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Naturheilkunde
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Altbewährt und brandaktuell: Heilpflanze Artischocke

Edward Ernst

Die Artischocke, Cynara scolymus L. – so nimmt man an – entstand aus der Wildartischocke, Cynara cardunculus (Kardone). Linne rechnete zu dieser Gruppe auch Frauendistel. Sie wird heute in Mittel- und Südeuropa, Nordafrika, Südamerika und in Kalifornien kultiviert. Im mitteleuropäischen Raum gibt es wegen der fehlenden Winterhärte keine Wildvorkommen.

Vom Aristoteles-Schüler Theophrast (371 v. Chr., Lesbos) stammt eine der ersten ausführlichen Beschreibungen der Pflanze.

Schon in der Antike als Arzneimittel angewandt

Bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. war die Artischocke als Heil- und Nahrungsmittel verbreitet. Mayr und Fröhlich meinten hierzu in einer äußerst kompetenten Übersicht folgendes: Es nimmt nicht Wunder, daß diese Blütenknolle zur ausgesprochenen Tafelfreude der Römer wurde, denn sie erkannten bereits, “daß sie die Verdauungssäfte zum Fließen bringt”. Die Araber, als nachfolgende Kulturträger, führten den Saft der Blätter, genannt Kinkarzad, gezielt medizinischen Zwecken zu.

In Deutschland wurden Wurzel und Blätter der Artischocke von Leonardus Fuchs (1543) als Medizin gepriesen. Hieronymus Bock publizierte 1630 eine ausführliche Beschreibung: “Dienetderhalben zu der verstopfften Lebern und Nieren zu der Gälsucht und Wassersucht”.

Nicht zuletzt durch Überlieferung und Lobgesänge lateinischer Dichter wurde die Artischocke damals auch zu einer sagenumwobenen Heilpflanze der alchemistisch medizinischen Literatur. Das Herbario Del Durante von 1667 erwähnt u.a. eine Testmethode von 4 Unzen Blätterextrakt für Schwangerschaft und für Geschlechtsvorbestimmung.

Nicolas (1716), Bachin (1751), Bally (1835), Magnus (1837), Levrat und Terraton (1843) sowie Delafontaine (1851) priesen ihre Wirkung bei Gelbsucht und Leberinsuffizienz. Frühere klinische Versuche von Paolillo an gesunden Personen sowie Leber- und Gallenkranken sprachen für gallentreibende, choleretische, cholekinetische und antiseptische Wirkungen. Nach den Erfahrungen anderer Autoren,die sich auf Untersuchungen an Kranken mit verschiedenen arthritischen Störungen stützten, ergab sich ferner, daß sowohl der Cholesterin- als auch der Harnstoffspiegel unter der Einwirkung der Heilpflanze sinken.

Mayr und Fröhlich führen zur medizinischen Vergangenheit der Artischocke folgendes aus:

1850 verwendete ein französischer Arzt den Absud von Blättern besonders erfolgreich bei einem Knaben, dessen Gelbsucht einen Monat lang nach der damals klassischen Methode mit Salicylat und kaltem Klistier vergeblich behandelt wurde. Diese Tatsache veranlaßte den Forscher J. Brel zu Versuchen mit einem Absud, später mit einem hydroalkoholischen Extrakt aus Artischokkenblättern, deren Ergebnisse er im Juni 1929 der Pariser Therapeutischen Gesellschaft mitteilte.

Seit 1933 ist bekannt, daß Artischocken-Extrakt das Blutcholesterin beeinflußt.Tixier und Eck verwendeten es bereits 1934 zur Behandlung der Hyperchlesterinämie. Die Fähigkeit des Blutplasmas, Cholesterin in Lösung zu halten, wird durch ArtischockenExtrakt ebenfalls verbessert. Die Kommission E des BGA würdigte in ihrer Monographie aus dem Jahre 1988 lediglich die Wirksamkeit bei Dyspepsie gemäß dem damaligen Erkenntnisstand. Weitere pharmakologische Wirkungen und potentielle Anwendungsgebiete der Artischocke sind erst in den letzten Jahren durch neue Forschungsaktivitäten bekannt geworden. Tabelle 1 faßt den medizinhistorischen Werdegang stichpunktartig zusammen.

Historisch beschriebene Wirkungen der Artischocke
antirheumatisch, galletreibend und harntreibend Antike
Magenstärkung 100
Gebärmutterwirkung 100
„verstopfte Lebern und Nieren” 1667
harntreibend 1714
Aperitivum 1714
Gelbsucht und Leberinsuffizienz 1716
Gelbsucht und Leberinsuffizienz 1751
Gelbsucht 1751
Blutandrang in Leber und Niere 1751
akuter Gelenkrheumatismus 1823
akuter Gelenkrheumatismus 1833
Gelbsucht und Leberinsuffizienz 1835
Gelbsucht und Leberinsuffizienz 1837
akuter Gelenkrheumatismus 1843
Gelbsucht und Leberinsuffizienz 1842
Diureseförderung 1848
Gelbsucht 1850
Gelbsucht und Leberinsuffizienz 1851
harntreibend 1929
Cholerese 1930
Verhinderung der Arsenbedingten Fettdegeneration der Leber (Tier) 1830
Isolierung von Cynarin 1934
Behandlung der Hypercholesterinämie 1934
Verbesserung der Leberwerte 1935
Atherosklerose, Steigerung der Cholesterolyse 1942
Aufklärung der chem. Struktur des Cynarin (Dicaffeolychinasäure) 1954
Cholerese 1957
Cholerese (Doppelblindstudie) 1994
Zellprotektive Wirkung am isol. primären Hepatozyten 1995
Antioxidative Wirkung 1995
Hemmung der Cholesterinbiosynthese (C-Acetat-Einbau) 1995

Tab.1

Inhaltsstoffe: Cynarin lange Zeit überbewertet

Aufgrund von ersten wissenschaftlichen Untersuchungen glaubte man in den frühen Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, die Substanz Cynarin (1,5-Dicaffeoylchinasäure) aus der Artischocke, deren chemische Struktur 1954 aufgeklärt wurde, sei der relevate arzneilich wirksame Bestandteil. Mittels moderner pharmazeutischer Analytik konnte jedoch nachgewiesen werden, daß Cynarin in der frischen Pflanze allenfalls in Spuren enthalten ist. Es bildet sich erst bei der Herstellung eines Extrakts durch Umesterung im wäßrigen Medium aus 1,3-Di-O-Caffeoylichinasäure im Drogenausgangsmaterial. Es gelang, den Inhaltstoff Cynarin synthetisch herzustellen, und vor wenigen Jahrzehnten waren noch mehrere Präparate mit synthetischem Cynarin auf dem Markt zu finden.Man mußte jedoch feststellen, daß Cynarin-Präparate keine ausgeprägte klinische Wirkung hatten. Besonders deutlich trat ein relativ enges therapeutisches Profil hervor, das letztendlich das Interesse an diesen Präparaten reduzierte. Heute wird akzeptiert, daß ein Komplex von Inhaltstoffen des Gesamtextrakts für die Wirksamkeit verantwortlich ist (Synergismus). Eine Reihe von Inhaltstoffen ist eindeutig identifiziert. Bis heute ist aber letzlich ungeklärt, welche Bestandteile des Extrakts im Sinne der bekannten pharmakodynamischen Effekte wirksam sind. Die wesentlichen Stoffklassen sind Caffeoylchinasäuren, Flavonoide und Sesquiterpenlaxtone.

Von Bedeutung sind wahrscheinlich die Caffeoylchinasäuren, die von einigen Autoren als arzneilich wirksame Bestandteile (choleretisch und lipidsenkend) angesehen werden.

In den Spreiten der Grundblätter werden am Ende des ersten Vegetationsjahres die höchsten Konzentrationen von Caffeoylchinasäuren gefunden. Der Gehalt hängt stark vom Erntezeitpunkt und vom Alter der Blätter ab: Im ersten Vegetationsjahr der Artischocke nimmt der Gehalt an Caffeoylchinasäuren in den Grundblättern stetig zu.

 

Zur aktuellen Erforschung des Wirkmechanismus

Die Wirkmechanismen von Artischockenextrakt waren bis vor kurzem im wesentlichen noch unbekannt. Erst jüngst durchgeführte experimentelle und klinische Studien scheinen hier eine neue Basis zu schaffen. Neben der nachgewiesenen Förderung der Cholerese als Basis für die gastrointestinalen Indikationen wurden zellprotektive Wirkungen und eine Hemmung der Cholesterin-Biosynthese angenommen. Antioxidative Mechanismen wurden aufgrund der bekannten Wirkungen des Artischokkenextraktes schon länger vermutet. Durch die Wahl valider experimenteller Modelle wurden diese Hypothesen jüngst bestätigt. Gebhardt und Mitarb. stellten durch Messung des Einbaus von 14C-markiertem Acetat an isolierten Hepatozyten fest, daß ein hochdosierter wässriger Artischockenextrakt (Hepar-SL°forte) in der Lage ist, die Neusynthese von Cholesterin in Hepatozyten konzentrationsabhängig zu hemmen. Daraus kann gefolgert werden, daß bei therapeutischer Anwendung von Artischockenextrakten neben der anzunehmenden Verminderung des intrahepatischen Cholesteringehalts infolge einer choleretisch verstärkten Elimination auch mit einer Drosselung der Neusynthese von Cholesterin in der Leber zu rechnen ist und dies einen relevanten therapeutischen Vorteil darstellen könnte. Darüber hinaus wurde festgestellt, daß Artischockenextrakte an Hepatozyten eine stark ausgeprägte protektive Wirkung in Bezug auf CCI4 Schädigungen (MTT-Test) und eine ausgeprägte konzentrationsabhängige antioxidative Wirkung (t-BHP;Malondialdehydproduktion) besitzt. Es ist naheliegend anzunehmen, daß die antioxidative Wirkung den leberzellschützenden Effekt kausal bedingt. Gemäß der jetzt vorliegenden vorläufigen Ergebnisse aus molekularen Testsystemen stellen sich die Wirkmechanismen wie in Tab.2 skizziert dar.


Tab.2: Für das Arzneimittel Hepar SL forte experimentell
und klinisch nachgewiesene Wirkungen von Artischockenextrakt

Geringes Nebenwirkungs- und Sensibilisierungspotential

Bei richtiger Anwendung sind bis heute keine Nebenwirkungen bekannt geworden. Allergische Kontaktekzeme wurden bei beruflich exponierten Personen bei direktem dermalen Kontakt mit frischen oder getrockneten Pflanzenteilen beschrieben. Solche Allergien sollten dann auch aufgrund der therapeutischen Sorgfaltspflicht als Kontraindikation für die Einnahme von Artischockenpräparaten betrachtet werden, gleichwohl sind pathogene Immunreaktionen nach oraler Anwendung bisher nicht berichtet worden. Weitere Gegenanzeigen sind, wegen der gallentreibenden Wirkung, Gallenwegsverschlüsse und Gallensteine.

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