WLAN ist allgegenwärtig
Digitale Medien verändern die Kommunikation und das Gehirn
Freies WLAN schafft die Infrastruktur für kostenlose Smartphone-Dauernutzung und ermöglicht jedem, immer online zu sein. Besonders Kinder und Jugendliche nehmen dies ausgiebig in Anspruch. Die durchschnittliche Bildschirm-Nutzungsdauer übersteigt schon 8 Stunden am Tag.1) Auch die „Digitale Bildung“ soll auf WLAN basieren.
Zu den strahlungsbedingten Schädigungen durch WLAN kommen die psycho-sozialen. Die strahlungsbedingten negativen Wirkungen auf das Lernen, durch mehr als 20 Studien nachgewiesen (s. Artikel Paracelsus 04.18), stehen in Wechselwirkung mit Stoffwechsel- und Entwicklungsstörungen im Gehirn, die durch die Reizüberflutung und die Reduktion sinnlicher, realer Erfahrungen auf das Bildschirm-Wischen auftreten. Unter dem Stress von permanentem Datenfluss werden Informationen aus dem Arbeitsgedächtnis nicht mehr im Langzeitgedächtnis abgespeichert. „Was die Kinder morgens in der Schule lernen und bei den Hausaufgaben verarbeiten, wird erst innerhalb der nächsten 12 Stunden in das Langzeitgedächtnis überführt“, schreibt der Gehirnforscher Martin Korte.2) Die Ruhe- und Verarbeitungsphasen, die dafür notwendig sind, existieren durch die Dauernutzung und die überbordende Informationsflut nicht mehr. Momente der kreativen Langeweile, des Sinnierens, werden verdrängt oder gar nicht mehr ertragen. Die permanente Mediennutzung ist ein Stressor.
Eine DAK-Studie aus dem Jahr 2016 ergab, dass Konzentrationsschwäche, Verhaltensauffälligkeiten, Bewegungsdefizite und damit einhergehende gesundheitliche Probleme bei Grundschülern in den letzten 10 Jahren stark zugenommen haben. 91% der befragten Lehrkräfte bezeichnen als Ursache dafür die mediale Reizüberflutung.3) Die Schulpause, während der früher im Hof gespielt wurde und das Gehirn zeitgleich den Lernstoff verarbeitete, verwandelt sich zum Smartphone-Time-Datenflow, und der Input geht unvermindert weiter. Aus den Informationen wird kein im Langzeitgedächtnis abgelegtes Wissen, sondern es bleiben oberflächlich angeeignete Fakten.
Lernen braucht Bewegung, Pausen, Muße, Langeweile und Selbstreflexion
Die Neurobiologie weist nach, dass Bildschirmgeräte, wenn zu früh eingesetzt, zu „Digitaler Demenz“ führen, weil sie im reifenden Gehirn Stoffwechselprozesse verändern. Die Reduktion sinnlicher Erfahrung auf das Wischen und Tippen untergräbt nicht nur die Entwicklung geistiger Fähigkeiten, sondern führt auch zur Entfremdung von der Natur. Dieses frühe Auseinanderfallen von Bewegung und Wahrnehmung könnte sich als eine der gravierendsten Auswirkungen der Digitalisierung herausstellen.4) Im Zentrum steht die Erkenntnis, dass Bewegung und Spiel, haptische und sinnliche Erfahrungen entscheidend für die Entwicklung des Gehirns und des Denkens sind. Die Lernsynapsen brauchen zudem Arbeitszeit, also „langsames Denken“.5)
Die sinnlichen Erfahrungen sind dreidimensional, und nur durch sie wird die Raumkoordination in den reifenden Modulen der Hirnrinde optimal ausgebildet. Raum und Zeit sind das Werkzeug, mit dem Nervennetze und Funktionssysteme untereinander kommunizieren. Die Herausbildung des Raum-Zeit-Gedächtnisses ist grundlegend für das Denken, das Lernen, das Handeln und das Planen, für Intelligenz. Finden diese neuronalen Prozesse, welche die Vernetzung der sensomotorischen und assoziativen Rindenfelder bewirken und gleichzeitig das Gehirn reifen lassen, nicht statt, können sie nicht nachgeholt werden. Fehlt die räumliche Bewegung, und wird sie durch das reduzierte Tablet-Wischen ersetzt, heute eine dominierende Aktivität vieler Kinder, so fehlt der Baustoff für die Weiterentwicklung des Denkapparates – die Bautätigkeit erlahmt. Konzentrations- und Denkfähigkeiten bleiben irreversibel unterentwickelt. Und nicht nur das.
Der Suchtmechanismus wird getriggert
Falsche Baustoffe, wie sie die permanente Reizüberflutung durch Videos, schnelle Animationen und PC-Bilder liefert, können Sucht, Angst und lebenslang geminderte Lern- und Denkfähigkeiten begünstigen. Es ist die dauernde Beschleunigung von Raum und Zeit, die das kindliche Gehirn nicht mehr adäquat verarbeiten kann, weil langsames Denken und gründliche Informationsverarbeitung keinen Platz haben. „Im Gehirn behindert die digitale Beschleunigung die neuronale Sequenzbildung und die neurochemische Kommunikation zwischen den Zellgruppen, die der Übertragung von Erregungsmustern auf entfernt gelegene Nervennetze dienen. Das erzeugt kognitive Impotenz“, warnt die Neurobiologin Prof. Gertraud Teuchert-Noodt.6)
Das pausenlose Reizbombardement lässt Glücksgefühle entstehen – und das Gehirn verlangt nach (immer) mehr. Die Fähigkeit, die unmittelbare Befriedigung eines Bedürfnisses zugunsten eines langfristigen Gewinnes zurückzustellen, wird untergraben. Likes oder das Erreichen des nächsten Levels beim PC-Spiel o.ä. erzeugen ein kurzfristiges Erfolgsgefühl. Eine trügerische Selbstbelohnung. Diese von digitalen Geräten ausgehende Faszination erzeugt schon bei Kleinkindern einen Sog, der den Willen ausschaltet. Die Grundlagen für eine Sucht werden ins Gehirn gebrannt. Die Versorgung des Belohnungssystems mit Dopamin wird beschleunigt, bei gleichzeitiger Unterversorgung des Stirnhirns. Das Stirnhirn, das bei Kindern und Jugendlichen erst langsam reift, ist aber die Kommandozentrale für Konflikt- und Angstbewältigung, Logik, Vernunft, planerisches Denken und Handeln.
Seiner Kontrolle entzogen, überdreht das Belohnungssystem und löst Suchtverhalten aus: „Digitale Medien als extreme Beschleunigungsakteure wirken auf die reifenden Funktionssysteme des Kortex kontraproduktiv. Sie veranlassen eine Art Notreifung der Nervennetze, mindern die geistigen Potenzen und machen süchtig“, schreibt Prof. TeuchertNoodt.7) Im limbischen System wird ein typischer Drogenautomatismus ausgelöst: „Für Kinder besteht keine Möglichkeit zur Selbstkontrolle, sie werden zu hilflosen Gefangenen ihrer selbst“ (ebda). Das belegen die Ergebnisse des BLIKK-Projektes: „Mehr als 60% der 9-10-jährigen Kinder können sich weniger als 30 Minuten ohne Nutzung digitaler Medien beschäftigen.“8) Die Folgen dieser Überbeschleunigung sind auch Hirnrhythmusstörungen, die sich in Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen und Suchtverhalten manifestieren.
Das Gehirn ist vor dem 12. Lebensjahr hinsichtlich seiner kognitiven und neuronalen Entwicklung den Anforderungen der digitalen Medien noch nicht gewachsen. Ihre Nutzung führt zur Orientierungs- und Hilflosigkeit, zum Ausgeliefertsein an die virtuelle Welt und ihren digitalen, auch politischen Manipulationstechniken, wie sie von Facebook, Google, Microsoft und vielen anderen Datenkraken als Geschäftsmodell praktiziert werden. Der Internetpionier Jaron Lanier entschuldigt sich in seinem neuen Buch dafür, dass das Internet von Anfang an unter Ausnutzung der Kenntnisse der Neurobiologie über Suchtmechanismen und des Behaviorismus über Konditionierung konzipiert wurde, als eine „unaufhörliche Verhaltensmodifikation in gigantischem Umfang“.9) Kein Zufall, so meint Lanier, dass die Kinder vieler Manager im Silicon Valley Waldorf-Schulen besuchen, „an denen elektronische Geräte prinzipiell verboten sind“.10)
Psycho-soziale Schädigungen sind amtlich bestätigt
Trotz der umfangreichen „doppelten“ Studienlage – der Wechselwirkung zwischen strahlungsbedingten und psycho-sozialen Schädigungen – beschloss die deutsche Kultusministerkonferenz, dass für die „Digitale Bildung“ alle Schulen mit WLAN ausgestattet werden sollen. Die „Digitale Bildung“ ist eine Schöpfung der IT-Branche, die Milliarden-Umsätze verspricht. Die bereits vorhandenen pathologischen Auswirkungen brachte die BLIKK-Studie der Bundesregierung zutage: „Die Folge der Nutzung digitaler Medien sind Sprachentwicklungs- und Konzentrationsstörungen, körperliche Hyperaktivität, innere Unruhe bis hin zu aggressivem Verhalten. Auch Säuglinge leiden unter Essens- und Einschlafstörungen, wenn die Mutter, während sie das Kind betreut, auch digitale Medien nutzt“ (ZDF Text, 29. Mai 2017). Das hat bereits Auswirkungen auf die Schulkinder: „Fast jedes dritte Grundschulkind in Deutschland hat Probleme, das Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen zu erlernen – mit besorgniserregenden Folgen für die individuelle Entwicklung und für die Gesellschaft. Bei der Hälfte der Kinder sind die Lernschwierigkeiten so erheblich, dass bei ihnen eine schulische Entwicklungsstörung (Lese-, Rechtschreib- oder Rechenstörung) diagnostiziert wird“, so eine Studie des Bundesbildungsministeriums, gemeinsam durchgeführt von 4 pädagogischen Fakultäten.11)
Wissenschaftler der Universität Leipzig haben in der LIFE-Child-Studie mit 527 Kindern bestätigt, dass der Konsum elektronischer Medien bei 2- bis 6-jährigen Kindern zu emotionalen und psychischen Verhaltensauffälligkeiten führen kann.12) Die Untersuchung der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover (KKH) ergab von 2006 bis 2016 eine Zunahme von
- Sprach- und Sprechstörungen um 64% (bei den 15- bis 18-Jährigen sogar um rund 200%)
- motorischen Entwicklungsstörungen um 76%
- ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) um 37%
- Fettleibigkeit (Adipositas) um 12% (bei den 6- bis 10-Jährigen sogar um 20%)
Für Psychologin Franziska Klemm von der KKH zählt neben mangelnder Bewegung und unausgewogener Ernährung auch ein übermäßiger, unkontrollierter Umgang mit digitalen Medien zu den Ursachen für diese Entwicklung.13) Aktuelle Studien der Krankenkassen DAK und Barmer führen massive Anstiege von Burnout, Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen v.a. bei Kindern und Jugendlichen auch auf die Nutzung digitaler Medien zurück.14) Die Pathologisierung ist also bestätigt.
Der US-amerikanische Psychologie-Professor Dr. Larry Rosen, der im Buch „Die digitale Falle“ Auswirkungen auf die Psyche untersucht, meint, dass durch die digitalen Medien eine neue „Störung, bei der Elemente vieler psychiatrischer Krankheiten kombiniert“ sind, auftritt. Er nennt sie iDisorder,15) ein an das iPhone von Apple angelehntes Wortspiel. Die Krankheit umfasse u.a. Zwangshandlungen (ständiges Starren auf das Handy), Zustände von Angst bei Abwesenheit des Smartphones (FOMO, Fear Of Missing Out), Enthemmung in der virtuellen Kommunikation, Anwachsen von Narzissmus und manischem Verhalten durch die Selbstdarstellung in sozialen Medien, Stress, Einsamkeit, Aufmerksamkeitsstörungen, Empathieverlust und Sucht. Die Technologieabhängigkeit bringe uns „alle dazu, uns so zu verhalten, als hätten wir ADHS“.16) Das „Bündnis für humane Bildung“ (www. aufwach-s-en.de), ein Zusammenschluss von Hochschullehrern und Pädagogen, kritisiert die Digitalisierung als einen Irrweg, der zur Pathologisierung der Gesellschaft führt.
Jetzt handeln und WLAN-Freiheit fordern!
Durch WLAN erfolgt eine doppelte Schädigung: einerseits durch die Strahlung, zum zweiten macht WLAN die kostenlose Dauernutzung der Smartphones und Tablets möglich, mit vielfachen negativen Auswirkungen auf die Gehirn- und die psycho-soziale Entwicklung. „Die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist, die menschliche Psyche im Umgang mit digitalen Geräten zu retten“, schreibt IT-Professor Alexander Markowetz (Universität Bonn) in seinem Buch „Digitaler Burnout“.17)
Therapeuten und ihre Interessensverbände sollten sich deshalb der politischen Forderung nach einem Verbot von WLAN an Schulen und KiTas anschließen. Und sie sollten in ihrer therapeutischen Praxis ihre Klienten nicht nur über die Auswirkungen des allgegenwärtigen WLAN aufklären, sondern auch dazu animieren, Spiel und sinnliches Erleben wieder in den Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen zu integrieren, um ihre neuropsychologische Entwicklung zu fördern. Dazu gehören z.B. Basteln, Kneten, Geschicklichkeitsspiele, Naturerfahrungen, Sport, Zeichnen, Handschrift lernen, auch Wiederholung, Übung, Vertiefung, Konzentration, Ausdauer, Ruhe und genügend Schlaf. Welche Ansätze für den Einzelfall geeignet sind und wie sie im Alltag umgesetzt werden können, ist selbstverständlich individuell zu entscheiden.
Peter Hensinger, M.A.
Vorstandsmitglied diagnose: funk, Mitinitiator Bündnis für humane
Bildung
peter.hensinger@diagnose-funk.de
Buch-Tipp
Autorenteam diagnose:media:
Gesund aufwachsen in der digitalen
Medienwelt.
Eine Orientierungshilfe für Eltern und alle, die Kinder
und Jugendliche begleiten.
diagnose:funk
Literaturhinweise
Die im Text angeführten Quellenangaben können unter folgendem Link abgerufen werden: www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail&newsid=1164
Fotos: © Christian Schwier / fotolia.com, © SiberianPhotographer / fotolia.com
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