Neuropsychologische Störungen bei akuter Höhenkrankheit
Was ist Höhenkrankheit?
Wie läßt sie sich vermeiden?
Der folgende Artikel versucht, Grundlagen über die Pathophysiologie zentralnervöser Symptome der Höhenkrankheit zu vermitteln. Der Autor Jens Bielenberg ist Apotheker und stellt die Grundlagen der Pathophysiologie der Höhenkrankheit dar. Ein Syndrom mit Relevanz für Heilpraktiker.
Der Aufenthalt in den Bergen kann erhebliche Gesundheitsrisiken in sich bergen, sogar tödlich sein, wenn nicht eine ausreichende Akklimatisierung oder eine medikamentöse Prophylaxe erfolgt. Im Organismus laufen Anpassungsvorgänge ab, die mit individuell unterschiedlichen Höhenbeschwerden einhergehen.
Bei körperlicher Arbeit besteht bereits in mittleren Höhen (1600 bis 2000 m über dem Meeresspiegel) eine leichte, in 3000 m eine mittelschwere und in 5000 m eine schwere arterielle Hypoxämie. In 4000 m Höhe werden nur noch 80 % Sauerstoffsättigung des Blutes erreicht, bei 8000 m im Ruhezustand 50 % (Kasten1), bei körperlicher Arbeit nur noch 33 %. Die arterielle Hypoxämie ist charakterisiert durch Kopfschmerzen, Atemnot, Husten, Erbrechen, Schwindel; in schweren Fällen tritt der Tod infolge einer Thrombose oder eines Lungenödems ein. Sinkt der arterielle oPH 2 unter 25 mm Hg (entsprechend etwa 7500 m Höhe), wird die Mehrzahl nicht adaptierter Probanden bewusstlos. Eine akute Hypoxie stimuliert zur Hyperventilation. Das führt durch beschleunigte Abatmung von Kohlendioxid zu einer respiratorischen Alkalose. Auch im Liquor cerebrospinalis nehmen der Kohlendioxidpartialdruck und die H+- Ionenkonzentration ab. Daraus resultiert eine verminderte Atemstimulation von auf CO 2 und H+-Ionen ansprechenden Zentren. Hypoxie, arterielle Hypokapnie und Alkalose führen zu einer Erhöhung der Laktatkonzentration im Blut und im Liquor cerebrospinalis sowie zu einer Abnahme der Pufferkapazität. Um der Dehydrierung vorzubeugen, sollte so viel getrunken werden, dass mindestens 1 l Urin pro Tag ausgeschieden wird.
Allgemeine Grundlagen und Begriffsdefinitionen
Die Höhenkrankheit ist nicht nur ein Phänomen, das sich Expeditionsbergsteigern im Hochgebirge stellt, sondern die akute Höhenkrankheit (AMS – acute mountain sickness), die eigentliche akute Bergkrankheit, tritt vermehrt in Höhen zwischen 2500 und 5000 m auf, also auch in den Alpen. Man schätzt, dass 50% aller Bergsteiger über 3500m Seehöhe AMS bekommen. Die Manifestierung einer AMS ist aber in erster Linie von der Art des Aufstiegs und von der Dauer von Akklimatisierungsprozessen abhängig. Trekker, die das Flugzeug nach Lukla (Nepal, 2850 m) für den Aufstieg auf den Everest nutzen, leiden später doppelt so häufig an AMS als solche, die zu Fuss nach Lukla aufsteigen. In den Alpen wurde eine Inzidenz für AMS von 9 % auf 2850 m, 13 % auf 3050 m und 34 % auf 3650 m festgestellt.
Formen der akuten Höhenkrankheit:
Eine akute Höhenkrankheit äussert sich durch plötzliche heftigste Atemnot. Viele der Erkrankten klagen über Kopfschmerzen, Schwindel, Unsicherheit beim Gehen (Ataxie) und werden benommen und apathisch. Es können Veränderungen an der Netzhaut des Auges auftreten, die zu Blutungen und in seltenen Fällen zur Erblindung führen können.
Cerebrale Form der Höhenkrankheit:
Das Hirnhöhenödem (HACE) als
Erscheinungsform der AMS ist wahrscheinlich Folge der abrupten Zunahme des zerebralen Blutflusses schon bei Höhen
zwischen 3500 und 4000 m. Auf Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Ataxie, Nystagmus und Pupillenödeme kann bei
Zunahme der Rahmenbedingungen Koma und Tod folgen.
Pulmonale Form der Höhenerkrankung:
Das Höhenlungenödem (HAPE)
kann unabhängig von AMS/HACE auftreten, wobei jedoch Höhenkrankheit neben der Geschwindigkeit des Aufstiegs sowie
körperlicher Anstrengung ein prädisponierender Faktor sein kann. HAPE beginnt meist in der zweiten Nacht in einer
neuen Höhe und äußert sich durch Atemnot und blutigen Auswurf. Unbehandelt kann HAPE rasch zu Herz-Lungenversagen,
Kollaps und Tod führen.
Symptomatologie der akuten Höhenkrankheit sowie Prävention und Therapie
Beim Aufstieg zum Everest-Gipfel endete der Versuch eines Bergsteigers, Sauerstoff zu sparen, indem der Regler des Ventils einer Sauerstoffflasche, die sich in seinem Rucksack befand, durch einen Kameraden zugedreht werden sollte, fatal. Der Regler wurde auf- statt zugedreht. Die Freude über die plötzliche Klarheit des Denkens endete in Hyperventilation, Schwindel, verschwommenem Sehen und Ohnmacht.
Der Wissenschaft ist die Beeinträchtigung intellektueller und motorischer Leistungen in extremen Höhen schon lange bekannt. Um den Einfluss extremer Höhen auf die neurologischen Funktionen besser untersuchen zu können, wurden sechs Mitglieder einer Everest-Expedition in einer Unterdruckkammer einem Unterdruck ausgesetzt, der auf dem Gipfel des Mount Everest zu erwarten ist. Ferner wird in der internationalen medizinischen Literatur häufig über neuropsychische Veränderungen berichtet. Dazu gehören:
- Stimmungsschwankungen,
- Depressionen
- Konzentrations- und Erinnerungsstörungen
- Seh- und Sprachstörungen
- Halluzinationen.
Nach Aufenthalt in extremen Höhen ohne Sauerstoffatmung, besonders in Höhen über 8500 m, wurden permanente kognitive Beeinträchtigungen und insbesondere Störungen im Bereich bifronto- temporo-limbischer Strukturen festgestellt. Diese zerebralen Läsionen geschehen auch ohne neurologische Auffälligkeiten während der Höhenexposition.
Leitsymptom Höhenkopfschmerz
Der Schlüssel für die Auslöser des Höhenkopfschmerzes liegt in der
Erhöhung des intrakraniellen Druckes, im Glutamat- und Prostaglandinstoffwechsel sowie in einer Veränderung der
Thrombozytenfunktion. Es handelt sich charakteristischerweise um dumpfklopfende, okzipitale oder bitemporale
Schmerzen, vor allem nachts und beim Aufwachen. Differentialdiagnostisch kommen Meningealreizungen (Sonnenstich), vor
allem Migräne, in Betracht.
Acetylsalicylsäure zur Therapie des Höhenkopfschmerzes
Eine Studie der Abteilung für Sportmedizin
der Universität Innsbruck zur Anwendung von Aspirin zur Prophylaxe gegen Kopfschmerzen in großen Höhen im Oktober 1997
hatte zum Ergebnis, dass Acetylsalicylsäure das Auftreten von Kopfschmerzen verhindert, ohne die Sauerstoffversorgung
zu verbessern. Die Einnahme von Aspirin war verbunden mit einer weniger ausgeprägten Aktivierung der Herz- und
Atemfrequenz nach kurzzeitiger körperlicher Belastung in der Höhe. Es drängt sich die Assoziation auf, dass
Hypoxie-induzierte Erhöhung des Prostaglandinspiegels mit einer sympathischen Stimulation und der Aktivierung von
Nociceptoren verbunden ist. Die Autoren der Studie, in der 325 mg Aspirin alle 4 Stunden, beginnend eine Stunde vor
Erreichen der Höhe, gegeben wurden, vertreten die Theorie, dass Aspirin die Prostaglandin-induzierte
Sympathikusaktivierung in der Höhe reduzieren kann.
Modifikation des Prostaglandinstoffwechsels als Korrelat der
Abnahme des Glutathionspiegels infolge höheninduzierter Hypoxie.
Untersuchungen des Einflusses systemischer Hypoxie
auf das Glutathion (GSH)-Redox-System in Hirn, Leber, Lunge und Plasma neugeborener Ratten ergaben, dass vor allem
Hirn und Lunge besonders empfindlich auf Hypoxie reagierten, mit einem signifikanten Anstieg der Konzentration
oxydierten Glutathions (GSSG). In der Leber wurde eine Abnahme des GSH, gefolgt von einer Abnahme des GSSG nach
Hypoxia beobachtet. Das infolge der Hypoxie vermehrt anfallende AMP wird zu Hypoxanthin und Xanthin metabolisiert;
beides sind Substrate der Xanthinoxidase, ein Enzym, das wesentlich an der Bildung von Sauerstoffradikalen und
Wasserstoffperoxyd beteiligt ist.
Die prophylaktische Anwendung von Acetylsalicylsäure wird in der internationalen
medizinischen Literatur kontrovers diskutiert, da Kopfschmerz als initiales Symptom einer Höhenkrankheit Warnzeichen
ist.
Leitsymptom Ataxie
Bei jeder Form von Höhenbeschwerden ist immer ein besonderes Augenmerk auf die
Entwicklung von Gang- und Steh-Unsicherheiten zu lenken. Das Auftreten von Ataxie ist das wichtigste Alarmzeichen von
dem Übergang von AMS zum lebensbedrohlichen Höhenhirnödem, das nie aus heiterem Himmel auftritt, dessen Vorboten aber
häufig verschwiegen werden. Da das lebensbedrohliche Hirnödem durch geeignete Gegenmaßnahmen vermieden werden kann,
sollten Expeditions- oder Trekkingteilnehmer auf mögliche Gangunsicherheiten ihrer Begleiter achten.
Leitsymptom plötzlicher Leistungsabfall
Das auffälligste Leitsymptom eines bevorstehenden
Höhenlungenödems ist ein plötzlicher Leistungsabfall. Achtung: die schon bei milder Höhenkrankheit auftretende
Schlaflosigkeit sollte auf keinen Fall durch Benzodiazepine oder Barbiturate sowie Alkohol behandelt werden, da diese
atemdepressorisch wirken und die besonders in der Nacht auftretenden lebensgefährlichen Ödeme verstärken können. Bei
Hypertonie und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben sich gezielte Bewegungstherapien in Höhen von 1800 bis 2400 m
als sehr wirksam erwiesen. Es konnte eine statistisch signifikante Blutdrucksenkung festgestellt werden, die mehrere
Monate anhielt.
JENS BIELENBERG
Kardiovaskulare Kontraindikationen für einen Gebirgsaufenthalt
- Maligne Hypertonie
- Koronarerkrankungen Schweregrad IV (Beschwerden bereits in Ruhe, bei Alltagsbelastungen oder bei passivem Höhenwechsel)
- Zustand bei apoplektischem Insult (besonders durch Hirnblutung bei Hypertonie oder Aneurysma)
- Fortgeschrittenes Stadium der Corpulmonale
- Alle klinischen noch manifesten Entzündungen
- Alle Erkrankungen mit Ruheinsuffizienzsymptomatik
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