Glosse: Einfach mal offline gehen
Letztens im Urlaub, da hatte ich kein Netz. Nicht zum Fischen von Fischen, eher zum Fischen von Nachrichten aus der Online-Welt. Netz zu haben ist so wichtig geworden, dass sich manche Menschen gar nicht mehr vorstellen können, ohne es zu leben. Ihr Mobiltelefon erscheint mir wie ein sechster Finger. Liegt es nicht in der Hand oder im Umkreis von 30 cm, dann können sie kaum mehr handeln, denken oder atmen. „Das ist der Lauf der Zeit.“ − Ein Argument, das ich oft höre. Doch, ist es das wirklich? Ja, die Technikentwicklung schreitet voran. Viele Dinge erleichtern uns den Alltag. Hier in China kann man praktisch alles mit dem Handy erledigen: Einkaufen, Bezahlen, Essen ordern, Taxi bestellen, Kontakt zu Freunden halten. Theoretisch brauche ich das Haus gar nicht mehr zu verlassen. Wäre da nicht der Schrittzähler, der mich stündlich daran erinnert, es doch zu tun …
Nun war ich also im Urlaub und saß im Nirgendwo ohne Netz. Mir war klar, dass das passieren kann. Einigen Mitreisenden scheinbar nicht. Sie starrten auf ihr Handy wie andere auf eine Sauerstoffmaske bei Atemnot. Einige hielten es in den Himmel, auf der Suche nach Empfang. Das sah aus wie im Film „E.T.“, der seinerzeit mit seinem Finger in den Himmel zeigte und meinte, nach Hause telefonieren zu wollen. Ein Schauspiel sondergleichen. Ich wusste nicht, ob ich laut lachen oder therapeutisch intervenieren sollte. Beides wäre angebracht gewesen, doch ließ ich es sein. Schließlich waren die Damen und Herren schon angespannt genug und hätten die jeweilige Aktion meinerseits nicht nachvollziehen können.
Wie gut, dass das Handy trotzdem – also ohne Verbindung zur Außenwelt – noch funktionierte und somit Fotos von diesem Debakel gemacht werden konnten. Zum Beweis, dass es eine Offline-Welt gibt und Menschen, die damit überfordert sind.
Fotos machen für die Nachwelt. Früher mit der Einwegkamera. Ein Film, ein Klick, eine Chance. Nichts wurde tausend Mal fotografiert. Es wurde einfach ein Foto geschossen, und dann genossen wir weiter die Aussicht. Und nach dem Urlaub, da ließen wir die Bilder entwickeln und warteten noch einmal eine Woche. Die gewachsene Spannung war dann oft am Höhepunkt. Welches Bild ist was geworden, und was haben wir eigentlich alles gesehen?
Solche Momente kennen viele nicht mehr, da heute jedes Foto sofort kontrolliert und bearbeitet werden kann, bevor es der Nachwelt präsentiert wird. Ob das Licht passt, das Haar sitzt, keine fremden Menschen drauf sind und das Motiv (meist der Mensch selber) auch gut zur Geltung kommt.
Die „Nachwelt“ sind dann oft Online-Plattformen, auf denen Menschen mit Menschen befreundet sind, die sie gar nicht kennen. Zumindest nicht persönlich. Doch darauf kommt es nicht an. Eher ist es wichtig, dass genau diese Menschen das Foto und die Begebenheit gut finden. Dass sie es weitererzählen und noch mehr unbekannte Menschen das Bild mögen. Sehen und Gesehen werden. Zeigen, was man hat, und verschweigen, was man nicht hat. Das klappt gut in dieser Online-Welt, da die Offline-Welt draußen bleibt. Hat man sich früher mit anderen Menschen bei einem Getränk über Meinungen und Ansichten ausgetauscht, so werden heute Links verschickt. Wurden früher Dia-Abende veranstaltet und Anekdoten aus dem vergangenen Urlaub zum Besten gegeben, zählen heute die Klicks unter den Bildern. Wir wollen ein Leben, das erfüllt ist von Wertschätzung und Anerkennung, von echter Verbindung und wahrer Liebe … und suchen dies dann in der Anonymität der Online-Welt. Unter Menschen, die wir nicht kennen, und Bildern, welche die Realität nicht wiedergeben. Zumindest nicht die ganze Realität. Klar, das Wohnzimmer kann nach dem Putztag picobello aussehen, doch gibt es auch die Momente dazwischen. Sicherlich kann auch das Haar nach stundenlangem Frisieren aussehen wie in der Hochglanzzeitung, doch oft ist das im Alltag nicht machbar.
Warum also zeigen wir, was nicht echt ist? Was uns und die Realität nicht zu 100% widerspiegelt? Weil wir Menschen beeindrucken wollen, die wir nicht kennen, um zu erkennen, dass wir uns selbst nicht kennen? Oder wollen wir damit uns selbst über die Traurigkeit unseres Lebens hinweghelfen? Fragen über Fragen, die jeder für sich selbst beantworten darf.
Als ich nun in dieser Einöde saß, mitten im Nirgendwo, umgeben von der Schönheit der Natur, einfaches Essen serviert bekam und die Stille genoss, da wurde mir (mal wieder) bewusst, wie wichtig das für uns ist – für unseren Geist und unsere Gesundheit: Eben nicht immer erreichbar zu sein, nicht immer mit Informationen zugepflastert zu werden, nicht immer alles gleich recherchieren zu müssen, sondern einfach mal nur zu sein. Hier und Jetzt. Egal, was andere davon halten. Egal, ob das Haar sitzt oder der Bikini kneift. Egal, ob das Haus fünf Sterne wert ist oder das Essen nach Gourmetküche schmeckt.
Wir suchen oft im Außen die Ruhe, die wir aber nur finden, wenn wir sie uns selber geben. Menschen können noch so oft Entspannungskurse oder ein Coaching buchen oder lesen, was schlaue Menschen geschrieben haben – das alles kann nur die Theorie sein. Die Grundlage. Machen müssen wir es dann selber. Für Stille sorgen, die Online-Welt außen vor lassen, Beziehungen auf ihre Echtheit prüfen. Das kann kein anderer für uns tun … Entscheiden. Umsetzen.
Und ja, im Urlaub ist das sicher eine nette Abwechslung. Die Ruhe. Die Nicht-Erreichbarkeit. Die Einfachheit. Zum Entspannen und Runterkommen. Mal was anderes. Doch im Alltag wird genau das gebraucht. Es hilft hier, diese Strategien konsequent anzuwenden. Zu erkennen, was im Urlaub gut war und leicht von der Hand ging. Zu spüren, wie wir uns danach fühlten. Wie viel Kraft und Energie wir hatten. Wie ruhig unser Geist war.
Ich will nicht sagen, dass früher alles besser war − dafür bin ich dann doch noch zu jung. Doch gibt es Momente, da war es gefühlt leichter. Es gab nicht so viele Dinge, die von außen auf uns einprasselten. Nicht so viele Möglichkeiten. Nicht ständiges Entscheiden.
Weniger ist mehr. Von allem ein bisschen.
Sonnige Grüße
Ihre
Jana Ludolf
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Mediatorin und Familiencoach
Foto: © sasinparaksa / fotolia.com
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