Multiple Persönlichkeitsstörung / Dissoziative Identitätsstörung
In ihrer mit “sehr gut” benoteten Abschlussarbeit zeigt Paracelsus-Absolventin Heike Felicitas Kühn, Celle, in überragender, höchst intelligenter und leicht lesbarer Form Antworten auf brennende Fragen der Psychoanalyse – hier besonders Freud – auf. Paracelsus Report veröffentlicht die umfangreiche Abschlussarbeit als Serie. Gliederung
1. Vorbemerkung Ich habe mich für dieses Thema entschieden, da selten eine Diagnose wie die der “Multiplen Persönlichkeitsstörung” Psychiater und klinische Psychologen so in Rage versetzte und sie in Lager von Gegnern und Befürwortern spaltete. Weit über die Fachwelt hinaus provoziert das Thema Gereitztheiten. Es werden immer wieder folgende Frager kontrovers diskutiert:
Hier in Deutschland ist das Thema Multiple Persönlichkeitsstörung bzw. Dissoziative Identitätsstörung zu einer Art Glaubensfrage geworden. Ich selbst zähle mich zu den sog. “MPS-Gläubigen” und hoffe, daß dieser unbefriedigende Zustand nicht mehr lange anhält. Eine Änderung läßt sich durch den großen Zuwachs an Mitgliedern der ISSDFachstudiengruppe (= International Society for the Study of Dissociation) erfreulicherweise erkennen. Meines Erachtens liegt diese große Ablehnung gegenüber der MPS-Diagnose daran, daß die von multiplen Frauen erlebte Gewalt die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt. Es ist leichter, sich nicht eingestehen zu müssen, daß in unserer modernen Gesellschaft Kinder sexuell mißbraucht werden, daß sie physisch und psychisch aufs schrecklichste gequält und gefoltert werden, daß immer mehr Erwachsene ihre “Macht” Kindern gegenüber ausspielen etc. Um so intensiver ich mich mit diesem Thema befaßte, stieg zugleich meine Bewunderung gegenüber multiplen
Frauen und ihren Überlebensstrategien. Eine gleichbedeutende Aussage trifft auch Michaela HUBER
(2) Abschließend möchte ich mich dem Vorwort von Michaela HUBER aus dem Handbuch “Multiple Persönlichkeiten –
Überlebende extremer Gewalt”, anschließen. Diese paar Sätze treffen genau den Kern und regen zum Nachdenken
an. Auch ich wünsche mir, daß multiple Persönlichkeiten mit Behutsamkeit und Respekt behandelt werden, wie es
ihrem bewundernswert kreativen Überleben gebührt. 2. Einleitende Gedanken Bevor ich das Fallbeispiel vorstellen werde, möchte ich noch auf die geschichtliche Entwicklung der multiplen
Persönlichkeitsstörung eingehen, da sie meines Erachtens sehr bedeutend für die Entwicklung dieses
Krankheitsbildes ist. Auch Henry F. Ellenberger (7) schreibt in seinem Buch “Die Entdeckung des Unbewußten”, daß das Phänomen der Besessenheit sehr wohl als eine Variante der MPS angesehen werden kann. Nun zurück zu CHARCOT. Er zählte zu den hysterischen Symptomen Anästhesien der Haut, Lähmungserscheinungen, Kontrakturen, epileptoide Erscheinungen sowie hysterische Schlafanfälle. Da CHARCOT bei der Hysterie von einer Hirnschädigung ausging, lehnte er eine psychische Ursache ab. Die psychische Verfassung der Hysterikerinnen verglich er mit einem hypnotischen Zustand. FREUD(8) besuchte 1886 CHARCOT und lernte von ihm Behandlungsmethoden”hysterischer” Frauen kennen.1889
erweiterte er seine Kenntnisse über Hypnose bei einem Besuch von BERNHEIM(9) und LIÉBEAULT.(10) LIÉBEAULT
behandelte seine Patientinnen mit “Magnetismus” (= veraltete Bezeichnung für hypnotische Verfahren) und
befreite sie damit von ihren Symptomen. Die Ätiologie der Hysterie wurde von FREUD immer weiter entwickelt. Er bezeichnete die Symptome der Hysterie als Erinnerungssymbole traumatischer Erlebnisse. Die Ursache dieser Symptome muß durch die Analyse des Traumas bis zu seinem Ursprung aufzufinden sein. Für FREUD ergab sich durch die Patientinnen, die von Traumatisierungen durch sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit berichteten, die ätiologische Bedeutung sexueller Traumatisierung für die Ausbildung hysterischer Symptome. FREUD ging bei seinen Patientinnen bis in die Kindheit zurück und verfolgte so die Abfolge der traumatischen Erlebnisse. Er stellte fest, daß hysterische Symptomentwicklungen ihren Ursprung in der frühen Jugend durch sexuelle Gewalterfahrungen haben. Laut FREUD habe die vollständige Abwehr der unerträglichen Erlebnisse die Wandlung der Erinnerungen in unbewußte Erinnerungen zur Folge. So werden zuerst somatische Symptome und später hysterische Symptome hervorgerufen. Er führte körperliche hysterische Symptome immer wieder auf sexuelle Gewalterlebnisse zurück. Durch die Analyse hysterischer Symptome wurde erkannt, daß scheinbar unbedeutende äußere Reize Erinnerungen an das Trauma wecken konnten. Der so ausgelöste hysterische Anfall ergebe sich anscheinend ohne jeden Grund. FREUD schloß daraus, daß die traumatischen Erlebnisse deshalb so machtvoll blieben, weil sie unerledigt seien. Das Ziel der Therapie sei, die verdrängten traumatischen Erlebnisse nochmals zu erinnern und zu bearbeiten. Diese Theorie – reale, frühkindliche Traumata in Gestalt sexueller Gewalt als Ursache hysterischer Erkrankungen – nahm FREUD 1897 wieder zurück und erfand damit die “Verführungstheorie”. Nach dieser “Verführungstheorie” wünschten die Patientinnen, vom Vater verführt zu werden. Weiterhin entwickelte er komplizierte triebdynamische Modelle, wie z.B. den Ödipus-komplex, und versuchte damit die Störungen seiner Patientinnen alternativ und sozial verträglicher zu begründen. Dies bedeutet, meines Erachtens, für betroffene Mädchen und Frauen eine Mißachtung ihrer Gewalterfahrungen. Den Patientinnen wurde nicht mehr geglaubt und ihre Aussagen wurden in den Bereich der Phantasie und der inzestuösen Wünsche verbannt. Tragischerweise legte er damit einen Grundstein für eine fast 100- jährige Verleugnung des häufigen Vorkommens von Inzest und sexuellem Mißbrauch. Warum FREUD kapitulierte, könnte daran gelegen haben, daß er Angst bekam und der Druck der Fachöffentlichkeit zu groß wurde. Die Hysterie war weit verbreitet und wenn seine Theorie gestimmt hätte, wäre das, was FREUD “Perversion gegen Kinder” nannte, ebenso weit verbreitet gewesen. Auszuschließen ist auch nicht, daß einige Täter zu FREUDS Bekannten- und Kollegenkreis gehörten. Unter diesem Druck und der Erkenntnis, daß auch in seiner Familie sexuelle Übergriffe durch den Vater stattgefunden hatten, gab er auf und nahm offiziell die “Traumatheorie” zurück.(04) Allgemein führte diese Situation dazu, daß das Interesse an dissoziativen Störungen und multiplen Persönlichkeitsstörungen sank. Bis in die 70er Jahre hinein wurde die Diagnose der MPS oder DIS nur sehr selten gestellt, geschweige denn therapiert. Statt dessen wurde die Diagnose der “Schizophrenie” von BLEULER(15) immer beliebter. Unter den Schizophrenen findet man vermutlich ca.40% multiple Persönlichkeiten. Dann stieg das Interesse an dem klinischen Krankheitsbild der MPS in den USA. Es begann eine Periode neuer Studien zur Dissoziation. Viele Psychiater und Forscher setzten sich für die Re-Etablierung von Diagnostik und Behandlungskonzepten für MPS/DIS ein, bis 1980 eine separate diagnostische Kategorie “Dissoziative Störung” in das internationale Diagnostik-Handbuch für psychische Störungen aufgenommen wurde. Es wurden Testverfahren und Fragebögen entwickelt. 1984 wurde in den USA die International Society for the Study of Multiple Personality and Dissociation (ISSMP & D) gegründet. lm Mai 1994 wurde die Gesellschaft umbenannt in Internationl Society for the Study of Dissociation (ISSD)(16) . Diese Umbenennung wurde durchgeführt, um sich dem geänderten Terminus “Multiple Persönlichkeitsstörung” in “Dissoziative Identitätsstörung” im internationalen Diagnostikhandbuch DSM-IV (17) anzupassen. In den USA und Kanada wurden etliche Therapieprogramme entwickelt. Stationen und Kliniken widmen sich speziell dieser Diagnostik und Behandlung von MPS. Vorbildlich sind ebenso die Niederlande, in der BRD wächst das Interesse eher zögernd. Multiple Patientinnen würden hier eher die Diagnose Borderline-Störung erhalten, als ungewöhnliche Psychopathinnen, als schizophren oder psychotisch bezeichnet werden. In den letzten Jahren hat sich also dank der Frauenbewegung, Engagements von Kinderschutz-Organisationen und Fachfrauen- und -männer aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen vieles getan und verbessert. Trotzdem wollen viele Kritiker, die sich als Fachleute bezeichnen, und Teile aus der Bevölkerung nicht wahrhaben, wie viele physische und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Frauen, vor allem innerfamiliär, existiert. Sie möchten in unserer patriarchalischen macht- und ausbeutungsorientierten Gesellschaft die Problematik als Modethema, Übertreibungen, hypnotische Induktion von “falschen Erinnerungen” durch Therapeutin/en oder deren Überengagement etc. abtun. (18) 3. Fallbeispiel Frau K. ist 23 Jahre alt und suchte auf eigene Initiative nach einer psychotherapeutischen Behandlung. Sie
berichtet, daß sie bereits 2 Therapieversuche hinter sich habe. In der ersten Therapie wurde aufgrund einer
“Rückführungstechnik” der frühe sexuelle Mißbrauch erkannt und eine multiple Persönlichkeitsstörung
diagnostiziert. In der zweiten Therapie versuchte der Behandler auf esoterischer Ebene der Klientin
Erleichterung zu verschaffen. In der letzten therapeutischen Begegnung hätte sie gemerkt, daß sich ihre
Befindlichkeit nicht mehr bessert, und so habe man in beiderseitigem Einverständnis beschlossen, die Therapie
zu beenden. Fortsezung im nächsten Heft mit Punkt 4. Anmerkungen der Autorin
Heike Felicitas Kühn, |
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