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Lebenslänglich

Eltern sind mit der Volljährigkeit ihres Nachwuchses noch lange nicht alle Sorgen los

© pdesign - Fotolia.comWenn wir Eltern älter werden, die Kinder ausgezogen sind, vielleicht schon eine eigene Familie haben, freuen wir uns auf die Zeit gegenseitiger unbeschwerter Besuche. Wir hoffen, dass die Zeit die meisten Wunden heilt und die Schwierigkeiten mit den pubertären, adoleszenten Kindern, die uns noch frisch im Gedächtnis sind, endlich ausgestanden sind, wir wollen uns zurücklehnen, entspannen, neuen Perspektiven zuwenden. Die Kinder sind „gut geraten“ und werden ihren Weg schon gehen. Wenn es Probleme gibt, werden wir ihnen weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen, wie wir das auch in der Vergangenheit getan haben. Die Familie funktioniert – denken wir zumindest.

Doch während wir in das Großelternalter hineinwachsen, sehen wir allmählich hinter die Kulissen scheinbar idealer oder zumindest intakter Familien und fragen uns bange, ob uns auch noch so viel Ärger, Vorwürfe und Missverständnisse bevorstehen. Ja, oft tut es das – früher oder später sind auch wir dran. In unterschiedlichem Maß der Vehemenz erfahren wir nach und nach, was alles an uns schwer oder gar nicht erträglich ist und war. Detailliert – wie schon in der Pubertätszeit der Kinder – werden wir mit unseren Fehlern und früherem Versagen konfrontiert. Unser elterliches Weltbild beginnt zu wackeln, und wir fallen vom Sockel, nur diesmal tiefer und oft scheinbar irreparabel.

Wenn wir unseren Klienten, Freunden oder Bekannten zuhören, erkennen wir Missstimmigkeiten und tiefe Verletzungen, die ihnen von ihren erwachsenen Kindern (meist unbewusst und unabsichtlich) zugefügt wurden. Eine Klientin erzählte mir von einem Gespräch mit ihrem erwachsenen Sohn, in dem er kein gutes Haar mehr an ihr ließ, weil „… sie ja ständig ihren eigenen Frust in ihn hineinprojiziere, ihn immer schon kontrollieren wollte, er froh sei, wenn er bei seiner Freundin endlich mal erleben kann, was eine richtige Familie ist …“.

Ein anderes Elternpaar fiel aus allen Wolken, als es erfuhr, dass ihr Sohn sich von seiner langjährigen Partnerin getrennt hat, aber nie eine Andeutung über bestehende Probleme gemacht hatte, weil „… ihr euch sowieso in alles einmischen wollt, keine Ahnung habt, welche Schwierigkeiten sich in Beziehungen ergeben können, ich deshalb auch kein Verständnis von euch erwarten kann …“. Dies sind noch harmlose, fast komisch erscheinende Beispiele, die vermehrt in allerlei Variationen und unterschiedlicher Heftigkeit auch in bisher harmonischen Familien auftauchen. Oft führen sie zur Entfremdung zwischen den Generationen. Es ist kein Einzelfall, dass Eltern bzw. Großeltern zu ihren (Enkel-)Kindern jahrelang keinen oder nur oberflächlichen Kontakt haben, weil Misstrauen, Missverständnisse und alter Groll nicht angesprochen oder ausgeräumt wurden.

Krisen gehören zum Leben

© Klaus-Peter Adler - Fotolia.comAls Paartherapeuten erleben wir häufig Probleme im Umgang der Generationen miteinander. Nicht alle Eltern können weise oder humorvoll mit Kritik der eigenen Kinder umgehen. Wer nicht vital und mit einem tragfähigen sozialen Netz gesegnet ist, kann leicht vereinsamen oder depressiv werden. Was macht uns alternden Vätern und Müttern das Leben mit unseren Nachkommen so schwer, obwohl „wir uns doch solche Mühe gegeben haben“? Unsere Frage richtet sich ganz bewusst nicht auf die Familien, in denen tiefe Konflikte und Unfähigkeit der Eltern, politische Schuld oder kriminelle Delikte zu verständlicher Distanzierung der Kinder geführt haben, es geht um die „ganz normalen“ Familien, in denen die Eltern sich um Toleranz, Offenheit, Präsenz und Konfliktfähigkeit bemüht haben, Eltern mit Verständnis und Nachsicht für die Eigenarten ihrer Söhne und Töchter, Eltern, mit denen man offen und ehrlich reden kann.

Eltern müssen nicht alles alleine können

Eltern müssen lernen, sich nicht nur auf ihre eigene neue Entwicklungsphase, sondern auch auf jede neue ihrer Kinder einzustellen. Für viele Eltern vor dem oder im Rentenalter ist es schwer vorstellbar, sich bei Schwierigkeiten mit der jüngeren Generation professionelle Hilfe zu suchen. Dazu kommt, dass das nahende Alter eigene Probleme mit sich bringt, gesundheitliche sowie psychische Anpassungsschwierigkeiten. Hier wäre Geduld der erwachsenen Kinder mit den Eltern angebracht.

Es ist nicht einfach, sich im Alter im selben rasanten Tempo wie jüngere Menschen an veränderte Lebensumstände zu gewöhnen. Je älter wir werden, desto schwieriger wird es, bestehende Glaubenssysteme in Frage zu stellen und sie zugunsten neuer Erfahrungen aufzugeben. Leider schämen sich viele, ihre Schwierigkeiten mit Gleichgesinnten zu besprechen. Dabei ist es sehr erleichternd, von anderen zu hören, bei denen auch nicht alles rosig ist. Es ist heilsam, auch andere Standpunkte kennen zu lernen, statt sich in die eigenen zu verbeißen.

Das bisherige Familienmodell scheint sich mehr und mehr aufzulösen. Die Söhne und Töchter sind oft beruflich sehr eingespannt, ihre Partner/innen sind seltener oder gar nicht an den Schwiegereltern interessiert, und das Warten auf ersehnte Enkelkinder zieht sich immer länger hin. Wenn sie dann da sind, ist es oft sehr heikel, großelterliche Tipps zu geben, ohne in den Verdacht zu kommen, sich einmischen zu wollen und hoffnungslos veraltete Ansichten zu vertreten. Vielen Großeltern wird zusammen mit den Enkeln, wenn sie zum Babysitten gebracht werden, eine Liste mit „Anordnungen“ mitgeliefert, an die sie sich halten sollten, um Ärger zu vermeiden.

Allzu viele Regeln im Umgang mit Kindern und Enkeln schaffen aber Distanz und dämpfen die spontane Freude im Umgang miteinander.

Alte Beziehungswerte werden in Frage gestellt

In der Kriegs- und Nachkriegsgeneration gehörten Arbeit, Sicherheit und gewisser Wohlstand zu den erstrebenswerten Zielen. In vielen Fällen realisierten wir Mütter eines Tages aber, dass wir – trotz Ehemann – allein erziehende Mütter waren, zwar finanziell sicher, aber oft alleine und ungehört. Resultate waren eine ansteigende Scheidungsrate, mehr oder weniger offen gelebte Außenbeziehungen oder ein resigniertes sich- Fügen in unerfüllte Partnerschaften, oft „um der Kinder willen“. Die Rechnung allerdings bezahlten die Kinder, die oft Bindungsängste entwickelten oder, wenn sie eine Familie gründeten, alles anders machen wollten. Mit der Zeit rückten andere Werte, z. B. oberflächliche Sexualität, schnelle Kontakte über Handys, E-Mails und Chatrooms, v. a. der Wunsch nach Vergnügungen in den Vordergrund des Interesses – für viele der alten Generation unbegreifbar. Selbstverwirklichung, Spaß und Action wollen erlebt werden, gerne auf Kosten einer Beziehung oder sogar der Familie.

Lösungsansätze

Nach über 20 Jahren Praxisarbeit glauben wir nicht an allgemein gültige Lösungsstrategien für dieses Generationsproblem, aber wir sind immer wieder bestärkt in unserer Philosophie, dass es absolut notwendig ist, „am Puls des Lebens“ zu bleiben und mit einer guten Portion Humor und Selbstkritik Zusammenhänge zu erkennen und offen zu bleiben für ehrliche Auseinandersetzungen. Damit sollten wir Eltern so früh wie möglich anfangen. Wir können z. B. von unseren Eltern und Großeltern erzählen, von unserer Kindheit und Pubertät, von den Anfängen unserer Ehe und Elternschaft. Manchmal langweilt es die jungen Leute, aber früher oder später werden sie sich daran erinnern, dass es für unsere Unvollkommenheit Gründe gibt, die ihnen bekannt sind. Manchmal ist es auch nötig, den Kindern, auch wenn sie zumindest an Jahren schon erwachsen sind, klare Grenzen der eigenen Belastbarkeit aufzuzeigen und nicht jeden Vorwurf mit Schuldgefühlen und grenzenlosem Verständnis hinzunehmen.

Wir Eltern müssen nicht fehlerlos sein, um geliebt und geachtet zu werden! Vertrauen wir unseren Kindern, so wie unsere Eltern uns vertrauten, dass wir unseren Weg schon finden.

Doris Guidon Doris Guidon
Dipl. Pflegefachfrau, Atemtherapeutin,
Trainerin für Sexual Grounding Therapy
info@koerpertherapie.ch

 

Marco Guidon Marco Guidon
Dipl. Chem., Phil. II
Körperpsychotherapie, Atemtherapeut,
Trainer für Sexual Grounding Therapy

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