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Psychotherapie
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Psychische Krankheiten: zweithäufigste Ursache für krankheitsbedingte Invalidität

Bericht vom 11. Weltkongress für Psychiatrie in Hamburg

Mehr als 3000 wissenschaftliche Vorträge von Referenten aus aller Welt sowie ca. 350 Symposien, Workshops, Kurse, Diskussionsrunden und andere Veranstaltungen machten dieses Großereignis zu einem Höhepunkt der Geschichte der deutschen Psychatrie. Im Rahmen dieses Kongresses wurden allerdings auch die Schattenseiten der deutschen Psychatrie zur Zeit des Nationalsozialismus beleuchtet, in der ca. 170.000 psychisch kranke Menschen zwischen 1933 und 1945 in Deutschland im Rahmen des “Euthanasie-Programms” getötet wurden. Diesbezüglich sagte Professor Wolfgang Gaebel, Vorsitzender des Organisationskomitees des Weltkongresses und Leiter der Psychiatrischen Klinik der Universität in Düsseldorf: “Die Entscheidung für Deutschland als Veranstaltungsort setzt ein deutliches Signal, dass trotz des systematischen Missbrauchs der Psychatrie in der Zeit des Nationalsozialismus Deutschland als Standort für einen psychiatrischen Weltkongress international akzeptiert wird.”

So galt vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Ereignisse im Kossovo dem Thema posttraumatischer Belastungsstörungen als Folge von Gewalt, Vertreibung und Folter ein weiterer Schwerpunkt des Kongresses. Der Umgang mit den psychischen Folgen von Gewalt und Krieg, sowie die psychische Versorgung von Flüchtlingen und anderer Hochrisikogruppen waren hochaktuelle Themen des Kongresses, die weltweites Aufsehen erregten. Weitere aktive Arbeit im Rahmen von Antistigma-Programmen gegen die Folgen von Ausgrenzung und Diskriminierung von psychisch Kranken sowie deren Angehörigen forderte Professor Gaebel. Massnahmen und erste Ergebnisse der Antistigma- Kampagne wurden in Hamburg diskutiert. Die Psychatrie der Zukunft steht vor großen neuen Herausforderungen. Psychische Erkrankungen nehmen zu und verschlimmern sich. Sie sind inzwischen zur zweithäufigsten Ursache krankheitsbedingter Invalidität geworden. In der jüngsten Zeit wurden erhebliche Fortschritte gemacht, so dass die Psychatrie in der Lage ist, die meisten psychischen Erkrankungen in Zusammenarbeit mit Familien- und Patientenorganisationen erfolgreich zu behandeln.

Im Rahmen repräsentativer epidemiologischer Feldstudien aus den USA stellte sich heraus, dass 44 % der Bevölkerung einmal im Leben psychisch erkranken. Am häufigsten sind mit jeweils ca.12-15 % Angsterkrankungen, Sucht und Depressionen. Trotz dieser großen Verbreitung werden psychische Leiden in der Bevölkerung nicht als vollwertige Krankheiten anerkannt. Depressionen werden oft als Befindlichkeitsstörungen, Sucht als Verhaltensstörung verkannt.
Zusammen mit neurologischen Störungen rangieren psychische Erkrankungen in den Statistiken der WHO nach Infektionen und Unfallfolgen mit 10,5 % an der dritten Stelle hinsichtlich der Häufigkeit. Nach Angaben der WHO liegt die Zahl der Suizide pro Jahr bei etwa 1 Million, die Zahl der Suizidversuche schätzt man auf 10-20 Millionen.

Neu ist die Erkenntnis, dass Depressionen mit einer Dauer von 1-2 Tagen extrem kurzfristig verlaufen können. Problematisch ist, dass nur eine relativ kleine Zahl psychisch Erkrankter fachgerecht, d.h. psychotherapeutisch oder psychopharmakologisch behandelt wird. Psychatrische Patienten mit somatischen Beschwerden, wie beispielsweise Rücken- oder Kopfschmerzen werden häufig umfangreich diagnostiziert, aber nur symptomatisch behandelt, während die zugrunde liegende psychische Ursache unerkannt bleibt. Besonders bei Depressionen und Schizophrenien steigt das Rückfallrisiko beträchtlich, wenn eine langfristige und konsequente psychiatrische Therapie versäumt wird. Die soziale Phobie – häufigste Angsterkrankung Ende des 20. Jahrhunderts.

Gute Erfolge mit Paroxetin bei der Therapie der sozialen Phobie

Laut Prof. Wittchen vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München ist die “soziale Phobie” eine ernstzunehmende Erkrankung, die häufig missverstanden oder gar nicht diagnostiziert wird. Dr. Baldwin von der Universität Southampten hält nach einer vor kurzem abgeschlossenen Studie an 290 Patienten mit sozialer Phobie, Paroxetin für das Mittel der Wahl. Paroxetin (Seroxat) R gehört zur Gruppe der selektiven Serotonin reuptake Hemmer. Es wirkt antidepressiv und angstlösend, ohne zu sedieren. Paroxetin besitzt ein breites Indikationsspektrum und ist zugelassen zur Behandlung von Depressionen, Zwangs- und Panikstörungen und der sozialen Phobie. Paroxetin reduziert nicht nur die Angst, sondern auch das sich daraus entwickelnde Vermeidungsverhalten.

Bei 95 % der Patienten mit sozialer Phobie tritt diese erstmals im Schulalter auf, bleibt aber zumeist unerkannt. Charakteristisch für die soziale Phobie ist die quälende Angst, von anderen Menschen prüfend beobachtet und negativ bewertet zu werden. Pulsjagen, Schwitzen, Zittern und Erröten stellen sich häufig schon Tage vor phobisch besetzten Situationen ein. Menschen mit sozialer Phobie ziehen sich immer weiter zurück. Wird die soziale Phobie lediglich als Schüchternheit bagatellisiert, dreht sich die Abwärtsspirale immer weiter. Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit sind oft die Folgen.

Zur Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen wie Schizophrenien oder stationär behandlungsbedürftiger Depressionen und Zwangserkrankungen sind Psychopharmaka nach wie vor unentbehrlich. Es gilt, Vorurteile gegen Psychopharmaka besonders hinsichtlich eines Sucht- und Gewöhnungspotentials abzubauen. Diese Gefahr besteht nur bei Tranquilizern. Neuroleptika und Antidepressiva haben kein Suchtpotential. Fortschritte gibt es in jüngster Zeit besonders hinsichtlich der Nebenwirkungen von Psychopharmaka. Die neue Generation der Neuroleptika beeinflusst aufgrund geringer extrapyramidalmo torischer Nebenwirkungen Motorik, Gestik und Mimik der Patienten weitaus weniger, so dass ein Hauptziel der Psychatrie der Gegenwart, die Verhinderung der Diskriminierung und Stigmatisierung psychisch Kranker, besser erreicht werden kann. Die Compliance ist besonders bei Antidepressiva in der Vergangenheit sehr schlecht gewesen, da Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Kreislaufstörungen bis zu Herzrhythmusstörungen oft zu einem Absetzen der Medikamente seitens der Patienten führt.

Neuentwickelte Arzneimittel, wie die “selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer” reduzieren Nebenwirkungen und verbessern die Compliance. Psychopharmaka erhöhen die Fähigkeit und Bereitschaft von Patienten, psychosoziale Therapieangebote anzunehmen und durchzuhalten.

Kampfansage der World Psychatric Association gegen Stigmatisierung und Diskriminierung von Mitmenschen, die an Schizophrenie erkrankt sind

Prof. Norman Sartorius, Abt. Psychiatrie, Universität Genf und Präsident der World Psychatric Organisation hält die Verbesserung des Verständnisses der Schizophrenie in der Öffentlichkeit, sowie die Erhöhung der Toleranz, für die Eckpfeiler einer erfolgreichen Psychotherapie, die den Patienten hilft, ihre Symptome zu kontrollieren und ihnen ein unabhängiges und aktives Leben zu ermöglichen. Diskriminierung und Feindseligkeit gehören zum täglichen Alltag schizophrener Mitmenschen. Laut Sartorius stellen schizophrene Patienten bei guter medikamentöser Einstellung keinerlei Gefahr für die Gesellschaft dar, so dass einer Reintegration in die Gesellschaft höchstens deren Intoleranz und Vorurteile im Wege stehen.

Die Gesellschaft sollte gezielt darauf vorbereitet werden, schizophrene Mitmenschen zu akzeptieren und zu respektieren.

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