Osteopathie bei rezidivierenden Infekten
In der Praxis werde ich immer wieder mit Patienten konfrontiert, die mehrere zum Teil fieberhafte Infekte pro Jahr erleiden und oftmals auch mehrmals im Jahr Antibiotika verordnet bekommen. Der Körper gerät in einen regelrechten Kreislauf aus Erschöpfung, Angst vor neuen Infektionen sowie Vermeidungsstrategien. Osteopathische Behandlungen können den Körper wieder in eine normale Abwehrreaktion zurückführen. Hierbei möchte ich insbesondere auf die Rolle des Vegetativums eingehen.
Das vegetative Nervensystem wird in Parasympathikus, Sympathikus und enterisches Nervensystem unterteilt. Der Parasympathikus (Abb. 1) mit seinem Hauptvertreter, dem N. vagus, reguliert die Verdauungstätigkeit und übernimmt vorwiegend die Ruhe- und Regenerationsarbeit des Körpers. Die parasympathischen Nervenfasern entspringen aus dem Hirnstamm und dem Sakralmark. Craniosacral haben wir die Möglichkeit, über Occiput sowie über das Kreuzbein Einfluss zu nehmen. Das Versorgungsgebiet des N. vagus reicht über den gesamten Kopf- und Thoraxbereich bis in den Verdauungstrakt hinein. Kurz vor der linken Flexur (unter dem linken unteren Rippenbogen gelegen) endet die Versorgung am sogenannten Cannon-Böhm-Punkt. Ab hier bis zum Rektum sowie für den Urogenitalbereich erfolgt die parasympathische Versorgung über den Plexus sacralis.
Die sympathische Innervation erfolgt über Verschaltungen in den Grenzstrangganglien des Rückenmarks (Abb. 2). Auch hier können wir die Versorgungsgebiete absteigend entsprechend der Lage der Strukturen einteilen: Alle Strukturen oberhalb des Diaphragmas werden von den Brustwirbelkörpern (BWK) I-V versorgt; die darunterliegenden dementsprechend absteigend von BWK VI bis zu den Lendenwirbelkörpern. Ausgehend von den Ganglien der oberen Brustwirbelsäule gibt es Verschaltungen auf die drei Halsganglien. Das hier bedeutsame Ganglion cervicale superius liegt im oberen Bereich der Halswirbelsäule und dient u.a. der Versorgung der Kopfschleimhäute. Der Sympathikus wird unter Stress aktiviert und fördert bzw. steigert die Leistung einer bestimmten Struktur. Neben der oben beschriebenen Funktion tritt der Parasympathikus oftmals auch als Gegenspieler des Sympathikus auf, indem er durch begrenzt mögliche Steigerung den Sympathikus in seiner Wirkung herabsetzt.
Entsprechend der chinesischen Medizin, die in Krankheit ein Ungleichgewicht zwischen Yin und Yang sieht, können wir einen Teil der Entstehungsgeschichte einer Krankheit als ein Ungleichgewicht zwischen Parasympathikus und Sympathikus betrachten. Die Kunst besteht jetzt in Analogie zur östlichen Medizin darin, festzustellen, welcher Anteil des Vegetativums stimuliert werden möchte. Eine Überstimulation des Patienten führt zu übersteigerten, nicht tolerablen Reaktionen.
Im Idealfall befinden sich beide Komponenten des Vegetativums im Gleichgewicht. Ist dagegen der Sympathikus bei normalem Parasympathikus erhöht, zielt die Therapie darauf ab, den Sympathikus zu senken. Symptomatisch finden wir Vasokonstriktion und verminderte Ver- und Entsorgung der Gewebe. Fieber als Akutreaktion tritt durchaus auf. Andauernde sympathische Stimulation führt zur Sekretverdickung bis hin zur Erschöpfung der Schleimhautsekretion. Chronifizierung und nachfolgende bakterielle Superinfektion können erfolgen. Farbumschlag des Sekrets von weiß-gelblich hin zu grün oder braun zeigen dies an. Die parasympathische Wirkung auf die Kopfschleimhäute erfolgt über das Ganglion sphenopalatinum in der Fossa pterygopalatina und führt an den Schleimhäuten zu Rötung und Abgabe von wässrigem Sekret.
Osteopathisch kann über manipulative oder mobilisierende Techniken im Bereich der sympathisch versorgenden Strukturen Einfluss genommen werden. Dies umfasst die Behandlung der oberen Hals- bzw. der oberen Brustwirbelsäule. Interessanterweise zeigen betroffene Patienten oftmals einen erhöhten Muskeltonus im Übergang Hals-/Brustwirbelsäule bis hin zu rezidivierenden Blockaden. Manipulative Techniken werden oft nicht toleriert aufgrund der hypertonen Muskulatur. Diese gerät zusätzlich in einen quasi-entzündlichen Zustand, sodass von diesen Patienten teilweise nicht mal mehr Massagen zugelassen werden.
Unterbrechung dieses Kreislaufs ist durch die Anwendung cranio-sacraler sowie faszialer Induktionstechniken im zervikothorakalen Übergang möglich. Zusätzlich heilungsfördernd wirkt die „Öffnung“ der oberen Thoraxapertur durch Gewebsentspannung und faszialer Dehnung der Halsfaszien. Dadurch erfolgt eine Verbesserung der lymphatischen Entsorgung des Hals- und Kopfbereiches. Parasympathische Einflussnahme erfolgt occipital in Kombination mit der Behandlung des obersten Kopfgelenks. Dieser cranio-sacrale Griff wird oftmals unmittelbar als scharf schmerzend, aber heilsam empfunden. Dieser Schmerz sollte noch während der Behandlung verschwinden. Ein weiterer unmittelbar schmerzhafter Griff mit ungewolltem Tränenfluss ist die Behandlung des Ganglion pterygopalatinum. Hierbei lässt man sich von der erhöhten Gewebsspannung führen und synchronisiert die eigene Druckintensität mit dem zu spürenden Widerstand des Gewebes.
Ziel der Behandlungen ist es, die Infektanfälligkeit zu senken bzw. chronisch schwelende Prozesse zu stoppen und das Gewebe wieder in gesunde Abwehrlage zu führen. Als Reaktion tritt deshalb oft eine (gewünschte) Verstärkung oder Aktivierung entzündlicher Prozesse auf. Dies kann bereits unmittelbar unter der Behandlung geschehen, indem die behandelten Strukturen schmerzhaft reagieren. Ebenso kann eine fühlbare, kurzzeitige Erwärmung der entsprechenden Gewebe auftreten. Die parasympathische Aktion über das Occiput erfordert fast immer nach dem Aufrichten aus der Rückenlage am Ende der Behandlung eine Ruhehaltung von ca. einer Minute im Sitz, bis der Patient gleichgewichtsstabil aufstehen kann. Dies ist eine normale Reaktion und muss einfach abgewartet werden. Weitere unmittelbare Reaktionen sind Sekretabsonderungen aus der Nase oder im Rachenraum, Abhusten oder interessanterweise bei Infekten im Tonsillen- oder Kehlkopfbereich eine ca. 30 Minuten andauernde Heiserkeit oder Stimmvertiefung im unmittelbaren Anschluss an die Behandlung. Über diese Reaktionen muss der Patient aufgeklärt werden. Weiterhin sind bis zu 72 Stunden nach Erstbehandlung muskelkaterähnliche Schmerzen, leicht fiebrige Reaktionen sowie eine Aktivierung des Infektionsgebietes möglich. Viele Patienten zeigen auch eine erhöhte Müdigkeit und schlafen lange und gut nach der ersten Behandlung.
Bei Patienten mit Beschwerden der Nasennebenhöhlen aktiviert man durch die Behandlung des Gesichtsschädels und auch des obersten Kopfgelenkes die Anteile des fünften Hirnnervs (N. trigeminus), insbesondere seine beiden Anteile N. ophthalmicus und N. maxillaris. Auftretende Reaktionen auf die Behandlung können innerhalb der ersten 24 Stunden akut schmerzhaft sein. Hier hat es sich bewährt, den Patienten ein Analgetikum einnehmen zu lassen.
Optimal ist es, die Behandlung zusätzlich durch naturheilkundliche Präparate zu unterstützen. Im Laufe der Jahre habe ich mich mit Homöopathie, Spagyrik, Phytotherapie und Anthroposophie auseinandergesetzt. Aus diesem Grund möchte ich hier keine Präparate empfehlen, sondern verschiedene Ansatzprinzipien darstellen. Reine Pflanzenmittel unterstützen die entsprechende Struktur bei akuter Symptomatik. Die Wirkung setzt schnell ein, ist aber insgesamt kurzfristiger. Lavendel wirkt allgemein gegen Symphatikotonie. Sind bereits langfristige Krankheitsprozesse aktiv und zeigt der Organismus keine adäquaten Abwehrreaktionen mehr, muss der Körper zu einer Heilungsreaktion angeregt werden. Hilfreich sind mineralische Bestandteile, homöopathisch potenziert. Der Wirkungseintritt erfolgt langsamer, aber langandauernd. Zeigt die entsprechende Organstruktur bereits Veränderungen aufgrund des Krankheitsprozesses, kann man organspezifisch mit spagyrischen oder auch Organpräparaten der Anthroposophie arbeiten.
Eine zusätzliche Erschöpfungslage des Körpers mit erhöhter Ermüdbarkeit, Leistungsabfall und fehlenden Fieberreaktionen erfordert tonisierende Mittel. Dabei denke ich nicht an Echinacea. Es wäre in seiner Wirkung zu direkt und würde verpuffen. Wichtig sind Präparate, die den Körper anregen, das verschlackte Gewebe zu reinigen, Stoffwechselvorgänge zu aktivieren und auch seelisch-emotional einen Heilungsvorgang zu unterstützen.
Auch wenn die oben ausgeführten osteopathischen Ansätze den anatomisch-körperlichen Aspekt beleuchten, darf nicht vergessen werden, dass gerade die cranio-sacrale Osteopathie tief auf der seelischen und emotionalen Ebene wirkt. Vom Behandlungsablauf her bestelle ich die Patienten nach der Erstbehandlung nach ca. einer Woche wieder ein. Dann kann man bereits sehen, welche Reaktionen in welcher Stärke aufgetreten sind. Ebenso sieht man bereits, wie lange der Impuls, der durch die Behandlung gesetzt wurde, im Körper wirkt. Danach richtet sich dann auch der Abstand der folgenden Behandlungen. Reagiert der Körper akut, erfolgen noch einige wenige Behandlungen im Abstand von zwei bis drei Wochen.
Hat der Körper viel Regenerationsarbeit zu leisten und muss zusätzlich eine Erschöpfungslage auskuriert werden, erfolgen die Behandlungen eher im Abstand von drei bis fünf Wochen. Die Behandlung wird dann insgesamt längerfristig ausgerichtet sein. Neben einer ausführlichen Anamnese sollte auch eine Einschätzung der voraussichtlichen Behandlungsdauer Bestandteil einer Erstbehandlung sein.
Silke Büttner
Heilpraktikerin
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