Geld und Gefühle – immer noch ein Tabu?!
„Am Ende des Geldes ist noch so viel Monat übrig.“
Wer kennt diese Situation nicht? Hinter diesem so simpel und volkstümlich anmutenden Satz verbirgt sich oft ein ganzes Fass voller Dramen und Gefühle. Das Thema Geld ist dabei in unserer Gesellschaft fast ebenso mit einem Tabu belegt wie lange Zeit die Sexualität.
Was steckt hinter dem Mythos Geld? Warum fällt es uns so schwer, darüber frei zu reden wie z.B. über unser Seelenleben im Rahmen einer Psychotherapie?
Zuerst müssen wir uns dafür kurz über die Herkunft des Geldes klar werden. Vor der Einführung von Geld existierte der Warenhandel bzw. Warentausch. Das erste römische Münzgeld verkörperte den Wert eines Rindes. Aus dem lateinischen Sprachschatz kommt „pecunia“, was „Vermögen am Vieh“ bedeutet. Der Tauschhandel mit Muscheln, Fellen, Ölen, Salzen und Schmuck als praktischer Ersatz für ein Rind erfreute sich langer Beliebtheit.
Das Warengeld wurde im Mittelalter zunehmend durch Metallgeld wie Kupfer, Silber und Gold ersetzt. Es entwickelte sich der Handelsverkehr. Fürsten und Könige prägten Münzen. Ab dem 17. Jahrhundert nahmen Banken Gold gegen Quittung entgegen. Die Ausgabe privater und staatlicher Banknoten ging einher mit dem Beginn der Industrialisierung und der Arbeitsteilung im 18. Jahrhundert.
Im Althochdeutschen kennt man den Begriff „gelt“. Hieraus leitet sich auch das „Entgelt“ oder die „Vergeltung“ ab.
In der heutigen Zeit ist das Geld im Alltag in erster Linie ein Tausch- und Zahlungsmittel. Es ist aber auch ein Rechenmittel und hat die Funktion, über den Wert Waren und Dienstleistungen miteinander vergleichen zu können. Zudem besitzt es eine Wertaufbewahrungsfunktion (z.B. Sparen).
Die Zentralbanken (für den Euroraum = EZB) haben das alleinige Recht zum Drucken von Banknoten und der Herausgabe von Münzen. Die Banken (Privat- und Geschäftsbanken, Sparkassen, Volksbanken) versorgen die privaten und öffentlichen Haushalte sowie die Unternehmen mit Bargeld und Krediten. Der Geldkreislauf ist damit im Gange.
Welche Bedeutung hat das Geld noch?
Das Geld an sich ist neutral: Es ist weder gut noch böse. Seinen Wert und seine Macht erhält es von uns Menschen durch unseren Bezug zu ihm. Dieser ist bei jedem Menschen individuell zu betrachten. Es gibt einige Bücher, die sich mit dem Umgang mit Geld beschäftigen. Mir ist bis heute kein allgemeingültiges Konzept über die Zusammenhänge von Geld und Gefühlen sowie deren Behandlung im Rahmen eines Coachings oder einer Psychotherapie bekannt.
Wenn man sich über Fragen dem Thema nähert, kommen schnell neue Fragen auf. Ich möchte hier die mir wichtigen Aspekte kurz aufzeigen und einige Fragen zum Nachdenken und Reflektieren in den Raum stellen. Individuelle Antworten zu diesem komplexen Thema lassen sich oft leichter durch einen Coachingprozess entwickeln. Das Ergebnis ist dann mehr Sicherheit und mehr Klarheit.
Der Umgang mit Geld und die Einstellung zum Geld werden im Wesentlichen durch die Erziehung und das Erleben als Kind und Heranwachsender im Elternhaus geprägt. Glaubenssätze werden so oft übernommen:
„Über Geld spricht man nicht, Geld hat man.“
„Bescheidenheit ist eine Zier.“
„Geld allein macht nicht glücklich.“
„Ohne Geld bin ich ein kompletter Versager.“
Jeder von uns kennt bestimmt einige weitere Sätze. Einer der bekanntesten Glaubenssätze unserer Zeit stammt aus der Werbung: „Geiz ist geil“ ist zu einer Art Lebensstil und -aufgabe stilisiert worden.
Bei genauerer Betrachtung kommt man schnell darauf, dass das Bemühen nach einer möglichst billigen Anschaffung viele Gefühle berühren kann (Konkurrenz, Neid, Anerkennung, Geltung, Gier …) und auch einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Preis in Form von Preis- und Lohndumping hat. Der Einkauf bei Billig-Discountern kann aber auch einer finanziellen Notwendigkeit geschuldet sein. Hier stellt sich die berühmte Frage nach dem Huhn und dem Ei: Was war nun zuerst da? Die Lust am Geiz oder der enge Geldbeutel?
Auch unser soziales Umfeld prägt unsere Einstellung zum Geld. Der Staat sowie Banken und Versicherungen beeinflussen ebenfalls unser Verhalten. Eines der ältesten und stärksten Gefühle ist dabei eine große Triebfeder für Verhalten, Umgang und Geschäfte mit Geld: Angst. Als Beispiele sei die Angst vor Inflation und Altersarmut genannt. Gerade hier in Deutschland ist die Inflationsangst besonders stark ausgeprägt. Die große Hyperinflation von 1923 ist immer noch allgegenwärtig. Auch die Währungsreform 1948 ist noch im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert.
Die Wirtschafts- und Bankexperten sind sich einig, dass eine Inflationsrate von 2% als Obergrenze bzw. vertretbare Geldentwertung gilt. Also: Die Erhöhung der Verbraucherpreise von 2% innerhalb eines Jahres sei akzeptabel. Es stellen sich nun aber dem Beobachter und dem Betroffenen einige Fragen:
- Wer hat diese Grenze warum so festgelegt? Könnte sie nicht auch bei 3% liegen (solange mein Einkommen im selben Maße steigt)?
- Wie stark sind die Preise von meinen gekauften Waren und Dienstleistungen gestiegen?
- Bin ich ein repräsentativer Verbraucher?
- Was ist mit der gefühlten Inflation? Jeder weiß, dass mit der Euro-Umstellung die Preise deutlich angehoben wurden. Die Wirtschaftsexperten haben dies jahrelang geleugnet und mit der per Statistik ermittelten Preissteigerung von 1,8% im Jahre 2002 gekontert. Kurze Zeit später ist dann der Begriff, der „gefühlten Inflation“ geschaffen worden. Und plötzlich war dieser Wert für das Jahr 2002 mit 8,2% angegeben.
- Was ist nun real? Wem und wofür dient die Inflationsrate?
- Was ist mit den Lohnerhöhungen? Gleichen die Erhöhungen die Inflation aus oder steigt durch die Erhöhung die Inflation?
- Und wie sehen bzw. sahen die Rentensteigerungen aus?
Hier kommt die Angst vor Altersarmut ins Spiel und die Möglichkeit, mit dieser Angst Geschäfte zu machen und Interessen zu wahren. Es geht um Besitzstände und die Angst vor Verlust. Der Kampf um Ressourcen schürt Argwohn. Das Erleben von Knappheit und Mangel führt zu Geiz und Gier bzw. Neid und Konkurrenz.
Geld steht aber auch für Unabhängigkeit und Freiheit. Was ist aber mit der inneren Unabhängigkeit und Freiheit? Sich befreit fühlen von äußeren Zwängen und frei in seiner eigenen Verantwortung entscheiden zu können? Jeder definiert das Maß und den Wert daran für sich selber. Die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow (1908-1970) veranschaulicht, in welchem Zusammenhang die Defizit- und Wachstumsbedürfnisse mit dem Geld (Umgang, Verhalten) stehen. Nach der Befriedigung der Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen) sollen die Sicherheitsbedürfnisse (materielle und berufliche Sicherheit, Wohnen, Arbeit) erfüllt werden. Wie viel Sicherheit bzw. Schutz braucht der einzelne Mensch?
Soziale Bedürfnisse (Freundschaft, Liebe, Gruppenzugehörigkeit) werden heute häufig über soziale Netzwerke (Facebook, Twitter, Xing etc.) befriedigt. Dies kostet aber auch Geld (PC, Tablet oder Smartphone mit Internetflat). Wie viel Anerkennung und Geltung (= Ich-Bedürfnisse) werden benötigt und wie wird dieses Ziel erreicht?
Wenn das Kind keine Anerkennung von seinen Eltern erfahren hat, muss es – nach Alfred Adler – im Erwachsenenalter eine Kompensation suchen. Als eine Hauptthese seiner Individualpsychologie nennt Adler die Grundantriebe des Menschen Macht, Geltung, Streben nach Überlegenheit und Entfaltung in der Gemeinschaft. Ein Mangel in diesen Bereichen könne zu Minderwertigkeitskomplexen führen, denen mit Kompensationswünschen (Versuch des Ausgleichs durch besondere Leistungen auf anderen Gebieten) oder gar Überkompensation (übersteigertes Geltungsstreben) begegnet wird. Schon das Kleinkind erlebt laut Individualpsychologie ein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der Erwachsenenwelt.
Hier könnte man auch das Besitzstreben (nach Geld) und Luststreben hinzufügen. „Mein Haus, mein Auto, mein Smartphone …“ Statussymbole sind zunehmender Ersatz zur Befriedigung von Ich-Bedürfnissen und zum Ausgleich bzw. der Abwehr von den eigentlichen Bedürfnissen und Gefühlen.
„Haste was, biste was!“ So kommt man zur Anerkennung!? Wie viel Geld braucht man zum Glücklichsein? Glücksforscher haben herausgefunden, dass die Schwelle des zum Glück benötigten Jahreseinkommens in unseren Breiten bei ca. 64000 Euro liegt. Mehr Verdienst bedeutet nicht automatisch mehr Glück.
Es gibt keine sozialwissenschaftliche Definition von Glück. Es ist ein individuelles und subjektives Wohlbefinden, in dem die Faktoren Familie, Beruf und Freundeskreis wichtig sind (und unterschiedlich gewichtet werden). Es ist vielmehr der affektive Teil des Wohlergehens; eine Momentaufnahme, aus dem Bauch heraus … selten länger als drei Stunden erlebt.
Demgegenüber wird Zufriedenheit als der kognitive Teil des Wohlergehens beschrieben, in dem Einkommen, sozialer Status und Familie als langfristige Faktoren eine Rolle spielen.
Abraham Maslow hat die Selbstverwirklichung (Transzendenz) als Wachstumsbedürfnis definiert. Hierfür steht u. a. die Spiritualität. In den östlichen Ländern zählt der innere Reichtum (oft) mehr als der äußere Reichtum. Bei uns im Westen besinnen wir uns meist erst dann auf innere Werte, wenn z.B. eine plötzliche, schwere Krankheit auftritt oder ein naher Angehöriger stirbt. Nach einer Phase der Akzeptanz der Umstände fallen wir wieder in unseren gewohnten Trott zurück.
Die Wechselwirkung von Geldproblemen und seelischen Problemen beschäftigt uns in der (sprichwörtlichen) Praxis relativ häufig. Eine Depression oder eine Sucht kann zu einem nachlässigen Umgang mit Geld führen. Aus Scham wird aber selten darüber gesprochen. Antriebslosigkeit in Verbindung mit Sinn- und Hoffnungslosigkeit kann schnell über den Verlust des Arbeitsplatzes in eine Schuldnerkarriere münden. Ebenso können die Schulden rasant wachsen, wenn die Kompensation eines schwachen Selbstwertgefühls mithilfe des Geldes (Kredite) und der Anschaffung von materiellem Besitz (Konsumgüter, Statussymbole) einhergeht.
In diesen Fällen ist die Schuldnerberatung oft auch verknüpft mit einer psycho-sozialen Beratung. Hier besteht aus meiner Sicht ein großer Bedarf an Kooperation zwischen den seriösen Schuldnerberatungsstellen und den Praxen für Psychotherapie.
Was kann der Einzelne nun für einen gesunden Umgang mit Geld tun?
- Eigene Verhaltensweisen, Einstellungen und Glaubenssätze reflektieren.
- Verantwortung für sein Handeln übernehmen und nicht bei erster Gelegenheit nach Vater Staat rufen für den Erhalt von Hartz IV oder anderen Sozialleistungen.
- Haushaltsbuch führen (mindestens drei Monate lang) und einen Haushaltsplan aufstellen.
Was gebe ich für welche Mittel aus?
Erstaunliche Erkenntnisse werden gewonnen und sind der Lohn für die Mühe.
Hilfreich ist eine Sinngebung: Sich Ziele setzen und die Frage „Wozu brauche ich das Geld und bin ich damit nachhaltig zufrieden?“ für sich beantworten. Ein „sinnentleerter“ Konsum kann auf Dauer nicht befriedigen. Wenn wir aber ein konkretes Ziel vor Augen haben, steigt die Motivation. Es macht einen Sinn, warum wir Geld verdienen.
Der schlichte Vorsatz „Ich muss mehr Geld sparen!“ bringt oft nur ein schlechtes Gewissen. Vorsätze sind vernunftbetont und ohne Ziel nicht nachhaltig bzw. erfolgreich. Daher kann es auch sinnvoll sein, die Hilfe eines erfahrenen Finanzcoaches in Anspruch zu nehmen.
In diesem Sinne wünsche ich uns, dass möglichst viel Geld am Ende des Monats übrig bleibt.
Helmut Lentz
Psychologischer Berater, Coach und Mediator in der Haushaltsfinanz-
und Schuldnerberatung
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