Präventive Behandlungsmethoden
Es wird gesagt, dass im alten China Ärzte nur so lange bezahlt wurden, wie ihre Patienten gesund waren. Erkrankten sie, gab es kein Geld mehr. Als guter Arzt galt derjenige, der eine Krankheit frühzeitig kommen sah und geeignete Gegenmaßnahmen ergriff, noch bevor sich die ersten Symptome bemerkbar machten. Um in jener Zeit als Heiler zu überleben, waren vorbeugende Maßnahmen unverzichtbares Basiswissen einerseits. Andererseits gehörte sicher auch damals schon ein gewisses Geschick und Autorität dazu, Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was gut für sie ist. Heute würde sich so jemand wohl als „Personal Healthcoach“ mit erfolgsorientierter Vergütung bezeichnen.
Wie ganz anders hat sich jedoch bei uns im Westen das Verständnis der Menschen zu Gesundheit und Krankheit entwickelt. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass Ärzte und Therapeuten als Reparatur-Dienstleister aufgefasst werden, die dazu da sind, die Konsequenzen eines ungesunden Lebensstils ungeschehen zu machen.
Selbst wenn es gelingt, ein entsprechendes Vertrauensverhältnis zum Patienten aufzubauen, weiß jeder Therapeut, wie schwer es ist, eine heilsame Lebensweise, Heilfasten oder Ausleitungsmaßnahmen nachhaltig zu vermitteln. Haben unsere Urgroßeltern, geprägt durch ihren Glauben, noch fraglos die Fastenzeit vor Ostern eingehalten und ebenso die vier Adventswochen vor Weihnachten, so wird heute der Verzicht auf Alkohol, Kaffee, Tabak und Süßigkeiten oft als unzumutbare Selbstkasteiung empfunden. Unsere Vorfahren folgten noch religiösen Vorschriften. Sie hatten zu ihrer Zeit keine Krankenversicherung, die für Reparaturen aufgekommen wäre und mussten den Schaden, ausgelöst durch allzu üppigen Lebenswandel, ganz aus der eigenen Tasche bezahlen. Heute wird über den selbst zu tragenden Bruchteil der echten Kosten geklagt, weil man ja Versicherungsbeiträge entrichtet, das sollte doch wohl genügen, um gesund zu bleiben. Wenn nicht, dann ist der Arzt dafür zuständig.
Aber warum fällt es heute – auch naturheilkundlich orientierteren Therapeuten selbst – oft so schwer, vorbeugende Maßnahmen in den Alltag zu integrieren? Um unsere Patienten und uns selbst besser zu verstehen und mithilfe dieser Sichtweise geeignete Umstimmungsmaßnahmen zu finden, schauen wir uns zunächst zwei Grundregeln aus der Verhaltenstheorie an, die für uns hier im Westen Gültigkeit zu haben scheinen:
- Kurzfristige Belohnungen wirken schnell und nachhaltig, wenn diese sich häufig wiederholen (das Bierchen oder das Glas Rotwein abends zum Abschalten, der Espresso nach dem Mittagessen zur besseren Verdauung, eine kleine Praline, weil ein Telefonat mal wieder so frustrierend war).
- Langfristige Verstärkung (z.B. weniger Pfunde auf der Waage) ist nur durchführbar, wenn das weit entfernte Ziel in kleine Abschnitte unterteilt werden kann, die dann kurzfristig verstärkt werden (s. Beifall bei den Weight Watchers: leider nur so lange der Kurs läuft).
Auch in der Wirtschaftswissenschaft ist bekannt, wie schwer wir uns tun, theoretisches Wissen und Bauchgefühl unter einen Hut zu bringen. So verweist Daniel Kahnemann (Kognitionspsychologe, ausgezeichnet mit dem Wirtschaftsnobelpreis) in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ am Beispiel Börse: Verlust wirkt immer schwerer als Gewinn. Genau genommen, dies wurde in Studien untersucht, wird ein Verlust doppelt so hoch bewertet wie ein Gewinn.
Bezogen auf unseren Umgang mit übergewichtigen Patienten bedeutet dies: Der Verlust der Abendmahlzeit wiegt doppelt schwer und ist sofort da, der gesundheitliche Gewinn ist nicht fassbar und liegt in unbestimmter Ferne.
Wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen irgendwie als Verlust empfunden werden, wird es für die Vorbeugung schwierig, sehr schwierig. Gelingt es, die Maßnahmen als Ergänzung und Erweiterung des Lebensstils „einzuschmuggeln“, haben wir bessere Erfolgsaussichten und können unseren Patienten gezielter helfen, ihre Lebensgewohnheiten zu verbessern. Es gibt viele Menschen, die sich danach sehnen, mit aufmunternder und zuversichtlicher Führung ihren individuellen Weg zur Heilung zu finden – und das ist eine wirklich befriedigende Aufgabe für uns Therapeuten.
Beim Thema „Prävention“ geht es nicht nur um Übergewicht. Häufige Beschwerden und Klagen wie rezidivierende Erkältungen, Ärger mit Familie und Kollegen, depressive Stimmung, das Gefühl, den eigenen Lebensweg nicht zu finden etc. laden ein, genauer hinzusehen und unheilsame Verhaltensweisen, die uns in einem Negativkreislauf festhalten, in kleinen Schritten hinter sich zu lassen. Wir sollten auch berücksichtigen, dass bei Verhaltensweisen immer mentale und physiologische Ebenen ineinandergreifen. Echte Bedürfnisse auf beiden Ebenen müssen geklärt und befriedigt werden, wenn eine Verhaltensweise verändert werden soll.
Wie kann eine solche Umsetzung aussehen?
Beim Erstgespräch formuliert Ihr Patient genau das Ziel, das er zusammen mit Ihnen erreichen möchte. Wenn die Zielvorstellung zu unrealistisch ist, helfen Sie ihm/ihr, ein erreichbares Ziel zu wählen.
In den folgenden Wochen/Monaten vereinbaren Sie mit Ihrem Patienten kurze telefonische Gesprächstermine, die Sie in größeren Zeitabständen durch einen Termin in der Praxis ergänzen. Dieser Kontakt ist sehr wichtig. Es gilt immer wieder, Mut zu machen, insbesondere nach Tagen, wo der vereinbarte Therapieplan komplett außer Acht gelassen wurde, das kommt immer wieder vor. „Wir fallen, um des Aufstehens willen“ oder „Der Weg ist das Ziel“ – diese alten Weisheiten sprechen deutlich aus, worum es geht.
Und irgendwann erkennt der Patient, dass es nicht um eine zwei-, drei- oder sechsmonatige Behandlung geht, sondern um eine Umstellung des Lebensstils. Es bedeutet, ungesunde Gewohnheiten durch gesunde zu ersetzen: Schritt für Schritt. Diese Einsicht muss im Patienten reifen. Sie an den Anfang der Behandlung zu stellen kann abschreckend wirken. Der Sog alter Gewohnheiten ist sehr stark und am Anfang scheinen die Hürden unüberwindlich – aber sie sind es nicht.
Fallstudie
Als Veronika vor fünf Jahren zum ersten Mal in meine Praxis kam, war sie gebündelte Aufregung, unkonzentriert, übernächtigt, von vielerlei körperlichen Beschwerden geplagt sowie mollig rund und darüber sehr unglücklich. Eine typische Wechseljahre-Frau und, wie es für jede Patientin gilt, mit einer eigenen Geschichte.
Nach ihrer Scheidung vor 18 Jahren zog sie drei Kinder alleine groß, arbeitete selbstständig in einem kreativen Beruf, oft mit zusätzlicher Nachtarbeit, um finanziell über die Runden zu kommen. Heute ist sie Anfang 50, die Kinder sind aus dem Haus und sorgen für sich selbst, ihr Geschäft ist etabliert, ihr Leben könnte leichter werden. Aber sie ist es nicht gewohnt, für sich zu sorgen, sie kann mit sich selbst nichts anfangen. Ihre militärisch strenge Umgangsweise, reine Überlebensstrategie bei drei Söhnen, muss jetzt der neue Lebenspartner „ertragen“, und das geht häufig schief. Unzufriedenheit und Frust werden mit Schokolade und Rotwein bekämpft.
Was ist ihr Auftrag an mich? Sie las mein Buch „Die Zeit der Schattenblütenfrau“. Das erste Buch, das sie in ihrem Leben bis zu Ende las – so versicherte sie es mir jedenfalls – und beschloss, wie die Protagonisten im Buch, sich eine Heilerin bzw. Heilpraktikerin zu suchen, die sie auf dem Weg durch ihre Wechseljahre begleitet. Ein eindeutiger Auftrag. Seit fünf Jahren kommt sie alle sechs bis acht Wochen, um sich neu „Ein-Norden“ zu lassen, so ihre Formulierung.
Am Schwierigsten gestaltete sich, wie so oft, die Ernährungsumstellung. Zunächst erscheint ihr die ayurvedische Ernährungsregel undurchführbar: Morgens nach Appetit, mittags satt essen und eine leicht verdauliche, kleine Abendmahlzeit vor 19 Uhr. Doch sie versucht es und bemüht sich und nach einem halben Jahr gelingt es ihr immer regelmäßiger, sich mittags satt zu essen und auf die Abendmahlzeit weitgehend zu verzichten. Dennoch geht das Gewicht nur sehr langsam zurück. Ihr Ziel ist, acht Kilo abzunehmen, ein realistisches Vorhaben, doch immer wieder torpediert durch abendliche Verpflichtungen, verbunden mit Essen und Alkohol. Für die ersten vier Kilo stabiler Gewichtabnahme benötigte sie ein volles Jahr und viel Zuspruch, wenn die Waage mal wieder nach oben kletterte.
Sehr zögernd fand sie sich bereit, in ihrem straffen Arbeitstag eine Lücke für regelmäßige körperliche Bewegung zu finden. Sie kaufte sich einen Crosstrainer und trainierte zunächst regelmäßig drei- bis viermal die Woche. Dann kamen wieder die Einbrüche, der Crosstrainer staubte ein, aber letztendlich gelang es doch, in ihr die Erinnerung an das Wohlgefühl nach dem körperlichen Training wachzurufen und an das Gefühl, stolz auf sich selbst sein zu dürfen.
Bei unseren regelmäßigen Terminen suchten wir immer wieder nach zuverlässig umsetzbaren Möglichkeiten, das Vorhaben, acht Kilo weniger zu wiegen, in die Tat umzusetzen. Die abendlichen, gesellschaftlichen Verpflichtungen stellten sich als die größte Hürde heraus. Für Veronika hat sich folgende Lösung am besten bewährt: Zwischen 17 und 18 Uhr nimmt sie eine Power-Schnitte aus dem Naturkostladen zu sich (getrocknete Früchte mit Mandeln, wahlweise auch Amarant, Chia-Samen o.Ä.). Diese stillen den Hunger/Appetit für die nächsten Stunden und sie geht nicht mehr ausgelaugt und hungrig zu Vernissagen und Banketts. Heute gelingt es ihr, einen ganzen Abend mit Mineralwasser fröhlich zu verbringen, selbst bei Einladungen in einen Weinkeller. Ihr Geheimnis: Wenn die Versuchung groß wird, zum Champagnerglas zu greifen und Fingerfood in sich hineinzustopfen, dann stellt sie sich das Wohlgefühl am kommenden Morgen vor, wenn sie mit leerem Magen und gesundem Appetit an den Frühstückstisch geht.
Bei unseren Treffen kommen aber auch all die üblichen Alltagssorgen zur Sprache: Steuernachzahlung, Streit mit den Nachbarn, Sorge um den jüngsten Sohn, dem keine Arbeitsstelle längerfristig zusagt, Differenzen mit dem Lebenspartner – alles hat Platz. Frustgefühle, Ängste und Unsicherheiten stauen sich nicht mehr auf. Das abendliche Glas Rotwein, um den Alltag zu vergessen, wird vergessen! Veronika formuliert ihre Entscheidungen konkreter. Geschäftliche wie private Vorhaben werden, ohne lange zu zögern, in Angriff genommen. Sie tritt bestimmter auf, hat beruflich (noch) mehr Erfolg, fühlt sich weniger erschöpft und ihr Ziel, acht Kilo weniger hat sie nach zwei Jahren erreicht. Die restlichen Kilos verlor sie ihrer Aussage nach „so ganz nebenbei“. Sie wiegt sich nicht mehr täglich, höchstens noch einmal im Monat, und auch dies vergisst sie heute oft, denn sie hat begriffen, dass Rock- und Hosenbund, ehrlich gefühlt, genauso deutliche Aussagen machen, ohne den Frust des ständig pendelnden Zeigers auf der Waage. Frauen gehen nun mal mit dem Mond und nehmen immer wieder ein wenig zu und ein wenig ab – wichtig ist nur, dass auch Letzteres geschieht.
Veronika ist eine meiner wenigen Patientinnen, die, ohne ernsthaft krank zu sein, den Kontakt zu mir regelmäßig halten. Sie will gesund alt werden und braucht im Augenblick noch für sich die Bestätigung, auf dem rechten Weg zu sein. Es wird die Zeit kommen, wo Veronika diese nicht mehr benötigt. Dann wird sie sich selbst ein gutes Korrektiv sein und ganz selbstverständlich einen heilsamen Alltag leben.
Veronika kam in meine Praxis, als es bei ihr unter den Nägeln brannte. Sie war drauf und dran, neben Übergewicht, wiederkehrenden Erkältungen, erhöhtem Blutdruck, Herzstolpern, Erschöpfungssyndrom, Flatulenz, Völlegefühl nach jeder Mahlzeit etc. all diese Beschwerden als Zeichen des Älterwerdens einzuordnen und nicht als das Ergebnis einer für sie nicht heilsamen Lebensweise. Dann las sie ein Buch und beschloss, diese „Alterungszeichen“ abzustellen und nicht mehr zu verdrängen.
Hier eine Zusammenfassung der Empfehlungen, die Veronika, neben der Umstellung ihrer Lebensweise, zusätzlich erhielt:
Rhythmisierender Aufbau der Abwehrkräfte im Frühling und Herbst:
Solunat Nr. 3 (Azinat) 2 x 10 Tr. morgens und abends, vier Tage Einnahme, dann drei Tage Einnahme-frei.
Dies ist eine komplette Woche und dieser Einnahmemodus wird über vier bis sechs Wochen wiederholt.
Neigung zu erhöhten Blutdruckwerten:
Solunat Nr. 14
(Polypathik) anfänglich täglich 3 x 10 Tr. über den Tag verteilt. Nach Normalisierung der Blutdruckwerte wurde das
Mittel abgesetzt und nur noch bei Bedarf (Situationen, die bekanntermaßen mit Aufregung oder Anspannung verbunden
sind) wieder kurzfristig über ein paar Tage eingenommen.
Nervöse Herzbeschwerden/Herzstolpern:
Rhythmisierung mit
Spagyrik nach von Bernus mit: Solunat Nr. 5 (Cordiak) 2 x 5 Tr. plus Solunat Nr. 17 (Sanguisol) 2 x 5 Tr. morgens und
mittags sowie Solunat Nr. 4 (Cerebretik) 2 x 8 Tr. abends und zur Nachtruhe.
Erschöpfungssyndrom:
„Energieschaukel“ mit Biochemie von
Schüßler. Folgende Schüßler- Salze werden in der Potenzstufe D12 empfohlen, Einnahmedauer mindestens vier Wochen,
besser sechs bis acht Wochen:
– Schüßler Nr. 2 morgens 3 Tabletten
– Schüßler Nr. 5 mittags 3 Tabletten
–
Schüßler Nr. 7 abends 3 Tabletten
Flatulenz/Völlegefühl:
Neben der beschriebenen Umstellung
der Ernährungsgewohnheiten Ceres Melissa comp. 3 x 3 Tr. nach jeder Mahlzeit.
Nach drei Wochen waren diese Beschwerden komplett abgeklungen. Heute wird Melissa comp. nur kurzfristig bei Bedarf eingesetzt.
Gutes zum Schluss
Hier noch ein paar Tipps, um immer wieder gegen den Strom der Alltagsherausforderungen zur Quelle unserer Lebenskraft und Gesundheit zu schwimmen:
- Es ist klug, spätestens ab Mitte 30 zu akzeptieren, dass unser Körper beachtet werden will. Er dankt es uns, wenn sich Aktivität und Passivität ausgewogen abwechseln und wir auf rhythmische Nahrungsaufnahme, dem eigenen Typus entsprechend, achten.
- Eine stabilere Abwehrlage laden wir ein, wenn wir einmal im Jahr für drei bis vier Wochen das Magen-Darm-System entlasten – wie es unsere Urgroßeltern schon praktizierten.
- Wechselduschen, Medien-Fasten, ein regelmäßiger kleiner Abendspaziergang.
Wie wäre es, so eine nach der anderen dieser heilsamen Verhaltensweisen in unser Leben zu integrieren? Wenn wir später dann, so mit Anfang 50 – auch als Mann – schwungvoll durch unsere Wechseljahre gleiten und nicht das Jammern um uns herum nachvollziehen können, vielleicht erinnern wir uns dann an den großen Wendepunkt in unserem Leben, als wir für uns beschlossen haben: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Christina Casagrande
Heilpraktikerin mit Praxis in Türkenfeld, Expertin für Ayurveda, Spagyrik und Bach-Blütentherapie,
Buchautorin
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