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Psychotherapie
Lesezeit: 11 Minuten

Die Rational-Emotive Therapie (RET)

Teil 2

Wir fühlen, wie wir denken

Nicht die Menschen und Umstände, also die Dinge als solche, sind schuld daran, wie wir uns fühlen, ob wir glücklich oder unglücklich sind, sondern bei uns selbst, und nur bei uns, liegt es, wie wir uns fühlen.

Äußerungen der nachfolgenden Art
müssen daher getilgt werden:
Menschen Umstände
“Du machst mich wütend.” “Das regt mich auf.”
“Du machst mich traurig.” “Das ekelt mich an.”
“Du machst mir Angst.” “Das macht mich krank.”
 usw.  usw.

Nicht die Menschen und Umstände sind verantwortlich für mein seelisches Befinden, sondern einzig ich selbst. Deshalb muss ich Äußerungen wie die vorerwähnten ersetzen durch folgende Formulierungen:

 

“Ich mache mich wütend.”
“Ich mache mich traurig.”
“Ich mache mir Angst.”
“Ich rege mich auf.”
“Ich ekele mich.”
“Ich mache mich krank.”

Wir müssen von Ansichten, Meinungen, Vorstellungen, Dogmen, die wir uns im Laufe des Lebens angeeignet haben, die wir gelernt haben, Abschied nehmen. Wir müssen umlernen. Sicherlich ist das ein nicht ganz einfacher Prozess. Aber es geht: man kann Falsches durch Richtiges ersetzen. Die falschen Vorstellungen, die Meinungen, die wir uns von den Dingen machen, sind der Grund, warum wir uns oft so elend und miserabel fühlen. Denn:
Wir fühlen, wie wir denken.

Das A-B-C der Gefühle und ein Fallbeispiel

r9905_re1Den Sachverhalt “Wir fühlen, wie wir denken” bezeichnet die RET als A-B-C- Theorie oder als A-B-C der Gefühle.
A = Aktivierendes Ereignis
B = Bewertung dieses Ereignisses (engl. belief)
C = Emotionale und/oder verhaltensrelevante Konsequenz (engl. consequence)
Verdeutlichen wir uns das an einem Beispiel.

A – > Aktivierendes Ereignis
Ein junger Mann hat eine Freundin, die er liebt. Eines Tages eröffnet die junge Dame ihrem Freund, dass sie ihn verlassen werde.

B – > Bewertung diese Ereignisses
Der junge Mann denkt: “Das ist schrecklich; das werde ich nicht überstehen. Welch eine Tragödie! Ich hätte alles anders machen müssen, dann würde ich jetzt nicht verlassen werden. Ich bin ein Unglücksrabe; in der Liebe habe ich nie Glück gehabt. Ich bin eben nicht so, wie Frauen sich Männer wünschen. Ich bin ein Mann, der nie eine Frau auf Dauer glücklich machen kann. Ich tauge zu nichts. Deshalb werde ich auch nie eine Frau an mich binden können. Ein Leben ohne meine Freundin ist sinnlos. Ein Leben ohne sie werde ich nicht ertragen können. Die Einsamkeit werde ich nicht aushalten. Was ist das Leben doch brutal! Alles ist so trostlos.”

C – > Emotionale und verhaltensrelevante Konsequenzen
Der junge Mann ist todtraurig, wie gelähmt, ratlos, wird in der Folgezeit so depressiv, dass er seinen beruflichen Pflichten nicht mehr nachkommen kann und schließlich sogar an Selbstmord denkt. Schaut man sich die Gedanken des jungen Mannes an, dann leuchtet es ein, daß er tief deprimiert und apathisch ist. Wer solch negative Gedanken denkt, kann sich nur miserabel fühlen. Denn erinnern wir uns:

Wir fühlen, wie wir denken.
Denken wir negativ, fühlen wir uns auch schlecht. Denken wir neutral, fühlen wir uns indifferent, d.h. weder schlecht noch gut. Denken wir positiv, fühlen wir uns gut.
So einfach dieses Korrelat zwischen Denken und Fühlen nun sein mag und so sehr es auch einleuchten mag, der Haken an der ganzen Sache liegt im Denken. Denn wir haben uns – darauf wies ich bereits hin – durch unsere Eltern, durch die Erzieher, durch Bekannte und Freunde, durch die Medien usw. bestimmte Maßstäbe, Normen, Denk- und Wertschemata, Klischees, Vorurteile, Dogmen und wie immer man es nennen mag, angeeignet oder – wie die Soziologen sagen -internalisiert, so dass wir die Richtigkeit des Angeeigneten gar nicht mehr in Zweifel ziehen. Letztendlich ist das Ergebnis all des Angelernten das, was man Menschen- und Weltbild nennt. Dass das Menschen- und Weltbild von Individuum zu Individuum differiert, ist dabei sekundär. Die Auseinandersetzung zwischen Individuum und Welt führt, wie unschwer einzusehen ist, halt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Unabhängig von diesem Sachverhalt steht indes fest: bestimmte Meinungen werden gleichsam im Sinne von Axiomen von allen Zivilisationsmenschen gegelaubt. Einige solcher quasiaxiomatischer Meinungen habe ich bereits vorne aufgeführt.

Die Hilfe der RET

Die Hilfe der Rational-Emotiven Therapie besteht nun darin, zunächst das falsche Denken zu korrigieren. Ist dies gelungen, führt das bei den Klienten zu positiveren Gefühlen. Die RET initiiert einen Umlernprozess. Da es bekanntlich aber schwer ist, Gelerntes durch Neues zu ersetzen, kann es sein, dass dieser Umlernprozess beim einen oder anderen Klienten etwas länger dauert. Auf jeden Fall steht und fällt der Erfolg der Therapie mit der Aktivität des Klienten. Aber das hat sein Gutes: der Klient bestimmt selbst in hohem Maße Tempo und Effizienz diese Umlernprozesses. Er ist in jedem Fall der bestimmende, der aktive Teil im Therapieprozess. Wie wird nun das falsche Denken überprüft und durch gesundes Denken ersetzt?
Das gesunde Denken ist an Tatsachen orientiert. Tatsachen lassen sich überprüfen. Das falsche Denken ist an Meinungen orientiert. Meinungen aber lassen sich nicht überprüfen. Das gesunde Denken verhilft dazu, dass man sich so fühlt und verhält, wie man möchte. Das falsche Denken verhilft nicht zu Gefühlen und Verhaltensweisen, die das Individuum als wünschenswert empfindet, sondern falsches Denken drückt die Stimmung und lähmt das Handeln.

Mit Hilfe von drei methodischen Ansätzen wird der Umlernprozeß beim Klienten durchgeführt:

1. durch die gedankliche Methode
Hierbei überprüft der Klient Situationen nach den beiden Grundregeln für gesundes Denken.

2. durch die Gefühlsmethode
Hierbei spielt der Klient in seiner Vorstellung bestimmte Situationen durch, d. h. er verhält sich vorstellungsweise so, wie er es gerne möchte, es aber in Wirklichkeit nicht getan hat oder nicht tut.

Die beiden Grundregeln für gesundes Denken lauten:
  1. Gesundes Denken beruht auf Tatsachen.
  2. Gesundes Denken verhilft dazu, dass man sich so fühlt und verhält, wie man möchte.

3. durch die Verhaltensmethode
Hierbei sucht der Klient bestimmte Situationen auf, in denen er sich ganz anders verhält – nämlich so, wie er gerne möchte -, als er es bisher getan hat. Diese praktischen Übungen können auch sog. shame-attacking-exercises (Risikoübungen) einschließen.

Analyse des Fallbeispiels

Wir wollen im Folgenden einmal die Gedanken des jungen Mannes aus unserem Fallbeispiel anhand den Grund- regeln für gesundes Denken analysieren. Erinnern wir uns:

  1. Gesundes Denken beruht auf Tatsachen.
  2. Gesundes Denken verhilft dazu, dass man sich so fühlt und verhält, wie man möchte.

Entspricht es den Tatsachen, dass die Trennung schrecklich ist und dass er sie nicht überstehen wird? Die Trennung ist für den jungen Mann zwar enttäuschend und sie macht ihn verständlicherweise auch traurig. Das ist klar. Aber: schrecklich im Sinne einer Katastrophe ist sie deswegen nicht. Wer in solchen Superlativen denkt, darf sich nicht wundern, wenn er sich elend fühlt. Die Tendenz vieler Menschen, Unangenehmes als Katastrophe zu bewerten, bezeichnet die RET als “Katastrophisieren”.

Dass er die Trennung nicht überstehen wird, dürfte auch kaum den Tatsachen entsprechen. Er wird sicherlich weiterleben und nicht sterben. Die Gepflogenheit vieler Menschen, zu denken, dass sie Unangenehmes nicht ertragen können, bezeichnet Dieter Schwartz als die “Ich-kann-es-nicht-aushalten- Krankheit”. Er hätte, wie er sagt, alles anders machen müssen, dann wäre er nicht verlassen worden. Entspricht das den Tatsachen, dass er alles hätte anders machen müssen? Kaum! Er hätte vielleicht das eine oder andere anders machen sollen. Aber “alles”? Und: “müssen”? “Müssen” ist eine absolute Forderung. Das einzige Muss im menschlichen Dasein ist das Sterben. Im Zusammenhang mit absolutistischen Forderungen wie “Müssen”, “Sollen” bzw. “Nicht-Dürfen” spricht Dieter Schwartz von “Muss-turbieren”. “Alles” und “Müssen”: völlig irrationale Übertreibungen!

Er behauptet, nie in der Liebe Glück gehabt zu haben und er sei ein Mann, der nie eine Frau glücklich machen könne. Entsprechen beide Gedanken den Tatsachen? Dass er nie, zu keinem Zeitpunkt, bei keinem Mädchen jemals Erfolg gehabt hat, ist mehr als unwahrscheinlich, dürfte nicht den Tatsachen entsprechen. Und die Behauptung, dass er nie eine Frau werde glücklich machen können, ist eine reine Vermutung oder Befürchtung, die sich aber durch keine Tatsache belegen lässt. Die Behauptung, er tauge nichts, beruht auf der weit verbreiteten – völlig irrationalen – Meinung, dass einer, der mal Pech gehabt hat oder einen Fehler gemacht hat, insgesamt nichts wert sei. Tatsache ist, dass der Wert eines Menschen nicht davon abhängt, ob er hin und wieder Pech hat oder ab und zu – wie alle Menschen – mal einen Fehler macht. Jeder Mensch ist wertvoll – trotz Pech und trotz Fehler. Das ist Tatsache.

Er werde nie eine Frau an sich binden können, behauptet er. Hier liegt wieder eine Vermutung vor, eine Meinung, die durch die Wirklichkeit, durch Tatsachen nicht gestützt wird. Ein Leben ohne sie ist sinnlos. Dies ist eine irrationale selbstschädigende Meinung, die darauf beruht, zu glauben, dass nur eine bedeutsame Beziehung zu einem geliebten Menschen dem Leben Sinn verleiht und einzig glücksverheißend sei. Tatsache ist, dass menschliches Leben auch Sinn haben kann, ohne dass man mit einem einzigen, ganz bestimmten Individuum verbunden ist. Natürlich ist es schmerzlich, ein Leben ohne den geliebten Menschen allein leben zu müssen, aber sinnlos ist das Leben deswegen nicht. Wir erkennen hier wieder die Tendenz zum Katastrophisieren.

Alles ist trostlos, sagt er. Diese Behauptung ist so weit von den Tatsachen entfernt, wie sie weiter nicht sein könnte. Denn: alles ist so wie es ist. Und: alles verläuft nach seinen ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten. Der Gedanke des jungen Mannes beruht auf der irrationalen Meinung, die Welt und namentlich die Menschen müssten sich so verhalten, wie man sich das wünscht. Dieser Wunsch ist völlig utopisch. Es gibt kein Gesetz, demzufolge sich die Menschen so verhalten müssen, wie man sich das wünscht.

Fassen wir kurz zusammen: die Gedanken des jungen Mannes sind persönliche Meinungen, sind Interpretationen, Bewertungen der Wirklichkeit, sind aber weit davon entfernt, die Wirklichkeit abzubilden, wie sie ist. Der junge Mann sieht die Wirklichkeit verzerrt, und zwar unter Verwendung der gängigen irrationalen Ideen, die dem Menschen in unserem Zivilisationsraum von Kindesbeinen an vermittelt werden. Wie steht es nun mit der zweiten Grundregel für gesundes Denken?
Gesundes Denken verhilft dazu, dass man sich so fühlt und verhält, wie man möchte. Hier können wir uns kurz fassen. Ein Mensch, der mit Superlativen wie “schrecklich”, “sinnlos”, “nie”, “alles”, “nichts” u.ä. operiert und sich in seinen Gedanken ein Schreckensszenario aufbaut, darf sich nicht wundern, wenn er sich miserabel fühlt. Im Gegenteil: wenn ein Mensch, der Gedanken denkt, wie der junge Mann aus unserem Fallbeispiel das tut, sich gut fühlte, müsste man annehmen, dass mit seinem Gehirn etwas nicht in Ordnung wäre. Die Gedanken des jungen Mannes müssen geradezu zwangsläufig zu Depressionen und Lethargie führen. Denn: wir fühlen uns, wie wir denken. Der Gefühlszustand und der Verhaltensstatus sind nicht so, wie der junge Mann das möchte. Ergo ist sein Denken nicht gesund.

Die hier vorgestellte Methode, das Denken zu überprüfen, ist der erste Schritt innerhalb des Umlernprozesses. Diese Methode – wir nennen sie gedankliche Methode – wird ergänzt durch Vorstellungsübungen (VÜ) – wir nennen sie Gefühlsmethode. Hierbei versetzt sich der Klient in bestimmte Situationen und spielt diese in der Annahme der “schlimmsten” Situation durch. Der VÜ geht eine Entspannungsübung voraus. Die dritte Methode im Umlernprozeß ist das Training richtigen Verhaltens – wir nennen sie Verhaltensmethode. Hier werden gezielt bestimmte Situationen in der Wirklichkeit aufgesucht und das Verhalten de facto nach den neuen rationalen und emotionalen Einsichten geprobt. Die Verhaltensübungen gehen, wie bereits gesagt, hin bis zu sog. shame-attacking-exercises (Risikoübungen). Auf alle drei Methoden wies ich bereits an früherer Stelle hin. Auf weitere Details bezüglich der Gefühls- und Verhaltensmethode will ich an dieser Stelle nicht eingehen. Wer sich vertieft mit der Materie auseinandersetzen will, sei auf die Bibliographie verwiesen oder suche Rat und Hilfe bei einem nach der RET-Methode praktizierenden Psychologen oder Psychotherapeuten.

Schluss

Die RET weist dem Denken einen hohen Stellenwert zu. Mehr noch: nach der RET ist das – falsche – Denken der eigentliche Grund für negative Gefühle und – Folge davon – falsches Verhalten. Wenn es gelingt, das Denken zu verändern, ist damit der wichtigste Schritt auf dem Weg zu Gesundheit und Normalität getan. Die Änderung des Denkens beim Klienten erreicht die RET, indem sie dem Klienten neue Denkansätze gibt, d.h. sie scheut sich nicht, gezielte Ratschläge zu geben. Der Vorteil: die Therapien sind relativ kurz und der Klient ist, da Denken eine individuelle Leistung ist, hochaktiv. Die RET geht also ganz anders vor, als die deutende Psychoanalyse (die lange Therapiezeiträume benötigt) und anders als die mit der reflektierenden Spiegelhaltung operierende Gesprächspsychologie (die bewusst auf jede Art von Direktive verzichtet).

“Die RET fordert also die Menschen auf, ihren Kopf zu gebrauchen und hält nichts davon, dem Menschen sein ,Verkopftsein’ vorzuenthalten und ihn aufzufordern, weniger zu denken, wie es explizit oder implizit so viele modische Therapiesysteme tun.”

r9905_re2DR. KURT PETER RHEIN

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