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Psychotherapie
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Beratung als helfender Prozeß – Teil 4

r9903_pbSerie: PSYCHOLOGISCHE BERATUNG – Teil 4
Dr. Hartmut Gutsche, Psychotherapeut (HPG) ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verbandes Freier Psychotherapeuten und Psychologischen Berater e.V. (VFP) und gibt in unserer Serie Ratschläge für die psychologische Praxis:

Focusing

Die Erfassung bedeutsamer Beziehungsprobleme in der psychologischen Beratung

Die Vorstellung von einem zentralen Konfliktthema (Fokus), das eine beratend-leitende Funktion besitzt, ist in dieser oder jener Form in fast allen Beratungsstunden nachweisbar. Sie beinhaltet das Bekenntnis zur aktiven Steuerung des Beratungsprozesses.
Fokussieren ist die Absicht, subjektive und objektive Faktoren verschiedener Beobachtungsebenen auf eine Weise zusammenzuführen, daß sie zu einem Problemfokus werdendem diagnostische oder beratende Bedeutung zukommt. Es handelt sich also sowohl um eine Zusammenfassung als auch Akzentuierung erhaltener Daten.
Je nach Art des Zusammenführens der in der Beratung erhaltenen Informationen/Daten (Fokus) finden anamnestische Daten, Verhaltensbeobachtungen im Verlauf der Gespräche, aber auch subjektive Empfindungen des Psychologischen Beraters (wird im nächsten Beitrag besonders dargestellt) mit unterschiedlichstem Gewicht Verwendung.
Auf diese Weise entstehen:

  • der Systemfokus
  • der Fokus für die auslösende Situation
  • der Fokus, der ein Hindernis in der Problementfaltung markiert (der Widerstandsfokus)
  • der Fokus, der einen Zusammenhang zwischen Symptomatik, Bewältigungsstil und der Berater-Klient-Beziehung ausdrückt (dynamischer Fokus), evtl. auch verbundenen mit dem “Flash” (blitzartige Erkenntnis in der Beratung, Aha-Erlebnis, das Berater und Klient verbindet).

Dieser Vorgang ist die ausreichende Kennzeichnung des Beratungsproblems, da sich dann eine Beziehungsebene gebildet hat, in der die aktuelle Situation erscheint und eine konkrete Verständigungsgrundlage da ist.

Dazu könnte der Psychologische Berater wie folgt vorgehen:

  1. Abgrenzung eines Beziehungsbereiches, in der über die Beziehung mit einer Person (einschließlich des Beraters) gesprochen wird.
  2. Die Reduzierung des verstandenen Problems auf einen Satz mit zwei Richtungen, nämlich die Intentionen (Gefühl) des Klienten (z. B. “Ich möchte etwas von … (einer Person)”, und den Konsequenzen des Versuchs, seinen Wunsch zu erfüllen. Dabei kann es um innere Konsequenzen (z.B. ” … aber ich bekomme Angst …”) oder äußere Konsequenzen (z. B. “… aber ich werde abgelehnt …”) handeln.
    In diesem Satz ist demnach enthalten
    – die Wahrnehmung eines Wunsches und
    – die Wahrnehmung einer besonderen Situation, die erwartete Hilflosigkeit, Unsicherheit und Angst beinhaltet.

Wie die Praxis berichtet, kann es angesichts der Vernetzung unbewußter Motivstrukturen kaum eine Fokusdiagnostik geben, die nicht in Wechselbeziehung mit dem interaktionellen Prozeß in der Beratung selbst steht. Einerseits wird der Fokus nicht zuletzt mit Hilfe der Empathie (vgl. Beitrag Teil 3 in Heft 3, S.28) des Beraters aufgebaut, der seine Eindrücke vom gegenwärtigen Charakter der Beziehung mehr oder weniger bewußt in den diagnostischen Prozeß einbezieht.
Andererseits zeigt sich eine Beziehungsproblematik, die eine psychische Störung ausbildet, auch in irgendeiner Weise in einer Beziehung, die im Hinblick auf ihren Differenzierungsgrad und Anforderungscharakter ausgesprochen bedeutsam ist.
Insofern verlangt ein abgerundetes Bild vom beratenden Fokus die Herstellung einer Beziehung zwischen den gegenwärtigen außerberatenden und innerberatenden Beziehungen.
Voraussetzung für die Stabilität beratender Effekte außerhalb der beratenden Beziehung ist die konsequente Herstellung einer Subjektposition des Klienten (Gleichartigkeit der Beziehung, Unabhängigkeit, Selbstkontrolle usw.) was wie beschrieben motivationale (Antriebe) Aspekte einschließt.
Daher erscheint es notwendig, die Entwicklung der beratenden Beziehung über verschiedene Phasen der Komplementarität zur Gleichartigkeit methodisch zu widerspiegeln und insbesondere die motivationalen Probleme der Übernahme von Selbstverantwortung für symptomatisches Verhalten zu berücksichtigen.

Mögliche Stufen der Beratungsmotivation (Beweggründe)

1. Allgemeine Beratungsmotivation – “Ich brauche Hilfe”
Gefühle:
Mir geht es nicht gut, ich fühle mich krank, fühle mich hilflos, brauche jemanden, der mir irgendwie hilft.
Ankerbeispiel:
– Ich glaube nicht, daß meine Probleme von allein wieder verschwinden.
– Mein Zustand kann durch eine Beratung/Hilfe verbessert werden.
– Ich bin bereit, der Beratung nachzugehen, wenn sie mir hilft.

2. Beratungsmotivation – “Ich brauche spezielle Beratung”
Gefühle:
Ich bin mir bewußt, daß meine Probleme vorwiegend seelischer Natur sind und brauche daher ausschließlich oder zusätzlich Hilfe.
Ankerbeispiel:
– Da meine wesentlichen Beschwerden psychischer Natur sind, benötige ich daher psychologische Beratung.
– Ich brauche eine Beratung, die es mir ermöglicht, bisherige Vorstellungen und Sichtweisen zu ändern.
– Ich brauche psychologische Beratung, um wieder besser mit dem Leben zurechtzukommen.

3. Motivationen zur Wahrnehmung von Beziehungs-Zusammenhängen – “Ich bin bereit, Zusammenhänge zwischen Symptomatik und Situation (usw.) wahrzunehmen”
Gefühle:
Ich erlebe den Zusammenhang zwischen Symptomatik und einer bestimmten Situation, in welcher ich mich befinde (bzw. bestimmtem Verhalten).
Ankerbeispiel:
– Für mich sind die Symptome zum Signal meines Fehlverhaltens geworden.
– Meistens weiß ich jetzt, was meine Symptome ausdrücken.
– Ich weiß jetzt, daß ich etwas falsch mache, wenn meine Beschwerden sich melden.

4. Motivation zur aktiven Selbstbeeinflussung
Gefühle:
Für den Abbau meiner Beschwerden sehe ich Möglichkeiten der aktiven Selbstbeeinflussung.
Ankerbeispiel:
– Ich spüre,daß ich mich verändern kann und dadurch meine Symptomatik kontrolliere.
– Ich erlebe, wie ich selbst Einfluß nehmen kann auf mein Befinden.
– Ich stehe meinen Beschwerden nicht mehr hilflos gegenüber, sondern kann sie aktiv beeinflussen.

5. Transfer (Übertragung) erreichter Möglichkeiten – “Ich sehe Möglichkeiten der aktiven Selbstbeeinflussung, erlebe meine Fähigkeiten der Einflußnahme und möchte dafür sorgen, daß positive Veränderungen unter schwierigen Bedingungen bestehen bleiben”
können gleichsam als Prozeßetappen aufgefaßt werden, da wesentliche Variable des Prozesses im Aspekt der Beratungsmotivation jeweils bei einem Fokus gebündelt werden, wie:
– Einstellung des Klienten zur Beratung
– Form der Berater-Klient – auch Klient-Gruppe-Beziehung
– Widerstands-/Abwehrmuster
– Dynamik der individuellen Beratungszielbestimmung u.a.
Gefühle:
“Ich kann jetzt meine Symptome kontrollieren und möchte dafür sorgen, daß auch unter schwierigen Bedingungen die Veränderung bestehen bleiben.
Ankerbeispiel:
– Ich fühle mich durch die Beratung relativ wohl und muß unbedingt dafür sorgen, daß die Änderungen bestehen bleiben.
– Ich weiß,daß es für mich Mühe kosten wird, die erreichten Änderungen aufrechtzuerhalten.
– Ich sehe den Entstehungszusammenhang meiner Beschwerden, Störungen deutlich, kann Einfluß darauf nehmen und will es auch weiter tun können.

Erfahrungsgemäß wird durch eine sach- und fachgerechte psychologische Beratung eine bessere Übereinstimmung des subjektiven Bezugssystems des Klienten mit objektiv gesetzten biologischen oder sozialen Bezügen hergestellt. In diesem Prozeß ist der Berater als Teil des sozialen Bezugssystems des Klienten wesentlich, indem er sich komplementär auf die Bedürfnisse des Klienten einstellt bzw. dafür Sorge trägt, daß Umweltbedingungen an individuelle Bedürfnisse angepaßt werden. Damit befindet er sich aber auch in der Funktion eines Reglers der Spannung in diesem System, der die Möglichkeit hat, durch bewußte Gestaltung der Beziehung die personellen Widersprüche zu mildern, aber auch zu verschärfen, zuzudecken oder bewußter zu machen. Individueller beratender Fortschritt drückt sich unter diesem Aspekt als höherer Unterscheidungsgrad der sozialen Beziehungsgestaltung aus.

(Wird in Heft 5 fortgesetzt)

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