Rheuma – Eine Krankheit mit vielen Gesichtern
“Was man nicht erklären kann, das sieht man gern als Rheuma an.”
Ob an diesem alten Spruch, den, wie es heißt, Pharmaziestudenten früher schon im ersten Semester gelernt haben, auch heute noch was dran ist! Sicher ist, daß kaum eine andere Krankheitsbezeichnung so viele Erscheinungsformen beschreibt: vom Hexenschuß über den Tennisarm und die infektiöse Gelenkentzündung, von der Gicht bis hin zu Störungen im Knochenstoffwechsel – mehr als hundert verschiedene Erkrankungen des Bewegungsapparates werden dem rheumatischen Formenkreis zugeordnet.
Rheuma ist eine Volkskrankheit. Mit ein Grund, warum diesem Thema eine wissenschaftliche Fortbildungstagung der
Apotheker gewidmet wurde. Denn diese sind oft die ersten Anlaufstellen, wenn ein Mensch mit rheumatischen Beschwerden
konfrontiert wird.
Das passiert hierzulande fast jedem irgendwann einmal im Leben, und bei zahlreichen Bundesbürgern entwickelt sich aus
einem gelegentlichen unbestimmten “Reißen” eine chronische Erkrankung, die zwar zeitweise gebessert, aber nicht
geheilt werden kann.
Ein paar Zahlen dazu: Rheumatische Beschwerden sind der Anlaß für zehn Prozent aller Arztbesuche, sie betreffen 20
Prozent aller gestellten Diagnosen, verursachen 40 Prozent aller stationären Heilverfahren und 21 Prozent aller
Krankenstandstage (was ein Mehrfaches der Fehltage wegen Herz- und Gefäßerkrankungen ausmacht). Drei Prozent aller
Erwerbstätigen müssen wegen Rheuma vier Wochen oder Iänger pro Jahr ihrem Arbeitsplatz fernbleiben, und 34 Prozent
aller Berufsunfähigkeitspensionen sind durch rheumatische Erkrankungen bedingt.
Das sind die volkswirtschaftlichen Aspekte. Aber noch viel schwerer als diese wiegt das Leid der Patienten, besonders
dann, wenn Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Verlauf der Krankheit zunehmen und zu Vereinsamung und Isolation
führen.
Die Ursachen rheumatischer Erkrankungen sind so vielfältig wie ihr Erscheinungsbild. Eine entzündliche
Gelenkerkrankung (Arthritis bzw. Polyarthritis) etwa kann durch fehlgerichtete Aktivität des körpereigenen
Abwehrsystems hervorgerufen werden.
Die degenerativen Gelenkerkrankungen (Arthrosen) hingegen sind eine Folge übermäßiger Abnützung der Gelenke,
beschleunigt durch Haltungsfehler sowie durch Übergewicht und extreme Belastungen. Sie gehen mit Entzündungen der
Gelenke und Belastungsschmerzen einher.
Fehl- und Überbelastungen können auch die Ursache für einen Weichteilrheumatismus sein, der sich in Entzündungen der
Muskeln, Bänder und Sehnenscheiden äußert.
Und schließlich gibt es die pararheumatischen Erkrankungen (z. B. Gicht), die in Stoffwechselstörungen und/oder
Fehlernährung wurzeln; ihre Auswirkung: Entzündungen von Muskeln und Gelenken.
Vorbeugungsmaßnahmen gegen rheumatische Erkrankungen gibt es kaum. Eine flüchtige Arthritis kann jeder bekommen,
beispielsweise im Verlauf eines grippalen Effekts. Bei der chronischen Arthritis spielen wahrscheinlich auch
genetische Faktoren eine gewisse Rolle, da sie in manchen Familien gehäuft auftreten. Bei früher Diagnose und
entsprechender Behandlung kann der Verlauf der Krankheit aber erheblich verbessert werden.
Dabei geht es nicht nur darum, die verordneten Medikamente einzunehmen. Rheumapatienten können auch von sich aus
einiges beitragen, um ihre Situation zu stabilisieren und das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen.
Bei Beschwerden in den Kniegelenken etwa steht an erster Stelle der Rat, allfälliges Übergewicht zu vermindern.
Einige Kilo weniger können schon entscheidend zur Besserung des Gehverhaltens beitragen. Zu vermeiden sind Knien,
Kniebeugen, Hocken, häufiges Treppensteigen oder Gehen auf unebenem Gelände. Bei Sportausübung eine Kniebandage
verwenden, wobei Fußball und Tennis auf Hallenboden eher ganz gemieden werden sollten, während sich das Radfahren für
das Kniegelenk günstig auswirkt. Bei akuten Schmerzen und Überwärmung oder Schwellung empfehlen sich kühle Umschläge
oder eine Eiskompresse, bei leichten Schmerzen sind warme Bäder oder Bestrahlungen wirksam.
Hüftgelenksbeschwerden können ebenfalls durch Gewichtsverminderung gelindert werden. Bewegung ist gut, übermäßige
Belastung schlecht. Daher sind Gehstrecken mit starken Steigungen ebenso zu meiden wie Tennis, Laufen und
Alpinskilauf. Empfehlenswert sind Schwimmen in warmem Wasser, überhaupt warme Bäder und Wärmebestrahlung.
Bei Schulterbeschwerden ist es wichtig, das Gelenk trotz der Schmerzen zu bewegen, damit die Beweglichkeit nicht
eingeschränkt wird. Bei akuten Schmerzen hilft ein kühler Umschlag oder ein Eisbeutel, bei leichten Schmerzen Bewegung
in Verbindung mit Wärme, also Schwimmen und Unterwassergymnastik, die, wenn die Schmerzen abgeklungen sind, auch im
Trockenen fortgesetzt werden sollte, weil durch die Kräftigung der Muskeln das Gelenk entlastet wird. Sportarten wie
Tennis und Ballspielen sind mit Vorsicht auszuüben, damit keine Überbeanspruchung und in der Folge neuerlich Schmerz
auftritt.
Die meisten rheumatischen Erkrankungen sind ein breites Anwendungsfeld für physikalische Therapien, seien es
Kälteanwendungen, Wärmepackungen, Bäder, Elektrotherapieverfahren, Lichtbehandlungen und Massagen. Diese
Behandlungsmethoden müssen jedoch sehr sorgfältig ausgewählt und in den übrigen Behandlungsrahmen eingefügt werden.
Die einzelnen Verfahren sind keineswegs bei jeder rheumatischen Erkrankung bzw. in jeder Phase gleich verträglich,
wenngleich sie insgesamt auf Schmerzlinderung, Dämpfen der Entzündung, Lockern von muskulären Verspannungen und
Förderung der Durchblutung hinzielen.
Bei chronischem Leiden ist allerdings ohne Medikamente keine anhaltende Besserung zu erzielen. Und diese wird auch nur
dann von Dauer sein, wenn sie durch Kranken- bzw. Heil-Gymnastik ergänzt wird. Weshalb Bewegungstherapie in
unterschiedlichen Formen auch unverzichtbarer Bestandteil einer Badekur ist.
Kann man rheumatische Erkrankungen mit einer bestimmten Ernährungsweise beeinflussen? Abgesehen von der Gicht – die
durch einen erhöhten Harnsäurespiegel bedingt ist und früher mit gutem Grund als ,,Krankheit der Reichen” bezeichnet
wurde, weil sie oft mit übermäßigem Fleisch- und Alkoholgenuß einhergeht – und einigen weiteren Sonderformen sind
Zusammenhänge zwischen rheumatischen Erkrankungen und Ernährung zur Zeit nicht eindeutig nachgewiesen.
Allgemein wird aber empfohlen, höchstens zweimal pro Woche Fleisch, aber mindestens zweimal pro Woche Fisch zu essen.
Weiters werden empfohlen: Gemüse, Obst, Sojagerichte, Milch und Milchprodukte sowie Verwendung hochwertiger
Pflanzenöle (Sonnenblumen-, Distel-, Walnuß, Weizenkeim- oder Rapsöl), die ebenfalls reich an ungesättigten Fettsäuren
sind.
Wer zu rheumatischen Erkrankungen neigt, sollte wenig Alkohol trinken und sich möglich viel in frischer Luft bewegen,
damit der Stützapparat des Körpers gefestigt und Bewegungseinschränkungen entgegengewirkt wird.
Als ergänzende Maßnahme zur medikamentösen Behandlung einer rheumatischen Erkrankung kann auch Akupunktur eingesetzt
werden. Laut WHO-Liste stellen vor allem das Schulter-Arm-Syndrom, der Tennisellbogen und die Lumbalgiebalgie (der
sogenannte Hexenschuß) Indikationen für die Akupunktur dar. Bei Tendomyalgien, schmerzhaften Verspannungen der
Muskeln, hat sich auch Biofeedback als zielführend erwiesen.
Nach wie vor hoch in der Gunst der Patienten steht die gute alte Rheumasalbe, der auch die Schulmedizin gewisse
Wirkungen zuschreibt. Vor allem dann, wenn es sich um geprüfte Arzneimittel handelt, die ihre Penetrations- und
Anreicherungsfähigkeit im entzündeten Gewebe im Test unter Beweis gestellt haben. Wichtig ist, sie am richtigen Ort
und in richtiger Weise anzuwenden. Rheumasalben eignen sich in erster Linie für die Behandlung eines
Weichteilrheumatismus zur Unterstützung einer systemischen Therapie. In leichteren Fällen können sie sich sogar als
ausreichend erweisen. In diesem Sinne kann auch Rheumatropfen eine analgetische (schmerzstillende) Wirkung nicht
abgesprochen werden.
Pflanzliche Heilmittel beeinflussen die Symptome rheumatischer Erkrankungen wie den Schmerz, die Schwellung und die Muskelverspannung, greifen aber nicht ursächlich in den Krankheitsprozeß ein. Das Indikationsgebiet erfaßt überwiegend den sogenannten Weichteilrheumatismus, das sind Schmerzen, die von den Muskeln, Sehnen, Bändern und von der Knochenhaut ausgehen. Die überwiegende Zahl der pflanzlichen Drogen wird äußerlich, d. h. durch Auftragen auf die Haut, angewendet. Einige Beispiele:
Arnica: Die Arnicablüte wirkt entzündungshemmend, schmerzhemmend und durchblutungsfördernd. Anwendung bei Schmerzen, die von der Muskulatur und den das Gelenk umgebenden Weichteilstrukturen ausgehen.
Brennessel: Das Brennesselkraut wirkt durchblutungsfördernd und wird äußerlich als Brennesselspiritus angewendet. Die Anwendung basiert auf langer Erfahrung.
Teufelskralle: Die Teufelskralle wirkt schmerzstillend und entzündungshemmend und wird in Form einer Teeabkochung bei allen Arten rheumatischer Beschwerden, insbesondere bei Arthritis, verabreicht.
Weidenrinde: Die Wirkung der Weidenrinde basiert auf deren Inhaltsstoffen wie Salicin und Salicortin, weiterentwickelt als “Aspirin” aus dem Arzneimittelschatz nicht mehr wegzudenken. Salicin hat eine ausgezeichnete entzündungshemmende Wirkung. Die Einnahme erfolgt in Form von Tee.
Wiesenkräuter: Wiesenkräuter werden therapeutisch als Heublumensack oder Badezusatz angewendet und haben eine als wohltuend empfundene Überwärmung der Muskulatur und Weichteilstrukturen um ein Gelenk zur Folge. Absolut unangebracht ist warme oder heiße Anwendung bei allen akut entzündlichen rheumatischen Krankheiten inklusive Hautveränderungen.