Gesprächsführung in der psychologischen Praxis
Serie: PSYCHOLOGISCHE BERATUNG – Teil 1
Dr. Hartmut
Gutsche, Psychotherapeut (HPG) ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verbandes Freier Psychotherapeuten und
Psychologischen Berater e.V. (VFP) und gibt in unserer Serie Ratschläge für die psychologische Praxis:
Viele Menschen suchen in unserer heutigen Zeit Hilfe bei anderen. Oftmals wendet man sich an Freunde und Bekannte und
versucht auf diese Art die eigenen Probleme zu besprechen. Ob es nun in der Ehe oder in der Arbeit kriselt, bei der
Kindererziehung, ob nun Gesundheitsrisiken auftreten u.a.m.: Beraten ist Raten und Helfen. Es wird aufgrund der
Zunahme der Vielfalt von Problemen mehr und mehr zu einer professionellen Tätigkeit. Hilfsbedürftigen Menschen Sach-
und fachgerecht zu helfen ist vor allem ethisches Anliegen psychologischer Beratung. In diesem Sinne verstehe ich auch
Beratung als „Hilfeprozeß für Menschen, um Widerstände gegen ihre eigene Entwicklung zu überwinden, um Lebensqualität
zu erreichen bzw. aufrechtzuerhalten. Somit ist Beratung auch als Befähigungsprozeß anzusehen. Die psychologisch
orientierte Beratung erfordert deshalb den Besitz bestimmter Fertigkeiten und Fähigkeiten, Sach- und Fachkompetenzen
sowie eine hohe Ausprägung persönlicher Sensibilität, aber auch andere Bedingungen, wie die Methodik der
Gesprächsführung, die zweckmäßige Ausstattung des Praxisraumes als Wirkungsmechanismen professioneller
Beratertätigkeit.
Die äußeren Bedingungen des Praxisraumes müssen der Spezifik der Beratung Rechnung tragen Der
Raum, in dem die Beratung stattfindet, trägt wesentlich zu einem positiven Resultat bei. Das Mobiliar sollte
zweckmäßig sein, so daß der Klient etwa eine Stunde lang bequem sitzen kann. Geeignet sind für diesen Zweck
gepolsterte Sessel mit Armlehnen und steiler Rückenlehne.
Die Sitzgelegenheiten sollten zweckmäßigerweise in einer
Distanz von ca. 1 bis 1,5m angeordnet sein, aber auch ein Gegenübersitzen an einem nicht so breiten (runden) Tisch
kommt in Frage. Von Belang ist eine angemessene Beleuchtung. Besonders geeignet ist natürlich Tageslicht, Blendung
durch direkt einfallende Sonnenstrahlen ist zu vermeiden. Bei künstlicher Beleuchtung sollte die Lichtquelle so
angeordnet sein, saß Blendung ausgeschlossen und Gesicht und Oberkörper der Gesprächspartner gut erkennbar sind. Die
Wanddekoration sollte neutral sein. Stark gemusterte Tapeten, Poster oder erregende Bilder sind wegen ihrer
ablenkenden oder beunruhigenden Wirkung unzweckmäßig (am besten Rauhfasertapete mit beruhigender Farbe z.B.
Ocker).
Die psychologische Beratung wird mit der Begrüßung , Händedruck und Vorstellung, in der Regel auch mit
einer „Eisbrecherfrage” ( haben Sie große Mühe gehabt meine Praxis zu finden, schön daß Sie so pünktlich sind u.a.)
begonnen. Nach dem Platz anbieten (die Tür nicht im Rücken des Klienten), wenn der Klient nicht selbst beginnt zu
reden, wird mit der Frage fortgesetzt, welche Beschwerden, Probleme, Sorgen, Nöte oder Ereignisse diese Beratung
erforderlich machen und was er von der Begegnung erwartet.
Allgemeine Fragen in diese Richtung könnten lauten:
- „Darf ich fragen, was Sie zu mir führt?”
- „Darf ich fragen, wo liegt Ihr Problem?”
- „Bitte berichten Sie über Ihre Probleme und Schwierigkeiten.”
- „Was kann ich für Sie tun?”
- „Wie kann ich Ihnen helfen?”
- „Können Sie mir bitte schildern, was Sie veranlaßt hat, zu mir zu kommen?”
In der Eröffnungsphase sollte das Gespräch zunächst so unbestimmt bleiben, damit der Klient selbst entscheiden kann,
in welcher Weise er seine Probleme vorträgt.
In den ersten 10 Minuten hört man dem Klienten aufmerksam zu und
beobachtet, wie er seine Probleme und Anliegen vorträgt, z.B. ob mit oder ohne Affekt, ob er vielleicht bei manchen
Themen hastiger oder verhaltener spricht, ob er in Tränen ausbricht, ins Stocken gerät, ob seine Emotionen in
Übereinstimmung mit dem Inhalt seiner Worte stehen oder nicht, ob es ihm Mühe macht, seine Sorgen und Probleme zu
formulieren, ob er um das Wesentliche herumredet, sehr vage bleibt oder vielleicht auch nur inhaltslos daherspricht,
wie sich seine Mimik, Gestik und Psychomotorik darstellen.
Es ist beinahe die Regel, daß die Klienten bereits in
der Einleitungsphase des Gespräches ihre Anliegen und wesentlichen Symptome verbal oder nonverbal erkennen lassen.
Fast immer erfährt der Berater auf diese Weise bereite sehr früh psychisch bedeutsame Sachverhalte, um sich für die
Art des weiteren Vorgehens, insbesondere über die Schwerpunkte der weiteren Beratung, sowie Art und Reihenfolge des
weiteren Vorgehens zu entscheiden. Das sollte man sich auch vom Klienten bestätigen lassen. Auf jeden Fall sollte das
Erstgespräch sehr ruhig, sachlich und verständnisvoll geführt werden, keinesfalls den Klienten unterbrechen und bei
Möglichkeit stets zusammenfassend darstellen. Die Fähigkeit des Beraters, den Klienten in Ruhe und mit erkennbarem
Interesse bzw. erkennbarer Teilnahme zuzuhören, ist die wichtigste Voraussetzung für einen guten Kontakt, zur
Entwicklung zwischenmenschlicher Beziehungen, zur Entstehung einer guten „Chemie” zwischen den Partnern. Lediglich
wenn der Klient gar keinen Anfang findet, kann man mit neutralen Fragen etwas nachhelfen versuchen, wie:
-
„Es fällt Ihnen wohl sehr schwer, über Ihre Probleme / Ihren Zustand zu sprechen?”
Bei Auftreten von Schwierigkeiten in der Gesprächsführung haben sich folgende Hilfen bewährt:
Wenn der Klient ins Stocken gerät, gelingt es oft durch kleine, den Klienten nicht bedrängende Zwischenfragen das Gespräch wieder in den Fluß zu bringen, z. B.:
- „Und dann?”
- „Wie ging es weiter?”
- „Was ist Ihnen noch passiert?”
- „Was haben Sie in dieser Situation empfunden?
Klienten, die ihre Probleme nur andenken oder diese zu allgemein und zu oberflächlich beschreiben, können erfahrungsgemäß oft zu einer ausführlicheren Darstellung angeregt werden:
- „Würden Sie bitte versuchen, mir das noch genauer zu schildern.”
- „Bitte erzählen Sie mehr darüber. Das alles ist sehr wichtig.”
- „Können Sie bitte mehr über das… reden.”
- „Mir ist das noch unklar, können Sie mir das an Beispielen erläutern.”
Bei zerfahrenen, unlogischen und damit unverständlich bleibenden Beschreibungen einzelner Probleme sollte man den Klienten mit folgender Bemerkung vorsichtig zu unterbrechen suchen:
-
„Ich kann Ihnen nicht so richtig folgen. Können Sie mir diesen Sachverhalt noch einmal mit anderen Worten schildern.”
Bei durchgehend unklarer, nicht verständlicher, z. B. völlig zerfahrener Darstellung sollte der Berater versuchen, den Klienten durch folgende Bemerkung zu einer bessern Beschreibung hinlenken:
-
„Ich habe bisher noch nicht ausreichend verstehen können, welche Sorgen, Schwierigkeiten oder Probleme Sie in letzter Zeit hatten und was der Anlaß für Gespräch sein könnte. Würden Sie bitte noch einmal versuchen, mir das zu erklären.”
Wie bereits beschrieben, sollte der Klient in der Einleitungsphase (Kontaktphase) des Gespräches ermutigt werden,
frei und ungezwungen über seine Probleme zu sprechen, ohne vom Berater auf Themen eingeengt oder festgelegt zu werden.
Erst in nächsten Abschnitten der Beratung sollte die gezielte Befragung nach bisher unerwähnte gebliebenen psychisch
bedeutsamen Ereignissen und Daten erfolgen. In dieser Phase nimmt das Gespräch die Form eines mehr oder weniger
strukturierten Interviews an, in dem der Berater gezielt zu noch nicht ausgesprochenen Beschwerden, Konflikten,
Problemen, Symptomen, Persönlichkeitseigenschaften usw. befragt.
Bevor man gezielte Fragen stellt, sollte man sich
aufgrund der Informationen aus dem freien Gespräch bereits ein orientierendes Bild vom Klienten, von seiner
Persönlichkeit, seiner Lebenssituation, seinen Problemen, Konflikten oder Beschwerden und über eine mögliche Richtung
der Beratung gemacht haben, die es nun in den folgenden Beratungsstunden zu bestätigen oder auch abzuändern gilt. Bei
dem Erstgespräch sollte in bezug der anamnestischen Daten und in Hinblick auf den psychischen Zustand nur Sachverhalte
erfragt werden.
Zu welchem Zeitpunkt der Berater während der Beratung bestimmte Themenkomplexe anspricht, ist
ebenso Frage seiner Erfahrung wie seines Taktgefühles. Andererseits muß davor gewarnt werden, notwendige Fragen aus
der Befürchtung, den Klienten zu nahezutreten, zu unterlassen. Am Ende des Erstgespräches (kann auch 2 Stunden Zeit in
Anspruch nehmen) sollte möglichst eine klare Vorstellung vom psychischen und körperlichen Zustand des Klienten
bestehen, um die notwendigen Inhalte für die weiteren Beratungen gemeinsam abzustimmen (Auftrag für die Beratung).
Die Führung des Gespräches sollte in dieser Phase, ohne daß beim Klienten der Eindruck einer Vernehmung aufkommt,
mit Takt- und Fingerspitzengefühl in den Händen des Beraters bleiben.
Er muß entscheiden, ob er auf eine
Frage/Problem später erneut zu sprechen kommt oder ob er gleich versucht, eindeutige und präzise Angaben zu erhalten.
Beobachtung (auch Körpersprache), gezielte Befragung und freie Berichterstattung des Klienten ergänzen und
überschneiden sich. Fragen, die der Berater dem Klienten stellt, und die gesamte Beobachtung dienen in dieser
Beratungsphase der Feststellung eines bereits im stillen formulierten Verdachtes auf ein bestimmtes Verhaltensmuster
z. B. Entwicklungs- und Bezugskrise, psychische oder soziale Probleme u.a.m. Grundsätzlich sollte der Berater alle
Informationen und Befunde nur im Zusammenhang bewerten. Zu beachten ist allerdings die verschiedene Gewichtung der
erbrachten Informationen (Rangfolge festlegen).
Der folgende Beratungsplan sollte nach didaktischen Gesichtspunkten gegliedert sein und sollte im konkreten Fall ganz den individuellen Notwendigkeiten und Gegebenheiten angepaßt werden. Schon während der Eröffnungsphase des Erstgesprächs sollte man dem Klienten mitteilen – oder schon bei der Terminvereinbarung – wieviel Zeit man ihm widmen wird, damit er Gelegenheit hat, das ihm wesentlich Erscheinende vorzutragen. Das beabsichtigte Ende des Gespräches muß dem Klienten rechtzeitig signalisiert werden. Ängstliche, unsichere und gehemmte Klienten schieben ihre Hauptprobleme oder -fragen oft bis zum Ende der Stunde hinaus, weil sie nicht wissen, wie sie darauf zu sprechen kommen sollen. Die letzte Bemerkung des Beraters sollte daher immer lauten:
-
„Wir haben leider nur noch wenige Minuten Zeit. Haben Sie etwas Wichtiges vergessen oder sollten wir noch über etwas anderes reden?”
Im nächsten Heft wird der Autor diesen Beitrag mit dem Thema: „Beratung als helfender Prozeß” fortsetzen.
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