Versammlung
Beim Stöbern in alten Fachzeitschriften fand ich den Nachdruck dieses Artikels, den ich keinesfalls unseren Lesern vorenthalten darf, wird doch hier die Homöopathie von einem Zeitgenossen Hahnemanns beleuchtet. Interessant ist auch die Schreib- und Ausdrucksweise der damaligen Zeit.
Mitgetheilt vom Hof und Med. Rat Dr. AEGIDI zu Königsberg in Pr. (Nachdruck AHZ, Bd. 27, 1844)
Die nachfolgenden Erörterungen und Ansichten, welche, hochverehrte Freunde, ich Ihrer Beurtheilung empfehle, werden Ihnen zwar nichts Neues bieten; der Gegenstand ist jedoch der Art, daß eine recht vielseitige Besprechung desselben sehr Wünschenswerth erscheint, damit endlich einmal die sich widersprechenden Ansichten berichtigt und die Akten darüber geschlossen werden mögen.
1. Hohe und niedere Verdünnungen?
Wir sind leider noch nicht im Stande, den wesentlichen Unterschied derselben zu bestimmen, und werden vielleicht nie dahinter kommen; so viel ist ausgemacht:
1) daß die Theilung der Materie bis in’s Unendliche fortgesetzt werden könne, ohne irgendwo im Raume ganz aufzuhören, in Nichts zu zerfallen, also auch die der arzneilichen.
2) Obschon es einen Punkt geben muß, auf welchem bei der fortgesetzten Theilung der Materie die ihr innewohnende Arzneikraft schwindet, d. h. sich dergestalt mindert, dass sie Reactionen im Organismus anzuregen unfähig wird und daher aus dem Bereich unserer Mittel tritt; so hat die Erfahrung doch bewiesen, daß unter Umständen die höheren Theilungen, die 30., 60. und, wie auch meine eigenen Experimente mir unzweideutig gezeigt haben, weit über die 100ste hinaus, für unseren Zweck sich noch entschieden wirksam verhalten. Daß um zu reussiren, es allein auf die richtige Wahl des Mittels ankomme, der Theilungsgrad völlig gleichgültig sei, wie Manche behaupten, habe ich nicht bestätigt gefunden; ebensowenig, daß man stets mit den niederen Graden, dem 2ten, 3ten, auslangen könne. Beim Tripper versagten mir die niederen Verdünnungen von Taxus baccat a fast stets, die höheren dagegen, die 30ste, 40ste heilten in wiederholten Gaben nicht selten das hartnäckige Übel.
3) Daß die hohen Verdünnungen aber auch nicht allen Fällen genügen, sondern oft durch niedere Theilungsgrade, ja bisweilen durch unverdünnte Arzneistoffe in verschiedenen quantitativen Verhältnissen ersetzt werden müssen. Der hom. Arzt muß daher im Besitz der ganzen Skala sein und es ist Erfahrungsgebot, den der individuellen Rezeptivität genau angemessenen Reiz anzuwenden, um die erforderliche, zur Heilung gerade nothwendige, weder zu stürmische, noch zu schwache Reaction zu ermitteln. Die Forderung, in allen Fällen nur die höheren und höchsten Dynamisationen anzuwenden, erweist sich der Erfahrung gemäß eben so wie die Behauptung, daß ihre stricte Erfüllung hauptsächlich das Wesen der Homöopathie bedinge, als eine haltlose.
“Das Verhältnis der Reizbarkeit und Influenzirbarkeit ist im gesunden und kranken Zustände ein verschiedenes, und diesem veränderlichen Maßstabe parallel geht die gleitende Skala der Arzneigaben” (MAYRHOFER).
Ich könnte aus meiner ausgedehnten Praxis viele Belege zur Begründung dieses Satzes liefern, hier nur ein Beispiel:
Gegen gewisse Arten von Prosopalgie fand ich im Arsenik das geeignete Heilmittel und habe durch ihn viele Kranke von diesem höchst beschwerlichen Übel befreit. Ich war aber nicht im Stande, jederzeit mit denselben Arzneigaben fertig zu werden, sondern bedurfte stets einer genauen Ermittlung des nothwendigen Theilungsgrades der Arznei. Bei einigen Patienten waren die niederen, der 6te, 3te, bei anderen die höheren, der 12te, 30ste, 60ste, erforderlich. Auch kam ich niemals mit einer einzigen Gabe aus, das Mittel mußte in allen Fällen wiederholt werden und es erwies sich, nach Erfordernis der Wiederkehr der periodischen Anfälle, die täglich 3malige Wiederholung meist als die passendste. Selbst nach Beseitigung des Übels mußte das Mittel noch eine Zeitlang fortgebraucht werden, um Recidive zu verhüten.Man wird hierauf entgegnen: dann war es nicht das echte homöop. Heilmittel, das in einer einzigen kleinsten Gabe gereicht, das ganze Übel gründlich zu heben vermag. Das ist nun wohl so leicht gesagt, als schwer gethan und noch schwieriger durch das Experiment bewiesen. Es werden allerdings Heilungen mit einer einzigen Arzneigabe bewerkstelligt, aber auch dem unterrichtetsten, geübtesten Homöopathen gelingen solche nur selten und in der Mehrzahl der Fälle werden entweder Wiederholungen des einen möglichst passend gewählten Mittels, oder die Darreichung mehrerer derselben sich erforderlich erweisen. So mag es mir nicht zum Vorwurf gereichen, wenn es mir niemals gelingen wollte, mit einem Kügelchen Calc. carb. X die Fallsucht zu heilen, so oft ich es auch versuchte. Vielen Anderen wird es damit nicht besser gegangen sein. Ich habe dagegen eine große Anzahl Epileptischer mit wiederholten Gaben Calc. carb., Chamom., Cornus cervi, Cuprum, Indigo, Agaricus usw. geheilt.
Besonders wirksam gegen dieses Übel zeigte sich die Elennsklauenkohle, sie muß aber frisch bereitet angewendet werden. Auch bin ich der Überzeugung, daß höhere Theilungsgrade anders wirken als niedere, aber weder stärker, noch schwächer. Der Eindruck ist ein verschiedener. Dass niedere Grade akuten Krankheiten, höhere chronischen mehr entsprechen, gilt als feststehende Norm. Oftmals war ich nur durch Arzneigaben der höheren Theilgrade im Stande, höchst akuten Zuständen zu begegnen, nachdem die niederen sich ganz erfolglos gezeigt hatten, und hingegen gezwungen, chronischen Kranken Gaben der niedrigsten Grade und sogar die unverdünnte Arznei zu verabreichen, um wohlthätige Reaction zu fördern. Es lassen sich darüber feste Regeln durchaus nicht aufstellen und die Debatte über diesen Gegenstand dürfte so leicht nicht enden.
2. Ein einziges Streukügelchen
Warum nur Eins und gar ein kleinstes, feinstes?
Das ist ja manchem Auge gar nicht sichtbar, wird beim Bereiten und Einnehm des Pulvers so leicht verstreut. Auch bei
zweien ist es zu fürchten. Die winzigen Dinger sind rund und springen gewaltig.
Von einer Seite her wird die Unerlässlichkeit dieser Form und Gabe von jedem ächten Homöopathen gefordert. Man bedürfe durchaus in keinem Falle ein größeren Dose. Ja, ein solches einziges kleinstes, feinstes Kügelchen höchstens zwei müsse man noch in 8-15 Esslöffel Wasser und 1/2 bis ganzen Esslöffel Brandwein auflösen, hiervon nur einen Esslöffel in ein Trinkglas voll Wasser, in viel Fällen daraus einen Löffel voll in ein zweites, drittes bis sechstes Glas gießen und nur aus dem letzten einen Kaffeelöffel voll nehmen lassen u.s.w. Ist diese umständliche, den meisten Kranken nur Mißtrauen erweckende Procedur nothwendig? Und warum die Mühe, wenn sie nicht unumgänglich nöthig ist, zumal das Verfahren leicht Spott erregt, den Schein der Charlatanerie hervorruft und durch ein einfacheres, zweckmäßigeres vollkommen ersetzt werden kann. Denn, wenn z.B. die 30ste oder 60ste Verdünnung und von dieser auch nur ein damit befeuchtetes feinstes Streukügelchen genügen solle, ja die Gabe nicht klein genug sein könne, so wäre in solchem Falle doch vorzuziehen
1) um diese Gabenkleinheit zu beachten,
2) gewiß zu sein, daß der Kranke die ihm zugedachte Arznei auch wirklich erhalte,
3) Zeit und Mühe zu ersparen und
endlich
4) dem Patienten keinen Kleinmuth und Argwohn einzuflößen statt des winzigen Streukügelchens von 30. und
60. lieber mehrere Tropfen von 31. und 61. zu geben, eine jedenfalls doch noch kleinere, wiewohl ansehnlichere Gabe.
Und statt der obige weitläufigen und mühevollen Verdünnungsprozedur, wobei die großen Wassermenge wahrhaft im Wege
sind, wird der Zweck ja weit leichter und einfacher erreicht, wenn man, angenommen, daß ein Kaffeelöffel voll aus dem
6ten Trank die 37te oder 67te Verdünnung enthalte, sofort von der 38ten oder 68ten einige Tropfen p. d. verordnete.
Und fände man dabei das Quantum des Weingeistes etwa anstößig, so dürfte man ja nur einige Tropfen der 36ten und 66ten
Dynamisation mit einigen Unzen Wasser vermischen und davon Theelöffelweise nehmen lassen, um ganz dasselbe Ziel auf
minder pedantischem Umwege zu erreichen. Ich habe wahrlich nichts gegen die bequeme Streukügelchenform und bediene
mich derselben stets, wenn ich bei Krankenbesuchen veranlaßt bin, sofort aus meinem Etui etwas zu verordnen, sie
erfüllt auch jederzeit vollkommen die Absicht und es bedarf der flüssigen Mittel gerade nicht; aber warum nur ein
einziges Kügelchen, das unsicher ist, vielleicht in einen hohlen Zahn geräth, an der Lippe sitzen bleibt und verloren
geht, zumal wenn es so winzig klein sich der Beobachtung des Auges entzieht? Da gebe man doch lieber 6-10 Stück von
einer höheren Stufe, als ein einziges von der vorhergehenden, wenn letztere genügt haben würde. Daher ziehe ich die
größeren vor, man erreicht mit ihnen denselben Zweck und flößt dem Kranken ungleich mehr Vertrauen ein. In den
Apotheken lasse ich die Arzneipulver dergestalt anfertigen, daß der feuchte Kork des Arzneifläschchens auf die in der
Papierkapsel befindliche Milchzuckermasse gedrückt werde. Von dieser bleibt dann ein kleines Quantum an der unteren
nassen Fläche des Korkes hängen, die bei abermaligem Druck auf den Milchzuckerrest in der Kapsel losläßt und demselben
sich beifügt. Dadurch vermeidet man jede etwaige Verunreinigung. Das Pulver enthält dann ungefähr 1/10 Tropfen
Arzneiflüssigkeit, nicht zu viel, um die Form des Pulvers zu entstellen, nicht zu wenig, um dem Zwecke zu genügen.
Beabsichtige ich, ein solches Pulver getheilt, mit Wasser vermischt, nehmen zu lassen, so ziehe ich es vor, diese
Theilung den Kranken selber mit dem ihm zur Gewohnheit gewordenen Trinkwasser, das dem unsicheren destillirten
vorzuziehen ist, vollführen zu lassen. Er mischt dann sein Pulver etwa mit 6 Theelöffel Wasser in einem reinen
Weinglase und nimmt davon, will ich die Quantität der Gabe steigern, heute einen, morgen 2, übermorgen 3 Löffel voll
usw., oder, beabsichtige ich eine stete Änderung des Verdünnungsgrades beim Einnehmen, so lasse ich das Pulver etwa
mit 3 Theel. Wasser auflösen, wovon der Kranke einen Löffel voll nimmt, doch so, daß jeden Tag ein Löffel voll
frisches Wasser der Auflösung zugefügt werde. Da das Wasser sich nur wenige Tage frisch erhält, so muß die Auflösung
erforderlichen Falles mittels eines anderen Pulvers neu bereitet werden. Dieses Verfahren ist das einfachste,
müheloseste, zweckmäßigste, und der Kranke, der stets ein volles Pulver zu der Auflösung verwendet, hat ein gewisses
Quantum in Händen, das ihm Beruhigung und Vertrauen gewährt.
Die Geschichte lehrt, daß von den kleinsten geringfügigsten Ursachen oft die größten Folgen ausgingen. Ich bin überzeugt, das Schicksal der Homöopathie würde eine günstigere Wendung genommen haben, ihr Einfluß weit eher erkannt worden sein, wäre ihre Dosenlehre auf eine andere als die seitherige Weise dargestellt worden. Indem man sich aber bemühte, die Infinitesimalgrößen der homöop. Arzneigaben recht anschaulich zu berechnen, und es immer wiederholte, die zum Heilzweck dienliche Gabe könne nicht genugsam klein eingerichtet werden; obschon man doch einsehen mußte, daß nur das quale den Erfolg bedingen könne so erregte man durch diese unverstandene Forderung allgemeines Mißtrauen und legte dem Fortschritte der guten Sache die größten Hindernisse in den Weg. Nicht auf die nothwendig unendliche Kleinheit der hom. Arzneigaben hätte man aufmerksam machen sollen, denn man hatte Unrecht; von der Größe, der gewaltigen Größe derselben hätte man sprechen müssen, wenn übrigens beide Begriffe nicht ganz unstatthaft wären, da das quantitative Verhältnis dabei gar nicht in Betracht kommt und Größe und Kleinheit der Gabe ja nur das Vehikel, den Träger des homöop. Agens betreffen. Darf man bei der Einwirkung des electrischen, galvanischen, magnetischen Fluidum, der tödtlich wirkenden Gase, der Contagien von großen oder kleinen Gaben sprechen? War es ein Billiontel oder Decilliontelgran Scharlach- oder Maserstoff, der, von einem Kranken auf den Gesunden übergehend, diesem dasselbe charakteristische Übel zuzog? Wie schwer ist der flüchtige Hauch eines Pestkranken? Wie viel beträgt an Medizinalgewicht der stürmische Ruf: “Feuer!”, der einem dahin gesunden Menschen zugerufen, nicht selten, zumal wenn er dabei seine Habe betheiligt glaubt, auf der Stelle einen Krampf, eine Lähmung, eine Diarrhö zuzuziehen vermag? Und erkennt nicht Jedermann die erstaunliche Macht dieser Agentien an, wobei es Keinem einfällt, daran den Maaßstab von Größe zu legen? Eine ähnliche Bewandtnis hat es mit den homöop. Arzneigaben, und nur das Streben nach Sonderbarem verschuldete die Hemmnisse, die einer günstigen Aufnahme der so wichtigen Sache sich entgegenstellten. Nur an der allen Glauben übersteigenden Kleinheit der homöopath. Arzneigaben, die man zu predigen und auszuposaunen nicht müde ward, nahm man allgemein Anstoß und verwarf mit ihr die ganze Lehre. “Ist es nicht der größte Unsinn, zu behaupten, so raisonnirte man – daß ein Kranker, der nicht selten die stärksten Arzneiquantitäten zu ertragen vermag von einem Milliontel affizirt werden könne!”, während man doch die Behauptung durchaus nicht unsinnig fand, daß die flüchtige Handberührung eines Krätzigen bösen Ausschlag mitzutheilen im Stande sei. Welche Widersprüche! Hätte man das unwesentliche Vehikel, den Träger des homöop. Stoffes, in größerer Masse den Kranken darzureichen geboten, hätte man die scrupulose Berechnung der Stofftheilung ganz gemieden, man würde den beabsichtigten Zweck viel eher erreicht haben. So verschuldet denn noch immer der Eigensinn, das zum Einnehmen verordnete Quantum nicht klein genug einrichten zu können, die Zweifel über die Möglichkeit einer Wirkung der in so winziger Gabe vorgeschriebenen Arznei, die bei einem großen Theile des Publikums das Vertrauen zur Homöopathie beeinträchtigen. Ein einziges, mohnsaamengroßes Streukügelchen mit der Wasserprocedur von mehreren Gläsern ist nun vollends nicht geeignet, den Kranken in eine für die Aufnahme der Arznei günstige Stimmung zu versetzen. Die Homöopathie bietet schon an und für sich in ihrer außergewöhnlichen Sphäre unverantwortlichem Spott so viele Seiten dar, daß ihre Bekenner sorgsam trachten müssen, diese nicht unnützerweise noch zu mehren.
3. Wiederholung der Arzneigaben
Über diese läßt sich a priori durchaus keine Norm feststellen. In einigen Fällen ist sie ganz zweckwidrig, in anderen kommt man nur durch sie zum Zweck. Die Ermittlung des Verfahrens und was die Noth gebietet, bleibt dem Arzte bei jedem individuellen Falle überlassen. Grundsatz ist: eine jede Gabe so lange wirken zu lassen, als irgend noch die durch dieselbe angeregte Besserung sichtbar bleibt. Die Intervalle und Berücksichtigung ihrer Dauer erheischen alle Aufmerksamkeit und wer sie übereilt kommt selten zum Zweck. Unseres großen HAHNEMANN in dieser Beziehung auf vieljährige sorgsame Erfahrungen gestützte Lehren bleiben gültig und verdienen die stete Beachtung. Man kann durch umsichtiges Zögern so leicht nichts einbüßen, meist gewinnen, durch zu stürmisches Einwirken oft Alles verderben. Übrigens hat meine Erfahrung in Bezug auf die Wiederholung der Arzneigaben die Aussprüche ATTOMYR’s meistenhalber bestätigt.
4. Verdünnungen, Potenzen, Dynamisationen
Auch über die Richtigkeit dieser Ausdrücke sind die Ansichten getheilt. Der Ausdruck Verdünnung verbindet den Nebenbegriff von Schwäche, demzufolge die höheren Verdünnungen unwirksamer scheinen, was aber die Erfahrung widerlegt. Die Bezeichnung ist daher eine unpassende. Ob die Arzneien indessen durch weiter fortgesetzte Theilung wirklich eine erhöhte Kraftentwicklung, Potenzirung erfahren, ist auch nicht erwiesen, der Ausdruck daher eben so ungenügend. Was geschieht denn mit dem Arzneiquanturn bei unserer Verdünnungsprocedur? Es wird getheilt, in Theile gesondert; denn in jedes folgende (nach HAHNEMANN’s Verfahren) 99 Tropfen Weingeist enhaltende Gläschen gelangt 1/100 des im vorherigen befindlichen Arzneistoffes. Das ist gewiß und nicht zu läugnen. Also der 6te, 12te, 30ste, 60ste Theilungsgrad, oder auch nur Grad.
Will man durchaus einen fremden Ausdruck, so könnte man das Wort Division wählen, die 6te, 12te Division usw. Im Gegentheil zu dem Ausdruck Verdünnung würde dieser, nach Analogie der kriegerischen Abtheilungen unter diesem Namen, den Nebenbegriff der Stärke verbinden. Doch das sind unerhebliche Dinge und ein Jeder mag sich beliebig seine Bezeichnung für die Sache wählen, drücke er sich nur allgemein werständlich aus. Die Homöopathie büßt ihrer Realität und ihrem Werth nach dabei nichts ein. Es ist daher auch die Sorge und Befürchtung derjenigen eine Einbildung, welche selbst in dem stricten Halten an die unwesentlicheren Dogmen HAHNEMANN’s die Haltbarkeit seines großen Werkes wähnen. Der verewigte Meister hat uns die Homöopathie nicht als ein fertiges, abgeschlossenes Gebäude hinterlassen, an welchem noch etwas hinzuzufügen und zu bessern, nur eine ruchlose Hand wagen dürfe. Er legte vielmehr den unverrückbaren Grundstein zu dem der ferneren Ausbildung md Vervollkommnung eben so fähigen als bedürftigen Baue, die er, auf das immense Material hinweisend, der Einsicht und dem Fleiße seiner Nachfolger überließ. Ob nun auf dem emporstrebenden colossalen Dom ein hie und da angebrachter Spitzbogen und Säulenknauf, diese oder jene dem reinen Styl angemessenen oder ihm widersprechen architektonischen Schnörkel stehen bleiben oder abgebrochen werden sollen, ist denn doch ein unerheblicher Streit, der die Einheit des großen Ganzen wenig oder gar nicht gefährdet. Stehen doch der Unterbau und die stützenden Säulen HAHNEMANN’s fest für alle kommenden Zeiten!
Was ROSENKRANZ in Beziehung auf HEGEL‘s Philosophie ausspricht, läßt sich sehr wahr auf HAHNEMANN’s Homöopathie anwenden: “Sie ist in dem Princip zu tief und in der Anlage zu umfassend, als daß sie schon vollendet sein könnte. Wenn ihre Gegner sie als im Untergange begriffen ansehen, so ist das eine Illusion, mit welcher sie sich schmeicheln, indem sie selber dem sicheren Verfall durch ihre Einseitigkeit entgegen gehen. Wäre sie schon todt, so müßte man über die heftige Polemik erstaunen, mit welcher sie eben von denjenigen bekämpft wird, die sie für verschollen erklären. Eine todte Sache pflegt doch nicht so lebendigen Widerspruch zu erfahren. Weil die erste Epoche ihrer Geschichte vorüber ist, so folgt daraus noch nicht, daß es mit ihr aus sei. Der Untergang der Extreme, welche sie in raschem Wuchs aus sich hervortrieb, ist nicht ein Untergang ihrer selbst. Im Gegentheil tritt sie nunmehr in eine zweite, freiere Epoche ein, der es natürlich mit der Zeit auch nicht an Extremen fehlen, die aber einen objectiveren, ruhigeren Charakter haben, und nachdem die wilden Wasser des kritischen Tumults bergab gelaufen sind, wissenschaftliche Detailarbeiten liefern wird.”
Arbeiten uns doch selbst solche in die Hand, die, wie RADEMACHER, der HAHNEMANN’schen Lehre ihren Beifall versagen. Und doch enthält sein Werk reiche, dem Gebiet der Homöopathie angehörige Schätze und auch ich, der ich schon vor 10 Jahren während meines Aufenthaltes am Rhein die persönliche Bekanntschaft des würdigen Verfassers zu machen und von den günstigen Erfolgen seiner Praxis mich zu überzeugen Gelegenheit fand, und der von ihm selber schon damals verheißenen Herausgabe seines trefflichen Werkes daher begierig entgegensah, auch ich stimme GRIESSELICH‘s dringender und wiederholter Empfehlung desselben, bei. So lasse man denn jeden gewähren; der es nur redlich meint und der Vervollkommnung der Homöopathie seine Lebenskräfte zu weihen sich zur ernsten Aufgabe macht. Der Eine sucht sie auf diesem, der Andere auf jenem Wege zu erreichen, und auch die Irrpfade führen endlich zur rechten Bahn der Wahrheit zu. Viel aber bleibt noch zu wünschen.
So werde denn allen Mitarbeitern an dem Bau unseres großen Werkes, das nur gemeinsame, treuverbundene Kräfte zu fördern vermögen, Nachsicht und Liebe zu Theil. “Die Liebe aber (Römer 12, 9 usw.) sei nicht falsch, die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem Anderen mit Ehrerbietung zuvor und ist es möglich, so viel an Euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden!”
Quelle: Allgemeine Homöopathische Zeitung, Band 201, Jahrgang 1956, Heft 2, Karl F. Haug Verlag.