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Chronic Fatigue Syndrom

und hyperaktivierte Immunsignale RANTES/CCL5 aus dem Kieferknochen

© Cara-Foto I fotolia.comObwohl eine Entzündung positive Effekte hervorrufen kann, können unkontrollierte Entzündungen in schädigende Prozesse münden, indem über die Bereitstellung neurotoxischer Faktoren die neurodegenerativen Prozesse weiter verschlimmert werden. So sind depressive Syndrome bei entzündlichen Erkrankungen seit langem bekannt, v.a. bei solchen des Zentralnervensystems (ZNS), wie Enzephalitis und Meningitis. Auch das Modell des „sickness behavior“ geht davon aus, dass bei entzündlichen Erkrankungen, z.B. einer Virusinfektion, proinflammatorische Botenstoffe (Zytokine) des Immunsystems direkt im ZNS wirksam werden und für das Müdigkeitssyndrom mit Antriebsmangel – als Chronic Fatigue Syndrom (CFS) bezeichnet – verantwortlich sind. CFS ist eine invalidisierende Erkrankung, gekennzeichnet durch anhaltende Müdigkeit, die auch durch Ruhe nicht gemildert werden kann. CFS wird zunehmend als Immunentgleisung gesehen. Die durch Zytokine und Chemokine verursachte Rekrutierung von Entzündungszellen an die Orte der Schädigung könnte maßgeblich für eine sekundäre Schadenskaskade in Form einer CFS sein.

Zielsetzung

Ziel unserer Untersuchung war es, bei Patienten mit CFS-Diagnose nach chronisch entzündlichen Prozessen im Kieferknochen und einem möglichen Zusammenhang mit CFS zu forschen. Wenig bekannt sind Auswirkungen fettig-degenerativer Osteolysen im Kieferknochen (FDOK) auf das Gesamtsystem im Sinne einer peripheren stummen chronischen Entzündung. Wir versuchen damit Einblick in die Frage zu gewinnen, ob in FDOK-Arealen bei CFS-Patienten entzündliche Botenstoffe gebildet werden, deren Signalkaskaden mit der Ausbildung von CFS zusammenhängen. FDOK-Areale sind ein Phänomen, das von weiten Bereichen in Medizin und Zahnheilkunde bis heute nur wenig wahrgenommen wird. Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen FDOK und der klassischen Form der akuten oder chronischen bakteriellen Knochenentzündung (Osteomyelitis). FDOK ist einer stillen oder subklinischen Entzündung ähnlich und durch Schmerzlosigkeit, aber mit fettig-degenerativem Zerfall des Knochenmarks gekennzeichnet. In der Struktur stellen sich FDOK als fettige Klumpen dar, die aus dem Markraum des Kieferknochens leicht auszulöffeln sind.

Abb. 1 zeigt eine solche Probe mit überwiegend fettiger Umwandlung des Kieferknochens im linken Teil. Die eindrucksvolle Ausdehnung der FDOK-Läsionen wird im rechten Teil durch das Röntgenbild mit Kontrastmittel dokumentiert.

Für die systemischen Wirkungen am wichtigsten sind die regelmäßig deutlich vermehrten und veränderten Fettzellen. Die Knochenläsion, die FDOK mikroskopisch am ähnlichsten ist, erscheint als aseptische, ischämische Osteonekrose (AIO). Die Forschung zeigt, dass FDOK eine ähnliche Läsion ist wie die, die in langen Knochen v.a. als Knochenmarksödem definiert wird. FDOK-Arale neigen dazu, ohne chirurgische Ausräumung und Kürettage nicht zu heilen.

Material und Methode

Proben und Daten unserer Studie stammen aus der täglichen Praxis. Im Rahmen klinisch notwendiger chirurgischer Entfernung von FDOK haben wir auffällige FDOK-Proben bei 21 CFS-Patienten auf ihren Gehalt an Entzündungsbotenstoffen untersucht. Die medizinische Indikation zur FDOK-Operation bei diesen Patienten wurde mittels Orthopantomogramm (2D-OPG) und zusätzlichem digitalem Volumentomogramm (3D-DVT) an unserer Münchner Praxisklinik gestellt. Ergänzt wurde diese Indikationsstellung durch Messung der Knochendichte mittels transalveolarer Ultraschalldiagnostik (TAU). Das Durchschnittsalter des untersuchten CFS-Kollektivs betrug 56,4 Jahre im Genderverhältnis 8w/13m. Zur Gewinnung der Proben wurden die FDOK-Läsionen mittels einer Kürettage aus den knöchernen Hohlräumen entfernt. Nach lokaler Anästhesie zeigten alle 21 CFS-Patienten FDOK im Knochenmark, ähnlich den in der einschlägigen Literatur beschriebenen Proben. In allen 21 Fällen wurden diese Operationen an zahnlosen Kiefergebieten früher entfernter Weisheitszähne durchgeführt.

Die 21 FDOK-Proben von CFS-Fällen und 19 gesunde Vergleichsproben wurden mit dem Multiplex-Verfahren analysiert und auf 7 Entzündungsbotenstoffe hin gemessen:

  • Fibroblasten-Wachstumsfaktor 2 (FGF-2)
  • Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL-1ra)
  • Interleukin-6 (IL-6)
  • IL-8
  • Monozyten-chemotaktisches Protein-1 (MCP1)
  • Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-a)
  • R/C: RANTES (regulated on activation, normal T-cell expressed and secreted), auch bekannt als CCL5 (Chemokin C-C motif ligand 5)

Die ausgelöffelten FDOK-Proben wurden im Labor mechanisch zerkleinert und zentrifugiert.

Ergebnisse

Das Vergleichskollektiv von 19 Proben aus gesundem Kieferknochen zeigte bei den folgenden 3 Zytokinen in der Multiplex-Analyse diese Werte in pg/ml:

  • IL-1ra: 195 (SD ± 0)
  • FGF-2: 27 (SD ± 59)
  • R/C: 149 (SD ± 127)

Extrem weit vom Normkollektiv des gesunden Kieferknochens abweichende Werte in pg/ml zeigt RANTES/CCL5 (R/C) mit Median von 5.199,2 (SD ± 2647,8). Alle CFS-Patienten liegen damit deutlich über dem Normkollektiv von 149,9 pg/ml (n=19). Aufgrund dieser Verteilung konzentrieren wir uns in der weiteren Diskussion der Daten auf das Chemokin R/C als deutlich überexprimiertem Signalweg.

Abb. 2 zeigt den Unterschied des Zytokinprofils in der Gegenüberstellung von gesundem Kieferknochen (= Norm, blaue Säulen) zu 21 FDOK-Arealen (= rote Säulen). R/C gehört zur C-C-Chemokin-Familie und wird von T-Lymphozyten, Makrophagen, Thrombozyten, synovialen Fibroblasten, tubulärem Epithel und bestimmten Arten von Tumorzellen exprimiert. R/C spielt eine aktive Rolle bei der Rekrutierung einer Vielzahl von Leukozyten in Entzündungsgeweben.

Diskussion: Psychiatrische Erkrankungen und CFS als Folge einer Immunentgleisung

Das Fehlen eines eindeutig identifizierten CFS-Mechanismus hat bislang die Entwicklung effektiver Behandlungen verhindert. Studien zeigen aber, dass bei Patienten mit CFS erhöhte entzündliche Botenstoffe vorliegen. Sie bestätigen die Rolle der Zytokine in der Pathophysiologie von CFS und dass bei CFS eine wie auch immer verursachte Störung des Immunsystems vorliegt. Bei den hochregulierten Botenstoffen handelte es sich v.a. um R/C. Eine veränderte Freisetzung von Zytokinen im ZNS kann über eine Vielzahl komplexer Mechanismen zu neuronaler Dysfunktion führen: Neuropsychiatrische Symptome bei Patienten mit CFS können entgleisten Zytokinsekretionen von Gliazellen im ZNS zugeordnet werden. Auch Depressionen können als psychoneuroimmunologische Störung eingeordnet werden, bei denen Zytokine die neurochemische und neuroendokrine Funktion des Körpers beeinträchtigen. Vor allem Chemokine werden bei der Aktivierung der entzündlichen Reaktion als entscheidend angesehen. R/C-Chemokine sind auch geeignete Marker, um sich entwickelnde Depressionen zu erkennen. Chemokine sind in viele neurobiologische Prozesse verwickelt und relevant für psychiatrische Erkrankungen. Bekannt sind Verbindungen zwischen R/C und folgenden psychiatrischen Erkrankungen: Depressionen, bipolare Störungen, Schizophrenie, leichte kognitive Beeinträchtigung inkl. Alzheimer-Erkrankung.

Wie kommen R/C-Chemokine aus dem Kiefer in das Gehirn?

Wie Zytokine inflammatorische Reaktionen im Gehirn induzieren können, war bislang ungeklärt, da sie kaum die Blut-Hirn-Schranke durchdringen können. In Gliazellen und Neuronen sind auch R/C-Rezeptoren vorhanden. Im Gehirn finden sie sich in Hypothalamus, limbischem System, Hippocampus, Thalamus, Cortex und Cerebellum. Es gibt eine wachsende Zahl von Forschungsergebnissen, die zeigen, dass R/C eine entscheidende Rolle im Gehirn spielt: R/CChemokine führen zu einer Veränderung der Wirkungen neuronal aktiver Substanzen, was zu folgender Arbeitshypothese führt:

  • Das endogene Chemokinsystem im Gehirn regelt in Abstimmung mit Neurotransmitterund Neuropeptidsystemen die Gehirnfunktion.
  • Das Chemokinsystem kann somit als drittes großes Transmittersystem im Gehirn betrachtet werden.
  • Neurotransmitter- und Neuropeptidsysteme interagieren im Gehirn, woraus zu postulieren ist, dass das Chemokinsystem funktionell mit den beiden anderen neuronalen Systemen interagiert.

Chemokine versehen demnach wichtige Funktionen im Gehirn und sind neuroaktive Verbindungen, die direkte und indirekte Wirkungen auf Neuronen haben. Chemokine sind aktiv in der Physiologie des normalen Gehirns beteiligt und es kommt durch R/C zur „silent inflammation“ im Gehirn, was zu einer Ausweitung proinflammatorischer Reaktionsprofile in der Mikroglia führt. Der Komplexität der Neuroinflammation entspricht die Vielfalt und Vielzahl der Chemokine und Chemokinrezeptoren im Gehirn.

Opioid-Rezeptoren und Chemokin RANTES/CCL5

Durch ihre Rezeptorbindung beeinflussen Chemokine die Signalweiterleitung durch Serotonin, Dopamin, Noradrenalin sowie die Aktivität der neuroendokrinen Stressachse. Studien zeigen, dass R/C und der CCR5-Rezeptor direkt mit den Opioid-Rezeptoren (OpR) interagieren und schmerzauslösende Reaktionen modifizieren. Die Desensibilisierung von OpR durch R/C ist Teil dieser gegenseitigen „Crossover“-Desensibilisierung. OpR vermitteln AntischmerzReaktionen sowohl im peripheren als auch im zentralen Nervensystem. Die spezifischen Bindungsstellen für die schmerzlindernde Wirkung von Morphinen sind die OpR. Eine OpioidAnwendung unterdrückt die durch das R/C-Chemokin vermittelten Reaktionen effektiv. Dies ist als Ergebnis einer Desensibilisierung der OpR durch aktivierte Chemokinrezeptoren zu sehen. Proinflammatorische Chemokine wie R/C sind in der Lage, μ-OpR auf peripheren sensorischen Neuronen zu desensibilisieren.

Diese Erkenntnisse machen glaubhaft, dass bei unseren CFS-Fällen eine neuronale Übererregung über die chronische Exposition gegenüber R/C durch die lokale Überexpression in der FDOK ausgelöst und durch Hemmung der μ-OpR in den Synapsen verstärkt wird. In Fällen einer CFS mit FDOK-Überexpression an R/C wirkt die R/C-Quelle über Jahre hinweg.

Wenn wir den OpR steigernde Funktionen für Analgesie, Euphorie und Entspannung zuschreiben, dann wird der durch R/C deaktivierte OpR zu einem zusätzlichen Auslöser und Förderer der typischen CFS-Symptomatik (Abb. 4).

Folglich wirft die chronische Inflammation im Kieferbereich – charakterisiert durch eine bis zu 35-fache R/C-Überexpression – die Frage auf, ob nicht die Quelle der R/C- Überexpression in unerkannten FDOK-Arealen liegt. Chemokine spielen eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung entzündlicher Reaktionen und Leukozyten-Wanderung über die BHS. Die von uns erstmalig erstellten Verbindungen der in-vivo-Expression von R/C im Kieferknochen können eine Rekrutierung aktivierter Monozyten, Makrophagen und T-Lymphozyten an Entzündungsstellen im Zentralnervensystem belegen und zur CFS-Entstehung beitragen.

Schlussfolgerungen

Unsere Studie stützt die Hypothese, dass eine aus FDOK abgeleitete R/C-Signalgebung im möglichen Kontext einer CFS Entwicklung eine bedeutende Rolle spielen kann. Daten legen die Empfehlung nahe, die untersuchten Osteolysen des Kieferknochens (FDOK) in ein immuno-pathogenetisches Modell bei CFS einzubinden. Damit könnten neue Ansätze für Prävention und Behandlung von CFS erreicht werden, indem die blockierende Aktivität von R/C über Desensibilisierung der Opioid-Rezeptoren und Induktion chronischer Entzündungsprozesse im Gehirn vermindert wird. Wir schlagen deshalb vor, die hyperaktivierte R/C-Signaltransduktion aus FDOK durch kieferchirurgische Kürettage der Fettdepots im Medullarraum (Abb. 1) bei CFS zu mindern. Dies könnte ein sowohl präventiver wie auch therapeutischer Ansatz sein, die Systemwirkung einer „silent inflammation“ im Kieferknochen zu minimieren.

Dr. Dr. (PhD) Johann LechnerDr. Dr. (PhD) Johann Lechner
Heilpraktiker und Zahnarzt mit Tätigkeitsschwerpunkt ganzheitliche Zahnheilkunde: Störfelddiagnostik und -sanierung, metallfreie Vollkeramik-Versorgung, Amalgamsanierung
drlechner@aol.com

Buch-Tipp

  • Dr. Johann Lechner: Gesunde Zähne – gesunder Mensch. Wie wichtig eine ganzheitliche Zahnheilkunde ist. Zabert Sandmann Verlag

Foto: © Cara-Foto / fotolia.com

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