Vorsicht Übertragung: Coonhound Paralyse vom Waschbären auf den Hund
Was einst ausschließlich den Coonhound betraf, der eigens zur Bejagung von Waschbären gezüchtet wurde, ist längst in Europa gegenwärtig und betrifft nicht nur jagdlich engagierte Hunde, sondern auch unsere Stadt- und ländlich lebenden Hunde, darunter immer mehr Tiere, die mit großer Wahrscheinlichkeit keinerlei Kontakt mit Waschbären hatten.
Die Coonhound Lähmung (Polyradiculoneuritis = coonhound paralysis) ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems. Die Ursache ist noch unbekannt, es wird vermutet, dass ein Autoimmunprozess vorliegt, bei dem die Nervenzellen angegriffen werden. Das Immunsystem schützt im Normalfall vor Infektionen, indem es körperfremde Organismen attackiert. Bei Autoimmunstörungen zerstört es hingegen körpereigene Zellen.
Es gibt keine besonderen rasse- und geschlechtsspezifischen Prädispositionen, trifft i.d.R. aber erwachsene Tiere. In der Anamnese sollte man stets ergründen, wie weit die Waschbärenpopulation bereits vorgedrungen ist.Wo befinden sich möglicherweise Berührungspunkte, Aufnahmemöglichkeiten für Waschbären-Speichel, -Ausscheidungen oder andere Substanzen. Die ersten Anzeichen der Coonhound Paralyse treten i.d.R. 7-14 Tage nach der ersten Kontamination auf.
Rasseportrait:
Redbone Coonhound 53-66 cm
Gewicht: 23-32
kg
Alter: 11-12 Jahre
Ursprungsland: USA
Fell: rot, rot/weiß
heute: Waschbärjagd, Begleithund
früher:
Waschbärjagd
Diese Rasse ist vermutlich nach dem Züchter Peter Redbone aus Tennessee benannt, doch die Zucht erfolgte großenteils in Georgia.
Waschbären, die Neubürger in Europa
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Waschbären ist der nordamerikanische Kontinent von Panama bis ins südliche Kanada.
Frei lebende Waschbären gibt es in Deutschland erst seit 1934. Damals wurden in einer Auswilderungsaktion am Edersee (Nordhessen) einige Exemplare ausgesetzt. In Niedersachsen traten die ersten Waschbären 1952 nahe Hardegsen auf. Durch die Flucht mehrerer Tiere aus einem zerbombten Zuchtgehege in Strausberg (östlich von Berlin) im Jahr 1945 und Aussetzungen von Gefangenschaftstieren durch US-Soldaten in der Nähe von Laon (Nordfrankreich) 1966, hat sich die europäische Population erhöht.
Die Zahl der Waschbären in Niedersachsen nimmt – nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums – rasant zu. Danach sind im vergangenen Jahr niedersachsenweit mehr als 2.400 Waschbären geschossen worden, rund 50 % mehr als noch vor 3 Jahren. Absoluter Schwerpunkt der Waschbärenpopulation ist Südniedersachsen.Vor 20 Jahren waren in Niedersachsen nur rund 1 % der heute erlegten Tiere geschossen worden.
Das Leben der Waschbären in Stadtgebieten
In einem reich strukturierten Stadtrandgebiet finden Waschbären alle für sie lebenswichtigen Ressourcen. Es ist sogar ein regelrechtes Waschbären-Schlaraffenland! Überall Versteck- und Fluchtmöglichkeiten und Fressbares rund ums Jahr.
Tagsüber liegen ca. 39 % der Waschbären auf Bäumen, ca. 11 % in Verstecken am Boden (z. B. Brombeergestrüpp) und ca. 3 % in Erdbauen. Rund 43 % der Schlafplätze befinden sich in Gebäuden. Dabei werden etwa zur Hälfte unbewohnte Gebäude (leerstehende Häuser, Garagen, Schuppen, Lagerhallen etc.) aufgesucht, zur anderen Hälfte sind sie auf dem Dachboden oder im Schornstein ganzjährig bewohnter Häuser zu finden. Einige Waschbären bevorzugen nach wie vor Schlafplätze im Wald, pendeln aber nachts auf Nahrungssuche in die Stadtrandgebiete.
Im Wald gibt es lange Perioden, in denen das Nahrungsangebot äußerst rar ist. In der Nachbarschaft des Menschen findet sich hingegen immer etwas Essbares: Regenwürmer auf frisch gemähtem Rasen, überreife Früchte von vernachlässigten Obstbäumen, üppige Reste von Fertiggerichten auf dem Komposthaufen oder im Müllcontainer etc. Dazu kommen Katzenfutternäpfe, die heimlich geleert, und andere, die bewusst für die Waschbären hinaus gestellt werden. In einigen Fällen spendieren fehlgeleitete Tierliebhaber täglich große Mengen an Brot, Haferflocken, Nüssen, Rosinen, Keksen und dergleichen Leckereien. Im Ergebnis fördern sie damit die Ansiedlung der possierlichen Tierchen in Mengen, die zu ernsten Problemen führen. Sie treten dort z.T. in Populationsdichten auf, die im Wald völlig undenkbar wären: Während in den Wäldern des Solling 2-4 Waschbären pro 100 ha (= 1 km²) leben, sind es in Kassel auf der gleichen Fläche 50-150! In einigen amerikanischen Großstädten ist die Situation ganz ähnlich, insofern ist das nicht ungewöhnlich. Gerade durch diese Umstände ist bei akuten neurologischen Erscheinungsbildern beim Hund auch an die Coonhound Paralyse zu denken.
Insbesondere bei progressivem plötzlichem Einsetzen neurologischer Symptome ist eine Differentialdiagnose von Coonhound Paralyse, Botulimus und Zeckenparalyse angezeigt. Die Tiere entwickeln typischerweise eine aufsteigende Paralyse. Sie kann sich entwickeln zur Ösophagusdilatation, Dysphonie und respiratorische Paralyse, die dann zum Tod führt. Meist erreichen die Symptome jedoch nicht einen solchen Schweregrad, und die Prognose ist i.d.R. gut, solange keine Ösophagusdilatation auftritt, die für die Respirationspneumonie prädisponiert.
Fallbeispiel
Krankheitsverlauf und Diagnostik bei der Hündin Birka im Sommer 2009
Klassifikation: Polyneurologie – akutes Einsetzen progressiver neurologischer Symptome
28.08.2009 Birka liegt morgens im Zwinger, will aufstehen, kommt aber nur vorne hoch und bricht wieder zusammen. Sie schafft es, sich mit den Vorderläufen ein paar Meter vorwärts zu schleppen. Sie ist mit 2 Welpen zusammen im Zwinger. Sofortige Fahrt zum Tierarzt. Das Röntgenbild ist o. B., Blutabnahme, Birka bekommt Infusionen (Cortison), muss beim Tierarzt bleiben. Nachmittags weitere Verschlechterung, Birka kann sich auch vorne nicht mehr aufrichten, kann aber noch den Kopf heben.
29.08.2009 Birka kann den Kopf nur noch mühsam heben, hat aber Hunger und frisst aus der Hand. Nachmittags sind die Laborwerte da, geben aber keinen Rückschluss auf irgendeine Ursache. Der Tierarzt rät, Birka in die Tierärztliche Hochschule Hannover zu bringen. Sie liegt jetzt nur noch auf der Seite, kann den Kopf nicht mehr heben. Prof. Dr. Ingo Nolte in der TiHo veranlasst erneutes Röntgen und macht weitere Untersuchungen. Birka kommt auf die Intensivstation, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Lähmung auch auf die Lunge übergeht. In Betracht kommen Vergiftung, Infektion, Schädigung des zentralen Nervensystems, hier v. a. die Coonhound Paralyse. Der Neurologe fragt danach, ob Kontakt zu Waschbären möglich war. Da Birka in jagdlicher Ausbildung war und in Vorbereitung auf eine Prüfung in vielen verschiedenen Gebieten geübt wurde, in denen sicher Waschbären vorkommen, kann CP nicht ausgeschlossen werden.
31.08.2009 Anruf aus Hannover, Birka geht es ein kleines bisschen besser, sie kann den Kopf wieder etwas heben, hat weiter Hunger, Verdauung normal, Lähmung ist nicht auf die Lunge übergegangen. Die Untersuchungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Es wird überlegt, Muskel- und Nervenproben zu nehmen. Am Folgetag erneuter Anruf aus Hannover, Birka macht weiter Fortschritte. Auf einem Unterwasserlaufband konnte sie schon ca. 10 Minuten laufen, das Laufbild war o. k. Der Neurologe berichtet, dass mehr und mehr Anhaltspunkte für Coonhound Paralyse sprechen. Der nächste Tag bringt weitere leichte Fortschritte, Birkas Kopf und Hals stabilisieren sich, Entnahme von Gewebeproben wird vorerst verschoben, Der Verlauf der Krankheit entspricht mehr und mehr der typischen Coonhound Paralyse (ca. 1,5 Tage ständige Verschlechterung, dann 2-3 Tage gleichbleibend, dann langsame Erholung).
03.09.2009 Birka wird aus der TiHo entlassen, Toxikologisches Gutachten gibt keinen Hinweis auf eine Vergiftung, einige Untersuchungen dauern noch an.Verabreicht werden nach tierärztlicher Verordnung Mestinon 60 mg, Cefixim 200. Birka kann den Kopf mehrere Minuten oben halten, sie versucht, sich auf den Vorderbeinen abzustützen. Birka muss mehrmals täglich umgelagert werden, sie hat Hunger und Durst.
04.09.2009 Birka kann sich vorne abstützen, hält den Kopf oben, versucht, in die Sitzposition zu kommen. Stellt man Birka auf alle 4 Läufe, kann sie sich einen Moment halten. Wir lassen ihre Mutter Ronja zu ihr, später ihren Halbbruder Arthus. Wir haben den Eindruck, dass ihr der Kontakt sehr gut tut. Bei sehr schönem Wetter legen wir Birka für eine halbe Stunde nach draußen. Birka nimmt alles sehr aufmerksam wahr.
05.09.2009 Birka wird Tierheilpraktikerin Monika Heike Schmalstieg vorgestellt. Sie schlägt Bewegungs- und Gymnastikübungen vor, Homöopathische Begleitung mit Rhus toxicodendron D12 und Silicea D12.
Ab 06.09.2009 täglich leichte Fortschritte, Birka stabilisiert sich von vorne nach hinten. Sie bemüht sich, zuerst in die Sitzposition zu kommen, wird von Tag zu Tag stabiler, ab 08.09.2009 erste Versuche, auch selbständig hinten aufzustehen, ab 10.09.2009 steht sie selbst auf und läuft ein wenig. Weiter Massagen und Übungen, z. B. Slalomlaufen, leichte Steigerungen täglich.
10.09.2009 Blutabnahme. Weitere Fortschritte von Tag zu Tag, Birka fällt zunächst noch um, wenn sie sich schüttelt, stabilisiert sich aber ständig. Wenn sie von sich aus schneller will, spielen häufig die Hinterbeine noch nicht so mit.
16.09.2009 Beginn einer gezielten Tierphysiotherapie mit Massagen und Elektromagnetischer Behandlung, Übungen im Wasser, v. a. schwimmen, Birka macht es Spaß!
21.09.2009 Dank der PhysiothePhysiotherapie macht Birka Fortschritte. Sie muss gebremst werden, will zu viel auf einmal. Ständige Übungen (leichte Steigerungen) und Massagen. Gegen Ende des Monats leichte jagdliche Übungen – Apport von Kaninchen – Birka hat sehr viel Spaß dabei. Übungen im Wasser werden gesteigert.
29.09.2009 Kontrolluntersuchung in der TiHo Hannover. Alle Reflexe sind bei Birka wiederhergestellt. Schilddrüsenwerte sind noch sehr niedrig. Ein TRH-Test wird empfohlen.
08.10.2009 TRH-Test wird gemacht.
12.10.2009 Ergebnis TRH-Test: Normale Schilddrüsenfunktion wird festgestellt. Weitere Fortschritte bei Kraft und Kondition
24.10.2009 HerbstZuchtPrüfung (HZP) in Ostfriesland. Ende November noch eine jagdl. Brauchbarkeitsprüfung, Birka ist wieder voll belastungsfähig.
Fazit: Bei dem Krankheitsbild der Polyneuropathie, selbst wenn es sich so dramatisch zeigt, lohnt es sich, in der Diagnostik und Anamnese herauszufinden, ob ein Waschbärkontakt möglich war. Die Heilungsprognose ist bei der Coonhound Paralyse – bei Ausschluss des Lungenbefalls – sehr günstig. Ein – freilich mühevoller – Therapieeinsatz führt meist zur völligen Genesung.
Wilfried Hermes
Dipl.-Ing. Forstwirtschaft, Hobby-Imker, Jagdhund-Züchter
Monika Heike Schmalstieg
Tierheilpraktikerin, Mitglied im Präsidium des Verbands Deutscher Tierheilpraktiker
e.V.
Kontakt: THP.Schmalstieg@web.de
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