Auge als diagnostisches Hilfsmittel
Die Diskussion über die
sogenannte Karlsruher Renaissance der Augendiagnostik reißt seit dem Erscheinen des Werkes von
VIDA DECK nicht mehr ab. Während man aber den Fürsprechern der Augendiagnostik in Wort und Schrift keinerlei
absolutistische Tendenzen unterstellen kann, lassen ihre Gegner bis auf wenige Ausnahmen jenes Maß an Sachlichkeit und
Toleranz vermissen, welches man im Geiste der Universitas bei der Auseinandersetzung über ein noch nicht vollständig
gelöstes wissenschaftliches Problem eigentlich erwarten sollte. Es wäre zu wünschen, dass der formale Ablauf des
Wettstreites, dessen Ausgang nach dem ersten überraschenden Torschuss ERNST VOLHARDs noch vollständig offen ist, dem
ungeschriebenen Gesetz der Fairness unterworfen würde.
Die negativistische Einstellung der Lehrmedizin zur Iris wird dem Medizinalpraktikanten schon bei der Abfassung seines ersten Krankenblattes geradezu symbolhaft eingeimpft, indem seine Aufmerksamkeit nur auf die Pupillenreaktion, aber niemals auf die Augenfarbe, von der die Klassiker der Medizin so viel zu berichten wussten, gelenkt wird. Da die Pupille aber erst durch das Vorhandensein der umgebenden Iris in Form und Bewegung zur Darstellung kommt, betrachtet er gewissermaßen ein optisches Vakuum und überlässt es fortan den Dichtern und Komponisten, die Augen als das Spiegelbild der menschlichen Seele zu besingen. Die Hochschulmedizin wünscht selbstverständlich mit Recht, ihr auf dem Boden exaktwissenschaftlicher Forschung aufgebautes Haus rein zu halten und begegnet daher mit verständlichem Misstrauen jedem, der sich ihr mit unbewiesenen und nicht erklärbaren Behauptungen nähert. Das entscheidende Kriterium für die Richtigkeit eines ärztlichen Verfahrens bleibt aber immer der Erfolg und nicht die Frage, ob das Verfahren wissenschaftlich begründet werden kann (WÜLLENWEBER).
Wer dem Geheimnis der Augendiagnostika nur einmal ernsthaft nachgegangen ist, wird nicht an der Feststellung
vorbeikommen, dass dieser Erfolg einer ganzen Anzahl von medizinischen Außenseitern und Augendiagnostikern beschieden
gewesen ist. Das kometenhafte Auftreten und Verschwinden von Kurpfuschern, in deren Gefolge psychogen beeinflussbare
Krankheitsbilder scheinbare Wunderheilungen erleben, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Anzahl von
Vertretern der weniger exakt wissenschaftlichen als empirisch praktischen Erfahrungsheilkunde seit Jahr und Tag in
aller Stille ohne viel Aufhebens und dazu noch ohne großes technisch diagnostisches Rüstzeug aus dem Auge brauchbare
und manchmal sogar überraschend exakte Diagnosen stellt.
Die medizinische Wissenschaft (Schulmedizin) wird der Situation nicht gerecht, wenn sie von anderen zwar exakte Beweise fordernd selbst aber ohne eingehende Beschäftigung mit der Materie von hoher Warte einfach verkündet, dass die Augendiagnostik das Werk von Scharlatanen und damit Schwindel sei. Auch der Hinweis auf die Kritiklosigkeit oder mangelnde Urteilskraft des Publikums sowie auf den Hang weiter Kreise zum Mystischen. nur eine bequeme, aber keinesfalls überzeugende Deutung. Mit falschen Diagnosen und ohne Behandlungserfolge lässt sich auf die Dauer auch gutgläubigste Patientenkreis nicht zum Narren halten. Sollte es daher nicht eine lohnende Aufgabe sein, dem der offiziellen Medizin bisher verborgen gebliebenen Kern der Wahrheit an der Augendiagnostik nachzuspüren und die Spreu des Unbrauchbaren vom Weizen des wissenschaftlich Nutzbaren zu trennen? Wer wagt unter diesen Umständen den ersten Stein zu werfen gegen die Männer, die sich dieser ungewöhnlich mühseligen, leider kostspieligen und wie wir inzwischen erfahren mussten – undankbaren Aufgabe unterzogen haben?
Als Anhänger der VOLHARDschen These möchte ich gegenüber ihren Gegnern die Erwartung aussprechen, dass sie sich zumindest vertraut machen sollten mit der Materie, über die sie ein Urteil abgeben. Es ist für beide Teile gleichermaßen peinlich, wenn die Lautstärke der Ablehnung sich als umgekehrt proportional zur sachlichen Vorbereitung erweist. Auch habe ich den Eindruck, dass es bei manchen sogenannten klinischen Überprüfungen der Augendiagnostik nicht an den Mitteln und Möglichkeiten, wohl aber von vornherein am guten Willen gefehlt hat. Bei exakter Prüfung eines Verfahrens muss man einen unvoreingenommenen, neutralen Ausgangspunkt wählen und sich davor hüten, das Endergebnis in vorgefasster Meinung zu präjudizieren (“weil so schließt man messerscharf nicht sein kann was nicht sein darf”).
Es geht bei dem Streit um den Wert der Irisdiagnostik nicht um die Prestigefragen zwischen Schulmedizin und Erfahrungsheilkunde, sondern die einfache, aber bedeutungsvolle Entscheidung, ob und in welchem Ausmaße das Auge als zusätzliches diagnostisches Hilfsmittel eine schnellere und die einheitliche Funktion des Körpers besser erfassende Beurteilung des Krankheitsgeschehens gestattet. Es ist nirgends die Rede davon, die in jahrzehntelangem Fleiß erarbeiteten diagnostischen Methoden, wie sie korrekt und erfolgssicher von Fachärzten und Kliniken angewandt werden, für überholt und überflüssig zu erklären, d. h. dass die Augendiagnostik die bisher übliche klinische Befunderhebung ersetzen könne. Jeder vernünftige Vertreter der Heilkunde wird den Leistungen der modernen Wissenschaft in der Verfeinerung ihrer Diagnostik seine Anerkennung nicht versagen und in unklaren Fällen dankbar auf das zur Verfügung stehende technisch diagnostische Rüstzeug der Klinik zurückgreifen.
Der in dieser Richtung temperamentvolle Widerstand der Schulmedizin geht aber an der klar und einfach formulierten Fragestellung VOLHARDS: “Gibt es Iriszeichen, die auf Organe bzw. Organerkrankungen hinweisen?” völlig vorbei. Am Schluss seines Geleitwortes zur “Klinischen Prüfung der Organ und Krankheitszeichen in der Iris” heißt es wörtlich: “Es gibt leider immer noch sog. Wissenschaftler, die sich nicht überzeugen lassen wollen, diesen ist nicht zu helfen. Aber den wirklichen Wissenschaftlern, die den offenen Blick behalten haben auch für solche Probleme, in denen es zunächst noch keinen Zugang zu geben scheint, möge dieses Buch zeigen, dass an der .Irisdiagnostik ‘etwas daran ist’, sehr viel mehr sogar, als wir selbst zunächst glaubten. Es gebe zugleich einen Hinweis darauf, dass die klinischen Methoden der Befunderhebung immer eine interessante, “seltener einmal eine entscheidende”, wenn auch noch in ihrem Wesen ganz rätselhafte Bereicherung und Ergänzung durch die Irisdiagnostik erfahren können.”
Auf der Linie dieser klar umrissenen Fragestellung und Wertung des Problems gestalten sich meine weiteren Ausführungen, mit denen ich mich im vollen Bewusstsein meiner Verantwortung hinter die von ERNST VOLHARD vertretene Auffassung stelle. Der Facharzt für Augenheilkunde und innere Medizin, Dr. med. W. Kosinski schreibt in einem Aufsatz, den ich fand (ich zitiere):
“Als gelehriger Schüler der Universitätsmedizin habe ich ihren ablehnenden Standpunkt in früheren Jahren geteilt und
in
zahlreichen Gesprächen verteidigt, indem ich die jedem Augenarzt geläufige Erkennung von bestimmten Krankheitsbildern
aus dem Augenhintergrund mit Hilfe des Augenspiegels als sogenannte exakt wissenschaftliche Augendiagnostik sensu
strictiori bejahte, während die eigentliche Augen oder Irisdiagnostik von mir als nicht existent in das Reich der
Fabel verwiesen wurde. Aber immer wieder war ich beeindruckt und schließlich geradezu deprimiert von der Tatsache,
dass meine Ansicht selbst von intelligenten und urteilsfähigen Köpfen meiner nichtärztlichen Zuhörerschaft fast nie
geteilt, sondern geradezu mit kühler Reserviertheit beantwortet wurde, weil fast jedes Mal einer in der Runde saß, der
aus eigener Erfahrung oder aus dem Kreis seiner Familie Gegenteiliges zu berichten wusste. Die von weiten Kreisen der
Öffentlichkeit seit Jahrzehnten bewiesene unerschütterliche Anhänglichkeit gegenüber der von der offiziellen Medizin
so befehdeten Augendiagnostik ist wohl mit ein Grund dafür, dass auch andere unvoreingenommene Geister allmählich
hellhörig geworden sind.
Unter diesem Eindruck und in dem unbestimmten Gefühl, dass in der Irisdiagnostik offenbar doch ein wahrer Kern stecken
müsse, fasste ich vor 4 Jahren den Entschluss, selbst nach bestem Wissen und Können die Augendiagnostik einer
Überprüfung zu unterziehen.
Gerüstet mit den erforderlichen technischen Einrichtungen des Augenarztes und für die Beurteilung des angeschnittenen Fragenkomplexes gewissermaßen legitimiert durch eine langjährige internistische Ausbildung, habe ich mich an die Arbeit gemacht, wobei mich meine s.Zt. durchaus negative Grundeinstellung keineswegs daran gehindert hat, direkt in die Höhle des Löwen vorzudringen. Nachdem ich mit erfahrenen Augendiagnostikern Kontakt aufgenommen hatte, kam mir sehr bald zu Bewusstsein, dass eine direkte praktische Unterweisung zumindest in den Anfangsgründen die Erkenntnis besser fördert als das theoretische Studium der wenigen und nur zum Teil brauchbaren Bücher. Wahrscheinlich ist diese praktische Lehrzeit unerlässlich und ihre Versäumnis ein erster gewichtiger Grund dafür, dass manche Kritiker den rechten Weg verfehlt haben.
Es ist undenkbar, dass ein angehender Klavierschüler nach kurzem theoretischem Studium der Harmonielehre sofort eine Mozartsonate zu Gehör bringt, obwohl die Tasten des Instrumentes in Weiß und Schwarz für die ungeübten Finger genau so offen zur Betätigung da liegen wie die Fasern und Strukturen der Iris für die natürlich ebenso ungeübte optische Betrachtung. Anscheinend wird es aber von einigen Wissenschaftlern für möglich gehalten, nach der Lektüre des Werkes von VIDA DECK oder von MAUBACH ohne weitere Anleitung, Übung oder Einarbeitung sofort vergleichende Untersuchungen zwischen klinischer Diagnose und Irisbefund durchzuführen und das Ergebnis als “wissenschaftliche” Überprüfung zu veröffentlichen. Mit gelenkigen Fingern greifen können, beinhaltet noch nicht die Kunst des Klavierspielens, und mit normalsichtigen Augen eine Iris betrachten, ist selbst bei Anwendung mikroskopischer Vergrößerung nicht identisch mit der Fähigkeit, irisdiagnostische Zeichen wahrzunehmen. Erst der lange, mühevolle und dornenreiche Weg der täglichen zuchtvollen Übung und Schulung der Sinnesorgane gestattet auf beiden Gebieten das Heranreifen eines soliden Könnens, mit dem man sich hören und sehen lassen kann. Auch der gutwillige und lernbegierige Anfänger scheitert zunächst immer wieder an der kaleidoskopartigen Variabilität der Irisstruktur und es bedarf geradezu eines geistigen und sinnesphysiologischen Trainings, um nach zahlreichen Enttäuschungen und Irrtümern – bei einer aufgelockerten, lakunenreichen Iris pathologisch zu wertende Krankheitszeichen von der Vielfalt der normalen Variationen unterscheiden zu können. Diese scheinbar chaotische Unordnung vieler Iriden ist ein weiterer Grund für das Versagen ernsthafter Untersucher, deren Arbeit in diesem Stadium ihres Wirkens durch lähmende Zweifel ihr Ende gefunden hat. Einen dritten Grund für das Abschwenken einiger Untersucher vermute ich in ihrer mangelnden inneren Bereitschaft, sich auf die von den Augendiagnostikern benutzten Bezeichnungen umzustellen (Unter und Überreizung, Vertrocknungszeichen, Substanzzeichen, Eindickung des Blutes und der Galle, Schärfe der Säfte u.a.m.). Man darf natürlich nicht unsicher werden in der gefühlsmäßig falschen Vorstellung, dass man beim Lesen oder Benutzen solcher Formulierungen sich auf ein unwissenschaftliches Niveau begeben habe. Vielmehr muss man sich der Mühe unterziehen, derartige durchaus kennzeichnende und z. T. auch der klassischen Medizin nicht fremde Begriffe nach ihrer Bedeutung und ihrem Wesensinhalt zu erfassen und in den uns geläufigen Sprachschatz pathophysiologischer Vorstellungen zu transponieren. Die Tatsache, dass ein versierter Augendiagnostiker auch in solchen Fällen noch eine richtige Diagnose stellte, in denen ich nichts zu sehen vermochte, half mir in den vergangenen Jahren über manchen toten Punkt meiner eigenen Arbeitsanstrengungen hinweg. Ein scheinbares Versagen sollte man also auch einmal in den Mängeln der eigenen Person und nicht nur in der Unzulänglichkeit der Methode suchen.
Das Ergebnis meiner an mehreren tausend Augenpaaren durchgeführten Überprüfung der Irisdiagnostik veranlasst mich
zu
der Feststellung, dass die Iris in Farbnuancierung und Struktur mehr repräsentiert als eine einfache optische Blende.
Damit erweist sich die erst kürzlich von autoritativer Seite aufgestellte Behauptung, dass die Irisdiagnostik mit dem
Felke Prozess ihr unrühmliches Ende gefunden habe, als revisionsbedürftig. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die von
den Augendiagnostikern beschriebenen und von der Karlsruher Medizinischen Klinik in klinischer Prüfung zur Darstellung
gebrachten Organ und Krankheitszeichen der Iris in einer beträchtlichen Anzahl der untersuchten Fälle tatsächlich
objektiv nachweisbar sind. Obwohl mir keine Klinik zur Verfügung stand und trotz der scharfen Abgrenzung der
Fachgebiete durch eine etwas engherzige Facharztordnung, habe ich nach Überwindung einiger formaler Schwierigkeiten
meine Arbeitsweise so einrichten können, dass mir die klinischen Unterlagen, also Rö Filme, EKG, Laborbefunde usw. im
Original oder zumindest in Gestalt eines epikritischen Berichtes jeweils vorgelegen haben. Eine routinemäßige
ophthalmologische Durchuntersuchung im Rahmen augenärztlicher Sprechstundentätigkeit hätte natürlich niemals
ausgereicht, um Erfahrung und Sicherheit in der Beurteilung substanzieller Veränderungen der Irisstruktur im Sinne der
Iridologie zu gewinnen. Meiner örtlichen Standesorganisation schulde ich Anerkennung und Dank, dass sie trotz mancher
Gerüchte obskuren Charakters über mein Wirken und bei den praktisch unvermeidbaren Exkursionen auf andere Fachgebiete
die Ernsthaftigkeit meines Wollens bisher nicht in Zweifel gezogen hat.
Es ist im Rahmen dieses Aufsatzes natürlich nicht möglich und auch nicht nötig, auf die spezielle Struktur und Lokalisation der Iriszeichen einzugehen (hierüber siehe VIDA DECK, MAUBACH, SCHNABEL, ANGERER, HENSE, FUNK, SCHULTE, KRIEGE u. a.). Auch die Tatsache, dass in einem Teil der Fälle bei klinisch manifester Erkrankung keine Iriszeichen gefunden werden, ist keine belastende Hypothek für die Grundfeststellung von VIDA und DECK, dass die Iriszeichen zunächst einmal in der Hälfte bis zu Zweidrittel des überprüften Krankengutes ein Häufigkeitssatz, den ich in etwa bestätigen kann tatsächlich vorhanden sind. In der Aufklärung der ursächlichen Hintergründe, warum in manchen Fällen die trophische Reflexwirkung vom geschädigten Organ zum korrespondierenden Irissektor ausbleibt, sehen wir eine Teilaufgabe unserer Arbeit, deren Lösung noch vor uns liegt.
Weniger Kopfzerbrechen bereitet uns das Auffinden von Iriszeichen bei Personen, die als gesund angesehen werden. Jeder Internist weiß aus der versorgungsärztlichen Gutachterpraxis, dass er, häufiger als dem Antragsteller lieb ist, das vorgebrachte Leiden als vorwiegend aus inneren Ursachen entstanden und, somit als anlagebedingt bezeichnen muss.
Ich nenne hier Ulcus duodeni et ventriculi, Pankreas Diabetes, Hypertension, vorzeitige Atherosklerose, konstitutionelles Emphysem, Cholelithiasis, Nephrolithiasis und Adipositas. Wenn diese Anschauung und Handhabung der Gutachterpraxis zu Recht besteht, so muss in logischer Konsequenz angenommen werden, dass die Krankheitsanlage präformiert in der Konstitution genotypisch verankert und damit gegebenenfalls auch phänotypisch nachweisbar ist. In der Tat finden sich überzeugende Anhaltspunkte für das Bestehen von mehreren, iridglogisch gekennzeichneten Konstitutionsgruppen, auf deren Boden sich die Krankheitsbereitschaft für bestimmte Organe oder Organsysteme im Sinne der Funktionspathologie frühzeitig, d.h. schon vor Manifestwerden der Erkrankung differenzieren lässt. Aus diesem Grunde sehen wir bei Personen, die klinisch als gesund gelten, fast niemals die von den Kritikern für diesen Fall geforderte völlig reine und ideal-unberührte Irisstruktur.
Die Zeit für die Mitteilung von Einzelheiten über iridologische Konstiutionsgruppen und Organdispositionen ist noch nicht reif. Wer aber Zweifel hegt, ob z.B. die Grundfarbe der Iris konstitutionstypisch etwas bedeutet oder nicht, der möge sich die Frage vorlegen, ob und wenn ja, wie oft – er in seiner klinischen Tätigkeit eine Hyperthyreose oder das Vollbild Basedow mit braunen Augen gesehen und behandelt hat.
Mit den allbekannten Konstitutionstypen KRETSCHMERS oder der Typeneinteilung von LAMPERT und CURRY haben die iridologischen Konstitutionstypen wenig oder nichts zu tun, da es sich hierbei nicht um exakt messbare morphologisch stabile Formen, sondern um eine dynamisch-labile Funktions- oder Reaktionsbereitschaft des Organismus handelt. Erst in zäher Kleinarbeit und in langjährigen Beobachtungsreihen werden sich die geheimnisvollen Zusammenhänge zwischen Irisbild und Disposition, deren Vorhandensein ich in den folgenden Praxiserlebnissen heute nur andeuten kann, hinreichend objektivieren lassen.
Wiederholt hatte ich Gelegenheit, Reihenuntersuchungen an jungen Menschen zwischen 18 und 22 Jahren vorzunehmen, die in ihrer Anamnese außer Kinderkrankheiten nichts Besonderes aufzuweisen hatten. Verschiedentlich sah ich dabei Iriszeichen, die nach Lage und Struktur an das Bild ulceröser Schleimhautprozesse am Duodenum erinnerten. Durch gezielte Befragung konnte ich in diesen Fällen fast immer feststellen, dass der Vater oder der Großvater an Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren gelitten hatte und dass der Prüfling nach dem Genuss von Kuchen oder Kaffee ein Brennen in der Speiseröhre empfand, welches er bisher nicht besonders beachtet hatte. Die Bereitschaft zur Ulcuserkrankung war also schon erkennbar. Erst der Einfluss schädigender Umwelteinflüsse oder anderer mit der Krankheitsanlage in Wechselwirkung stehender Faktoren lässt das Ulcus als Krankheitsbild manifest werden. Vor einem Jahr verordnete ich einem mir gut bekannten Herrn eine Lesebrille. Bei der Untersuchung der Augen streifte mein Blick auch die Iris, die an typischer Stelle am Krausenrand bei 8 Uhr ein Ulcus duodeni anzeigte. Als ich mich bei meinem Patienten vorsichtig nach der Bekömmlichkeit verschiedener Speisen erkundigte, antwortete er, dass er alles vertragen könne und noch niemals in seinem Leben über Magenbeschwerden zu klagen gehabt habe. Ich hatte diesen Fall innerlich schon als Minuspunkt für die Augendiagnostik abgebucht, als derselbe Patient vor kurzer Zeit wieder meine Praxis betrat, allerdings erheblich abgemagert und am Stock gehend. Er war soeben, aus einem Krankenhaus entlassen worden. Die Diagnose lautete: Schwere Bauchfellentzündung nach perforiertem Zwölffingerdarmgeschwür. Es kann im vorliegenden Fall retrospektiv leider nicht mehr entschieden werden, ob es sich bei dem Iriszeichen vor einem Jahr um ein Dispositionszeichen oder um ein Krankheitszeichen der Iris bei manifester Erkrankung gehandelt hat.
Auch ein anderer Fall gestaltete sich besonders für den leidtragenden Patienten sehr eindrucksvoll. Im März vorigen Jahres begab ich mich während eines Wochenendes in ein Nordseebad, um daselbst ein Sommerquartier für den Jahresurlaub ausfindig zu machen. Dabei machte ich die Bekanntschaft eines Geschäftsmannes, der mich im Verlaufe der Unterhaltung nach meiner Meinung über die Augendiagnostik fragte. Während ich mich mit ihm unterhielt, konnte ich unauffällig seine Iris beobachten. In der Hoffnung, meine Ansicht durch eine zutreffende Diagnose bekräftigen, zu können, sprach ich die Vermutung aus, dass er wohl sehr an Katarrhen der oberen Luftwege leiden müsse und das Auftreten eines Heuschnupfens bei ihm nicht ausgeschlossen sei. Meine Enttäuschung war groß, als mir die Antwort zuteil wurde, er sei noch nie krank gewesen und leide daher auch nicht an Katarrhen. Nachdem ich die Angelegenheit längst vergessen hatte, suchte mich drei Monate später der Betreffende während meines Urlaubs mit der überraschenden Mitteilung auf, dass er seit 8 Wochen wegen eines hartnäckigen Heuschnupfens in ärztlicher Behandlung stehe, wobei er mir als Beweismittel eine Flasche Antistin Privin und mehrere Antihistarninica in Tablettenforrm auf den Tisch legte. Auch sonst beobachtete ich an Hand meiner Patientenkartei mit einer Häufigkeit, die das Vorliegen einer zufälligen Übereinstimmung ausschließt, dass zahlreiche, den Patienten noch unbekannte, iridologisch aber vorgezeichnete Erkrankungen (U1cuskrankheit, Gallenblasenentzündung, Blinddarmentzündung, Nierensteinleiden) bei einem späteren Besuch nach Monaten oder Jahren manifest geworden waren.
Die geschilderten Beobachtungen über Iriszeichen, die der manifesten Erkrankung vorauszugehen scheinen, sollen aber
lediglich eine Anregung zum Nachdenken sein und stellen angesichts der kaum zu erreichenden Objektivierbarkeit
derartiger Zusammenhänge kein stichhaltiges Beweismaterial dar.
Die Auswertung der Iriszeichen ist jedoch mit der Erkennung reflexgesteuerter Organ und Krankheitszeichen als Hinweis
auf manifeste oder in Entwicklung begriffene Organerkrankungen noch nicht erschöpft, vielmehr vermittelt uns die Iris
vielfach auch den Schlüssel für die kausalen und konditionalen Zusammenhänge zwischen lokalem Krankheitsbild und
Konstitution des Kranken. Die Irisdiagnostik lehrt uns damit, den Blick über das erkrankte Organ hinweg auf die
Gesamtpersönlichkeit des Kranken zu richten. Die Erkrankung, z.B. eine nicht infektiöse Conjunctivitis oder eine
Gastritis, wird damit gewissermaßen zum Teilsymptom einer übergeordneten Organdisposition, hier also der
Katarrhneigung der Schleimhäute. Dies bedeutet einen wertvollen Schritt vorwärts, denn wir beurteilen auf diese Weise
mit Hilfe der Iris nicht nur das kranke Organ, sondern den kranken Menschen als Ganzes. Aus dieser Perspektive ergibt
sich fast zwangsläufig die Wichtigkeit einer Allgemeinbehandlung im Sinne der Konstitutionstherapie (ASCHNER) auch für
die Beseitigung von scheinbar rein örtlich bedingten Erkrankungen. Deshalb sollte jede diagnostische Methode mit Fleiß
ausgebaut werden, die in ihrer Handhabung gezielte therapeutische Hinweise zu geben vermag.
Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich angesichts der geringen Rückbildungstendenz der 1riszeichen die
Möglichkeit ergibt, bereits abgelaufene Krankheiten und z. T. sogar alte Verletzungen aus der Iris zu erkennen. Die
Erhebung der “Irisanamnese” ist denn wohl auch in ihrer verblüffenden Wirkung auf den Patienten ein psychologisch sehr
wirkungsvoller Faktor im Kontakt zwischen Augendiagnostiker und Patient. Die Kunst iridologischer Auswertung
verkörpert somit eine in folgenden Punkten bedeutsame Trias:
1. Hinweise auf Organdisposition und Krankheitsbereitschaft (Prophylaxe, Präventivmedizin).
2. Kennzeichnung manifester Organerkrankungen im Lidite der Konstitution (Diagnostik und Therapie im Status
präsens).
3. Erkennung abgeschlossener Schäden (Anamnese).
Die folgenden Krankheitsfälle dürften nicht nur im Lichte diagnostischer Klärung, sondern auch aus der therapeutischen Perspektive interessant und anregend sein:
Fall 1:
Ein 46-jähriger Arbeiter fällt seinem Arbeitgeber durch allzu häufige Krankmeldungen auf. Seine Magenbeschwerden führen ihn zuerst zu einem Internisten, der nach Röntgenuntersuchung des Magendarmkanals und fraktionierter Ausheberung des Magensaftes eine hyperacide Gastritis feststellt. Mit einer großen Flasche Aludrox kehrt er an seinen Arbeitsplatz zurück und führt zu Hause gemäß fachärztlicher Anweisung eine AzuIon Rollkur durch. Bald darauf wird ein Augenarzt konsultiert, der die entzündeten Bindehäute mit Argentum touchiert und verschiedene Augentropfen und Salben verordnet. Der Bindehautkatarrh ist kaum abgeklungen, da stellt sich eine anhaltende nächtliche Atemnot ein, deren anatomisches Substrat nach Mitteilung des konsultierten Spezialisten in einer spastisch asthmoiden Bronchitis zu suchen ist. Wiederum versäumt er wertvolle Arbeitsstunden. Schließlich stellen sich auch noch Blasenbeschwerden ein. Zu einer Inspektion des Lokalbefundes vermittels Cystoskopie kommt es aber nicht mehr, da der Patient nunmehr auf Anraten von Freunden einem Augendiagnostiker “in die Hände fällt”. Dieser betrachtet die Iris und erklärt mit schlichten Worten: “Der Mann leidet überall an entzündeten Schleimhäuten. Das bringen wir weg!” Der Patient bekam konstitutionsumstimmende Mittel, der Magendarmkanal wurde durch abführende Tees gereinigt, Maßnahmen zur Anregung der Hautfunktion wurden ergriffen, schließlich wurden organspezifische Mittel des homöopathischen Arzneischatzes verordnet, unter denen die universell in Aufruhr befindlichen Schleimhäute sichtlich zur Ruhe kamen. Die örtlichen katarrhalischen Erscheinungen sind seitdem so gering, dass der Patient mit Zufriedenheit und ohne Unterbrechungen seinen Arbeitsplatz ausfüllen kann. Die – jeweils nur für ein bestimmtes Schleimhautareal zugelassenen Spezialisten hat er seit dieser Zeit nicht mehr in Anspruch genommen.
Fall 2:
Der 24-jährige Angestellte eines bekannten Werkes liegt seit Wochen bettlägerig danieder mit Schmerzen und Erguss im
rechten Kniegelenk. Nach Einweisung in stationäre Behandlung glaubt man, eine Tbc Erkrankung des Gelenkes nicht
ausschließen zu können und legt das Bein in eine Gipsschiene. Nach wochenlanger Behandlung wird der Patient, der wegen
guter beruflicher Leistungen gefördert werden soll, als gebessert entlassen. Bald darauf’ erkrankt das andere
Kniegelenk an ähnlichen Erscheinungen. Nachdem auch die Fußgelenke zeitweise bei Bewegungen schmerzen, wird angesichts
der stets erhöhten BSG und gelegentlicher subfebriler Temperaturen die Diagnose “Gelenkrheumatismus” gestellt. Die
Suche nach dem streuenden und allergisierenden Herd wird von allen Seiten energisch durchgeführt, das Ergebnis ist
jedoch negativ.
Nachdem der Krankheitsprozess sich in dieser Form fast ein Jahr hingeschleppt hat, entschließt man sich zur
Überweisung in eine Universitätsklinik. Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass der 6 wöchige Klinikaufenthalt unter
Ausnutzung jeder sich bietenden diagnostischen Möglichkeit dazu benützt wurde, die Ursache des Fiebers und damit den
aktivierenden Herd ausfindig zu machen. Der Herd wurde jedoch nicht gefunden, die in Frage kommenden Organe erwiesen
sich als klinisch gesund. Immerhin gelang es, mit Hilfe von Cortison in lokaler Anwendung (Compound F) die Kniegelenke
symptomatisch von Erguss und Schmerzen zu befreien. Wenige Wochen nach seiner Entlassung aus der Universitätsklinik
war zum Leidwesen des jungen Mannes der Rheumatismus in voller Stärke rückfällig geworden. Schließlich wurde nach
Rücksprache des Vaters mit mir als ultima ratio die Irisdiagnostik zu Rate gezogen. Die iridologischen Zeichen des
vorwiegend braunen Auges wiesen auf Duodenum (Katarrh) und Gallenblase (Cholecystitis). Den unfreiwilligen Beweis für
die Richtigkeit der Diagnose erbrachte der Patient selbst 10 Tage später durch eine typische Gallenkolik, die sich bei
einer Geburtstagsfeier nach Genuss von Ölsardinen und Eis einstellte.
Es ist nicht Aufgabe dieser Schilderung, die angewendeten therapeutischen Maßnahmen im Einzelnen darzulegen, sie waren jedenfalls eindeutig auf die Beseitigung des Herdes im Bereich der Gallenblase gerichtet. Der weitere Verlauf gestaltete sich für alle Beteiligten sehr eindrucksvoll: der Gelenkerguss verschwand ohne weitere örtliche Maßnahmen aus beiden Kniegelenken, die Blutsenkung betrug nach 6 Wochen 5 mm in der ersten Stunde, nachdem sie in den vorangegangenen 12 Monaten zwischen 13 und 32 geschwankt hatte. Subfebrile Temperaturen wurden ebenfalls nicht wieder beobachtet. Eine zur Schonung des Gallensystems ausgerichtete Kost und die kurmäßige Anwendung von Sepdelen 7 sind die einzigen z. Zt. durchgeführten Maßnahmen, unter denen sich der junge Mann seit vielen Monaten gesund und voll leistungsfähig fühlt.
Welche Lehre und Nutzanwendung können wir aus den vorstehend beschriebenen Beispielen ziehen?
Zu 1:
Es besteht kein Zweifel, dass die konsultierten Fachärzte jeweils die richtige Organdiagnose ihres Fachgebietes
gestellt und ihren Patienten mit dem lokalistisch therapeutischen Rüstzeug der Schulmedizin lege artis behandelt
haben. Der Augendiagnostiker sieht das Krankheitsbild anders: Er spricht von einer lymphatischen, evtl. von einer
lymphatisch scrophulösen Konstitution und erkennt an den circulär angeordneten weißgelblichen Flocken (Wattebäuschchen
nach DECK) die universelle Bereitschaft der Schleimhäute zu Katarrhen. Er bringt mit Hilfe der Irisdiagnose sämtliche
Krankheitsmanifestationen unter einen Hut und richtet seine Behandlung nach dieser Erkenntnis ein. Seine Verordnungen
bezwecken weniger eine lokale Einwirkung auf das singulär erkrankte Organ, sondern zielen auf eine Entlastung der
Schleimhäute ab, die seiner Meinung nach “durch einen Ausscheidungskatarrh belastet” sind (erkennbar an der toxisch
braunverfärbten Iriskrause). Die Anwendung einer “Ableitung auf den Darm” durch purgierende Mittel und Anregung der
Haut (schlechte Durchblutung und mangelhafte Schweißausscheidung der Haut ist an einem dunklen Hautring am Limbus
erkennbar) in Verbindung mit Schwitzprozeduren trägt dieser Vorstellung Rechnung. Auch die medikamentösen Verordnungen
betreffen in erster Linie allgemeine, schleimhautberuhigende und erst in zweiter Linie organspezifische Mittel des
homöopathischen Arzneischatzes. Es bleibt jedem Leser dieser Zeilen unbenommen, die von mir interpretierten
Gedankengänge für unwissenschaftlich oder gar falsch zu halten, der Erfolg des Außenseiters und die Zufriedenheit des
Patienten lassen sich dennoch nicht wegdiskutieren. Es sei nur am Rande erwähnt , dass durch den geschilderten Fall
nicht nur medizinisch wissenschaftliche, sondern auch wirtschaftliche Fragen berührt werden, wenn man die schlichte
Einfachheit der irisdiagnostischen Klärung mit den Aufwendungen für die zuvor in Anspruch genommene diagnostisch
technische Apparatur in Vergleich setzt.
Zu 2:
Die Beurteilung dieses Krankheitsfalles bedarf keiner weiteren Erklärung. Es sollte lediglich ein überzeugendes Beispiel dafür gebracht werden, dass die Augendiagnostik auch dann einmal in entscheidender Weise Hilfestellung geben kann, wenn sogar einer Universitätsklinik mit ihren fast unbegrenzten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten ausnahmsweise der Erfolg versagt geblieben ist.
Möge es der Weisheit einer Fakultät doch gegeben sein, eine Brücke zwischen den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den Erfolgen der empirisch praktischen Erfahrungsheilkunde zu schlagen. Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, wann die reflexogen nervale Korrespondenz zwischen Iriszeichen und Nosos des Organs eine auch in anatomisch physiologischer Hinsicht befriedigende Erklärung finden wird und man sollte deshalb aufhören, die an der Verbesserung der Irisdiagnostik arbeitenden Praktiker mit einem Argument zu bekämpfen, zu dessen Beibringung die Experimentalmedizin selbst berufen und aufgerufen selbst ist. In der Zwischenzeit mag uns die bewährte Arbeitshypothese helfen, wonach Sphincter und Dilatator pupillae im hinteren Pigmentblatt der Iris infolge ihrer ambivalenten Innervation enge Beziehungen zum gesamten vegetativen Nervensystem unterhalten. Da die Bewegungen der Pupille bei gesunden Individuen in allen Radien und Sektoren gleichmäßig erfolgen, darf man wohl annehmen, dass die Nervenfasern des Sympathicus und Parasympathicus in derselben logischen Ordnung in die Irisgrundplatte einstrahlen wie die lichtpercipierenden Neurone der Sehbahn in die Netzhaut, die entwicklungsgeschichtlich als innerer Belag des Augenbechers mit der Irisgrundplatte verwandt ist, Lokale trophische Einflüsse über vegetative Nervenfasern führen wahrscheinlich zu Spannungs- und somit zu Gewebsveränderungen im Irisstroma des Sektors, der nach empirischen Beobachtungen einer bestimmten Körperregion zugewiesen wird. Dass allgemeine trophische Einflüsse des Nervensystems auf die Iris zu bestehen scheinen, beschreibt BING in seinem Lehrbuch der Nervenkrankheiten im Zusammenhang mit den oculopupillären Symptomen der Tabes, wo er von einer eigenartigen, wahrscheinlich trophisch bedingten Atrophie des Irisgewebes spricht. Auch das Krankheitsbild der Iridocyclitis bei Heterochromie verdient in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden obwohl es sich hierbei um eine echte örtliche Erkrankung des Auges handelt.
Auch andere Forschungsergebnisse der anatomischen Wissenschaft bieten sich zur Erklärung irisdiagnostischer Phänomene an, ohne bisher in dieser Richtung ausgenutzt worden zu sein. Prof. Clara erwähnt in seinem umfangreichen Werk über die Anatomie des Nervensystems das Vorhandensein zentrifugaler Fasern des Fasciculus opticus. Die Fasern entspringen aus dem Gebiet der vorderen Zweihügel und aus dem zentralen Höhlengrau des Zwischenhirns und enden in der Netzhaut. Die Aufgabe dieser Fasern ist nach Clara noch unbekannt, er hält jedoch ihre Funktion für bedeutsam, weil sie auch bei niederen Tieren schon angelegt und ausgebildet sind. Da die Netzhaut (pars optica), das Corpus ciliare (Sekretion des Kammerwassers) und die Iris (Sphincter und Dilatator iridis) eine ontogenetische Einheit darstellen, wäre m. E. zu prüfen, ob die Fasern in radiärer Ordnung bis zur Irisgrundplatte vorstoßen und dort ebenfalls erkennbare Veränderungen bewirken können.
Die den Uneingeweihten so merkwürdig anmutende Tatsache, dass die Verhältnisse des Intestinaltraktes iridologisch in der sog. L Zone (= peripupilläres Gebiet bis zur Iriskrause) zur Darstellung kommen, erscheint weniger verwunderlich, wenn man die phylogenetische Entwicklungsgeschichte der Organismen von der Morula zum Bechertier und vom Wurm zum Säugetier verfolgt. Der anlagemäßige Grundriss der Organismen ist das endodermale Darmrohr, in welchem sich einige Zellen zu Nervenzellen entwickeln. Erst bei den nächst höheren Entwicklungsstufen trennt sich unter Beibehaltung der Urform des Rohres und unter Ausbildung von Reflexbögen des sog. idiotropen Nervensystems das ektodermale Medullarrohr vom entodermalen Darmrohr. Aus der ontogenetischen Entwicklung wissen wir, dass sich das Auge als vorgeschobener Gehirnteil unter Ausbildung eines Augenbechers entwickelt, dessen Rand wir als Pupillarsaum sehen können. Die Pupille bzw. die Iris stellt also die vordere Öffnung des Medullarrohres dar. Wenn wir heute ein Auge betrachten, denken wir natürlich nicht mehr daran, dass Pupille und Mundöffnung in den ersten Anfängen einmal kongruent vereint waren. Die entwicklungsgeschichtliche Verwandtschaft lässt sich auch pharmakodynamisch nicht leugnen, da Atropin und Pilocarpin bzw. Physostigmin an der glatten Muskulatur des Darmes den gleichen Effekt hervorrufen wie am Sphincter pupillae. Somit findet auch das von der radiären Iriseinteilung unabhängige Phänomen seine Erklärung, wonach die Schleimhaut und die Saftverhältnisse des Magens sich so auffallend zuverlässig im peripupillären Ringfeld der Iris widerspiegeln.
Es kann demnach keinem Zweifel mehr unterliegen, dass wir im Auge ein diagnostisches Hilfsmittel erster Ordnung
besitzen, indem wir uns nicht auf die Untersuchung des Augenhintergrundes durch kunstgerechte Benutzung des
Augenspiegels beschränken, sondern die Iris als Visitenkarte ihres Trägers durch makro- und mikroskopische Inspektion
zu Rate ziehen.
Die durch diese Feststellung aufgeworfene Frage, ob sich nach Anerkennung dieser Grundtatsache die weitere Erforschung
und Verfeinerung der Methodik im Hinblick auf eine allgemeine Anwendbarkeit lohnen wird, ist rein sekundärer Natur und
wird sich im Laufe der Zeit von selbst beantworten, Sicher ist, daß die Klinik der Irisdiagnostik entraten kann, da
sie über Mittel verfügt, mit denen sie auf exakter Grundlage mit größerer Sicherheit zum Ziel gelangt. Der frei
praktizierende Arzt könnte jedoch mit Hilfe der Irisdiagnose die Not zur Tugend machen, indem er – unabhängig von der
modischen Überschätzung der leblosen Mathematik technischer Laboratoriumsteste durch individuelle Gestaltung seiner
Arbeit am Patienten selbst sich der wahren, durch Erfahrung und Intuition gekennzeichneten ärztlichen Kunst in
verstärktem Maße zuwendet.
Allerdings sollte man die Augenärzte von der misslichen Aufgabe befreien, als Kronzeugen ihre Meinung über iridologische Reflexzonen am gesunden Auge aussagen zu müssen. Ich bezweifle nicht, dass sich ernsthafte Ophthalmologen darüber Gedanken machen, ob und wie sich Durchblutungs- oder Stoffwechselstörungen am Auge auswirken, jedoch findet das Berufsziel des Augenarztes nach Ausbildung und Facharztordnung seine Erfüllung und Begrenzung in der Behandlung augenkranker Menschen. Für den Augenarzt beinhaltet die Augendiagnostik trotz der klanglichen Assoziation kein zweckgebundenes Arbeitsthema und es liegt abgesehen von der Behinderung durch formale Schwierigkeiten nicht im Blickfeld seiner täglichen Aufmerksamkeit, sich um den Zustand der Bronchien, des Magens, der Gallenblase oder der Unterleibsorgane seiner Kranken zu kümmern. Bei der Diskussion über die Bedeutung neuraler Segmente in Diagnostik und Therapie sind meines Wissens auch nicht die Hautärzte zu Rate gezogen worden, obwohl die vom erkrankten Organ ausgestrahlte reflexogene Wirkung am Integument in Erscheinung trat.
Die Last der Verantwortung für die Klärung der strittigen Probleme fällt auf die Schultern der Inneren Medizin, deren Anliegen es sein sollte, den Wahrheitsgehalt der Irisdiagnostik zu erkennen und ihre Anwendungsmöglichkeit zu verbreitern. VOLHARD in Karlsruhe hat das unbestreitbare Verdienst, mit seinem Oberarzt VIDA und Herrn DECK den ersten Schritt in dieser Richtung getan zu haben. Die Umwelt hat. vielfach auch ohne das von ihm inspirierte Buch studiert zu haben, mit Vorwürfen gegen ihn nicht gespart. Verunglimpfung von Persönlichkeiten, die ihre wissenschaftliche Auffassung mit Mut vertreten, ist aber ein wenig überzeugendes Beweismittel.
Wenn man VOLHARD überhaupt einen Vorwurf machen will, dann den des Understatement, was im englischen Sprachgebrauch
bedeutet, eine Sache vorsichtshalber weniger zu loben als sie es eigentlich verdient.
VOLHARD war sich dessen sicher bewusst, dass er die Tradition eines Namens mit der Hypothek eines Risikos belastete,
als er im Sommer 1953 seinen Namen unter das Geleitwort für das Werk von VIDA DECK setzte.
Mancher übereifrige Wissenschaftler mag sich mit der Mitteilung beruhigen, dass FRANZ VOLHARD selbst noch an seinem
Lebensabend gleichartige Iriszeichen bei verschiedenen Kranken gesehen und seinen Sohn in der Absicht bestärkt hat,
diesem Phänomen nachzugehen, während ERNST VOLHARD sich vorerst mit dem Ausspruch C. G. JUNGs trösten kann, wonach
“Wissenschaftlichkeit” zu 90 % aus Vorurteil besteht, weshalb es regelmäßig sehr lange braucht, bis Tatsachen gesehen
werden. Er wird, wenn nicht jetzt, so doch wie häufig in der Geschichte später Recht bekommen.
Aber weil es nicht um die Person, sondern um die Sache geht, sollten alle Vorurteile abgelegt werden, damit die Bahn
für eine fruchtbare Diskussion frei bleibt und nicht unter der voreiligen Urteilsabgabe eines Prominenten, der auf
anderen Gebieten kompetent sein mag, verschüttet wird.
Mögen die, welche sich mit der Augendiagnostik praktisch überhaupt nicht befasst haben, bescheidene Zurückhaltung üben
und jene, die zu ihrer Überprüfung berufen sind, sich mit uns bei der Arbeit in jener Ehrfurcht und Demut
zusammenfinden, die wir als Menschen und Ärzte den rätselhaften Geheimnissen des Lebens schuldig sind.”
(Ende Dr. W. Kosinski)
Da sich die Gedanken über die Augendiagnose, deren Anfeindungen und Missverständnisse kaum klarer darstellen lassen,
hebe ich mir erlaubt, den gesamten Artikel zu übernehmen.
Sicherlich ist Dr. Kosinski nicht der Vorwurf zu machen, dass er die Heilpraktiker, die seit jeher die Augendiagnostik
hochgehalten haben, in seine Überlegungen nicht mit einbezogen hat; er kommt nun einmal aus dem Lager der
Schulmedizin, und über seinen Schatten kann auch er nicht springen.
Quelle: Der Aufsatz von Dr. W. Kosinski wurde der Zeitschrift “Erfahrungsheilkunde” Karl F. Haug Verlag, Heft 5/1955 entnommen.