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Psychotherapie
Lesezeit: 8 Minuten

Psychosomatik und Körpersprache

Sonja Kohn im Interview mit Dr. Werner Weishaupt

2014-03-Psycho2Psychosomatische Erkrankungen steigen seit Jahren dramatisch an. Immer häufiger sind sie Ursache für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Leidet die Seele, bleiben viele Menschen stumm – doch der Körper spricht. Ist der Körper des Menschen schlicht die Summe seiner Teile? Oder ist er lediglich die Bühne für das Schauspiel von Psyche und Seele? Oder besitzt der Körper ein eigenes Bewusstsein, das sich auf die Psyche auswirkt? Spannende Fragen, die mir Dr. Werner Weishaupt, Heilpraktiker für Psychotherapie aus Salzgitter und Präsident des Verbandes Freier Psychotherapeuten, Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater e.V. (Hannover), beantwortet hat.

Herr Dr. Weishaupt, psychosomatische Erkrankungen nehmen seit Jahren zu. Warum?

Ob sie wirklich zunehmen, ist schon eine spannende Frage, oder ob nur die Bereitschaft, die Zusammenhänge zwischen Körper und Seele wirklich wahrzunehmen, gewachsen ist – und zwar sowohl in der Bevölkerung wie auch in der Medizin. Ich denke, das ganzheitliche Verständnis, dass Körper, Geist und Seele immer zusammen gehören und untrennbar miteinander verbunden sind, ist eigentlich schon uralt, nur unsere Sichtweise hat sich verändert. Wir nehmen heute die Einflüsse der Seele auf den Körper viel bewusster wahr.

Kann man den Körper als „Sprachrohr der Seele“ bezeichnen?

Das ist auf jeden Fall eine zutreffende Formulierung. Das, was uns an Konflikten selbst nicht bewusst ist, was wir erleben, aber nicht mit Willen und Verstand verarbeiten können, weil wir uns z.B. überfordert fühlen, das findet seinen Weg dann über das Nerven- und Hormonsystem. Es drückt sich in vielfältigen körperlichen Beschwerden aus.

Hängt Gesundheit von einer gesunden Kommunikation zwischen Körper und Seele bzw. der Psyche ab?

Das ist sicherlich so, wobei die Schwierigkeit darin besteht, selbst zu den unbewussten Ebenen unserer Psyche Zugang zu finden. Unbewusst heißt ja außerhalb unseres Bewusstseins oder unterhalb der Bewusstseinsschwelle. Viele Menschen zerbrechen sich den Kopf – Was will mein Körper mir sagen? Was wollen mir meine Beschwerden sagen? – kommen aber nicht alleine auf die Antworten, weil die Gefühle erst einmal aus dem Unbewussten heraus entstehen und viele Konflikte sich auf dieser Ebene abspielen.

Und dann bräuchte man quasi jemanden, der das für einen übersetzt.

Genau, da braucht man einen Übersetzungshelfer. Das kann ein Therapeut sein, das können auch verschiedene Bücher sein, die Anregungen geben. Es gibt auch viele Redensarten, die Hinweise geben können auf diese Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper.

Ist es so, wie man sagt: Eine Entscheidung wird zuerst im Bauch getroffen?

Ganz häufig ist das so. Es gibt dieses berühmte Eisbergmodell: Ein Achtel des Eisberges schwimmt über Wasser, das wäre das Bewusste, die Verstandesebene. Sieben Achtel befinden sich aber unter der Wasseroberfläche und das sind die Bereiche unserer körperlichen Wahrnehmung, unserer Empfindungen, unserer Sinneswahrnehmung und Gefühle. Und auch wenn wir sagen, wir treffen eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, dann ist das diese Ebene, die dem Verstand manchmal erst hinterher bewusst wird.

Gefühle entstehen also im Bauch. Ich habe schon mal vom sogenannten Bauchhirn gehört. Was ist das?

Die Forschung hat sich ja in den letzten Jahren auf die Untersuchung dieser Zusammenhänge konzentriert und diesen Begriff neu geprägt, weil man festgestellt hat, dass wir im Bereich unserer Gedärme mindestens soviel Nervenzellen besitzen wie unter der Schädeldecke. Es gibt also tatsächlich zwei „Gehirne“, einmal das im Kopf und einmal das im Bauch – und insbesondere unsere Emotionen nehmen wir dort wahr, verarbeiten sie zum größten Teil auch dort. Kleine Kinder bringen das zum Ausdruck, wenn sie irgendeinen Kummer haben, wenn sie mit irgendetwas alleine nicht zurechtkommen, dann melden sie eben „Mein Bauch tut weh! Ich habe Bauchweh!“. Und Erwachsenen geht es nicht viel anders.

Diese Zusammenhänge werden wissenschaftlich untersucht von einer Disziplin mit dem komplizierten Namen „Psychoneuroimmunologie“, also zusammengesetzt aus drei Bestandteilen: „Psycho-“ – unsere Gefühle, Konflikte, Wünsche, Bedürfnisse; unser Nervensystem – „-neuro-“, und unser Immunsystem („-immunologie“), also unsere Abgrenzungs- und Abwehrkräfte. Und die brauchen wir nicht nur gegenüber Bakterien, Viren und anderen Erregern auf der körperlichen Ebene, sondern genauso im sozialen Miteinander, um in unserer Mitte sein zu können, uns als Persönlichkeiten auch gegenüber anderen Mitmenschen abgrenzen zu können, mit denen wir im Austausch sind.

Das heißt, wir haben da ein ganz feines Zusammenspiel zwischen Botenstoffen, Hormonen und Nervenimpulsen, die da für Aktivität sorgen. Steht ein gesunder Körper immer in Zusammenhang mit einem gesunden Geist bzw. ein kranker Körper mit einem kranken Geist?

Diese Zusammenhänge gibt es sicherlich und jeder kann sie mehr oder weniger aus eigener Beobachtung bei sich wahrnehmen. Wenn ich negativ denke, wenn ich Zukunftsängste kultiviere, dann wird es schwer sein, mich gleichzeitig körperlich noch wohl zu fühlen. Angst und Entspannung schließen sich gegenseitig mehr oder weniger aus. Und insofern kommt es schon darauf an, was ich denke, denn dementsprechend werde ich fühlen – und mich ggf. auch wohlfühlen in meinem Körper. Aber wenn wir diese Zusammenhänge beschreiben, ist mir wichtig, daraus keine Schuldzuweisungen abzuleiten, weder bei anderen („Du denkst falsch, deshalb bist Du krank geworden!“), noch bezogen auf uns selbst. Denn dann vergrößern wir die Probleme, anstatt auf einen gesunden Weg zu kommen.

Woran erkennen Sie, dass die Psyche sich über den Körper ausdrückt?

Das können ganz viele unterschiedliche Beschwerden sein, die sich letztlich an allen Organen und Organsystemen manifestieren können. Meistens kommen Patienten zu mir, die selbst schon den Verdacht haben oder von ihrem Arzt oder aus ihrem Umfeld entsprechende Hinweise bekommen haben – insbesondere dann, wenn bestimmte Beschwerden immer wieder kommen, wenn sie chronisch geworden sind, wenn sie sich mit der reinen Organmedizin einfach nicht in den Griff kriegen lassen. Dann liegt natürlich die Frage nahe, dass es hier seelische Ursachen gibt, Wechselwirkungen zu bestimmten Erlebnissen, die der Betreffende hatte oder konkrete Lebensumstände.

Was sind denn die klassischen Symptome psychosomatischer Erkrankungen?

Das geht sozusagen von A bis Z, also von Asthma bis Zahnweh. Alles kann sich im Körper ausdrücken, über Schmerz oder Beschwerden: Atemnot, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen usw. Manchmal ist es auch familiär bedingt: Die eine Familie reagiert vornehmlich mit Magen- und Verdauungsbeschwerden auf Konflikte, die andere mit chronischen Verspannungen muskulärer Art, also Muskelschmerzen, Kopf- oder Rückenschmerzen. Wieder jemand anderes reagiert mit Niere/Blase, also chronischen wiederkehrenden Entzündungen in diesem Bereich usw.

Hat der Körper nun ein eigenes Bewusstsein?

Ich sage Ja – denken wir noch einmal an dieses Bild vom Eisberg. Zudem wissen wir aus der Forschung, dass ein großer Teil unserer Gedächtnisleistungen nicht nur im Gehirn passiert. Wir speichern Erinnerungen, Bilder, Gefühle, Situationen nicht nur im Kopf, sondern letztendlich in jeder Nervenzelle, in jeder Körperzelle, aus denen der Organismus besteht.

Wie kann sich die Psyche negativ oder positiv auf den Körper und die Gesundheit auswirken?

Wenn wir gut drauf, positiv gestimmt sind, spiegelt sich das positiv in unserem Wohlbefinden und unserem Körper wider. Wenn wir Stress erleben, Konflikte nicht lösen können, spiegelt sich auch das wider, durch Verknotungen, Blockaden etc. in den normalen Funktionsabläufen der Organe.

Ist es so, dass ich mit meinen Gedanken meine Realität erschaffe?

Streng genommen schon, aber ich bin natürlich auch Teil meiner Umwelt. Und wir sollten die Psyche und die mentale Ebene, die Gedankenebene, auch nicht überbewerten. Ich bin auch jemand, der sich ernährt, ich bin bestimmten Umweltfaktoren und Umweltgiften ausgesetzt, ich habe bestimmte Erbanlagen. All das spielt für die Gesundheit auch eine Rolle.

Ihr Name steht hier in Deutschland für „Psychosomatische Kinesiologie“. Was ist das?

Ich habe meine Praxis in Salzgitter vor 20 Jahren begründet. Zunächst mit psychologischer Beratung und Hypnosetherapie, im Laufe der Jahre ist dann die Kinesiologie, also das Austesten von Stressoren über den Muskeltest als Kommunikationsbrücke zum Körper und zum Unbewussten, mein Hauptarbeitsinstrument geworden. Und in meiner Praxis haben sich mehr und mehr Patienten eingefunden mit diesen typischen psychosomatischen Beschwerden, bei denen die Schulmedizin an Grenzen kam und die Offenheit dafür vorhanden war, bei sich selbst einmal „hinter den Vorhang zu schauen“ und die Zusammenhänge zu verstehen, die letztendlich zu Krankheit oder Beschwerden geführt haben. Die Psychosomatische Kinesiologie ist einfach ein Bündel von Werkzeugen, die wir diagnostisch nutzen können, um diese Wechselwirkungen zwischen Körper und Seele recht präzise nachbuchstabieren und so der bewussten Verarbeitung, dem Verstand, wieder zuleiten können. Sie beinhaltet aber auch viele ergänzende therapeutische Hilfsmittel wie Akupressur, Farbtherapie, Bach-Blüten, Edelsteine usw., die uns unterstützen, Blockaden zu lösen.

Ist es so, dass man mit der Psychosomatischen Kinesiologie und dem Muskeltest genau das findet, was mit schulmedizinischen Apparaten nicht zu finden ist?

Die Psyche lässt sich ja sehr schwer messen. Es gibt einige psychologische Tests, die sind zum Teil verlässlich, aber immer standardbezogen. Uns geht es ja aber darum, ganz individuell, ganz persönlich herauszufinden: Welche Erlebnisse konnte jemand nicht verarbeiten? Welche Gefühle und Reaktionsmuster musste er vielleicht sogar verdrängen, weil ihr Erleben vielleicht im Augenblick zu schmerzhaft gewesen wäre? Und welche schlummern sozusagen unterbewusst und dringen trotzdem in Form von Symptomen an die Oberfläche? Und die Psychosomatische Kinesiologie setzt genau hier an, um im ständigen Dialog über den Muskeltest und im Gespräch mit den Klienten herauszufinden: Was mussten sie verdrängen? Was konnten sie noch nicht verarbeiten? Und in dem Moment, in dem sie neu anfangen können, diese Dinge zu erinnern, sie sich bewusst zu machen, zu verstehen, können sie es auch verarbeiten. Dadurch werden die Symptome praktisch überflüssig.

2014-03-Psycho1

Buchtipp: „Mein Körper – Barometer der Seele. Das psychosomatische Lexikon das schon beim Lesen hilft“, Jaques Martel, VAK-Verlag

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