslagern und interviewte diese ausführlich. Auch hier gab es eine Teilgruppe von Person, welche diese Ereignisse relativ unbeschadet an Körper und Seele überstandet hatten, während viele andere Überlebende chronisch krank wurden, depressiv wurden oder Suizid vorhatten.

3 mentale Gemeinsamkeiten

  1. Das Gefühl der Verstehbarkeit
    Die Welt und das Leben werden als verständlich, strukturiert und geordnet angesehen. Es existieren Regeln, viele Dinge sind vorhersagbar. Es existiert eine Art von Ordnung in der Welt. Ein Mensch, der dies glaubt, ist das Gegenteil eines Paranoikers. Dieser Mensch durchschaut das Leben.
  2. Das Gefühl der Machbarkeit
    Es besteht ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, es gibt die Überzeugung, daß Aufgaben gelöst werden können, wenn man seine Ressourcen einsetzt. Veränderungen sind Herausforderungen, die bewältigt werden können. Dieser Mensch kann sein Leben meistern.
  3. Das Gefühl der Bedeutsamkeit
    Das ist der Glaube an die Sinnhaftigkeit der Existenz, das Leben ist der Mühe wert, es lohnt die Anstrengung und das Engagement, auch wenn es Kämpfe und Belastungen gibt. Dieser Mensch will sein Leben meistern.

Die stressresistente Teilgruppe wies drei mentale Gemeinsamkeiten auf (s.o.). Diese drei Faktoren bilden zusammen das Kohärenzgefühl. Kohärenz heißt Zusammenhalt. So ist beispielsweise Laserlicht ein kohärentes Licht, also besonders energiereich, gebündelt und konzentriert. Das Kohärenzgefühl ist demnach ein ursächlicher Einflußfaktor auf Gesundheit. Je stärker das Gefühl von Kohärenz bei einem Menschen ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Mensch sich in die Richtung von Gesundheit bewegt.

Originalton Antonovsky: “Das Gefühl der Kohärenz, des inneren Zusammenhangs, ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, inwieweit jemand ein sich auf alle Lebensbereiche erstreckendes, überdauerndes und doch dynamisches Vertrauen hat, daß die Reize aus der inneren und äußeren Welt im Laufe des Lebens strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind, daß es Mittel und Wege gibt, die Aufgaben zu lösen, die durch diese Reize gestellt werden, und daß diese Aufgaben Herausforderungen sind, für die es sich lohnt, sich zu engagieren und zu investieren.”

Die wachsende Bedeutung von mentaler Kohärenz in unserer Zeit
Stadt und Land unterscheiden sich hinsichtlich psychosomatischer Erkrankungen deutlich: Während bei den Städtern 26% aller Patienten über psychosomatische Beschwerden klagen, sind es bei der Landbevölkerung nur 11%. Neurosen gedeihen also in der Stadt besonders prächtig – und weltweit wohnen immer größere Teile der Bevölkerung in Metropolen. Zwar spricht man vom globalen Dorf, doch darf dies nicht mit dem gemütlichen Leben auf dem Lande verwechselt werden. Wir stehen kurz vor einem neuen Jahrtausend, die Zukunft rückt uns immer näher. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat es rasante Veränderungen hinsichtlich des Zusammenlebens von Menschen, Berufsperspektiven und Lebensentwürfen gegeben. Das Tempo der Veränderungen nimmt unaufhaltsam weiter zu. Wir leben in einer Möglichkeitsgesellschaft, in der das Individuum ständig Entscheidungen treffen muß und immer mehr zum Manager seiner Existenz wird. Da von der Umwelt kaum noch allgemeinverbindliche Normen und Werte gesetzt, geschweige denn vorgelebt werden, muß der Einzelne sich selber Werte geben, sich selbst definieren und seinem Leben einen Sinn geben. Wir sind in geographischer und sozialer Hinsicht wesentlich mobiler geworden als die Generation unser Eltern, durch ein geeintes Europa wird dieser Prozeß noch weiter beschleunigt. In wechselnden Beziehungen müssen wir es schaffen, uns eine Identität zu geben. Schon wird die Patchwork-Family zum Normalfall erhoben, die klassische Familie ist in ihrer Reinform nur noch selten anzutreffen. Der Mensch ist immer mehr gefragt, seinen eigenen Standpunkt zu finden. Oft ist es gar nicht mehr möglich, sich bei den Vorbildern von früher, den eigenen Eltern, etwas “abzuschauen”. Der Mensch von heute wechselt häufig den Arbeitsplatz und die Tätigkeit, hat oft mehrere unterschiedliche Jobs gleichzeitig. Er bewegt sich daher tagtäglich in Dutzenden von verschiedenen Rollen und muß dabei doch das Gefühl dafür wahren, wer er eigentlich ist. Aus diesen vielen Gründen ist die Suche nach Kontinuität und Kohärenz besonders bedeutend geworden. Kohärenz fällt uns nicht von alleine in den Schoß, wir müssen etwas dafür tun. Dazu zählt beispielsweise, sich selbst Leitziele für sein Leben zu setzen, sich die eigenen Wertvorstellungen bewußt zu machen und innere Blokkaden in Handlungsenergie zu verwandeln. Und viele Menschen sind tatsächlich auch auf der Suche nach übergeordneten Werten und einem Sinn in ihrem Leben. Mentale Kohärenz ist heutzutage wichtiger denn je.

Gesundheit durch NLP
Neurolinguistisches Programmieren, kurz NLP, ist in seinem ursprünglichen Sinn weder Psychotherapie noch Motivationstechnik. NLP ist vielmehr eine Methode, mit der die Strategien von genialen Menschen nachgeahmt und modelliert werden. Dies begann in den frühen siebziger Jahren damit, daß die NLP-Gründer Bandler und Grinder einigen Meistertherapeuten bei der Arbeit zusahen, deren Körpersprache untersuchten, Videos studierten und Sprachmuster analysierten. So wurde ein Extrakt gefunden aus der Hypnotherapie von Milton Erickson, der Familientherapie von Virginia Satir und der Gestalttherapie von Fritz Perls. Obwohl es sich hier um recht unterschiedliche Therapierichtungen handelte, waren die Verhaltensweisen der drei Startherapeuten und das, was sie über ihre Klienten dachten, sehr ähnlich. Alle drei konnten mühelos Rapport zu ihren Klienten aufbauen, zielgerichtete Fragen stellen und sahen in den Menschen, die zu ihnen kamen, keine Kranken, sondern Individuen voller Ressourcen. Die Kunst des Modellierens wurde weiter verfeinert. Bekannte NLPler untersuchten die Strategien von Albert Einstein und Walt Disney. So wäre Einsteins Relativitätstheorie wohl nie ohne dessen Hang zum Tagträumen entstanden. Tagträumen oder Visualisieren ist eine Methode, die sich erlernen läßt. Walt Disney war nicht nur ein begabter Zeichner, sondern auch ein äußerst erfolgreicher Unternehmer und ein Kaufmann, der mit spitzem Bleistift rechnen konnte. Er schaffte es, diese unterschiedlichen Teilpersönlichkeiten in sich zu integrieren und produktiv zum Wohle des Ganzen arbeiten zu lassen. Auch die Strategie von Disney läßt sich nachvollziehen und erlernen. Es lassen sich aber auch die Fähigkeiten von ganz normalen Zeitgenossen modellieren: die Fähigkeit meiner Schwester, eine Fremdsprache zu erlernen; das Verkaufstalent eines Freundes; die Gabe des Trainers aus dem örtlichen Sportverein, auf Menschen einzugehen. Alle diese Fähigkeiten bestehen aus kleineren Teilschritten, die nachvollziehbar sind. NLP bietet dazu ein reichhaltiges Repertoire an Methoden und Techniken, deren Darstellung den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Kehren wir zum Thema Gesundheit zurück. Die Idee des Autors besteht nun darin, die Strategien gesunder Menschen zu modellieren. Mental kohärente Personen verfügen über Denkmuster und Einstellungen, welche sich mit NLP-Methoden trainieren lassen. Während die Ausführungen von Antonovsky bei einer Beschreibung gesunder Menschen stehenbleiben, soll hier der Versuch unternommen werden, deren mentale Methoden zur Gesundheitserhaltung zu übernehmen.

NLP-Übungen zur mentalen Kohärenz
Kohärenz setzt sich zusammen aus Verstehbarkeit, Machbarkeit und Bedeutsamkeit. Wie kann NLP die Kohärenz stärken? Richten wir den Blick zunächst auf Verstehbarkeit.
Wenn ein Anfänger NLP erlernt, wird er mit sehr vielen Übungen zur Wahrnehmung der Körpersprache konfrontiert. Der NLP-Therapeut sollte beispielsweise rasch erkennen können, wie es seinem Klienten geht und wie dessen innere Vorstellungswelt beschaffen ist. Stellt sich der Klient gerade ein Phantasiebild vor, spricht er in Gedanken zu sich selbst, hängt er bestimmten Gefühlen nach? Diese Fragen lassen sich mit Hilfe von NLP-Techniken recht schnell beantworten. Und so gibt es für den NLP-Neuling haufenweise Ahaerlebnisse: der Ehegatte ist ein visueller Typ, die Arbeitskollegin dagegen ist auditiv und leidet unter ihren selbstkritischen inneren Stimmen. Das Erlernen von NLP fördert also die Verständlichkeit der Welt, eigene und fremde Verhaltensmuster werden deutlicher und transparenter, Kommunikationsstrukturen werden aufgedeckt. Unterstützend für Verstehbarkeit und eine Grundvariable im NLP ist auch eine Einstellung zur Neugier und Lernfreude. Wer neugierig ist, geht mit offenen Augen durch die Welt und entdeckt ständig etwas Neues. Er nimmt Informationen auf, lernt dazu und dadurch bleibt das Leben spannend. Selbst aus schmerzvollen Erlebnissen läßt sich etwas lernen. Sie sind oft mit persönlichen Reifungserfahrungen verbunden. Symptome, wegen denen Klienten therapeutische Hilfe suchen, haben oft einen sekundären Gewinn (z.B. können Prüfungsängste verhindern, daß ich mein Studium abschließe und dann auf eigenen Beinen stehen “muß”). Oft haben die Klienten überwältigende Einsichten in Bezug auf sich selbst in unseren Sitzungen. Der NLPler lernt darüberhinaus, zwischen assoziieren (im Körper sein, fühlen) und dissoziieren (sich selbst von außen betrachten) zu unterscheiden – eine sehr hilfreiche Methode, um in vielen Lebenslagen den Durchblick zu bekommen.

Übung zur Verstehbarkeit

  1. Gehen Sie auf eine mentale Reise in die Vergangenheit. Wenn Sie NLP-Erfahrung haben, legen Sie Ihre Timeline aus. (Erklärung dazu: Entgegen vielen Vorurteilen prescht man mit NLP nicht nur naiv-optimistisch in die Zukunft. Genauso kann man auch die Vergangenheit betrachten und würdigen.)
  2. Finden Sie in Ihrer Vergangenheit sechs wichtige Lernerfahrungen. Das können Erfahrungen und Erlebnisse sein, durch die Sie zu neuen Erkenntnissen gelangt sind – so als hätte sich eine Tür zu einer neuen Ebene geöffnet. (Beispiele: das erste Mal Ski gefahren, die erste Liebe, Führerscheinprüfung, Ablösung vom Elternhaus, Erfolgserlebnisse in Ausbildung und Beruf, Mutter bzw. Vater geworden usw.)
  3. Stellen Sie sich jetzt vor, diese sechs Lernerfahrungen noch einmal zu erleben. Was ist das Gemeinsame an diesen Erfahrungen? Vielleicht finden Sie ein Symbol dafür oder eine Metapher.
  4. Gehen Sie ein Stück weit in die Zukunft und stellen sich den Prozess des immer tiefer werdenden Verstehens vor und kommen anschließend zurück in die Gegenwart.

Ein weiteres Element von Kohärenz ist die Machbarkeit.
Ein Mensch, der glaubt, sein Leben meistern zu können, ist ein proaktiver Mensch, ein Macher. Er wartet nicht auf Dinge, die ihm widerfahren, er handelt. Dieser Mensch hat in der Regel dynamische Glaubenssätze über sein Leben verinnerlicht.
Beispiele:”Ich schaffe es.” “Ich lasse mich nicht unterkriegen.” “Schwierigkeiten spornen mich an.” Überspitzt formuliert: Die augenblickliche Situation eines Menschen ist die Summe aller seiner Glaubenssätze. Wie ließe es sich anders erklären, daß sich Menschen in ein und derselben Situation vollkommen unterschiedlich verhalten und die Situation natürlich dementsprechend beeinflussen? Wenn nun ein Klient mit negativen, selbstkritischen Glaubenssätzen zu uns kommt, liefert NLP diverse Methoden, um diese Glaubenssätze zu entkräften und in positive Beliefs umzuwandeln. Ein Glaubenssatz kann als innere Stimme wahrgenommen werden oder als visuelle Vorstellung existieren. Beides existiert nur in der Phantasie, hat aber trotzdem starke Auswirkungen in der realen Welt. Wenn ich meine inneren Vorstellungen ändere, trete ich auch in der rauhen Wirklichkeit anders auf. Oft kann der Macher sich seine Ziele präzise vorstellen – so als sähe er einen Film vor sich inclusive Dolby-Stereo-Sound mit Geruchs- und Geschmackserlebnissen sowie einem starken Gefühl. NLP trainiert diese innere Vorstellungswelt, die oft seit dem Kindesalter brachliegt. Mit visualisierten Zielen werden Motivation, Aufmerksamkeit für Gelegenheiten und Handlungsenergie deutlich größer. In Untersuchungen ergab sich, daß bekannte Künstler oder Sportler oft schon in jungen Jahren eine Vision ihres späteren Erfolges hatten und alle Weichen so stellten, daß sich dieser Traum auch verwirklichte.

Übung zur Machbarkeit

  1. Vielleicht gab es in Ihrem Leben Situationen, in denen Sie unmotiviert waren. Stellen Sie sich eine solche Situation bildhaft vor.
  2. Jetzt konstruieren Sie ein zweites Bild, in dem Sie sich selber sehen, wie Sie in der gleichen Situation vor Motivation fast platzen.
  3. Sie sehen die beiden Bilder nebeneinander vor sich. Jetzt lassen Sie das unmotivierte Bild rasch zur Seite entschwinden und bringen das positive Zielbild an dessen Stellen – gut erkennbar und in kräftigen Farben.
  4. Wiederholen Sie die Schritte 1-3 einige Male.

Das letzte und vielleicht wichtigste Element von Kohärenz ist die Bedeutsamkeit.
Damit schneiden wir die Frage nach dem Sinn unserer Existenz an. Das ist natürlich keine Kleinigkeit. Philosophen, Theologen und auch einige Psychotherapeuten haben die Sinnfrage in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt. Menschen, die in ihrem Leben keinen Sinn entdecken können, geraten oft in Gefahr, bestimmte Symptome zu entwickeln: Sie flüchten sich in Depressionen, Süchte und Abhängigkeiten, Ängste und Zynismus. Sie sind zum Teil von inneren Konflikten zerrissen. Darunter leiden Privat- und Berufsleben und natürlich auch die Gesundheit. Umgekehrt geht es Menschen, die das Leben für sinnerfüllt halten, wesentlich besser – selbst wenn äußere Umstände dagegen sprechen. In Befragungen von hochbetagten Personen stellte sich heraus, daß diese immer wieder über einige übergeordnete Ziele und Themen sprachen, die ihrem Leben Orientierung und Zusammenhang gaben.

Was ist nun unter persönlichen Lebenssinn zu verstehen? Die Diskussion darüber füllt ganze Bibliotheken und ist vermutlich bis heute nicht letztendlich geklärt. An dieser Stelle erfolgen daher nur einige Arbeitsvorschläge für die psychotherapeutische Praxis: Sinn bedeutet für viele Menschen die Zugehörigkeit zu einem System oder einer Gruppe wie etwa der eigenen Familie. Sinn kann sich auch einstellen, wenn ich von einer persönlichen Mission überzeugt bin, wenn ich in meinem Leben einige fundamentale Aufgaben zu erfüllen versuche. Sinn kann auch der Glaube an ein höheres Wesen oder an ein Leben nach dem Tode sein. Oft klären sich Sinnfragen, wenn ich mir meine eigenen Wertvorstellungen bewußt mache, wenn ich meine eigenen höchsten Werte kenne und versuche, diesen Werten entsprechend zu leben. Gibt es einen Konflikt zwischen meinen Werten und meinen Handlungen, so sollte ich versuchen, diesen Konflikt zu lösen – denn wenn ich einen Lebensweg gehe, hinter dem ich nicht mit dem Herzen stehe, kann dieser nur in einer Sackgasse enden. Mit Wert- und Sinnfragen sind sehr hohe Ebenen angesprochen. Eine Therapie auf der Verhaltensebene reicht in diesem Fall meist nicht aus. NLP stellt Möglichkeiten bereit, Wertfragen zu klären, innere Konflikte zu bewältigen und Sinnfragen zumindestens auszusprechen. Methoden dazu können die Arbeit mit Trance sein oder die Aufstellung von Familiensystemen. Für diese Arbeit braucht man in der Regel einen Therapeuten oder Begleiter, deshalb wird an dieser Stelle keine Übung angeboten.

Zurück zum Anfang
Es gibt inzwischen zahlreiche Belege dafür, daß Gesundheit im Kopf beginnt. Eine wichtige Variable ist die mentale Kohärenz: Leitlinie, Orientierung und Zusammenhalt. Aus diesen Voraussetzungen ergeben sich gesundheitsfördernde Aktivitäten auf der Verhaltensebene oft von alleine: bewußte Ernährung, ausreichende Bewegung und vieles mehr. Mit Hilfe von NLP-Methoden lassen sich diese Verhaltensweisen initiieren und verankern. Zahlreiche Methoden zur Erhöhung von Verstehbarkeit und Machbarkeit können im Rahmen einer NLP-Practitioner-Ausbildung erlernt werden. Interventionen auf der Ebene des persönlichen Lebenssinns und die Arbeit mit der eigenen Herkunftsfamilie werden in der darauf aufbauenden NLP-Masterausbildung thematisiert und praktisch eingeübt.

Für Kritik und Anregungen zu den hier gemachten Ausführungen ist der Autor offen und dankbar.

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AUTOR:

Michael Schimpke
Diplom-Psychologe, Dozent für Psychotherapie, NLP-Trainer (Ausbildungen bei Richard Bandler und Chris Hall),
Management- und Personaltrainer, Coach.

Literatur:

  1. Dilts Robert “Identität, Glaubenssysteme und Gesundheit” (gute Darstellung von NLP und Gesundheit)
  2. Ernst Heiko, “Das Ich im 21. Jahrhundert”
  3. Franke Alexa und Broda Michael “Psychosomatische Gesundheit” (enthält einen Artikel von Aaron Antonovsky)
  4. Schwarzer Ralf “Gesundheitspsychologie”

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