Heilströmen bei Tieren
Wenn Sie ab sofort für unbestimmte Zeit auf eine einsame Insel müssten und nur drei Bücher mitnehmen dürften, für welche würden Sie sich entscheiden? Darf ich eine Empfehlung aussprechen? Nehmen Sie auf jeden Fall ein Buch über das Heilströmen mit – damit sind sie für alle Eventualitäten gewappnet. Egal, ob Sie sich durch den Verzehr exotischer Früchte den Magen verderben, sich fernab der Heimat einsam und traurig fühlen oder die herrliche Ruhe dazu nutzen wollen, um in intensiven Kontakt mit Ihrem inneren Selbst zu treten. Wie das? Japanisches Heilströmen, auch Jin Shin Jyutsu oder kurz Strömen genannt, ist eine Jahrhunderte alte Heiltradition zur Harmonisierung von Körper, Geist und Seele. Wir alle üben diese Kunst mehr oder weniger regelmäßig aus. Bewusst, wenn wir uns schon einmal mit der Idee einer alles durchdringenden Lebenskraft beschäftig haben, unbewusst, wenn wir einfach auf unseren Körper hören, der uns sagt, was wir brauchen. Der uns, wenn wir gefallen sind, unsere Hände auf das blutende Knie legen oder vor den Kopf schlagen lässt, wenn wir uns an etwas erinnern möchten. Leider haben wir fast vollständig verlernt, auf die Sprache unseres Körpers zu hören – wir sind ja immer so beschäftigt! Das Heilströmen bringt uns wieder in Kontakt mit der uns innewohnenden Weisheit.
Die Grundlage des Heilströmens bildet die Vorstellung einer universellen Lebensenergie, die alle Dinge und Lebewesen im Universum umgibt und durchdringt. In China wird für diese Energie die Bezeichnung Qi verwendet, in Indien nennt man sie Prana und im deutschen Sprachraum findet sich manchmal noch das alte Wort Odem. Der göttliche Odem, der dem materiellen Körper das Leben einhaucht. Das Wissen um die „Heilkraft unserer Hände“ wurde lange Zeit von Generation zu Generation mündlich weitergegeben, bis es eines Tages, wie so vieles andere auch, in Vergessenheit geriet.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Heilströmen vom Japaner Jiro Murai (1886- 1961) zu neuem Leben erweckt. In eine Ärztefamilie hineingeboren, erfuhr Jiro Murai die Grenzen der westlichen Medizin schon in jungen Jahren, als er schwer krank von den Ärzten als unheilbar aufgegeben wurde. Um sich auf sein vermeintliches Ende vorzubereiten, fastete er, meditierte und nahm die Fingerpositionen der alten Buddha-Statuen ein. Es dauerte nicht lange, da war er vollkommen genesen. In tiefer Dankbarkeit schwor er sich, den Rest seines Lebens der Erforschung des Geheimnisses seiner Heilung zu widmen.
Er studierte die alten Schriften, wie z.B. das Kojki („Aufzeichnung der alten Dinge“), erprobte sein Wissen am eigenen Körper, später dann an Obdachlosen und Armen und kam zu dem Schluss: Krankheit entsteht durch Blockaden im Energiefluss. Zur Auflösung derselben brauchen wir nichts außer unserem Atem und unseren Händen.
Greifen wir noch einmal das Bild der einsamen Insel auf. Nach einem herrlichen Tag am Strand, an dem Sie unter wolkenlosem Himmel die Seele baumeln lassen konnten, spüren Sie am Abend ein schmerzhaftes Spannen im Gesicht. Oh je! Die ungewohnte Sonneneinstrahlung hat Ihnen das Gesicht verbrannt. Jetzt ist guter Rat teuer. Eine Apotheke wird es auf der Insel kaum geben und Ihr Aloe-Vera-Gel haben Sie in der Eile vergessen einzupacken. Aber Sie haben Ihre beiden Hände! Und hoffentlich Ihr Buch über das Heilströmen, denn dann können Sie nachlesen, dass zur Heilung von Verbrennungen, egal ob mit oder ohne Blasenbildung, ob durch Sonneneinstrahlung oder andere Hitzeeinwirkung, die beiden Hände nebeneinandergelegt und direkt über die Läsion gehalten werden. (Im Falle einer Verbrennung werden die Hände nicht direkt auf die Haut gelegt, da die Berührung zu schmerzhaft wäre. Geströmt werden kann auch mit etwas Abstand zum Körper.) Machen Sie das mehrmals hintereinander für jeweils ca. 20 Minuten, werden Sie erleben, dass schon nach kurzer Zeit Schmerzen und Rötung abklingen. So einfach geht‘s.
Das ist ein Beispiel dafür, dass wir unsere Hände grundsätzlich dort auflegen können, wo wir Beschwerden haben: bei Zahnschmerzen auf die Wange, bei Bauchschmerzen auf den Bauch und beim Sonnenbrand ins Gesicht bzw. mit wenig Abstand direkt darüber. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, die Hände ganz gezielt auf bestimmte Stellen am Körper, auf die sogenannten Energieschlösser, zu legen. Auch dabei werden die Hände ganz sanft aufgelegt und liegen gelassen. Es wird weder massiert, noch wird gedrückt, leicht wie Schmetterlingsflügel liegen die Hände da und harmonisieren, ohne dass wir etwas dafür tun müssen, den Fluss der Energie.
Auf jeder Körperseite befinden sich, spiegelbildlich zueinander, 26 Energieschlösser: 26 auf der linken und 26 auf der rechten Körperseite. Harmonisieren wir sie regelmäßig, wirken wir gleichzeitig auf Körper, Geist und Seele ein und schon bald zeichnen sich positive Veränderungen ab: Unsere Gedanken beruhigen sich, Gelassenheit zieht ein und unsere Selbstheilungskräfte werden gestärkt. Wir fühlen uns rundum wohl.
Um die Anwendung so einfach wie möglich zu machen, gibt es sogenannte Strömtafeln, auf denen die Lage der Energieschlösser verzeichnet ist. Diese Tafeln gibt es für Mensch und Tier. Denn genauso, wie wir uns selbst die Hände auflegen können, können wir das auch bei unseren Tieren tun. Tiere genießen das sehr! Vergleichen wir allerdings die Tafeln miteinander, mag auf den ersten Blick der Eindruck entstehen, dass sich die Energieschlösser beim Tier an völlig anderen Stellen befinden. Der Schein trügt! Im Laufe der Evolution haben sich neben den Sohlengängern, zu denen wir Menschen, aber auch Meerschweinchen und Kaninchen gehören, Zehengänger, wie Hunde und Katzen, und Zehenspitzengänger, wie das Pferd, entwickelt. Durch die unterschiedlichen Gangarten hat sich die Länge der Knochen in den Unterschenkeln und Unterarmen verändert. Dadurch und aufgrund der Tatsache, dass Hund, Katze und Pferd auf den Zehen gehen, scheinen alle Energieschlösser, die sich bei uns Menschen direkt am Fuß bzw. an der Hand befinden, ein Stück weit nach oben gerutscht zu sein. Berücksichtigen wir dann noch, dass die Schlösser auf unserem Rücken beim Tier auf der Körperoberseite liegen, sehen wir mit einem Mal die Übereinstimmungen.
Zurück auf die Insel: Nachdem Sie nun mittels Handauflegen die Schmerzen in Ihrem Gesicht, im wahrsten Wortsinne, in den Griff bekommen haben, dämmert es langsam. Sie liegen auf dem Rücken im warmen Sand, beobachten einen spektakulären Sonnenuntergang, der den Abendhimmel blutrot färbt – und spüren mit einem Mal, wie Ihnen ganz schwer ums Herz wird. Ohne, dass es Ihnen recht bewusst wird, laufen Tränen Ihre Wangen hinunter. Sie fühlen sich so allein. Zum Glück lassen sich durchs Strömen auch die Emotionen beeinflussen. Und zwar ganz besonders einfach: Jedem Finger ist eine Emotion oder auch Einstellung zugeordnet. Dem Daumen die Sorge, dem Zeigefinger die Angst, dem Mittelfinger die Wut, dem Ringfinger die Trauer und dem kleinen Finger die Bemühung. Zum Harmonisieren Ihrer traurigen Gefühle müssen Sie nichts weiter tun, als mit der einen Hand locker den Ringfinger der anderen Hand zu umschließen. Dann konzentrieren Sie sich auf Ihre Atmung. Stellen Sie sich vor, wie Sie mit der Ausatmung alles Negative loslassen und mit jedem Einatmen neue, belebende Energie aufnehmen. Nach einiger Zeit können Sie die Hände wechseln.
Das sogenannte Fingerströmen lässt sich leider nicht ohne Weiteres auf unsere Tiere übertragen. Mit der Entwicklung der unterschiedlichen Gangarten haben sich auch die Füße und Anzahl der Zehen verändert: Beim Pferd haben sich bis auf den Mittelfinger bzw. den mittleren Zeh, die den Huf bilden, alle anderen Zehen zurückgebildet. Kaninchen und alle Hasenartigen haben vorne fünf und hinten vier Zehen. Meerschweinchen haben vorne vier und hinten drei Zehen (großer und kleiner Zeh haben sich komplett zurückgebildet). Hunde haben vorne fünf und hinten fünf Zehen, wenn man die Wolfskralle mitzählt. Eine Wolfskralle findet sich nur am Hinterfuß, ist aber nicht bei allen Hunden vorhanden. Und Katzen schließlich haben vorne fünf Zehen und hinten vier. Natürlich kennt das Heilströmen neben dem Halten der Finger noch andere Möglichkeiten, Emotionen zu harmonisieren.
Nachdem sich schließlich durch das Halten der Finger Ihre Gefühle wieder beruhigt haben, beschließen Sie, die herrliche Zeit abseits von jeglichem Alltagstrubel dazu zu nutzen, endlich einmal wieder etwas für sich zu tun. Ein Blick ins Buch und Sie entscheiden sich für eine Strömsequenz, bei der die rechte Hand zwischen Ferse und Innenknöchel gelegt wird und die linke Hand unter das Steißbein. Diese Energiepunkt- Kombination entspricht dem ersten Schritt des Milzstroms, über den Elfriede Weber in ihrem Buch „Jin Shin Jyutsu für Lebenskünstler, und solche die es werden wollen“ schreibt: „Der Milzstrom stärkt die Nerven, bringt Sonne ins Gemüt, belebt den Stoffwechsel und gibt Kraft von den Füßen bis zum Kopf.“
Neben den Energieschlössern kennen wir beim Heilströmen auch noch 12 Organströme, die mit den Meridianen der Traditionellen Chinesischen Medizin vergleichbar sind und eine wesentliche Rolle bei der Verteilung der Lebensenergie spielen. Ihre Benennung erfolgt nach den ihnen zugeordneten Organen, der Milz für den Milzstrom, der Lunge für den Lungenstrom usw. Es empfiehlt sich, die Organströme besonders dann zu strömen, wenn Probleme mit dem jeweiligen Organ bestehen.
Vom Milzstrom heißt es: Er lässt uns „den Himmel auf Erden“ erleben – etwas Besseres können Sie kaum für sich tun! Auf der körperlichen Ebene stärkt er das Immunsystem, nimmt Einfluss auf die Anzahl der weißen und roten Blutkörperchen, wirkt Allergien, Hitze- und Sonnenunverträglichkeit entgegen, stärkt die Nerven, unterstützt bei Diabetes und reguliert den Menstruationszyklus. Der Milzstrom lässt sich, wie die anderen Organströme, natürlich auch beim Tier strömen: Legen Sie Ihrem Tier Ihre eine Hand auf den Schwanzansatz und die andere auf die Innenseite des Fußwurzelgelenks, das dem menschlichen Fußgelenk entspricht. Lassen Sie Ihre Hände solange liegen, wie es Ihrem Tier gefällt. Das kann wenige Minuten, aber auch eine ganze Stunde sein. Anders als wir Menschen finden Tiere meist sehr schnell zurück in ihre Harmonie und so erlebe ich es oft, dass ein Tier die Berührung in dem einen Augenblick noch zu genießen scheint, um im nächsten Augenblick plötzlich davon zu spazieren. Auch beobachte ich bei Tieren immer wieder, dass sie sich nur dann strömen lassen, wenn sie es wirklich brauchen – dann aber umso geduldiger.
Was passieren kann, wenn Sie sich oder Ihr Tier strömen? Zu Ihrer Beruhigung kann ich sagen, dass Sie grundsätzlich nichts falsch machen können. Das einzige Risiko, das Sie eingehen, wenn Sie regelmäßig strömen, ist, dass sich etwas verändern wird. Natürlich nur zum Guten! Was sich verändern wird, kann ich Ihnen allerdings nicht sagen.
Das werden Sie nur erfahren, wenn Sie es ausprobieren!
Tina von der Brüggen
Tierheilpraktikerin, Tierkommunikatorin, Autorin
Literatur
- Adele Leas: Jin Shin Jyutsu For Your Animal Companion, Printed in China, 2004
- Tina von der Brüggen: Heilströmen für Tiere, Oertel & Spörer Verlag, 2014
- Friedl Weber: Jin Shin Jyutsu für Lebenskünstler und solche, die es werden wollen, Fun Fun Fun Verlag, 2007
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