Wenn der Abschied naht …
Wird bei einer Eheschließung heute die Formel „Bis dass der Tod euch scheidet!“ gesprochen, ist man geneigt, das nicht allzu ernst zu nehmen. Jede zweite Ehe wird geschieden, man spricht von Lebensabschnittspartnern. Sagt man „Wir wollen gemeinsam alt werden“, erntet man zuweilen ein mitleidiges Lächeln. Doch für manche Paare geht dieser Wunsch in Erfüllung. Sie leben ein gutes Leben, aber irgendwann dämmert es ihnen, was die traditionelle Eheformel wirklich bedeutet – nämlich, dass am Ende unvermeidbar ein Abschied steht. Ich stelle Ihnen zwei Fälle aus meiner Praxis vor, bei denen diese Situation der Auslöser von Beschwerden war.
1. Fall: „Ich will nicht alleine bleiben.“
Es fällt mir nicht leicht, mit der Patientin Herzenskontakt zu schließen, als sie in meiner Praxis vor mir sitzt. Ihre Stimme erinnert an Kasernenhofdrill, die Sätze sind kurz, bestimmend, bieten kein Raum für Austausch. Sie spricht eine ihrer Beschwerden an und weiß auch gleich zwei, drei Behandlungsmöglichkeiten – alle schon durchprobiert, ohne Erfolg. Sie spricht schnell, autoritär und ununterbrochen.
Während einer kurzen Atempause gelingt es mir, eine Frage einzuschieben: „Und was, glauben Sie, kann ich für Sie tun?“ Irritiertes Innehalten – dann bricht es aus der zierlichen, alten Dame wie eine Flutwelle heraus: ein Gefühl totaler Überforderung bei der Betreuung ihres 89-jährigen kranken Mannes. Sie selbst ringt seit 20 Jahren um die optimale Einstellung einer Hyperthyreose und einer chronischen Anämie. Mittlerweile quälen sie immer stärker werdende Schlaflosigkeit und Erschöpfung.
Und Angst, denke ich bei mir – doch Ängste werden von ihrer Seite nicht angesprochen. Die kleine Frau ist zehn Jahre jünger als ihr Mann, noch immer täglich mit dem Fahrrad unterwegs, bedauert, dass ihr Mann nach zwei Schlaganfällen und einem Herzinfarkt nicht mehr mit ihr Golf spielen kann. Sie betont immer wieder, dass es ihr Verdienst sei, dass der Gatte überhaupt noch lebt. Sie hat ihn aus dem Krankenhaus geholt und zu Hause gepflegt, sie hat die Reha vehement abgelehnt, denn ohne ihre Gegenwart gehe ihr Mann zugrunde – so jedenfalls ihre Überzeugung. Mit ihm in eine Rehaklinik gehen wollte sie nicht. Sie war es gewesen, die den Hausarzt davon überzeugte, dass alle schulmedizinischen Herzmittel abgesetzt werden, da ihr Gatte ihrer Beobachtung nach auf all diese Mittel mit allergischen Reaktionen antwortete. Jetzt wird nur noch der Blutdrucksenker gegeben, der Arzt bestehe darauf. Im Augenblick hat sie das Gefühl, ihren Mann immer weniger zu erreichen – Alzheimer ist ihre kategorische Diagnose.
„Und was darf ich für Sie tun?“, wiederhole ich die Frage. „Kann ich mal mit meinem Mann zu Ihnen kommen?“, weicht sie aus. „Vielleicht können Sie ihn ein wenig mehr aufbauen.“ Ich begreife, dass die hauptsächliche Last der Patientin der Ehemann ist und sie für sich glaubt, ganz gut zurechtzukommen (mit all den Mittelchen, die sie in Reformhäusern, Apotheken und Bioläden wahllos einkauft). Gemeinsam mit mir einen klaren Behandlungsplan für sich selbst zu erstellen – dazu ist sie im Augenblick noch nicht bereit. Ich weise sie darauf hin, dass auch Nahrungsergänzungsmittel vom Körper verstoffwechselt werden müssen und viel nicht immer viel hilft. Mit diesem Rat und einem Folgetermin für ihren Mann geht sie nach Hause.
Zwei Wochen später sitzen beide in meiner Praxis. Er ist ein freundlicher Herr, grobknochig, kantig, gesegnet mit einem feinen Humor und unendlicher Geduld seiner zappeligen Frau gegenüber. Alzheimer? Ich bin eher erstaunt, als er am Ende einer vollen Stunde auf eine Bemerkung meinerseits eingeht, die ich zu Anfang bei der Körperdiagnostik machte und die er nicht ganz verstanden hatte.
Sein Blutdruck ist hoch (170/105 mmHg), sein Puls mit 62/min im unteren Normbereich, Lippenzyanose, die typischen roten Bäckchen der Altersherz-Insuffizienz. Er gibt erschwertes Atmen beim Treppensteigen an und klagt, dass seine Frau ihn täglich nötigt, mehr mit ihr spazieren zu gehen. Er ist traurig, dass sein Plan, den Lebensabend in einem schönen oberbayerischen Dorf zu verbringen, so gründlich schief läuft. Er spürt, dass er nicht mehr die Kraft hat, all die wunderbaren Angebote seines jetzigen Altersruhesitzes zu genießen. Sie ist enttäuscht, in diesem kleinen Dorf festzusitzen und hat keine Lust, den nahe gelegenen Golfplatz alleine zu besuchen oder mit Freunden Ausflüge zu machen.
Ich empfehle ihm:
Solunat Nr. 5, 2×8 Tropfen täglich zur Stärkung des Altersherzens
Solunat Nr. 17, 2×3 Tropfen täglich zur Stimmungsaufhellung
Solunat Nr. 14, 2×8 Tropfen täglich: Bei diesem Mittel kommt es über die entspannende und entkrampfende Wirkung auch zu einem Senken des Blutdrucks, so auch bei ihm.
Zwei Wochen später ruft mich seine Frau an: „Der Blutdruck meines Mannes ist viel zu hoch! 180/115 mmHg – kann das an Ihren Mitteln liegen?“ Erst nach genauem Nachfragen, was sie ihrem Mann die letzten Tage gegeben habe, beichtet sie, dass sie den Blutdrucksenker vonseiten der Schulmedizin komplett abgesetzt habe, da der Blutdruck mit 130/95 mmHg doch so schön gewesen sei. Da sei „das schulmedizinische Gift“ doch nicht mehr notwendig. Jetzt werde ich sehr deutlich und weise sie darauf hin, dass es für ihren Mann nicht ungefährlich ist, in Eigenregie die Medikation zu verändern. Der Blutdrucksenker wird wieder angesetzt – ein Gang zum Hausarzt dringlich empfohlen. Ob sie diesem Rat gefolgt ist, weiß ich nicht.
Nach vier weiteren Wochen kommt sie nochmals alleine zu mir in die Praxis, verweint, zittrig. Ihrem Mann gehe es einigermaßen und dennoch spürt sie, dass ihr die Kraft ausgeht. Jetzt ist sie bereit, sich auf eine naturheilkundliche Begleitung der Hyperthyreose einzulassen und ihre Anämie anzugehen sowie ein Aussortieren und Neuzusammenstellen der vielen Nahrungsergänzungsmittel zuzulassen. Erst am Ende der geplanten Stunde kommt sie zu der für sie wichtigsten Frage: „Glauben Sie, dass mein Mann bald sterben wird?“ Wie gut, dass der nächste Patient kurzfristig abgesagt hat und ich noch eine weitere Stunde für sie Zeit habe!
Tod, Sterben – diese Themen waren für die 79-jährige Dame bisher tabu. Sie ist der Meinung, dass ihr Mann damit ganz gut zurechtkomme. Er spreche jedenfalls nicht darüber und sei ganz ruhig, auch wenn es ihm schlecht geht. Kein Testament. Keine Patienten- und Betreuungsverfügung – nach zwei Schlaganfällen und einem Herzinfarkt.
„Ich will nicht alleine bleiben!“ Es hört sich an, als spräche ein trotziges Kind.
„Wir wissen nicht, wann wir sterben werden. Es kann sein, dass Sie vor Ihrem Mann sterben. Und was dann? Haben Sie in diesem Falle an eine Pflegeeinrichtung für Ihren Mann gedacht?“
„Ich will noch nicht sterben!“, wiederholt meine Patientin.
„Ist das die Lösung?“, frage ich.
Sie ist irritiert, fühlt sich in die Enge getrieben, ist aber intelligent genug, um zu begreifen, dass sie sich jetzt diesem Thema stellen muss.
In der darauf folgenden Zeit begleite ich sie mit langen Telefongesprächen durch ihre Angst vor dem Endgültigen. Die Bach-Blüten Mimulus, Red Chestnut, Willow und Vine sind hier wertvolle Hilfe. Das Schreiben des Testamentes, sich mit Formulierungen einer Betreuungs- und Patientenverfügung auseinanderzusetzen, mit Mann und Sohn alle offenen Fragen darüber zu klären – hier hilft Chara intermedia C30, eine Süßwasseralge, die nicht nur in der freien Natur das Wasser reinigt, sondern auch in uns Menschen die Dinge wieder „in Fluss“ bringt.
Die kleine, zappelige Frau ist ruhiger, gelassener geworden. Ich wünsche ihr, dass sie mit ihrem Mann die Zeit, die noch bleibt, entspannter und bewusster genießen kann.
2. Fall: „Aber doch noch nicht jetzt!“
Ich darf das freundliche Paar schon länger naturheilkundlich begleiten. Sie sind beide in Würde ergraut und immer noch umweht sie der Zauber des Verliebtseins. Seit 14 Jahren gehen sie gemeinsam durchs Leben, genießen ihre Tage von Anfang an rund um die Uhr. Ihr Eheleben begann im Rentendasein, er ist 87, sie 76 Jahre alt.
Ich fühle sofort die Panik in ihrer Stimme, als sie mich eines Morgens dringlich um einen Termin bittet. Ihre Lippen zittern, es rollen die Tränen, als sie mir am Nachmittag gegenübersitzt. „Ist etwas mit Ihrem Mann passiert?“, frage ich. Er hatte schon zwei Herzinfarkte und fühlte sich die letzte Zeit nicht wohl. „Nein, nein“, wehrt sie erschrocken ab. „Nein, ihm geht es ganz passabel, aber meine Nichte – sie ist gestern gestorben, 58 Jahre alt, Lungenembolie! Am vergangenen Wochenende waren wir noch gemeinsam im Kloster Andechs, sind gewandert, haben so viel gelacht …“.
Die Tränen fließen, es schüttelt sie. Ich biete ihr ein Glas Wasser mit Rescue-Tropfen an, gebe noch die Bach-Blüte Sweet Chestnut dazu. Sie beruhigt sich langsam, atmet gleichmäßiger, sammelt sich. „Sie hatten Ihre Nichte sehr gern?“, frage ich in die Stille. „Ach, wir hatten kein sehr enges Verhältnis. Sie war ein lebenslustiger Mensch und hatte viele Freunde. Wir sahen uns nicht oft, doch wenn wir mit ihr beisammen waren, dann war es ein fröhliches Zusammentreffen.“ Ich warte – sie spricht nicht weiter, die Lippen beginnen wieder zu zucken. Ich spüre nach – da ist mehr als der Schreck eines plötzlichen Todes im Familienkreis …
„Erschreckt es Sie, dass der Tod so schnell kommen kann – so unerwartet?“
Sie nickt, schluckt mehrmals: „Ich will nicht alleine bleiben … er darf nicht vor mir sterben, das ertrage ich nicht.“
„Und Sie meinen, für Ihren Mann ist es leichter, wenn Sie zuerst gehen?“
„Nein, nein das ganz sicher nicht, aber … wir müssen einfach beide gleichzeitig sterben dürfen.“ Dabei lächelt sie etwas schief. „Ich weiß, das ist kindisch, aber das wünsche ich mir so sehr.“
Hier sehe ich meine Aufgabe zunächst in der Schock- und Trauerbegleitung. Beide, auch ihr Mann, erhalten Ceres Geranium robertianum Urtinktur (löst Schockinformationen aus dem Gewebe über die Lymphe) sowie eine Bach-Blütenmischung mit Rescue, Star of Bethlehem und Sweet Chestnut (eine in meiner Praxis bewährte Trauermischung).
Im zweiten Schritt steht das Thema „Vorbereitung auf den eigenen Tod“ an. Einige Wochen nach dem Todesfall bespreche ich mit beiden die Notwendigkeit, den eigenen Tod im Vorfeld zu regeln – bringe ihnen den Gedanken nahe, dass es nur so möglich ist, wirklich frei und unbeschwert das Leben, das noch bleibt, zu genießen, das gute Gefühl zu spüren, den nächsten Angehörigen (neben dem emotionalen Kummer) nicht unnötig viele, unerledigte Aufgaben zu hinterlassen.
Sie sind offen dafür, sich mit diesem unbequemen Thema auseinanderzusetzen. Ein besonders erfreuliches Begleitresultat: Die schon seit Langem bestehenden Schlafstörungen der Frau, begleitet von nächtlichem Herzrasen und zittrigem Gefühl in den Beinen, verschwinden. Bei ihrem Mann stabilisiert sich der Blutdruck. Und das alles ohne Veränderung der bisherigen Medikation.
Zusammenfassung
In beiden Fällen war Zeit für das Patientengespräch von Herz zu Herz der entscheidende Faktor, um das Ziel der Behandlung – eine gute Lebensqualität – zu erreichen. Die eigene Endlichkeit zu fühlen, zu erfassen, zu akzeptieren – auch wir Therapeuten scheuen uns so manches Mal davor. Dennoch sind das Ansprechen der Angst vor der eigenen Endlichkeit und die sich daraus ergebenden Handlungen ein wichtiger Faktor, inneren Druck abzubauen und Frieden zu finden. Nur so ist gute Lebensqualität wirklich möglich.
Christina Casagrande
Heilpraktikerin
Literatur
- Christina Casagrande, Gudrun Huber und Autoren: „Komplementäre Sterbebegleitung“, Haug Verlag
- Christina Longaker: „Dem Tod begegnen und Hoffnung finden“, Piper TB
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