Spiel dich frei
Kreativität, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit durch Theaterspielen trainieren. Wie das funktioniert, erklärt Ihnen die Schauspielerin und salutogen orientierte Kommunikationstrainerin Antonia von Fürstenberg.
Wir alle spielen unterschiedliche Rollen auf der Bühne des Alltags: Im Business kleiden wir uns dezent und bewegen uns angemessen, abends im Club zeigen wir Haut und tanzen ekstatisch. Wir sind umsichtige Eltern und knallharte Extremsportler, wir sind schüchternschlagfertig- klug-vernünftig-komisch-mutig – je nach Situation und Gelegenheit.
Doch bleiben wir allzu lange in einer Rolle, zwingt Routine oder dauerhafter Stress uns zu einseitiger Arbeitsbelastung des Gehirns, verkümmern die vielen Facetten unserer Persönlichkeit. Denken und Handeln verengen sich auf die regelmäßig genutzten Muster. Wie Autobahnen fräsen sich diese Stereotype in unser Gehirn und andere Möglichkeiten zur Ideenfindung und Kommunikation liegen brach. Ein Muskel, der nicht genutzt wird, baut ab. So lässt auch unsere Gehirnleistung nach, wenn wir sie nicht trainieren. Früher oder später leiden wir an Burnout-Symptomen, werden depressiv oder krank.
Theater spielen befreit das Gehirn, die Sinne, die Wahrnehmung, Gefühle und Gedanken von einseitiger Konditionierung!
Ursachen für eine Hemmung des vitalen Körperausdrucks
Aus meiner langjährigen Erfahrung im Theaterspielen mit Seminarteilnehmern aus unterschiedlichen Bereichen weiß ich, dass eine Hemmung in Gesichtsausdruck und Körpersprache oft einhergeht mit der Unfähigkeit, sich mit anderen emotional in Beziehung zu setzen und sich selbst in der Öffentlichkeit angemessen zu vertreten. Eine offene Kommunikation mit sich und anderen ist aber Voraussetzung für Gesundheit von Körper, Geist und Seele.
Das vegetative Nervensystem steuert unseren Organismus. Der Sympathikus beeinflusst die Aktivitäten des Tages und stimuliert die Tätigkeit der Organe und des Stoffwechsels. Der Parasympathikus verrichtet seine Aufgaben eher nachts. Er steuert z.B. die Verdauungsorgane, verlangsamt Herz-, Gehirn- und Atmungsfrequenz und verbindet uns mit dem Unbewussten. Bei einem gesunden Menschen regulieren sich die beiden Systeme selbst.
In einer Stresssituation steigt die Spannungskurve an, Adrenalin schießt durch die Blutbahn, Präsenz und Wachheit erreichen ihre Spitze. Sobald der Stress vorbei ist, baut der Körper diese Spannung – vor allem durch körperliche Bewegung – wieder ab. Sehr eindrucksvoll habe ich dies einmal bei einem großen Mischlingsrüden erlebt, der „wie ein Blitz“ und wütend knurrend an mir vorbeirannte und am Horizont verschwand. Bald kam er aber sichtlich entspannt zurückgetrabt. Seine ältere Besitzerin erklärte mir, dass Bello gerade eine Beißerei mit einem anderen Rüden gehabt hätte, da müsse er sich abreagieren, das mache er immer so. Ein kluges Tier und eine kluge Besitzerin, die ihn nicht zurückhielt!
Menschen im Berufs- und Privatleben ist es meist nicht möglich, sich gleich abzureagieren. Das hat weitreichende Folgen: Bei lang andauerndem Stress ohne die Möglichkeit, „Dampf“ abzulassen, bremst der Parasymphatikus die sympathische Nerventätigkeit aus. Das ist so, als würde man mit angezogener Handbremse fahren. Dieses Notprogramm des Körpers schützt vor zu hoher sympathischer Erregung, indem es die Wahrnehmung filtert. Nur das, was leicht zu verkraften ist, wird wahrgenommen. Allmählich verändert sich der vitale Ausdruck hin zu einer Stumpfheit und Betäubung der Gefühle. Die aufgebaute Energie aber bleibt im Nervensystem und das sich normalerweise selbstregulierende Hormonsystem gerät durcheinander. Damit vermindert sich die Widerstandskraft, die im Fluss des Lebens auftretenden Schwierigkeiten und Krisen zu bewältigen.
Die Kreativität und das Handlungsspektrum sind stark eingeschränkt. Selbst in neuen Situationen reagieren wir mit den immer gleichen Verhaltensmustern. Die dauerhafte Überlastung unseres Nervensystems führt zu negativen emotionalen Zuständen und kann depressive, psychotische und psychosomatische Symptome hervorbringen.
Kreativität, Kommunikations- und Handlungsfähigkeit durch Theaterspielen trainieren
Im klinisch-psychotherapeutischen Bereich wird die mimische Ausdrucksarmut von Depressiven, die eine Gefühlsminderung signalisiert, durch gezieltes Modulationstraining der Mimik und Verstärkung des positiv-emotionalen Gesichtsausdrucks verhaltenstherapeutisch behandelt (Margraf, Schneider 8.3-159ff.). Durch Theaterspielen wird dieses Ausdruckstraining um einiges effizienter, weil es nicht schematisch, als sinnentleerte Übung, sondern in einem gegebenen Kontext, als Minidrama, eingesetzt wird. Und es macht Spaß, weil auch negative Gefühle gezeigt werden können. Im Rahmen der Spielregel, dass niemand verletzt wird, kann ausagiert werden, was sonst mühsam kontrolliert wird: Gefühle von Hilflosigkeit, Wut und Trauer, aber auch von Liebe, Leidenschaft, Lust und Freude. Konflikte können sich zu überraschenden Lösungen wenden, Experimente mit Körper und Stimme aktivieren brachliegende Gehirnareale.
Einsatz von Theaterelementen im Einzelcoaching
Im Einzelcoaching geht es darum, Ziele zu definieren und Möglichkeiten der Umsetzung zu erforschen. Dazu gehört auch, das Selbstwertgefühl, die Präsentations- und Redefähigkeiten zu verbessern. Die Fähigkeit, sich bei Stress und Lampenfieber aktiv und bewusst zu entspannen, ist eine Grundvoraussetzung für Schauspieler. Im Schauspieltraining gibt es deshalb zahlreiche Übungen, um Atmung, Wahrnehmung und Ausdruck zu verbessern.
Einer meiner Klienten, er ist Teamleiter eines IT-Unternehmens, hatte Schwierigkeiten, sich bei seinen Kollegen, aber auch bei seinem Chef durchzusetzen. Seine Stimme war monoton und leise, er saß fast bewegungslos mit übereinandergeschlagenen Beinen und leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper auf der Kante des Stuhls. Wie sollten ihn die Teammitglieder als Autoritätsperson wahrnehmen und wie sollte er seine berechtigten Forderungen auf Unterstützung und Anerkennung durch seinen Chef bekommen?
Um sein Selbstwertgefühl zu stärken, arbeiteten wir zunächst heraus, was er in der Vergangenheit getan hatte, um seine Interessen durchzusetzen und seine Ziele zu erreichen. Als eine seiner Ressourcen nannte er seine „spitze Feder“, die es ihm ermöglicht, Sachverhalte klar und pointiert auszudrücken. Er hatte gute Erfahrungen damit gemacht, Briefe oder E-Mails an die Teammitglieder oder seinen Chef zu schicken, um ein Problem darzulegen und die von ihm favorisierte Lösung durchzusetzen.
Die Fähigkeit, sich schriftlich sehr gut ausdrücken zu können, setzten wir ein, um sich auch live behaupten zu können. Kritische Situationen, wie z.B. ein Termin beim Chef, bei dem es darum ging, Unterstützung für ein Projekt einzufordern, wurden zunächst imaginär durchgespielt. Dann wurden alle aufgetauchten Argumente mit Rede und Gegenrede schriftlich formuliert.
Auf der sprachlichen Ebene vorbereitet, arbeiteten wir nun am Ausdruck von Stimme und Körper. Zunächst galt es, ein Bewusstsein für seine Atmung zu schaffen. Der Atem reguliert den körperlich-seelischen Austausch zwischen Innen- und Außenwelt. Ist ein Mensch ängstlich, hält er den Atem zurück und blockiert die Lebendigkeit und Authentizität seines Körperausdrucks. Eine festgehaltene Atmung kann zu erhöhter Infektanfälligkeit, Bluthochdruck, Antriebsarmut, Asthma oder Depressionen führen. Eine gleichmäßige, tiefe Atmung verhilft zu Ruhe und Ausgeglichenheit – auch in Stresssituationen.
Dann verbanden wir das Ausatmen mit Stimmübungen. Mein Klient spürte, wie aus der Ruhe eine Resonanz entstand, die seinen Körper wie ein Instrument zum Klingen brachte. Seine Stimme wurde kraft- und klangvoller. Wir begannen, mit Tönen und Klängen zu experimentieren, Stimme und Stimmungen zu modulieren.
Nun nahmen wir Worte dazu, die wir uns in lockerer Assoziation wie Bälle zuwarfen. Dies ist eine Übung, um Schlagfertigkeit und Wortgewandtheit zu trainieren. Der nächste Schritt war die Verbindung des Stimmausdruckes mit dem Körperausdruck. Wie treffsicher sind Worte? Wie kommen sie beim anderen an? Mein Klient sollte seine Fäuste ballen, den Blick auf einen Punkt an der Wand fokussieren und mit einer Lautsilbe wie „Ja!“ zuschlagen – selbstverständlich nur in die Luft, aber mit ernsthafter Absicht. Bald spürte er die energetisierende Wirkung, die seinen ganzen Körper durchströmte, als sich die Blockaden von unterdrückter Angst und Wut bei ihm lösten.
Seine Haltungsveränderung war erstaunlich: Statt eines niedergedrückten, ausdrucksarmen Neutrums stand da plötzlich ein Mann, der meinte, was er sagte. In wechselnden Rollen spielten wir noch einmal die Begegnung mit seinem Chef durch. Mein Klient konnte nun seine Standpunkte konsequent und eloquent vertreten. Er überzeugte dann auch im Ernstfall. Im Gespräch mit seinem Chef erreichte er, dass dieser sich hinter sein Projekt stellte.
Das passive Opfer, das mit gesenktem Blick nicht mal den Spatz auf dem Kuchenteller, geschweige denn die Taube auf dem Dach erkennen konnte, wurde durch das Spiel zum aktiven Gestalter der Umstände. Diese Erfahrung blieb meinem Klienten dauerhaft in seinem (Körper-)Gedächtnis.
Einsatz von Theaterelementen im Gruppencoaching
Improvisationstheater hilft, sich eigener und fremder Rollen und des Status in einer Gruppe/Organisation bewusster zu werden, sein Rollenrepertoire zu erweitern und Handlungsalternativen durchzuspielen. Keith Johnstone entwickelte dazu das Improvisationsspiel „1, 2, 3“ bzw. „Vater, Mutter, Kind“, das zentrale Rollenmuster menschlicher Kommunikation widerspiegelt. Die Rolle Eins, der Vater (der natürlich auch von einer Frau gespielt werden kann), steht für Führungsstärke, Leistungsbezogenheit, Zielvorgabe und Verantwortungsübernahme. Mit der Rolle Zwei, der Mutter, werden Vermittlungsfähigkeit zwischen verschiedenen Hierarchieebenen, Koordination und Durchsetzung von Zielen sowie Anpassung von Zielvorstellungen auf die Wirklichkeit assoziiert. Die Rolle Drei, das Kind, hat festgeschriebene Pflichten zu erfüllen, kann kreative Verbesserungsvorschläge machen oder aber passiv und widerwillig die Arbeit erledigen.
Man kann diese Rollenverteilung auch auf das psychodynamische Modell des „Dramadreiecks“ beziehen, wenn man die Rolle 1 mit dem Verfolger/Täter, die Rolle 2 mit dem Opfer und die Rolle 3 mit dem Retter konnotiert. Diese Rollenmuster können auf jede soziale Gruppe, aber auch auf Organisationen übertragen werden. Hier versinnbildlichen die Nummern 1 = Leitung, 2 = mittleres Management und 3 = Mitarbeiterebene. Beim Spiel geht es nun darum, sich für eine der Rollen innerhalb einer vorgegebenen Situation zu entscheiden und aus der Perspektive von Eins, Zwei oder Drei zu agieren. Die Rollen werden dann fortwährend auf Zuruf gewechselt. Das schafft Bewusstheit über eingeschliffene Verhaltensmuster und ermöglicht einen schnellen Perspektivenwechsel.
Auf einem Gesundheitskongress habe ich einen Workshop zu „Perspektivwechsel und gesunde Kommunikation durch Improvisationstheater“ durchgeführt. Während am Anfang eine gewisse Anspannung und Zurückhaltung bei den Teilnehmern zu spüren war, gingen sie nach dem Workshop mit strahlenden Gesichtern und eifrig miteinander redend aus dem Raum. Kongressausstellern, die vor dem Veranstaltungsraum einen Stand betreuten, fragten mich, was ich denn gemacht hätte, „Die sind ja ganz verwandelt“.
Das Rezept ist einfach. Es ist die Befreiung von reglementierenden Glaubenssätzen wie „richtig – falsch“. Bei der Theaterimprovisation gilt nur ein Gesetz: Der Spiel- und Beziehungsfluss soll nicht unterbrochen werden. Ein absolutes „Nein“ oder „Falsch“ gilt es mit einem Sowohl-als-auch zu umschiffen. Was für Möglichkeiten, lustvoll den Einsatz ressourcenorientierter Kommunikation zu üben!
Aus der Motivationspsychologie ist bekannt, dass es zwei Zielorientierungen gibt, die Menschen motivieren: Annäherung versus Vermeidung. Ein positives, erwünschtes Ereignis wird den Annäherungsreiz auslösen, während ein negatives, unerwünschtes Ereignis den Vermeidungsreiz auslösen wird (Elliott & Trash, 2002, S. 804). Die Hoffnung auf Abwechslung und Spaß durch das Theaterspiel war bei den Workshopteilnehmern größer als die Angst vor Misserfolg oder Bestrafung. Die Öffnung aus dem starren Korsett des sprachlichen Denkens hin zum kreativen Denken (M. Minsky), das Gefühle, Empfindungen, Phantasien und Träume, also das „Irrationale“ einschließt, erweitert die individuellen Handlungsmöglichkeiten beträchtlich. So kann eine andere, gesundheitsfördernde Wirklichkeit entworfen werden, die mehr Raum zum Kooperieren statt zum Blockieren gibt.
Mit Theater zum Erfolg
Der Einsatz von Theatermethoden ist sowohl im Einzel- als auch im Gruppencoaching möglich. Themen wie Selbstpräsentation, Perspektivenwechsel, Persönlichkeitsentwicklung und gesunde Kommunikation werden auf ungewöhnliche Weise trainiert. Durch die kreativen Methoden werden verschüttete Glücks-Ressourcen entdeckt, die Burnout und Depression verhindern. Eine lebendige und überzeugende Ausstrahlung ist im Privat- und Berufsleben wichtig, vor allem für Personen, die viel in der Öffentlichkeit stehen.
Theater als Trainingstool in Organisationen ist empfehlenswert, wenn die sozialen und kreativen Ressourcen der Mitarbeiter und die interne Kommunikation verbessert und lustvoll gestaltet werden soll. Eingebunden in ein salutogen orientiertes Konzept, zahlt sich der Einsatz von Theater sowohl für den Einzelnen als auch betriebswirtschaftlich durch eine erhöhte Leistungsbereitschaft und einen niedrigen Krankenstand aus.
Antonia von Fürstenberg
Schauspielerin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, systemischer Coach und salutogen
orientierte Kommunikationstrainerin
info@antonia-von-fuerstenberg.de
Literaturempfehlungen:
- John Dewey, Kunst als Erfahrung. Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 2. Auflage, 1995
- A. J. & Trash Elliot, T. M., Approach-avoidance motivation in personality: Approach and avoidance temperaments and goals. Journal of Personality and Social Psychology 82 (5): 804-818, 2002
- Peter Flume, Karin Hirschfeld, Christian Hoffmann, Unternehmenstheater in der Praxis. Wiesbaden, Gabler, 2001
- Keith Johnstone, Improvisation und Theater, Berlin, 1993
- Alexander Margraf, Schneider, Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Heidelberg, Springer, 2009
- Bas Kast, Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft. Frankfurt/ Main, S. Fischer, 2007
- Marvin Minsky, The emotion machine, New York. Simon & Schuster Petzold, 2006
- Dierk Theodor u.a., Lust und Leistung … und Salutogenese. Bad Gandersheim. Verlag gesunde Entwicklung, 2010
- Viola Spolin, Improvisationstechniken. Paderborn, Junfermann, 2002
- Lewis Yablonsky, Psychodrama, Die Lösung emotionaler Probleme durch Rollenspiel. Stuttgart, Klett Cotta, 3. erw. Auflage, 1998
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