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Pflanzliche Abführmittel – sind nicht harmlos

Die Deutschen sind ein Volk der Schlucker. Zumindest was den Verbrauch von Abführmitteln angeht. 1995 deckten sich die Bewohner der alten Bundesländer mit 29,7 Millionen Packungen ein. Fast jeder vierte Deutsche glaubt, unter einem trägen Darm zu leiden und ein Mittel zur “Darmregulierung” zu brauchen. Aus Sicht der Mediziner erweist sich diese Einschätzung jedoch oft als falsch. Einen Darm, der dem von vielen für gesund gehaltenen Anspruch einer täglichen Entleerung nicht nachkommen kann, betrachten Mediziner noch lange nicht als verstopft. Ob zwei- bis dreimal täglich oder zwei- bis dreimal wöchentlich: alles gilt als normal.

Die Deutschen ein Volk mit “Darmbewußtsein”

Doch weder solche Entwarnungen, noch Warnungen der Ärzte – einige Mittel stehen im Verdacht, Krebs zu erzeugen – haben den Markt einbrechen lassen. Daß sich viele Menschen nur schwer mit dem Rhythmus ihres Darmes abfinden können, kommt nicht von ungefähr: “Darm in Ordnung – der ganze Mensch in Ordnung”, titelt eine große Pharmafirma mit reichhaltigem Abführmittel-Angebot und greift damit den weitverbreiteten Irrglauben und tief venvurzelte Vorstellungen über Ernährung und Ausscheidung, über körperliche und seelische Gesundheit auf.
Im Volks- und Aberglauben wird Kot mit Reichtum gleichgesetzt (“Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen”). Im Rheinland wird das leiblich-seelische Wohl der Familie schon mal mit einem “Man muß die Kinder am Kacken halten” umschrieben. Die eigenen Ausscheidungen sind auf der einen Seite innigster Teil von uns und sind uns zugleich bis zum Ekel fremd. Ein verstopfter Mensch gilt als seelisch verkrampft. Und da wir heute alle locker sein wollen, gehört ein Wort wie “Scheiße”, das früher verkrampft mit Worten wie “Sie nehmen da etwas in den Mund, was ich nur auf Schippe nehmen würde” kommentiert wurde, inzwischen zur Umgangssprache.

Verdacht auf Erbgut-Änderung und Krebs

Aber gleich, welche Einstellung vorherrscht: Ein “Darmbewußtsein” ist bei den meisten Menschen ausgeprägt – ganz zum Wohle der Hersteller von Abführmitteln, auf deren “Haufen” sich 1995 nach Auskunft des Bundesverbandes der Pharmaindustne immerhin Gewinne in Höhe von 175,8 Millionen Mark angesammelt haben. Gewinne der Apotheken und anderer Läden sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Es werden eben große Geschäfte mit dem “großen Geschäft” gemacht. Und ein großer Teil des Geldes für Abführmittel ist medizinisch unbegründet ausgegeben worden. Das eigentliche Problem aber liegt in der Schädlichkeit dieser Medikamente. Warnungen vor allzu freizügigem Gebrauch von Abführmitteln wollen viele Anwender nicht wahrhaben. Und noch immer hält sich der Irrglaube, pflanzliche Präparate seien von Haus aus mild, unschädlich und gesund. Doch die Rechnung “Natur gleich harmlos” geht nicht auf.

Ausgerechnet für einen großen Teil der pflanzlichen Abführmittel hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, eines der Nachfolge-Institute des Bundesgesundheitsamtes, inzwischen die Anwendung eingeschränkt. Im Kreuzfeuer steht der Wirkstoff Anthrachinon und stehen somit ,,Arzneimittel der Pflanzengattungen Andira, Cassia (Sennes-Blätter, -Früchte), Rhamus (Faulbaumrinde), Rheum (Rhabarberwurzel) und Aloe.” Ihr Einsatz ist durch das Bundesinstitut seit dem 1. November dreifach eingeschränkt worden: 1.nur noch zur kurzfristigen Anwendung – und zwar 2. nur noch bei Verstopfung (Obstipation) – also 3. nicht mehr auf anderen Anwendungsgebieten wie z.B. zur Verdauungsförderung oder zur sogenannten Blutreinigung oder als Mittel zur Gewichtsabnahme. Um dem Dauergebrauch der pflanzlichen Abführrnittel nicht Vorschub zu leisten, “dürfen die pharmazeutischen Untemehmer ihre Arzneimittel nur noch in entsprechenden Packungsgrößen anbieten.” Ab dem 1. Februar 1997 müssen deshalb “therapiegerechte Packungsgrößen” und entsprechend formulierte Beipackzettel auf dem Markt erscheinen. Den Großpackungen droht das Aus. Den Stein ins Rollen brachten gleich mehrere Untersuchungen: Der Inhaltsstoff Anthrachinon Danthron geriet in den Verdacht, im Tierversuch Krebs zu erzeugen. Außerdem tauchten Hinweise auf, daß einzelne Inhaltsstoffe der jetzt eingeschränkten Pflanzengattungen das Erbgut verändern können.

Die problematischen Mittel sind die Umsatzrenner

Eine Forschungs-Studie deckte auf, daß Patienten mit Darmtumoren möglicherweise häufig oder langfristig diese Abführmittel genommen hatten. Dieser Krebsverdacht wird weiter heftig diskutiert. Auf eines konnten sich allerdings alle mit der Thematik befaßten Forscher und Interessengruppen einigen, auf die Einschätzung: Anthrachinonhaltige Abführmittel sind bei Dauergebrauch schädlich. Doch genau diese Abführmittel werden mit am häufigsten genommen. Laut einer Studie, veröffentlicht im Bundesgesundheitsblatt 12/95, greifen mehr als 80 Prozent der Abführmittel-Anwender ausgerechnet zu dieser Medikamentengruppe. Natürlich gibt es auch Abführmittel ohne Anthrachinon. Doch auch sie zeigen im Dauergebrauch deutliche Risiken und deutliche Nebenwirkungen. Als Ausnahme gelten Mittel mitQuell- und Füllstoffen, aber diese Stoffe kann man bei Vollwert-Ernährung über die – ballaststoffreiche – Ernährung direkt und sehr viel preisgünstiger zu sich nehmen. Abführmittel entziehen dem Körper wichtige Mineralstoffe, problematisch sind vor allem die Verluste von Kalium. Dadurch kann die Muskulatur geschwächt werden – auch die Darm-Muskulatur. Das kann den Darm regelrecht lahmlegen, und ein Darm, dessen Wände sich nicht mehr wellenartig zusammenpressen, kann seinen Inhalt nicht gen Ausgang schieben. Die Folge: Eine anfangs vielleicht nur befürchtete Verstopfung wird bittere Realität – herbeigeführt durch langfristigen Gebrauch eines Abfühnnittels. Was die Darmentleerung erleichtern sollte, wirkt nun erschwerend. Ein Medikament schafft erst die Situation, die es beheben soll. Statt Abführmittel aber nun abzusetzen, erhöhen viele Menschen die Dosis – und geraten immer tiefer in den Teufelskreis. Für viele führt kein Weg daran vorbei, daß ihr Darm regelrecht entwöhnt werden muß. Auch andere Organe werden durch die Mineralstoffverluste in Mitleidenschaft gezogen: allen voran das Herz-Kreislauf-System, Nieren und Nerven. Zu befürchten sind solche Nebenwirkungen nicht nach einmaligem oder kurzfristigem Gebrauch. Riskant werden Abführmittel, wenn sie länger als höchstens ein oder zwei Wochen genommen werden.

Schwangere Frauen und stillende Mütter sollten lieber ganz die Finger von solchen Präparaten lassen.
Wichtig für Herzpatienten: Abführmittel können die Wirkung bestimmter Herzpräparate – z.B. Digitalis – verstärken. Deshalb vorher mit dem Arzt oder Heilpraktiker besprechen.

Medikamente – und wie sie wirken

Die Vielzahl der Präparate läßt sich in fünf Medikamentengruppen mit spezifischer Wirkweise und speziellen Gefahren einordnen. Die fünf Gruppen sind:

1. Darmreizmittel: Zu dieser Gruppe der “stimulierenden Abführmittel”, wie sie auch genannt werden, gehören
– Mittel mit nicht-pflanzlichen chemischen Wirkstoffen,
– die anthrachinonhaltigen pflanzlichen Präparate und
– Darmreizmittel mit Rizinusöl.
Stimulierende Abführmittel behindern die Rückgewinnung von Mineralien und Wasser aus dem Dickdarm: Der Stuhl wird voluminöser und weicher. Anthrachinon hat den Krebsverdacht nicht abschütteln können. Und da es in die Muttermilch übertritt, können bereits Säuglinge durch Abführmittel geschädigt werden. Andere chemische Wirkstoffe bergen ebenfalls Gefahren. Phenolphthalein zum Beispiel kann die Nieren reizen, den Darm schädigen und schwere Überempfindlichkeits-Reaktionen auslösen.

2. Gleitmittel: Vom Körper nicht verwertbare Öle dienen als “Schmiermittel”. Die Nebenwirkungen von Paraffinöl können allerdings beträchtlich sein: Appetitlosigkeit und Verdauungsstörungen sind noch vergleichsweise harmlos. Ernster wird es, wenn der Körper größere Mengen von Paraffin-Tröpfchen resorbiert: Fremdkörperreaktionen im Bauchraum machen dann zu schaffen. Manchmal gelangen Paraffintröpfchen in die Bronchien. Da der Körper sie nicht entfernen kann, treten Fremdkörperreaktionen in der Lunge auf: Schleimhautentzündungen, die Schäden hinterlassen. Bei Iängerem Gebrauch kann sich ein Mangel an fettlöslichen Vitaminen entwickeln.

3. Quell- und Füllstoffpräparate: Was die Ernährung nicht ausreichend bietet, läßt sich mit diesen Mitteln nachliefem: Ballaststoffe quellen auf, vergrößern das Volumen des Darminhalts und stimulieren die Darmwand zu ihren wellenförmigen Bewegungen. Wer jetzt allerdings nicht genug trinkt, erreicht das Gegenteil dessen, was er erreichen möchte: Kleie kann sich im Darm verklumpen und alles “dicht machen”. Wer mit Blähungen reagiert, sollte auf Präparate mit Flohsamen umsteigen, sie bilden weniger Darmgase. Ein Vorteil der Dann-Füllmittel: Sie stören den Mineralstoff- und Wasserhaushalt nicht und eignen sich deshalb als einzige für eine längere Anwendung.

4. Wasserbindende Mittel: Bittersalz und Glaubersalz verringern die Wassermenge, die der Körper aus dem Darm herauszieht. Der Darminhalt bleibt deshalb weich. Allerdings wird ein Teil des Natnums aus dem Glaubersalz vom Körper aufgenommen. Wer sich natriumarm ernähren muß – etwa bei Bluthochdruck oder Herzproblemen – muß sich nach einem anderen Mittel umschauen. Bei Bittersalz kann zu viel Magnesium in den Körper gelangen, wenn zum Beispiel Schäden an der Darmschleimhaut die Aufnahme erleichtern. Lactulose, Mannit und Sorbit können Kaliumverluste nach sich ziehen.

5. Bakterien aus der Pillenschachtel. In einem gesunden Darm tummeln sich viele lebenswichtige Bakterien. Bei Verstopfung ist ihre Umwelt jedoch gestört, krankmachende Keime können sich übermäßig vermehren. Präparate, die die zurückgedrängten Bakterien enthalten, sollen hier helfen ihre Wirkung ist aber wissenschaftlich umstritten.

Wer Abführmittel wirklich braucht

Trotz aller Probleme können Abführmittel in manchen Situationen sehr sinnvoll sein:

vor chirurgischen Eingnffen,
vor einer Röntgenaufnahme des Darmes,
vor einer Geburt (wobei hier in Kliniken zumeist ein Einlauf gemacht wird),
bei Vergiftungen,
wenn Bauchpressen beim Stuhlgang verhindert werden muß – etwa nach einem Herzinfarkt,
bei Schmerzen in der Aftergegend, etwa bei Hämorrhoiden.

In allen anderen Fällen gilt: Um die Gefahr von Nebenwirkungen zu verringern, Abführmittel höchstens ein bis zwei Wochen nehmen. Allerdings erst dann, wenn alle anderen Methoden voll ausgereizt wurden.

Achtung – diese Medikamente können Verstopfung fördern

Manche Medikamente legen die Darmmuskeln lahm und machen den Darm träge: Verstopfung tritt bei ihnen also als Nebenwirkung auf. Manchmal reicht es schon, das Präparat zu wechseln. Ohne Arzt bzw. Heilpraktiker sollten Sie diese Entscheidung allerdings nicht treffen. Auf keinen Fall sollten Sie wichtige Arzneien klammheimlich absetzen! Verstopfung hervorrufen können einige

  • Blutfettsenker,
  • Antidepressiva,
  • Herz-Kreislauf-Mittel
  • Psychopharmaka,
  • kodeinhaltige Hustenmittel,
  • kodeinhaltige Schmerzmittel,
  • Rheumamittel,
  • Rheumamittel,
  • Mittel gegen Sodbrennen,
  • Parkinsonmittel.

So bringen Sie Ihren Darm auf Trab

Bewegung. Schon ein ausgiebiger Spaziergang regt die Darmtätigkeit an. Ebenso Gymnastik, die die Bauchmuskeln kräftigt. Vielsitzer können es mit einem Sitzball versuchen: Beckenkreisen schafft Bewegung zwischendurch.

Entspannung. Über das vegetative Nervensystem reagiert der Darm empfindlich auf Hektik und Streß. Lassen Sie etwas Ruhe in Ihr Leben einkehren, besonders auf dem “stillen Örtchen” ist Muße angesagt. Erfolgsdruck ist der Feind guter Verdauung.

Essen. Erhöhen Sie den Anteil an Ballaststoffen. Den größten Effekt erzielt grobe Weizenkleie. Vollkorngetreide wirkt wesentlich stärker als die Ballaststoffe aus Gemüse und Obst. Bananen, Schokolade und Heidelbeeren stopfen. Wahre Wunder wirken eingeweichte Trockenfrüchte, am besten das Einweichwasser mittrinken.

Trinken. Mindestens zwei Liter müssen es täglich sein. Am besten morgens schon ein Glas Wasser auf nüchternen Magen. Buttermilch regt die Verdauung an; Kakao, schwarzer Tee und Rotwein stopfen.

Indianische Massage. Die Dakota-lndianer haben es raus: Lässig auf dem Boden sitzend und an einen Baumstamm gelehnt, massieren sie sich den Bauch mit einem flachen Stein: vom Nabel spiralförmig bis auf die Höhe des Brustbeines und wieder herunter, ein paar Minuten lang. Das bringt Dünndarm und Dickdarm in Schwung, so daß die “Sitzung” bald wieder klappt – ohne Medikamente und Nebenwirkungen!