Die sanfte Medizin Tibets
Moxa, Mantras & Gebetsmühlen – Das alte Heilwissen aus den Hochtälern des Himalaja
„Wenn du fühlst,
dass in deinem Herzen etwas fehlt,
dann kannst du,
auch wenn du im Luxus lebst,
nicht glücklich sein.“
14.
Dalai-Lama
Tibet ist eines der entlegensten Gebiete der Erde. Auf seinen über 8.000 Meter hohen Schneebergen ist man den Göttern sehr nah. Hier hat sich – fernab vom Rest der Welt – über Jahrtausende ein hochentwickeltes Heilsystem entwickelt. Gespeist aus Elementen des Ayurveda und der chinesischen Medizin und durchdrungen von der buddhistischen Weisheitslehre ist eine Volksheilkunde mit besonderem Charakter entstanden, hinter der sich eine Schatztruhe voller Wissen über das unsichtbare Netzwerk und die Faktoren, die unser Leben steuern, verbirgt.
Den Mönchsärzten Tibets ist es zu verdanken, dass uns eine Medizintradition erhalten blieb, die heilendes Wissen und Rituale für Mensch und Natur in den Mittelpunkt der Therapie stellt und dabei nur ein Ziel vor Augen hat: Einheit und Gesundheit von Körper, Geist und Seele. Ihre Medizin vereint das Wissen verschiedener Heilsysteme: des indischen Ayurveda, der TCM, der persischen Unani- Medizin und der mongolisch-schamanistischen Bönmedizin. Niedergeschrieben wurde das gesammelte Wissen im 12. Jahrhundert vom tibetischen Arzt Yuthog Yonten Gonpo im Gyüschi (Vier Tantras), dem bis heute gültigen Grundlagenwerk. Er berief sich auf Wissen, das der „Medizin-Buddha“ Sakyamuni den Menschen vor Urzeiten überliefert habe.
Großes Interesse finden immer mehr die ausgefeilten Diagnosemethoden wie z.B. die tibetische Puls- und Zungendiagnose, mit der sich äußere (z.B. klimatische Einflüsse) und innere Krankheitsauslöser (z.B. emotionale Blockaden) bereits im Frühstadium diagnostizieren lassen, sodass durch gezieltes Gegensteuern und rechtzeitige Behandlung ein Krankheitsausbruch verhindert werden kann.
Viele der tibetischen Behandlungsformen basieren auf einer besonderen Form der psychosomatischen Akupunktur und Aku-Moxatherapie, die sich besonders bei der Behandlung von psychosomatischen Störungen, Ängsten, Depressionen, aber auch bei Schmerzzuständen aller Art hervorragend bewährt hat.
Eine alte Volksmedizin erobert die Welt
Kaum ein medizinisches Heilsystem fesselt derzeit die Aufmerksamkeit mehr als die tibetische
Medizin. Aufsehenerregende Heilerfolge tibetischer Ärzte, spezielle feinenergetische Diagnose- und Therapieverfahren,
potente Heilkräuter und Juwelenpillen aus dem Himalaya und nicht zuletzt die massive Unterstützung des Dalai-Lama
haben dieser alten Volksmedizin zu einem hohen Bekanntheitsgrad verholfen. Dieses uralte, hochkomplexe Medizinsystem
kann hier im Westen eine entscheidende Lücke bei der ganzheitlichen Behandlung moderner Krankheiten schließen.
Besonders die frühzeitige Erkennung und Behandlung energetischer Funktionsstörungen, lange bevor eine Krankheit
ausbricht und schulmedizinisch messbar wird, ist eine wertvolle Ergänzung zur westlichen Medizin.
Nus.pa – die Lebensenergie
Jede
irdische Manifestation ist Ausdruck einer allumfassenden Kraft, einer dynamischen Energie, die jedes Lebewesen
durchdringt und stark oder eher schwach zum Ausdruck kommen kann. Lebendigkeit, Begeisterungsfähigkeit, Gelassenheit,
innere Stärke, Mut und Freude sind Elemente dieses gleichmäßigen Flusses dieser Lebensenergie. Der Mensch, dessen
Lebensenergie so fließt, hat einen klaren, festen Blick, leuchtende Augen, eine starke, deutliche Stimme und ein
präsentes Auftreten, sein Abwehrschild (Immunsystem) ist intakt.
Nus.pa wird aus zwei großen Hauptquellen genährt: der karmischen (vererbten) Konstitutionsenergie und der durch persönliche Achtsamkeit und Disziplin erworbenen Energie aus
- gesunder und typgerechter Nahrung
- der Familienstruktur und befriedigenden sozialen Beziehungen
- dem Kontakt und Verstehen der Natur und ihrer Gesetze
- Liebe, Leidenschaft, Begeisterung und Freude für das, was man ist, haben und tun darf
- dem Gefühl, in jedem Augenblick am richtigen Ort und auf dem richtigen Weg zu sein
- Mitgefühl (verzeihen), Dankbarkeit und dem Akzeptieren von Gegenwart und Vergangenheit
Im Mittelpunkt steht die Überzeugung, dass das Bewusstsein das Sein bestimmt, dass der Mensch ist, was er denkt! So ist der gesunde Geist die wesentliche Quelle von Nus.pa und damit Grundvoraussetzung für Gesundheit. Die sich auf diese Weise nährende Energie bleibt im Fluss durch ein harmonisches Zusammenspiel ihrer fünf Elementprinzipien Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser und den sich aus ihr formenden Lebensessenzen rLhung (Wind), mKhris-pa (Galle) und Badkan (Schleim).
Die drei Lebensessenzen
Das Wissen um
die Eigenschaften der drei Lebensessenzen und ihrer dynamischen Wechselwirkungen und Prinzipien ist der wesentliche
Schlüssel zum Verständnis der tibetischen Auffassung von Krankheit und Gesundheit. Das gesamte Universum ist – ebenso
wie der Mensch – eine Erscheinung der Manifestationsvielfalt dieser drei Energieprinzipien und der mit ihnen
verbundenen Aspekte.
• rLhung (Wind) – Energie der Formierung (Holz):
rLhung steht für das bewegliche,
strukturbildende Element in Körper und Geist und ist an allen physiologischen Prozessen beteiligt, die ihrem Wesen
nach dynamisch sind. Es ist die treibende, formierende Kraft hinter den vegetativen Funktionen Atmung, Herztätigkeit
und Peristaltik, steht aber auch für kognitive und geistige Aktivitäten.
• mKhris-pa (Galle) – Feuer des Lebens:
mKhris-pa steht für die unterschiedlichen Arten von
Wärme im Körper und ist am Prozess des Metabolismus, des ständigen Wandels, beteiligt, und damit auch am Wechselspiel
hochkochender psychoemotionaler Reaktionen.
• Bad-kan (Schleim) – Festes und Flüssiges (Erde, Metall, Wasser):
Bad-kan steht für alle
Faktoren des Flüssigen und Festen im Körper und erfüllt mechanische stabilisierende, zusammenhaltende und
verfestigende Funktionen.
Wenn diese Körperessenzen durch äußere oder innere Auslöser in einen Zustand des Mangels oder des Überschusses getrieben werden, stören sie sich gegenseitig. Unwohlsein, Symptome und Krankheit sind die Folge.
Die Wurzeln der Krankheit aus tibetischer Sicht
Das Konzept der fließenden Energie liefert den „missing link“ zwischen geistig-emotionalen
Entgleisungen bzw. energetischen Stauungen (messbar über die Pulswellen) und deren körperlichen Auswirkungen in Form
von Symptomen, die unverstanden zu Krankheiten eskalieren.
Die durch falsches Denken ausgelösten „Geistesgifte“ bestimmen dabei maßgeblich das geistige, emotionale und körperliche Wohlbefinden.
Hier die wichtigsten inneren und äußeren Krankheit auslösenden Faktoren:
Innere Faktoren
- Falsches Denken
- Emotionen: Wut (Hass, Neid, Eifersucht), zu wenig Freude, Sorgen, Trauer, Angst
- Nichtachtung körperlicher, psychischer und spiritueller Grundbedürfnisse (Unwissenheit)
- Falsches Verhalten
- Die Lebenszyklen und das Alter
Äußere Faktoren
- Falsche Nahrungsmittel
- Gifte
- Jahreszeiten und Klima (Wind, Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit)
- Biologische Faktoren
- Besessenheit durch Dämonen (z.B. Psychosen, Neurosen)
Feine Diagnosemethoden
Über
Jahrtausende ausgereifte Diagnoseverfahren der genauen Beobachtung und Betastung des Körpers lassen Krankheiten
bereits im Frühstadium erkennbar werden:
Pulsdiagnose
Die Pulsdiagnose, ein
Kernelement der tibetischen Diagnostik, ist ein erstaunlich präzises Diagnoseverfahren, das neben langjähriger
Erfahrung ein hohes Maß an Intuition und Fingerspitzengefühl erfordert. Der Therapeut legt Zeige-, Mittel- und
Ringfinger direkt nebeneinander an bestimmten Pulsstellen auf die Haut des Patienten und drückt dann – wie beim
Klavierspielen – einen Finger nach dem anderen nach unten. So wie ein Sturm riesige Wellen aufbäumen kann oder sanfte
Windwellen einen See berühren, lassen sich neben Länge, Breite, Tiefe, Kraft, Fülle und Form der einzelnen Pulswellen
15 Pulsqualitäten unterscheiden, die eine sehr präzise Aussage über die gefährdeten oder bereits erkrankten Organe
zulassen. Der Therapeut kann so eine klare Aussage über den Energiestatus des Patienten, seine emotionale
Grundverfassung und die zugrunde liegenden Missverständnisse treffen.
Diagnose durch Sehen, Hören und Riechen
Bei der Zungendiagnose spielen Form, Farbe, Feuchtigkeitsgehalt und Farbverteilung eine wichtige Rolle.
Beispielsweise weisen Zahneindrücke am Zungenrand auf eine Schleimkrankheit (Schwäche des Erdelements) hin. Besondere
Beachtung finden auch Haut, Gestalt, Konstitution, Haltung, Bewegung, Reinlichkeit, Zähne, Augen, Blickfestigkeit und
Ausstrahlung. Auch Stimme, Klang, Sprache, Redefluss und Atmung des Patienten sowie Mund- und/oder Schweißgeruch
werden aufmerksam registriert.
Urindiagnose
Urin ist ein
außerordentlich wichtiges diagnostisches Medium. Er wird auf Farbe, Dunst, Geruch und Blasenbildung hin untersucht.
Grundsätzlich gilt, dass heller, klarer und reichlicher Urin mit großer Blasenbildung (beim Umrühren) auf eine
Kältekrankheit hinweist, während dunkler, trüber und spärlicher Urin eine Hitzekrankheit anzeigt. Bei Gallekrankheiten
z.B. ist er übel riechend, dunkelgelb, trübe und geht manchmal sogar leicht ins Rötliche über.
Ganzheitliche Therapie
Betrachtet man
die Essenz der tibetischen Medizin von damals („Medizin-Buddha“ Sakyamuni) bis heute (14. Dalai-Lama) unter dem
Blickwinkel ihrer Effizienz, Integrierbarkeit und Praktikabilität hier im Westen, findet man neben zukunftsweisenden,
früh erkennenden Diagnoseverfahren (besonders Pulsdiagnose) und zahlreichen effektiven Therapieverfahren eine
Schatztruhe voller wichtiger Lebensweisheiten, die das unsichtbare Netzwerk und die Faktoren, die das Menschsein
bestimmen, zu ordnen vermögen. In einem ganzheitsmedizinischen Ordnungskonzept wird diese Kunst des Heilens zeitgleich
auf körperlicher und geistiger Ebene umgesetzt.
Heilkräuter, Ernährung, spezielle Heilverfahren
Heilkräuter und Pillen aus pflanzlichen, tierischen, mineralischen und metallischen Substanzen
aus dem Himalaja, nach strengen astrologischen Regeln geerntet, werden nach uralten, bewährten Rezepten hergestellt.
Mit ihnen kann man Krankheiten erstaunlich effektiv behandeln.
Typgerechte, der Tages- und Jahreszeit angepasste Nahrungsmittel, gezielt nach ihren Geschmacks- und Wirkqualitäten (Zuordnung zu den 5 Elementen) eingesetzt, wirken wie Heilmittel und stärken das Gleichgewicht der Lebensessenzen. Moxatherapie, Akupunktur, Öl- und Klangschalenmassagen, Kräutereinreibungen, Einrenktechniken, Aderlass und Schröpfen sind spezielle Therapieverfahren, die richtig eingesetzt zur Gesundung führen.
Behandlung durch spirituelle Therapien
Suggestivmantras und spezielle Geistes- und Körperübungen beschleunigen und vertiefen den
Heilungsprozess. Dazu gehören Lu Jong, Kum Nye und besondere Atemübungen. Unabdingbar für tiefgreifende Heilung ist
Meditation, die konzentrierte Sammlung in der Stille, um dem Lärm des Alltags etwas entgegenzusetzen, den Geist zur
Ruhe kommen zu lassen, Bewusstheit und Wachheit mittels traditioneller Technik zu trainieren (geistiges
„Zähneputzen“).
Änderung der Verhaltens- und Lebensgewohnheiten
Gespeist und beseelt mit traditionellem und aktuellem Gedankengut des Dalai-Lama („Wohlwollen,
edles Verhalten, Liebe und ein frohes Herz sind die beste Arznei“) fungiert der tibetisch orientierte Therapeut als
Berater und Geburtshelfer neuer heilender Ideen. Dabei ist er stets bemüht, vorbildhaft aus spiritueller Wachheit zu
handeln. Mit lebensordnenden Gesprächen informiert und motiviert er, den Weg zur Freiheit von krankmachenden
Einschränkungen und Anhaftungen fortzuschreiten. So wird Krankheit zur Chance eines Neuanfanges, zum Auslöser eines
neuen Lebensabschnittes.
Dr. Ingfried Hobert
Arzt für Ganzheitsmedizin und
Ethnomedizin in eigener Praxis in Steinhude. Mehrfacher Buchautor über traditionelle Heilverfahren.
praxis@drhobert.de
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