Terpene
Im 13. Band der “Allgemeinen Homöopathischen Zeitung” vom Jahre 1838 fand ich einen Aufsatz von Dr. Lobenthal, in welchem er den damaligen Stand der Materia medica nach den derzeit bekannten Mitteln darstellt. Wenn auch der Umfang der Materia medica den der unsrigen Zeit noch nicht erreicht hatte, so sind doch die damaligen Beobachtungen von großer Treue und Exaktheit, so dass es sich auch heute noch lohnt, diesen Aufsatz zu lesen. Deshalb möchte ich ihn unseren Lesern nicht vorenthalten.
Beitrag zur Pharmakodynamik nach homöopathischen Prinzipien
Pulsatilla
Die Zuverlässigkeit der HAHNEMANNschen Prüfung dieses Mittels hat dasselbe zu einem unserer wichtigsten und gebräuchlichsten Medikamente gemacht. Die eigentümliche Richtung der Pulsatilla in ihrer Heiltendenz für sanftmütige phlegmatische Subjekte mit vorherrschender Venosität ist ein sehr untrüglicher Anhaltspunkt für deren Anwendung am Krankenbett. Es sind größtenteils Krankheiten des weiblichen Geschlechts, die durch das Bild ihrer äußeren Erscheinungen meistens auf Pulsatilla hinweisen, mindestens müssen es mehr weibische Naturen bei Männern sein, wenn dieses Mittel auch bei Beschwerden unseres Geschlechts sich wirksam zeigen soll. – Alle Beschwerden, die so vielfach in den mannigfachsten Krankheiten vorkommen, sich bei dem Vorherrschen der erwähnten Temperamentsstimmung durch prädominierenden Frost, halbseitiges Affiziertsein und Minderung bei Körperbewegung aussprechen, finden schnell ihre Abhilfe in Pulsatilla. Die einzelnen Krankheitsformen aber, gegen welche ich Pulsatilla aus meiner eigenen Erfahrung empfehlenswert gefunden habe, sind ungefähr Folgende:
In der Ohrenentzündung (Otitis) vorzüglich des mittleren Ohres, als der Eustachischen Trompete, und der Trommelhöhle, habe ich Pulsatilla jederzeit sehr wirksam gefunden. In den so häufigen Ausgängen entzündlicher Zustände der mit einer Schleimmembran umgebenen Trommelhöhle, dem so genannten Ohrenfluss (Otorrhoea), der in pathologischer Beziehung nach vorangegangener, Entzündung seröser Schleimhäute wie die Blennorrhoea jeder anderen Schleimhaut des menschlichen Körpers zu betrachten ist, ist Pulsatilla ein ebenso vorzügliches Heilmittel, welches daher hier zugleich als ein sehr wichtiges Mittel gegen die aus solcher Quelle entstandene Taubheit zu betrachten ist.Nur muss allerdings die Diagnose der Natur der fraglichen Otorrhoe festgestellt sein, indem derjenige Ohrenfluss, welcher in Folge eines wirklichen Zerstörtseins der Gehörknöchelchen und Caries der Pars petrosa eintritt, nicht durch Pulsatilla geheilt werden kann, sondern in Sulph., Calc. carb. und Acid. nitric. vorzügliche Heilmittel findet. Ad vocem “Gehör” muss ich hier auch noch erwähnen, dass Pulsatilla auch in derjenigen temporären Schwerhörigkeit gewöhnlich ein sehr schnell helfendes Heilmittel ist, welches sich bei Personen einstellt, die an heftigem Stockschnupfen leiden, oft eine belegte Stimme haben und eine Anfüllung der Eustachischen Trompete mit Schleim vermuten lassen. Der Grad der Schwerhörigkeit steht hier jedes Mal in genauem Zusammenhang mit der Heftigkeit des Schnupfens und äußert sich am Ohr durch keine Symptome. Der Kranke aber klagt über beständiges Brausen.In Augenkrankheiten hat bereits VON GRÄFE auf die spezifische Wirksamkeit der Pulsatilla gegen beginnende Amaurose aufmerksam gemacht. Dürfte sie nun auch nicht gerade gegen diese Krankheit sich besonders wirksam zeigen, so ist sie doch ein sehr beachtenswertes Mittel in vielen Krankheiten des Sehorgans. Vorzüglich sind es sind es Augenliderentzündungen mit starker Absonderung der Meibomschen Drüsen und Gerstenkörner, in denen Puls. am schnellsten hilft. In katarrhalischen Augenentzündungen mit Zuschwären der Augen beim Erwachen ist Pulsatilla das wichtigste Mittel, in anderen Augenentzündungen findet sie häufig Anwendung, wenn sie auch nicht die Hauptrolle spielt. Durch alle Organe des ganzen Körpers drückt sich die Tendenz dieses Mittels gegen Atonie und Laxität der ergriffenen Gebilde aus, daher seine Wirksamkeit auf diesem Wege immer seine natürliche Deutung findet. Daher erklärt sich auch Wirksamkeit der Pulsatilla in chronischen Katarrhen, beginnender Phthisis pituitosa bei Männern und Frauen im Herbst ihres Lebens. Die vortreffliche Wirksamkeit bei Schleimdurchfällen, bei Schleimhämorrhoiden, in den Hämorrhoiden der Urinblase und bei allen profusen Sekretionen schleimabsondernder Organe.Pulsatilla passt daher selten in der Höhe einer fieberhaften oder entzündlichen Krankheit; erst dann, wenn die Heftigkeit der entzündlichen Diathesis durch andere passende Mittel gebrochen ist, oder wo Fieber und Entzündungen von vorn herein mit vorherrschendem torpiden Charakter auftreten, ist dieses Mittel an seiner Stelle. HEICHELHEIM hat daher im Allgemeinen Unrecht, wenn er sich nicht getraut, die Pulsatilla bei Entzündungen und Fiebern mit Sicherheit anzuwenden. Da, wo der venöse lymphatische Charakter der akuten Krankheit sogleich beigegeben ist, oder sich aus dem rein entzündlichen hervorgebildet hat, können wir auf Pulsatilla mehr als auf andere Mittel rechnen. Hier liegt auch zugleich der Grund der vorzüglichen und spezifischen Wirksamkeit gegen Indigestionsstörungen und gastrische Leiden überhaupt. Gastrische Fieber sind nie mit wirklich aktiver Gefäßreizung verbunden und haben, wie bekannt, leichter als alle anderen die Tendenz in nervöse überzugehen. In gastrischen Fiebern sind Aderlässe viel seltener angebracht, und werden noch seltener ohne Nachteil vollführt. Hier ist also die eigentliche Sphäre für unser Mittel.Wenn der Magen mit Schweinefleisch und Klößen mehr angefüllt ist, quam satis, und der Behandler (Arzt oder Heilpraktiker) zeitig genug dazu gerufen wird, dann ist die einfachste und natürlichste Methode, den Magen zu entleeren. Hat der Kranke schon natürliches Bedürfnis zum Brechen, Übelkeit, Würgen, dann halte ich das Kitzeln des Gaumens mit einer Feder und dergleichen Vorschläge, wie sie HAHNEMANN gegeben hat, für unnötige Spielereien; ich versuche, ob der Kranke nach dem Genuss von etwas lauem Wasser freiwillig brechen kann. Geschieht dies nicht, dann ist die einfachste Manier: Rec. Pulv. radic. Ipecac. gr. X., Tartari stibiati grj. m. fiat pulv. disp. Tales Doses No. tres, nach 10 oder 15 Minuten ein Pulver zu nehmen; dazwischen lauwarmes Wasser zu trinken. Hier kann die Kehraus Methode ihren Triumph feiern. Ist aber schon längere Zeit nach dem Zuviel verflossen, haben die entweder durch ihre Quantität oder Qualität den Verdauungskanal belästigenden Nahrungsmittel schon die Reise in die so genannten zweiten Wege gemacht, verrät sich die Indigestion durch Drücken im Magen, Appetitlosigkeit, dick belegte Zunge, Aufstoßen, Stirnkopfschmerz usw., dann tut Pulsatilla dasselbe in viel schnellerer Zeit, was eine durch Succus Liquiritiae kaum erträglich schmeckende Salmiak Mixtur gewiss langsamer vermag.In Leberbeschwerden, chronischer Entzündlichkeit der Leber und Störungen in den Funktionen der Gallenabsonderung und Neigung zur Weichleibigkeit hilft Pulsatilla sehr rasch. Alle Kopfschmerzen, die von gastrischen Störungen herrühren und mit der erwähnten Temperamentsrichtung verbunden sind, finden in diesem Mittel die schnellste Abhilfe. Remota causa removetur effectus.
Für das weibliche Geschlecht lässt sich ungefähr folgendes Bild entwerfen, welches sich dem Arzt oder Heilpraktiker darbieten muss, um auf die Wirksamkeit der Pulsatilla rechnen zu können. Die Harmonie dieser Symptome untereinander ist so innig, dass der Behandler in den meisten Fällen bei dem Erfahren mehrerer für dieses Mittel wesentlich sprechender Symptome mit der größten Wahrscheinlichkeit auf das Vorhandensein der übrigen zurückschließen kann.
Es sind gewöhnlich Blondinen, mit feinem blassem Teint, oft viele Sommersprossen sanfter Zug um den Mund, Sanftmut in der Physiognomie wie im Sprechen sich zu erkennen gebend, aber schüchtern und ängstlich, lymphatische Konstitution, nie eigentlich groß, Hände und Füße gewöhnlich kalt, abwechselnd mit plötzlicher Wärme, oft Kopfweh in der Stirn und auf dem Scheitel Drücken, Pressen, reißende Zahnschmerzen, von einer Gesichtshälfte schnell überspringend auf die andere Seite, durch kaltes Wasser gemindert, häufige Neigung zum Schnupfen, Herzklopfen und Durchfall; das Charakteristische, was sich dann immer findet: die Regel ist entweder noch gar nicht da gewesen oder erscheint immer ein paar Tage später, und ist dann mehrere Tage andauernd, und wenn das Gesicht sehr blass ist, in den Zwischenräumen weißer Fluss.
Für solche Frauenzimmer ist Pulsatilla die Anchora sacra gegen Kopfschmerz, Herzklopfen, weißen Fluss und Menostasie. Gegen Amenorrhoea leistet sie zwar so viel, dass alle Beschwerden aufhören, welche mit den Molimina naturae verbunden sind, aber die Natur zwingen kann man nicht, weder mit Hebel noch mit Schrauben, und wenn kein Leiden weiter die Hilfe der Kunst notwendig macht, so ist es Pflicht des gewissenhaften Arztes oder Heilpraktikers, davor zu warnen, dass die Natur nicht forciert werde. Auch im Wochenbett bewährt sich Pulsatilla in den oben beschriebenen Naturen, als ein Wehen beförderndes Mittel. Wenn Wehen krampfhaft, so genannte wilde Wehen sind, die Wöchnerin dadurch abgemattet wird, dann wirkt Pulsatilla bei reizbaren Personen sogar schon als Riechmittel sehr bald. Ebenso ist Pulsatilla ein vorzügliches Mittel bei Verzögerung der Nachgeburt aus krampfhafter Ursache, unbedingt auch bei sehr schmerzhaften Nachwehen. Auch bei Metrorrhagien, die in dem häufigen Abgange dunkler Klumpen Blutes bestehen, namentlich bei Frauen in den Involutionsjahren, ist Pulsatilla sehr hilfreich.
Einem Mann in den Dreißigen, der seit längerer Zeit Schmerzen in beiden Nieren und beim Urinlassen hatte und häufig Blut mit schleimigem auch eiterartigem Sediment urinierte, dabei abmagerte etc., dem ein allopathischer Arzt Nierenschwindsucht prophezeit hatte, hatten weder Cantharid., noch Sulph., noch Lycopod. etc. helfen wollen, aber unter dem Gebrauch der Pulsatilla befindet er sich sehr wohl, der Urin wird klarer, die von Zeit zu Zeit sich meldenden Beschwerden in den Nieren sind immer seltener.In den 4-tägigen Herbstwechselfiebern mit gastrischer Komplikation, die mit belegter Zunge, Übelkeit und Erbrechen verbunden sind, ist Pulsatilla ein Mittel, welches sehr oft gute Dienste geleistet hat, was um so erklärlicher ist, da die Reproduktionsorgane so wesentlich in dieser Art von Fiebern leiden. Überhaupt habe ich die meist 4-tägigen Wechselfieber, mit wenigen Ausnahmen, durch Pulsatilla oder Arsenic (natürlich in homöopathischer Potenz – Achtung! Bis einschließlich D3 verschreibungspflichtig!) geheilt, doch muss ich gestehen, dass ich mit manchen Fiebern der Art namentlich bei kachektischen Personen, wo Bauchwassersucht dazu kam, nicht fertig werden konnte. Endlich noch von der Wirksamkeit der Pulsatilla gegen rheumatische und gichtische Leiden. In mehreren Rheumatismen verschiedener Teile des Körpers mit leichter Röte der Haut wirkt Pulsatilla, wenn Temperament und Konstitution dafür passen, oft recht vortrefflich, aber in der Arthritis vaga kann ich ihr nicht das Lob geben, welches ihr SCHWARZ in Dresden in seinen Artikeln so reichlich spendete.
Wie aus dem Vorangegangenen zu ersehen, habe ich Pulsatilla ebenso tropfenweise von der reinen Tinktur als auch herab oder hinauf bis zur 30. Potenz als Tropfen oder Streukügelchen gegeben, auch endlich mich nicht geschämt zu sagen, dass ich daran riechen lasse, auf jede Art Heilung gesehen, und mich überzeugt, dass Tropfen der Urtinktur nach zugehörigen Umständen nicht zu stark und das Riechen unter passenden Verhältnissen nicht zu schwach wirkt.
Sulphur
Wenn die Theorie von der Grundlage der meisten chronischen Krankheiten, wie sie von Hahnemann in der Psora aufgestellt worden ist, wenn diese, sage ich, sich so allgemein in der Erfahrung nachweisen ließe, als die entgegengesetzte Tatsache feststeht, dass die unter dem Namen antipsorische Mittel in die Praxis eingeführten Medikamente, und vorzugsweise der Schwefel, die wichtigsten Heilmittel in den schwersten, eingewurzeltsten und meisten Übeln des Menschen sind, so wäre mit der Psora Hahnemanns der Stein der Weisen gefunden, um den sich die Ärzte aller Jahrtausende vergebens bemüht haben.So wichtig aber die Prämisse Hahnemanns war, so falsch und voreilig war sein Schluss. Unterdrückte, voreilig geheilte, schlecht behandelte und vernachlässigte Krätze spielte gewiss in der Reihe der chronischen Siechtümer eine sehr wichtige Rolle. Sulphur, das Cardinal Antipsoricum, ist jedenfalls unter allen homöopathischen Mitteln das wirksamste gegen die verschiedenartigsten Leiden (selbst mehr als Nux, und viel tiefer, und mehr radikal wirkend als diese); auch die meisten andern antipsorischen Mittel, mit denen uns Hahnemann in seinen chronischen Krankheiten bekannt gemacht hat, sind die energischsten Medikamente in unserer Materia medica, namentlich Lycopod., Sepia, Silicea, Petrol. usw.
Nichtsdestoweniger aber wäre es einseitig, den Grund von 7/8 aller chronischen Krankheiten von der Krätze herzuleiten, und vergessen zu scheinen, wie ungeregelte Lebensart, Verzärtelung, Luxus, verfeinerte Kultur, physische und moralische Entnervung und die äußere Stellung im bürgerlichen und öffentlichen Leben, endlich die Sünde der Väter und Arzneisiechtümer, alles dies zusammen gleich wichtige Veranlassungen zur Entstellung der vielerlei menschlichen Leiden sind. Der größte Teil homöop. Ärzte und Heilpraktiker ist jetzt, Gott Lob! zu dieser Schlendrian in der Praxis verhütenden Einsicht gelangt; nur halte ich es für nötig, wo sich die Gelegenheit dazu darbietet, dagegen zu eifern, aus übel angebrachter Pietät gegen die großen Entdeckungen Hahnemanns von unsern Gegnern für blinde, geistlose Nachbeter gehalten zu werden.
Doch jetzt von Sulphur. Die Wirkungssphäre dieses Mittels ist so ausgebreitet, dass ich es vorziehe, die mir durch Erfahrung bewährten Resultate desselben einzeln namhaft zu machen, und es andern zu überlassen, sich daraus einen deutlichen Gesichtspunkt für dessen Wirksamkeit zu bilden. Unter allen Systemen des menschlichen Körpers wirkt Schwefel vorzugsweise auf die Haut, reguliert deren Tätigkeit und setzt dieselbe mit denen in Verbindung stehenden des innern Körpers ins Gleichgewicht. Gegen die eigentliche Krätze hat sich Schwefel einen alten wohlverdienten Ruf erworben, nur fürchten wir die zu großen Gaben und die äußere Anwendung, welche die Allopathen bei ihrer Behandlung der Krätze zu Grunde legen. Das Streben des allop. Arztes ist, das äußerlich auf der Haut erworbene parasytische Gebilde je eher desto lieber von derselben zu entfernen, daher ist ihm die neue englische Methode die willkommenste, nach welcher der Kranke in 48 Stunden von der Krätze äußerlich befreit wird, der Homöopath sieht in jeder Krätze einen flüchtigen Krankheitsstoff, den er absichtlich vermeidet, durch äußere Mittel von der Haut wegzutreiben, weil er die Gefahren von einigen winzigen Krätzblattern, die zurückgedrängt und latent die Keime zu andern Krankheiten abgeben, zu sehr fürchtet.Beide gehen jedenfalls zu weit, indem eine durch deutlich nachweisbare Ansteckung vor kurzem entstandene Krätzpustel von denen der Infektion unmittelbar ausgesetzt gewesenen Teilen, den Händen, füglich sogleich durch äußere Mittel behandelt werden kann, wenn es dadurch gelingt, den Übergang des rein örtlichen Krankheitsstoffes in die Säftemasse zu verhüten, während es aber andrerseits tollkühn ist, Parforcekuren, wie es die englische ist, mit den Kranken vorzunehmen, wo dieselben durch 48 Stunden in einer Stubenwärme von 28 Grad, zwischen zwei wollenen Decken nach Seifenbädern und Schwefelwaschungen fürchterlich schwitzen müssen und in Gefahr sind, durch das kleinste Versehen, den geringsten Zug oder den unbedeutendsten Diätfehler sich sogleich den Tod zuzuziehen, wie selbst ein Fall nach dem Genuss eines Herings irgendwo erzählt ist. Man wirft den Homöopathen mit Recht vor, dass sie die Krätze nur sehr “langsam kurieren”, und man hat sich bemüht, einen Unwissenden, den Afterhomöopathen STEINNESTEL in Stuttgart zur vergleichenden Behandlung der Krätze zu bewegen, die natürlich zur Schadenfreude der allopathischen Ärzte ungünstig für die Homöopathie ausfallen musste. Frisch entstandene Krätzen habe ich mehrfach in 3 bis 4 Wochen durch die 2. und 3. Verreibung von Sulphur p. D. gr. j alle 2 oder 3 Tage wiederholt, geheilt, auch mit den verschiedenen Verreibungen abgewechselt und in hartnäckigen Fällen zeitweise Bäder mit etwas Zusatz von schwarzer Seife brauchen lassen, überall aber strenge Reinlichkeit, häufigen Gebrauch lauer Bäder und öfteres Wechseln der Leibwäsche anempfohlen.Verschleppte Krätzübel, bei denen schon vielerlei versucht worden, habe ich oft nicht zur Heilung bringen können, in jedem “obstinaten” Falle aber Psoricum mit wesentlichem Vorteil angewendet, ja manche Krätze bloß durch Psoricum XOOOO geheilt. Unter den übrigen vielerlei Hautausschlägen verdient Sulphur vor allen andern Mitteln Empfehlung, und macht bei eingewurzelten Leiden der Art, die sich gewöhnlich nur sehr langsam heilen lassen, den vorteilhaftesten Eingang zur Kur, indem zur Ausführung der Kur Carbo veget., Lycopod. ihn sehr häufig verdrängen. Ein Schönfärber, mehrere Meilen von hier entfernt, der vielleicht durch Berührung irgend eines unreinen Kleidungsstoffes sich ursprünglich einen Krätzausschlag zugezogen, anfangs vernachlässigt und dann unzweckmäßige Mittel dagegen gebraucht hatte, bekam infolgedessen einen bis an den Ellbogen mit dicken, harten, unempfindlichen Borken besetzten Arm, wie bei der Elephantiasis, die Beweglichkeit der Fingergelenke und des Handwurzelgelenkes hatte fast ganz aufgehört, namentlich in der rechten Hand. Pat. war untüchtig zu Arbeiten und in dieser Verzweiflung nach Breslau gereist. Dieser Mann hatte bereits Schwefel unter mannigfadien Formen äußerlich gebraucht; gleichwohl nahm ich keinen Anstand, ihm dasselbe Mittel in der 2. Tritur innerlich zu geben, anfangs zu 2, dann zu 3 Tagen wiederholt, mit bald bemerkbarer Besserung und nach 3 Monaten vollkommener Heilung. – Auch eine rebellische Flechte am Oberarm, dicht an dem Deltamuskel, und an den Schläfen eines 13jährigen Mädchens, welche seit mehreren Jahren nie entfernt werden konnte, habe ich durch 12 oder 16 Dosen Sulphur 3. geheilt; die Armflechte ist nie mehr wiedergekehrt, aber die Flechte im Gesicht ist in einem halben Jahre von neuem hervorgetreten und mannigfacher allopathischer Behandlung unterworfen worden, die sie bis zum heutigen Tage noch nicht hatte vertreiben können.In Kopfausschlägen scrophulöser Kinder, namentlich den trocknen, ist Sulphur ein sehr glückliches Heilmittel, schützt aber nicht vor Rezidiven, die nur durch radikale Heilung der scrophulösen Anlage oder durch die eintretende Pubertät von selbst verhütet werden können. In den vielerlei hartnäckigen Gesichtsflechten, Blüten, Ausschlägen usw. hilft Sulphur wenig, in der Crusta lactea der Kinder ist er ein gutes Unterstützungsmittel, nur in der eigentlichen scrophulös impetiginösen Ophthalmie, wo neben der Entzündung der Augen, Blattern und Geschwürchen um die Orbita herum bis in die Mitte des Gesichts verbreitet sind, heilt Sulphur sowohl den Ausschlag, so wie auch die Ophthalmie radikal.Bei chronischen Fußgeschwüren habe ich Sulphur oft heilsam gefunden, doch nicht zur Unterstützung der Kur oder zur Verminderung des heftigen Brennens ganz großer unheilbarer Geschwüre, als zur radikalen Heilung derselben, worin Silicea unbedingt den Vorzug verdient. Wie viel aber Sulphur vermag, möge aus folgender Erfahrung hervorgehen: Ein Greis von einigen 80 Jahre leidet seit mehreren 40 Jahren an einem Geschwür rings um das ganze Bein, die Geschwürsfläche ist überall mindestens einen halben Zoll tiefer als die Haut, profuser Abfluss seit fast einem halben Jahrhundert. die Schmerzen bei jeder Erhitzung und vorzüglich bei warmen Tagen unerträglich. Schon seit 30 Jahren gebraucht Patient, der sonst bis in sein höchstes Alter ganz gesund geblieben ist, eine Decke über das Geschwür aus Galmei mit Wasser zu einem Teige gemacht und fingerdick aufgelegt, und seit einer geraumen Reihe von Jahren eines Zusatzes von Perubalsam, die Pat. beide nicht mehr einen halben Tag entbehren kann. Er hat fast ein Bergwerk Galmei konsumiert, dadurch möglich gemacht, dass er seinen Fuß zu einer angestrengten Tätigkeit gebrauchen konnte, mir vor 3 Jahren seine Not und seine heftigen Schmerzen geklagt und um Hilfe gebeten. Das Geschwür war damals auf dem Moment, zusammengestoßen, an die Entfernung der äußern Mittel, auch nicht an deren Verminderung zu denken; ich versuchte Silicea innerlich, sie half längere Zeit, es blieb eine gesunde Demarkationslinie, die Schmerzen ließen nach und hörten bisweilen ganz auf, aber Silicea hörte auf zu wirken, ich gab Carb. veg., auch dies half längere Zeit, auch Arsenic half einige Zeit, doch schon seit Jahr und Tag findet Pat. die meiste Hilfe und Erleichterung, wenn er eine Dosis Sulphur 11. oderTinct. Sulph. 1 genommen hat.In den akuten Exanthemen, und namentlich den Blattern, kann man oft einer Dosis Schwefel nicht entbehren, um die Heftigkeit in dem Durchbruch derselben zu mäßigen oder die Empfänglichkeit für andere passende Heilmittel, und namentlich den so oft im Eiterungsstadium hilfreichen Mercur zu erhöhen. In dieser Beziehung hat Schwefel überhaupt fast eine universelle Bedeutung für die homöop. Praxis, in dem es unleugbare Tatsache ist, dass bei oft unerklärbarer Wirkungslosigkeit passende homöop. Mittel in akuten Krankheiten sowohl als chronischen, eine kleine Dosis Sulphur 300000 angewendet, eine erneuerte lebhafte Reaktion gegen die folgenden Mittel erweckt. Insofern gibt es keine Krankheit, in der nicht Sulphur einmal mit Vorteil Anwendung finden könnte, obwohl namentlich in akuten Krankheiten Sulphur selten oder nie ein eigentliches Heilmittel ist.
Nur in dem Typhus abdominalis oder dem Ganglientyphus nach SCHÖNLEIN, der sich durch einen beständigen dünnen flockigen Durchfall und Schmerz um den Nabel charakterisiert, und wogegen sowohl die allopathischen Adstringenzien und insbesondere Alaunmolken, alsauch Acid. phosphor, Ipecac. etc. aus unsrer Materia medica so oft im Stich lassen, habe ich mehrere Male von der Tinct. Sulph. 0 p. D gtt. 2 oder 3 Mal täglich wiederholt, den glänzendsten Erfolg gesehen. Sulphur war das einzige Mittel, durch welches ich diese Durchfälle sistieren konnte. Vielleicht habe ich in dieser Krankheit auch unrecht getan, dass ich die Kranken aus Rücksicht für ihren Durchfall schleimige Getränke und einen schwachen Zusatz von rotem Wein trinken ließ (ein Verfahren, dem die meisten Ärzte noch anhängen), während ich in jedem mir ferner vorkommenden Falle von vornherein den Genuss ganz frischen kalten Wassers als des vorzüglich belebenden Getränks vor allen anderen empfehlen würde, da sich mir dasselbe in der asiatischen Cholera als das zuträglichste gezeigt hat. In der akuten Gicht mit Anschwellung und lebhafter Röte einzelner Gelenke, namentlich starker robuster Männer, hat mir Sulphur in der 2. Verreibung schon oft ausgezeichnete Dienste geleistet. In der chronischen Gicht, und zwar bei der nach Mercurial Mißbrauch entstandenen anomalen Gicht, ist Sulphur oft das einzige Heilmittel, in jeder andern außer der Knotengicht ein sehr wichtiges Hilfsmittel, wo oft kaum mehr radikale Heilung möglich ist.
In der Phthisis tuberculosa haben wir noch wenig Trophäen aufzuweisen, und wir stehen hier, trotz der vielen Methoden und noch mehr Mittel, leider größtenteils ratlos da. Ein Anderes ist es in der Blennorrhöa pulmonum alter Leute in den Decrepiditäts Jahren und in allen Krankheiten der Brustorgane, die auf Atonie beruhen und sich sehr häufig von früher dagewesenen und von selbst oder durch unzweckmäßige Hilfe vertriebenen Hautausschlägen herdatieren. Hier hat mir Sulphur schon sehr oft ausgezeichnete Dienste geleistet, und ich habe viele gelungene Heilungen veralteter Katarrhe, sowie Heilung oder wenigstens schnelle Beseitigung asthmatischer Anfälle (Asthma humidum), so wie deren seltenere Wiederkehr einzig dem Sulphur zu verdanken gehabt.
Einen interessanten Fall muss ich mir erlauben hierzu anzuführen:
Ein im Aktendienst ergrauter ehrwürdiger Regierungsbeamteter, der seit seiner frühesten Kindheit an einem hartnäckigen, allen Mitteln trotzenden, über den ganzen Körper verbreiteten Flechtenausschlag laboriert, kämpft zugleich seit seiner Jugend gegen ein hartnäckiges Asthma, über dessen Entstehung, Veranlassung er weiter nichts genaues anzugeben wusste. Nachdem man entweder nie daran gedacht hatte eine Radikalheilung gegen dieses Leiden zu versuchen, oder es nie vermocht hatte, hat dasselbe in dem Organismus des Pat. immer tiefer Wurzel gefasst und ihn den größten Teil des Jahres, vorzüglich aber fast im ganzen Herbst und Winter hindurch in Monate lang andauernde Erstickungsangst versetzt. Hier war kein Mittel der Allopathie mehr unversucht geblieben Aderlass, Schröpfen, Warmbrunn, alle möglichen Antispasmodica, anfangs vegetabilische, dann Kupferpräparate, Kupfersalmiak etc. etc., ohne eine Spur einer Wirkung auf die Anfälle des Asthma nur mit dem Erfolge, dass der Organismus des Pat., der sonst viel zu ertragen vermag, unter so vielen Stürmen einzuknicken drohte. Jetzt fasste der Mann Vertrauen zur Homöopathie, und ich kann versichern, dass bei den wiederholten Anfällen heftigen Asthmas oder bei Entwickelung eines neuen Anfalles, Sulphur noch nie in einem Zeitraum von 3 Jahren seine Hilfe versagt hat, dass aber das körperliche Befinden des Kranken unglaublich besser als früher, in dem Organismus keine Funktionsstörung zu bemerken ist, und die asthmatischen Anfälle sich schon auf Jahr und Tag haben hinausschieben lassen. Ich habe diesem Kranken im Laufe der Behandlung teils die 30. Potenz, teils in der letzten Zeit die Primitivtinktur zu einzelnen Tropfen nach Bedürfnis zu wiederholen gegeben.
Gegen Stockungen im Pfortadersystem und Hämorrhoidal Kongestiolien mit den damit verbundenen Unterleibsbeschwerden, namentlich der schlechten Verdauung, Stuhlverstopfung u.s.w. verdient Sulphur seinen schon seit alten Zeiten wohl begründeten Ruf. Ich habe allerdings Unterleibsleiden der Art öfter und schneller durch Nux vom., Bryonia und Cocculus geheilt, aber sowohl zur Einleitung der Kur in veralteten Leiden mich stets einiger Gaben Schwefel bedient und insbesondere die habituelle Stuhlverstopfung, als das oft einzig übrig gebliebene Symptom, und die von den ausgetrockneten Hämorrhoiden herrührenden After- und Kreuzschmerzen am glücklichsten durch Schwefel geheilt. Hierher gehört auch folgende Erfahrung: Ein sechzigjähriger Kaufmann, der seit vielen Jahren an anomalen Hämorrhoiden leidet bekommt zeitweise nach dem geringsten Diätfehler, oder der unbedeutendsten Erkältung plötzlich Durchfälle, 4 bis 5 Ausleerungen durch den Tag, breiig, mit Schmer im Mastdarme und Stuhldrang. Ein Pulver, Sulphur 2. gr. j, hilft ihm jedesmal bald, auch wenn der Durchfall schon mehrere Tage angedauert hat.
Aber auch bei scrophulöser Anschwellung der Unterleibsdrüsen, den dicken Bäuchen der Kinder und den auf scrophulösem Boden wurzelnden, anders gestalteten Unterleibsleiden der Kinder verdient Sulfur zunächst der Calc. carb. sehr gerühmt zu werden. Eine seit einem halben Jahre nach schlecht behandelten Röteln entstandene Trommelsucht (Tympanitis) eines neunjährigen Knaben aus der Provinz, dessen Verdauung bereits sehr darniederlag und wo deutlich hektisches Fieber mit kolliquativen Durchfällen vorhanden war, habe ich durch Tinct. Sulphuris XOOO anfangs 2täglich, dann seltener, in einigen Monaten vollkommen hergestellt, die Besserung hatte sich bald nach dem 1. Pulver durch Nachlassen des Fiebers und Aufhören des Durchfalles gezeigt.Der Nachtripper ist bekanntlich ein sehr harter Stein des Anstoßes. Wie oft erlebt man es nicht, dass weder Petroselinum, noch Cannabis, Cubeben, Sepia, Petrol etc. diesen lästigen Zufall heben können. Hier kann ich aus vielfältiger Erfahrung versichern, dass in den veraltetsten Fällen Tinct. Sulphuris X0000 konsequent fortgebraucht am sichersten Heilung bewirkt. Die 1500ste Potenz von Schwefel habe ich noch nie geben, die 30ste aber überall da ausreichend gefunden, wo es darauf ankommt, Rezeptivität des Organismus für andere Mittel zu erwecken, oder wo es sich darum handelt, gegen innere, nicht zu veraltete Krankheiten zu wirken. In der Gicht aber, und in bösartigen oder lokalen Hautausschlägen sind die niederen Potenzen höheren jederzeit vorzuziehen. Nur bei Hämorrhoidalbeschwerden und asthmatischen Leiden habe ich, wie erwähnt ebenfalls die niederen Potenzen vorzuziehen Gelegenheit gefunden.
Quelle: Allgemeine homöopathische Zeitung, Jahrgang 1956, Heft 2, Karl F Haug Verlag