Interview mit Peter Raba „Die Frau im Manne”
Peter Raba zählt zu den faszinierendsten Persönlichkeiten unseres Berufsstandes, ein Multitalent der
besonderen Kategorie, das trotz eines schweren Schicksalsschlages durch einen unverschuldeten Auto-Unfall, ungebrochen
in seiner Schaffenskraft blieb.
Frau Dr. Greta Tüllmann (Zeitschrift “ab 40”) führte mit ihm ein Gespräch
über das Thema “Die Frau im Manne”. Der geschliffene Dialog auf hohem intellektuellen Niveau wird die
Report-Leser sicher begeistern.
Peter Raba ist als ein wichtiger Ideengeber bei der Gründung den Deutschen
Paracelsus Schulen eng verbunden.
Die Einladung der Report-Redaktion, unser Magazin mit seinen Arbeiten zu
bereichern hat er gerne angenommen und wir werden uns über seine Mitarbeit ganz besonders freuen.
Fotos: Roswitha
Pross, Peter Raba (Holzplastiken)
I: Peter, bevor wir zum Thema kommen, würdest Du bitte ganz kurz Dein bisheriges Leben, Deine Entwicklung
skizzieren, damit unsere Leserinnen und Leser eine Idee davon bekommen, auf welchem geistigen Boden das gewachsen
ist, was Du da von Dir gibst.
P: Also, meine Mutter hätte mich gern in die Reihe meiner “medizinischen
Vorfahren” eingereiht, aber die bestehende Medizin schien mir zu “materialistisch” orientiert, um mir eine Motivation
für ihr Studium zu liefern. So studierte ich Germanistik und Theatergeschichte. Danach ging ich zum Fernsehen. Sieben
Jahre Redaktions- und Regiearbeit. Morgens Bauchgrimmen beim Reingehen, weil ich mich künstlerisch nicht so ausdrücken
konnte wie ich das wollte. Zuviel Sand im Getriebe. Einer Eingebung folgend kaufte ich mir einen alten Fotoapparat und
fotografierte eine poetisch-erotische Phantasie mit meiner jetzigen Frau und einem guten Freund, einfach so zum Spaß.
I: Also bereits damals das Mann-Frau-Thema in Bildern…
P: Stimmt, aus dieser heiteren, gelösten
Stimmung heraus, in der wir uns befanden, gelang uns ein Wurf -völlig unbeabsichtigt-, die Geschichte wurde zu einer
Ausstellung im Münchner Stadtmuseum und der Wiener Secession. Titel: EVA & ER. Ein Bildband folgte, und ich war
Fotograf, sozusagen über Nacht und dann weitere sieben Jahre lang: Werbung, Mode, Zeitschriften… Erst im Jahr 1974
holte mich die Medizin ein, eine völlig andere Medizin, ausgelöst durch Adolf Voegelis Buch “Heilkunst in neuer Sicht”
und die daraus resultierende Erkenntnis der Möglichkeiten der Klassischen Homöopathie. Die Konsequenz war der
Heilpraktiker. Natürlich bemerkte ich dann sehr schnell, daß in dem Maße, wie beim Patienten die Körpersymptome sich
auflösen, er konfrontiert wird mit den innerseelischen Problemen, die er vorher auf der Körperebene ausgelebt hatte.
So war ich gezwungen, mir psychotherapeutische Techniken wie NLP, Gestalttherapie und Traumarbeit anzueignen, um diese
Menschen mit ihren nicht gelebten Persönlichkeitsanteilen zu versöhnen.
I: Kamst Du Dir nicht manchmal vor wie ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen? Ich meine, diese vielen Salti
mortali…
P: Ja, das habe ich anfangs auch gedacht, bis mir klar wurde, wie weise ich eigentlich geführt
war, nämlich von den äußeren Bildern und der Regie von Schauspielern zu den inneren Bildern der Seele und der Regie
von Bewußtseinsprozessen. Und aus all meinen Erkenntnissen dieser letzten 20 Jahre hat sich dann die Seminararbeit
entwickelt: eine “Einführung in die Klassische Homöopathie”, therapeutische Traumseminare, Reiki-Kurse, ein Seminar
“Erotik und Spiritualität” usw. (siehe Markt der Möglichkeiten).
I: Womit wir beim Thema wären. Wie erlebt ein Mann wie Du die innere Frau in sich?
P: Da ist
einmal meine innere Stimme, die Aufforderung, bisweilen meinen “Kopf zu verlieren”, sprich: vom Verstandes-Denken zum
Herz-Denken zu kommen, einer plötzlichen Eingebung zu folgen, meine Gefühle zuzulassen. Also – wenn ein Mann nicht zu
seinen Tränen kommen kann, wird er wohl auch kein vollständiger Mann sein, weil er den weiblichen Teil in sich nicht
zuläßt, eben diese Intuition, die Zärtlichkeit und Hingabe an den inneren Gott in uns, der genau weiß, wo Er uns
hinhaben will, an den kosmischen Strom der Lebenskraft, der den Weg kennt ins Meer der Liebe … wenn, ja wenn wir nur
das Vertrauen aufbringen, uns seinem Strömen auszuliefern. Wie sollen wir befreit lachen können, wenn wir nicht auch
ohne Hemmungen weinen dürfen?
I: Ja, das ist sicher richtig…
P: … aber in der heutigen Gesellschaft weitgehend verpönt. Stell’
dich auf die Straße und fang – überwältigt von Gefühlen – an zu weinen. Keiner will das haben. Alle kommen sofort und
versuchen Dich zu trösten: “Was ist los?” “Hör’ auf zu weinen!” Oder “Das muß man durchstehen!” – “Gelobt sei, was
hart macht!” – “Ein Indianer kennt keinen Schmerz!” – Darauf mein Sohn, als er sich mal das Knie aufgeschlagen hatte,
lapidar: “lch bin aber kein Indianer!”
I: (lachend) Das ist dann schon wieder komisch. Sag mal, wann hast Du überhaupt bemerkt, daß Du so etwas wie
eine weibliche Seite in Dir hast?
P: Ja, das hab’ ich schon sehr früh entdeckt, weil ich nämlich in
jungen Jahren immer lieber eine Frau gewesen wäre. Und so habe ich mich im Fasching als Haremsdame verkleidet. Sah
wirklich zum Anbeißen aus! Und ich habe mir die Nägel lang wachsen lassen und es sehr bedauert, daß ich kein Mädchen
war, weil – ich fand einfach weibliche Körper sehr schön, sehr faszinierend und von daher waren wahrscheinlich auch
meine Begegnungen mit Frauen ausgerichtet, anfänglich… aus dem Mißverständnis heraus, etwas in Besitz nehmen zu
wollen, von dem ich dachte, daß ich es selbst nicht hätte.
I: Das ist schön formuliert.
P: Und meine erotischen Erfahrungen waren deshalb geprägt von dem
unterbewußten Wunsch, mir das scheinbar Fehlende im wahrsten Sinn des Wortes “ein-zu-verleiben”. Ganz allmählich habe
ich dann bemerkt, daß ja der andere Pol in mir selbst angelegt ist und daß es nur darum geht, die beiden in Einklang
miteinander zu bringen. Und was jetzt ansteht für das nächste Jahrtausend ist sicher die Verschmelzung dieser beiden
Pole in einem neuen Bewußtsein, andernfalls wird die Menschheit nicht existenzfähig bleiben. Es gibt ein wunderschönes
Bild des Yogi-Meisters Yogananda. Es zeigt ihn mit langen wallenden Haaren und sanften dunklen Augen, beinahe
frauenhaften Gesichtszügen: der androgyne Mensch.
I: Aber solange das nicht generalisiert stattfindet, solange also auch wir Frauen nicht unseren “inneren Mann”
kultiviert haben, werden wir uns Partner suchen, die…
P: … vorzugsweise jene Teile unseres Wesens
repräsentieren, die wir selber nicht sehen können oder wollen und die wir noch nicht gut genug zum Ausdruck bringen.
Und wir schauen uns das solange an in diesem Spiegel, bis wir vielleicht von diesem Partner das gelernt haben, was für
uns wichtig war, die Farbe, die uns fehlte in unserem Regenbogen, ergänzt haben. Und wenn sich die Seele sattgetrunken
hat an diesen fehlenden Erfahrungen, tritt irgendwann das auf, was wir Langeweile nennen. Und dann darf sich – aus
meiner Sicht – durchaus solch eine Beziehung auch wieder lösen. Die Erfahrung hat sich als lebendige Emotion in den
Zellen einprogrammiert und das Zellgedächtnis unseres aetherischen Körpers weiß das. So strebt also die Seele nach
neuer Erfahrung, um den Gott in sich besser zu erkennen. Diese Langeweile ist weder gut noch böse, aber wenn wir dann
gezwungen sind, durch Konventionen, Dogmen und gesellschaftliches Urteil beieinanderzubleiben “bis daß der Tod uns
scheidet”, dann ist das in meinen Augen unsinnig. Irgendwo habe ich mal gelesen, die meisten Ehen hielten nur deshalb
solange, weil die Leute den Wert ihrer Unterschrift maßlos überschätzen.
I: Wenn aber Deine Seele gesättigt wäre an einer Beziehung, bevor Deine Kinder groß sind… Das ist natürlich
ein wunder Punkt. Es gibt ja viele Männer heute, die sich gar nicht mehr mit Kindern wirklich
auseinandersetzen.
P: Oder sag’ vielleicht besser: zusammensetzen. Ja, das ist ein sehr wichtiger Teil
für mich, und ich bin froh, daß ich das aus der Sicht des Mannes in diesem Leben erfahren durfte. Ich nehme nämlich
meine Kinder sehr ernst. Die Tochter – heute 12 – kam ja fast genau 10 Jahre nach dem Sohn auf diese Erde und ich
lerne wirklich sehr viel von den beiden. Ich betrachte also meine Kinder auch als Lehrmeister und nicht nur als
Kinder, die es zu “erziehen” gilt, denn wir erziehen uns sicher gegenseitig. Der Sohn ist der Krieger, ja, der war das
schon als kleiner Junge – hat mit Holzschwertern trainiert und Kung-Fu-Techniken im Garten geübt – kommt wohl irgendwo
aus dem alten China – er hat’s einfach drauf!”
I: Die Rolle des Kriegers ist ja eine sehr zwiespältige.
P: Ja. Unterbewußt habe ich wohl in
jungen Jahren etwas gehadert mit meiner Rolle als männlicher Krieger. Dann habe ich mich aus der Erkenntnis dieses
starken weiblichen Teils in mir manchmal übermäßig gefordert, meinen männlichen Part zu leben, indem ich mir sagte:
“Du bist jetzt hier als Mann angetreten und hast gewählt, Mann zu sein”, und so hab’ ich dann den Krieger in den
Macher transformiert – keinen Macho – einen Macher! Das heißt, ich begann, meine Kreativität zu kultivieren, meine
inneren Visionen in die äußere Erscheinung zu bringen, also zu manifestieren. Das ist wohl eher männlich. Also in
diesen Bereichen habe ich den Mann wirklich gelebt und tue es immer noch. Ich habe mir auch möglichst erlaubt, das zu
tun, was mich befriedigt und Spaß macht, denn nur wenn wir Begeisterung hineinbringen in das, was wir tun, werden wir
mit Freude erfüllt sein, und die Sache wird gut werden. Und ich finde, wir lernen aus Freude mindestens soviel wie aus
Leid, und warum wollen wir immer nur aus Leid lernen? Typisch dafür war diese legendäre Ausstellung Eva & Er im
Jahr 68. Wir hatten nicht im entferntesten an eine Veröffentlichung dessen gedacht, was wir da inszenierten und gerade
deshalb wurde es zur Sternstunde und ein Riesenerfolg. Wir begegnen Gott eher, so glaube ich, wenn wir ein Lächeln in
unserem Gesicht tragen. Das, was mich aber oft furchtbar genervt hat an meiner Frau war, daß sie bis jetzt nie richtig
versucht hat, ihren inneren Mann zu aktivieren, sondern sich immer wieder auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter
beschränkt hat, was sie allerdings vorbildlich tat. Jetzt stößt ihr das allmählich selbst sauer auf, sie möchte es
verändern und traut sich schon kaum noch. Dabei hätte sie inzwischen eine enorme Potenz, das alles herauszulassen, was
so über die Jahre auf dem Humus von Wissen und Erfahrung gewachsen ist.
I: Das ist das Los vieler Mütter und ist wohl ein gesellschaftliches Problem.
P: Ja, es hängt
wahrscheinlich auch damit zusammen, daß der Frau irgendwann einmal vor ein paar tausend Jahren die Seele abgesprochen
und sie dadurch in diese scheinbar ewige Sklavenrolle hineingedrängt wurde. Der Mann wurde zum harten Krieger, der
nicht weinen darf, der in Besitz nimmt und seine Gefühle abgeschnürt hat mit diesem: “Bauch rein, Brust raus!” Gefühle
waren nicht erwünscht, denn mit Männern, die Gefühle zeigen, kann man schlecht Krieg führen. Und die Frau wurde
mittlerweile immer mehr Opfer. Siehe: Inquisition – als aus dem unschuldigen Hirtengott PAN der Teufel gemacht und in
Millionen von Frauen verbrannt wurde, was diese Männer bei sich selbst nicht erkennen wollten: ihre weibliche Seite.
Und die Frauen haben sich gerächt, auf ihre Weise. Dieser Geschlechterkampf ist bis heute nicht beendet. Noch immer
sind wir sehr leicht verstrickt in die berühmten Täter-Opfer-Spiele. Heute ist ein Teil der – sagen wir mal -“neuen
Männer” dabei, sich ihre weibliche Seite zurückzuverdienen. Ich selbst bringe dieses Mehr an Gefühlsintensität und
Einfühlungsvermögen, das ich mir in den letzten Jahren erworben habe, ein in die Begegnung mit meinen Patienten, von
denen sinnigerweise siebzig Prozent Frauen sind.
Ein anderer Teil meiner weiblichen Seite fließt in meine künstlerischen Tätigkeiten ein, denen ich mich immer wieder mal zum Ausgleich hingebe. So habe ich mir unter anderem erlaubt, einen Bildband über meinen geliebten Heimatort Murnau zu photographieren. Mein Urlaub besteht also häufig einfach aus einem Wechsel in der Tätigkeit.
I: Das ist natürlich schön, wenn man das so sehen kann. Sag mal, Du machst ja auch sehr eigenwillige
Holzplastiken…
P: Ja, “eigen-willig” ist wohl das richtige Wort, dann ich lasse dem Holz seinen eigenen
Willen, das heißt, ich suche mir dazu in Gebirgsbächen vorzugsweise vom Wasser schön geschliffene Ahorn- und
Buchenholzstücke, in denen schon etwas vorgegeben ist, was ich dann noch weiter heraushole. Es geht mir also nicht
darum, die Natur zu überprägen, sondern zu steigern, was sie meiner Phantasie anbietet. Deshalb arbeite ich dabei auch
vorzugsweise mit Pflanzenfarben und ein wenig Blattgold und benütze das Schnitzmesser nur sehr sparsam. Es ist schön,
dass Du darauf zu sprechen kommst, denn diese Sache hat tatsächlich auch mit unserem Thema zu tun. Zunächst mal:
Es
geht dabei wieder um Gefühle, um mein Hineinfühlen, mich identifizieren mit einem Teil der Welt, den man als
“abgestorben” bezeichnen kann, und den ich auf diese Weise zu neuem Leben erwecke. Darüber hinaus war das über die
Jahre hinweg auch eine Art seelischer Reinigungsprozeß, denn ich habe erst allmählich festgestellt, daß ich dabei auch
meine eigene dunkle, unerkannte Seite besser lieben lernte. Bezeichnenderweise fand ich anfangs Wurzeln, die niederen,
tierischen Lebensformen entsprachen: Echsen, Schlangen, Frösche. Dann kam ein Faun, und allmählich ging das vom Boden
weg und erhob sich in andere Bereiche. Es folgten eine Ente, eine Wildgans, ein Feuervogel, ein Pegasus, eine Eule.
Und dann ging eine weitere Tür auf: Ich erkannte plötzlich menschliche Gestalten in diesen Wurzeln: eine Tänzerin mit
sehr viel Grazie, die niedere Dämonen in Form tierischer Fratzen aus dem Ärmel ihres Gewandes schüttelt. Bei der mußte
ich nur das Gesicht herausholen. Dann eine Madonna, eine Figur, halb Taube, halb Engel, und ein Liebespaar, das mit
den Köpfen ineinander verschmilzt. Zuletzt noch eine Frauenfigur, die ein wildes Tier umarmt und deren eine
Gesichtshälfte ich schwarz belassen habe – die andere ist golden. Und in diesem wilden Tier umarmt sie eigentlich ihre
dunkle, unerlöste Seite.
I: Schön. Und dabei hast auch Du Dir wieder einen Teil Deines eigenen weiblichen Wesens – erobert ist sicher
ein falsches Wort…
P: Zurückgeholt vielleicht… und mein Dialog mit diesen Figuren ist immer noch nicht
beendet. Deshalb habe ich bis jetzt auch nur zwei von ihnen verkauft.
I: Du hast vorhin das Wort “verschmelzen” gebraucht. Es ist wahrscheinlich zwangsläufig, daß Du als Mann
weicher wirst, wenn Du in einen solchen – sagen wir mal alchemistischen – Prozeß hineingehst.
P:
Selbstverständlich. Es ist ein Sich-Ausliefern, ein Mit-sich-geschehen-lassen, wie eine Blume, die auch nicht darüber
nachdenkt, ob sie nun blüht und wann sie blüht. Du mußt Dich einfach hingeben, im Vertrauen darauf, daß es da eine
Instanz in Dir gibt, die das zum rechten Zeitpunkt bestmöglich besorgt.
I: Wie erfährt ein Mann wie Du diese Hingabebereitschaft in der Sexualität, in der Liebe … früher und heute –
was hat sich verändert?
P: Also, es geht wohl darum, zuerst diese – wie die Buddhisten das nennen –
“Seelengifte” auszuscheiden: Das In-Besitz-Nehmen -“Mein Mann – meine Frau!” – die Eifersucht, die Angst, etwas zu
verlieren, was uns sowieso nicht gehört. Ich glaube, erst wenn zwei Partner zum einen selbständig stehen können und
zum anderen sich den Respekt vor der Freiheit des anderen bewahren – erst dann kann eine wirklich tiefgreifende
Begegnung möglich werden. Diese dann allerdings auf allen Ebenen: körperlich – seelisch und geistig – wobei natürlich
der geistige Boden – sprich: die Religion – verstanden als Rückbindung an den inneren Gott – so ähnlich wie möglich
sein sollte.- Das ist dann, glaube ich, eine gute Voraussetzung für Verschmelzung und Einswerdung. Um annähernd dahin
zu kommen, haben wir natürlich auch die ganzen Täter-Opfer-Geschichten durchgespielt, psychisch, verbal und
körperlich. Und das, wenn Du es dann erkennst, ist eigentlich auch sehr spannend. Du entdeckst, wie die Seele sich
bemühlt, diese alten Muster, diesen Geschlechterkampf zu beenden, der aus dem sexuellen In-Besitz-Nehmen erwächst. Und
daß wirkliche Liebe erst entstehen kann, wenn Du den anderen freigibst. Und dann haben wir also ziemlich lange eine
“Dreierkiste” gelebt, um das zu praktizieren. Das ging auch ganz gut, weil der andere – Mann – war es in dem Fall –
mein ältester und bester Freund war. Er ist mir so ähnlich, daß ich ihn wie einen Bruder sehen kann. Deshalb war die
Herausforderung vielleicht nicht so groß, und ich war überhaupt nicht eifersüchtig, wenn er mit meiner Frau ins Bett
gegangen ist. Ich war einfach glücklich, weil sie glücklich war und weil ich merkte, daß er ihr in Teilbereichen Dinge
geben kann, die ich wieder nicht so gut konnte.
I: Ja, dann liebst Du sie aber sehr.
P: Ja, ich liebe sie sehr, aber manchmal kommt halt auch
noch meine dunkle Seite zum Vorschein, wenn ich zum Beispiel laut werde, und dann kann sie mich nicht so gut
aushalten, weil sie das dann zu sehr auf sich bezieht. Wir üben. Kennst Du diesen Film “Das Murmeltier läßt grüßen”?
Nein? Wunderschön, ein gleichnishafter Film – und ein köstlicher Spaß: Es geht um einen Reporter, der zusammen mit
einer Kollegin und einem Kameramann in einem exotischen Nest in Pennsylvania bei einem Schneesturm festgehalten wird,
an einem 2. Februar eben jenem berühmten, für die weitere Wettervorhersage markanten “Murmeltiertag” -ähnlich unserem
“Siebenschläfertag”. Und er erwacht jeden Morgen um 6 Uhr von einem Radiowecker, der diesen idiotischen Song “I got
you babe” dudelt und der Tag hat sich nicht weiterbewegt. Der Typ bleibt einfach in diesem 2. Februar hängen und sieht
sich konfrontiert mit den immer gleichen Situationen. Und der Hotelchef empfängt ihn und fragt: “Na, wollen Sie sich
das Murmeltier ansehen?” Und er sagt: “He, Junge, willst Du mich verarschen? Das war doch gestern schon!” und
allmählich beginnt sich in seinem Bewußtsein etwas zu verändern und er begegnet diesen Situationen jeweils anders.
Also, Du kannst es Dir anschauen als: Wir üben, solange im Hier und Jetzt zu bleiben, bis wir unsere Lektionen gelernt
haben und uns verändern, um in den gleichen Begegnungen besser zu reagieren, flexibler, kreativer, liebevoller damit
umzugehen, unsere Wahlmöglichkeiten zu erweitern, zu erkennen, daß wir viel mehr solcher Reaktionsmöglichkeiten haben
als jeweils nur eine. Und wir können uns steigern, unser innerstes Potential besser zur Entfaltung bringen. Und Du
kannst es ansehen wie das Abbild einer Inkarnationsreihe en miniature: die Inkarnation nach der Inkarnation, nach der
Inkarnation, mit dem Ziel, die Seele zu runden, zu lernen, zu lernen, zu lernen, bis man das Ding endlich mal besser
löst. Oder als einen Traum im Traum im Traum. Es ist sehr überraschend, sehr komisch auch – und sehr philosophisch.
Denn erst als er gelernt hat zu lieben und Gott ähnlich geworden ist, zeigt der Radiowecker endlich den 3. Februar an.
I: Und wenn wir uns diese Sichtweise aneignen können, dann müßte auch der Geschlechterkampf
aufhören.
P: Wenn wir unterstellen, daß jeder Mensch das bestmöglichste tut, was er tun kann, gemessen
an dem Bewußtsein, das er hat, dann können wir den anderen würdigen. In jedem Ausdruckseiner Selbst, egal, wie
verrückt uns gerade anmutet was er tut, können wir sagen: aus meiner Sicht der Dinge – meiner subjektiven Wirklichkeit
– ist das nicht gerade das Optimale, aber offenbar ist es für Dich notwendig, um ein Stück Deiner Not zu wenden, und
ich respektiere das. Ich respektiere Dich, weil ich dich liebe wie Du bist und nicht wie ich will, daß Du sein sollst.
Das schafft Freiheit und das ist offenbar das, was wir lernen müssen und deswegen haben wir “Murmeltiertag” und das
solange, bis wir gelernt haben zu sagen: “lch liebe, was Du bist” Dann kommt der andere heraus aus seinem
Leistungsdruck und dem Mißverständnis, er müsse für unsere Liebe mehr tun, als einfach nur zu sein, wer er ist. Liebe
ist im Außen nicht zu finden, aber wir können sie in uns selbst erwecken. Der Punkt ist, glaube ich, nicht, wieviel
Liebe bekomme ich, sondern wieviel Liebe halte ich aus, wenn ich sie in mir selbst zum Fließen bringe.
I. Hast Du aus Liebe schon Dinge getan, die Du eigentlich nicht so gut findest?
P: Laß mich
nachdenken. Kürzlich habe ich meiner Frau mal zwei Schachteln Zigaretten mitgebracht, damit sie eine Wahlmöglichkeit
hat – und eigentlich lehne ich es ab, daß sie raucht. Ich hätte lieber eine Nichtraucherin zur Frau, aber ich habe nun
mal eine, die raucht. Ich habe natürlich auch schon gesagt: “Wenn Du Dich unbedingt kaputtmachen willst, nimm’s in
Deine Verantwortung und geh’ selber an den Automaten!” Neulich habe ich ihr welche geholt, weil ich dachte, es ist
ihre persönliche Freiheit: Wenn sie sich auf diese Weise zerstören will, muß sie das dürfen und ich muß es sogar noch
anschauen und denken: O.k., irgendwann wirst Du darüber hinauswachsen, denn irgendwann wirst Du es nicht mehr
brauchen. Soweit müßte es eigentlich immer gehen.
I: Und das ist etwas, was als Kultur fehlt. Vor allem bei den jüngeren Menschen.
P: Es ist ein
Wort vielleicht bezeichnend für unsere sogenannte Kultur. Ich will es mal “geistige Verwahrlosung” nennen. Das ist es,
was wir in der heutigen Zeit auf weiten Strecken erleben. Die Kunst, der vielfach die geistige Mitte abhanden gekommen
ist, spiegelt die Zerrissenheit der Gemüter wider, die sich auf diese Weise ausdrücken. Mir kommt diese Kunst sehr
“verkopft” vor und nicht mehr tief empfunden. So wie ich es sehe, fehlt ihr genau das, wovon wir hier sprechen – die
“weibliche Seite”. Aber es gibt erfreuliche Ausnahmen. Genau genommen werden wir aus der geistigen Verwahrlosung nur
herauskommen, wenn wir eines wieder lernen: Herzensbildung. Und das wird wahrscheinlich nur durch Not geschehen.
I: Noch ein paar Schlagworte: Schuld?
P: Ja – diese ganze Schuldgeschichte müssen wir auch mal –
vor allem aus der Therapie – rausbekommen. Es gibt keine Schuld, die wir irgendwelchen Müttern oder Vätern anlasten
können, welche wir uns aufgrund des Resonanzgesetzes unserer Seelen selbst ausgesucht haben. Es gibt Versuche, die wir
innerhalb dieses “Murmeltiertages” machen, um andere Wahlmöglichkeiten zu kreieren, und es gibt Ergebnisse. Wir
sollten ergebnisorientiert sein und nicht schuldorientiert. Wir sollten sagen: Ich erlaube mir, diesen Versuch zu
machen, und der führt zu einem bestimmten Ergebnis. Wenn mir dieses Ergebnis nicht gefällt, mache ich einen neuen
Versuch. Und was immer jemand notwendig hat an Versuchen; sollte man ihm erlauben – er braucht es.
I: Sex? Oder sagen wir besser: Erotik
P: Wunderschön! Wenn Du die Energie als Gefährt benutzt zur
Verschmelzung der Seelen.
I: Welche Empfehlung gibst Du unseren Leserinnen und Lesern?
P: Also, wenn – vor allem der Mann –
wegkommt von diesem geradezu sportlichen Leistungs- und Orgasmus-Wahn und beide Partner die Gefühle von Schuld und
Scham verabschieden können, wenn also der Mann nicht mehr unbedingt getrieben ist von dem Zwang, seinen Samen
ausstoßen zu müssen, dann kann die Energie die beiden Liebenden in einen höheren Seinszustand, eine höhere
Wahrnehmungsebene katapultieren. Es beginnt mit einem Erschauern und Zittern der Körper. Bereits das wollen aber die
meisten von uns nicht haben, denn wir sind so darauf abgerichtet, nur ja in keiner Situation die Kontrolle zu
verlieren. Die nächste Stufe ist eine Art Raserei, der eine innere Stille folgt, auf der man dahingleiten kann, wie
auf einer Welle. Jetzt öffnen sich die Körpergrenzen. Du bist dann nicht mehr nur genital mit Deinem Partner
verbunden, sondern Du weißt nicht mehr so recht, wo hört mein Körper auf und wo fängt der meiner Geliebten an. Es
entsteht ein Kreislauf der Lebenskraft, der dich schweben und fliegen läßt. Wirkliches Eins-Sein. Und aus dieser
Erfahrung schöpfen die Zellen das Bewußtsein des anderen Pols, der dann selbständig in Dir weiterleben kann, was Dich
natürlich auch verjüngt.
I: So wird aus Sex Liebe.
P: Ja, Liebe ist eigentlich die Metamorphose der Lust. Das ist der
Unterschied zwischen dem Siegfried aus der Nibelungensage und dem Heiligen Georg: Siegfried tötet den Drachen – ein
Symbol der sexuellen Energie und tötet sich dadurch letztlich selbst. Der Heilige Georg benützt das Feuer der
Lebenskraft, das der Drache speit, für seine Verwandlung.
Wenn Lust im Körper aufsteigt, verwandelt sie sich zuerst
in ein Gefühl der Wonne. Aus Wonne wird Herzensliebe, und erhebt die sich noch höher, dann geraten wir in Verzückung.
Lassen wir zu, daß dieses Gefühl noch weiter aufsteigt, empfinden wir die Energie als Mitgefühl und Erbarmen mit allen
Kreaturen. Darüber hinaus geraten wir dann in den Zustand von Ekstase, in welchem sich das bewußte Sein auch vom
Körper lösen kann und in Seligkeit dahingleitet, und da sind wir natürlich bei diesen tantrischen Ideen.
I: Und der Effekt von solchen Schmelzprozessen in der Praxis… wie sieht das aus – kannst Du da ein Beispiel
geben?
P: (lacht) Ein Beispiel – natürlich. Also – als mir das einmal passiert ist, war ich derartig
beschwingt – ich ging dann auf den Markt und die Frauen sahen mir reihenweise nach. Da muß dieses ekstatische
Seinsgefühl, diese Freude, die muß einfach rübergegangen sein. Ich stand dann an einem der Stände und die Frau
dahinter, die mich kannte, sagte-. “Herr Raba, wo waren Sie in Urlaub, so wie Sie heute aussehen!” “Nein, ganz
bestimmt, ich war wirklich nicht in Urlaub, aber Sie können es natürlich so ausdrücken. Es ist auch Urlaub für die
Seele gewesen.” Da drängt sie: “Nun sagen Sie schon, wo Sie waren.” Und ich: “Sie wollen es unbedingt wissen?” Es
standen eine Menge Leute drumrum, und ich war dran, und die Leute hörten zu und ich sagte: “Also, ich war nicht
verreist, hab’ nur eine besonders schöne Liebesnacht hinter mir!” Und dann bekam sie einen Riesenballon, und die Leute
kreischten und lachten, und es war ein einziges Tohuwabohu ob meiner Offenherzigkeit und Ungeniertheit und Naivität,
die mir im übrigen manchmal auch geschadet hat.
I: Köstlich. Noch ein letztes: Gott!? Männlich? – Weiblich? Du hast ihn öfters ins Gespräch
gebracht.
P: Ich glaube, es gibt so viele Wahrheiten und Götter wie es Menschen gibt. Sai Baba hat
einmal zu jemandem gesagt: “lch bin Gott. Du bist auch Gott, aber Du weißt es nicht!” Ich sage gern Göttin oder Gott,
aber es ist in der Frau natürlich genauso der”eine Gott – männlich-weiblich”. Wir sagen nur immer “Gott-Vater”, meinen
aber damit auch “Gott-Mutter” oder Göttin.
I: Ich merke an mir, daß die “Göttin” uns schwerer fällt in unserer Kultur. Der Begriff “Gott” ist uns
vertrauter.
P: “Gott” sehe ich persönlich als diese allumfassende, allgegenwärtige und allbewußte
Istheit, die der ewige Gedanke ist, der um sich selbst kreist. Und ein Gedanke, der sich quasi selber “andenkt”,
erniedrigt seine Schwingung und erzeugt, was wir Licht nennen. Und diese Lichtblitze können auch in unseren Gehirnen
nachgewiesen werden in dem Moment, wo wir – als ein getreues Abbild dieses allumfassenden Gottes – Denkvorgänge in
unserem Bewußtsein starten.
Und jeder ist tatsächlich ein kleiner-großer Gott. Und jeder kreiert. Und alles, was
jemand kreiert, ist “Wirklichkeit”. Seine ureigene geistige Wirklichkeit, die auch ins Außen hineinwirkt. Wir
manifestieren sie in das hinein, was dann als sogenanntes Schicksal wieder auf uns zukommt. Es geht also darum, zu
erkennen, was will ich denn eigentlich ernten? Denn wenn mir die Ernte im Hier und Jetzt nicht gefällt, dann muß ich
die Qualität meines Saatguts, meines geistigen, verändern, so daß ich vielleicht dann in ein, zwei oder zehn Jahren
etwas anderes ernten kann. Und wir müssen gut bedenken, was wir uns wünschen, denn ein emotionsgeladener Wunsch drängt
in seine Verwirklichung und es kann sein, daß wir irgendwann womöglich dastehen vor dieser Ernte und uns fragen
müssen: ,,Will ich das überhaupt noch?” Was also wollen wir nun? In unseren Beziehungen, im persönlichen Bereich, im
kreativen, künstlerischen, beruflichen? Wo wollen wir hin? Was nehmen wir mit hinüber in die andere Seinswelt, was
lohnt sich wirklich?
Angelus Silesius hat es einmal sehr schön auf zwei Zeilen gebracht in seinem “Cherubinischen
Wandersmann”: “Mensch, werde wesentlich, denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.”
Wobei ich Zufall auch nicht als kosmische Willkür sehe, sondern als das, was uns zu-fällt, gesetzmäßig, aufgrund
dessen, was wir uns kreieren.
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