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Psychotherapie
Lesezeit: 6 Minuten

Beratung als helfender Prozeß – Teil 3

r9903_pbSerie: PSYCHOLOGISCHE BERATUNG – Teil 3
Dr. Hartmut Gutsche, Psychotherapeut (HPG) ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verbandes Freier Psychotherapeuten und Psychologischen Berater e.V. (VFP) und gibt in unserer Serie Ratschläge für die psychologische Praxis:

Die Methodik des psychologischen Einzelgesprächs

Psychologische Beratung kann definiert als eine korrektive (etwas, was dazu dienen kann, Fehlhaltungen, Mängel o.ä. auszugleichen) Erfahrung, die einem Menschen hilft, sich sozial angemessen und angepaßter zu verhalten. Die Beratung kann sich auf einen Mangel an Wissen, einen Mangel an Können, einen Mangel an Motivation zu angemessenem Verhalten oder auf das auffällige Verhalten selbst konzentrieren. In den meisten Fällen sind einer oder mehrere dieser Faktoren an der Problematk beteiligt, und die Beratung wird dementsprechend ausgerichtet.

Die Klienten-Berater(in)-Beziehung

Eine der häufigsten Fragen, die ein Berater bei der ersten Begegnung mit einem Klienten sich stellt, ist: “Warum ist dieser Mensch hier?” Der häufigste Grund, warum Menschen Beratungen aufsuchen, ist eine große Unzufriedenheit mit der eigenen Lebensführung/Lebenssituation.Sie können ängstlich in der Wechselbeziehung (Interaktion) mit anderen sein oder meinen, daß sie Schwierigkeiten bei der erfolgreichen Bewältigung ihrer Arbeit oder Ehe haben.Aber sie können auch aus anderen Gründen in die Beratung kommen. Jemand kann indirekt zur Beratung gezwungen worden sein, z.B. wenn eine Ehefrau droht, ihren Mann zu verlassen,falls er nicht endlich Hilfe aufsucht.Eine Mutter weiß mit ihrem hyperaktiven Kind keinen Rat mehr, oder ein Anderer verfällt ständig in Schuldgefühle, ein Anderer weiß seine Zeit nicht zu ordnen und verfällt ständig in Hektik und Unruhe.
Schwierig wird die Beratung dann, wenn derjenige gar keine Hilfe will. Hier muß man mit viel Fingerspitzengefühl und menschlichem Verständnis die Bereitschaft des Klienten erringen.
Mit dem Begriff der Empathie (einfühlendes Verstehen, Verständnis) wird eine Haltung bezeichnet, bei der sich der Berater bemüht, den Klienten in seinem Erleben (seinen Glaubensgrundsätzen, Motiven, Wünschen und Ängsten) zu verstehen und ihm auch die Erfahrung des Verstandenwerdens zu vermitteln. Diesem Aspekt des zwischenmenschlichen Beziehungsangebots im Rahmen einer beratenden Beziehung wird grundlegende Bedeutung für den Erfolg der Beziehung zugeschrieben. Die Empathie ist gemeinsam mit den anderen Basisvariablen eine positive Wertschätzung mittels emotionaler Wärme und Echtheit, demzufolge wird sie auch als hinreichende Bedingung für eine konstruktive Beratung angesehen.

Bestandteile einer effektiven beratenden Beziehung:

  • Die beratende Beziehung ist durch Wärme, Echtheit und gegenseitiges Akzeptieren gekennzeichnet, negative Gefühle werden angemessen “bearbeitet”; der Berater ist dabei offen und echt (stimmt mit sich selbst überein).
  • Berater und Klient erreichen eine ausreichend große Übereinstimmung hinsichtlich der Zielstellung der Beratung und ihrer Normen und Werte als Persönlichkeiten. Dabei sind zwei Wertsysteme besonders wichtig: einmal die Vorstellung über den Zugang zum Problem und zum anderen die Auffassung über die Art derVerteilung von Verantwortung,der Führung und Kontrolle in der Berater-Klient-Beziehung.
  • Die Fähigkeit des Beraters, seine Empathie dem Klienten zu signalisieren und das Verstandene angemessen dem Klienten mitzuteilen.

Aus der Aufzählung einiger wesentlicher Bestandteile der empathischen Grundlagen läßt sich zwanglos ableiten, daß die Fähigkeit zur Empathie abhängig ist, von

  • bestimmten ethischen Grundeinstellungen des Beraters zu seiner Tätigkeit, seinem sozialen Engagement
  • seiner persönlichkeitsabhängigen Möglichkeit, sich emotional berühren zu lassen und seiner Übung, mit seinen Empfindungen umzugehen,
  • seiner persönlichkeits- und erfahrungsabhängigen Fähigkeit, die Qualität der Beziehung zum Klienten wahrzunehmen und zu beeinflussen,
  • seiner persönlichen Reifeoffen auf Menschen zugehen zu können, sich ihrer Probleme anzunehmen, ohne Mitleid zu erzeugen und in Selbstleid zu zerfließen.

Mit Hilfe der Empathie werden mehrere Informationsbereiche integriert:

Informationen über den Kommunikationspartner (Klienten)

  • die affektiv emotionelle Zuständigkeit des Klienten (er ist entspannt oder gespannt, ängstlich oder gelassen, deprimiert oder heiter usw.)
  • die situationsbezogenen aktuellen Handlungsbereitschaften (ist er lebhaft interessiert oder gleichgültig und desinteressiert am Verlauf des Kontaktes, wünscht er mehr Nähe oder Distanz, möchte er mehr dominieren oder sich mehr unterordnen, mehr aktive Kontrolle über die Situation oder die Kontrolle abgeben etc.)
  • das Selbstkonzept (hält er sich für bedeutend, wertlos, intelligent, ungebildet, schön, häßlich, aggressiv, stark, schwach, sanftmütig usw.)
  • das Situationskonzept (wie erscheint ihm die Situation. Ist sie für ihn überschaubar, problematisch, einfach, kompliziert, planbar, zu bewältigen, übermächtig usw.)

Wenn diese Informationen unter dem Aspekt der beratenden Anforderungssituation reflektiert werden, ergibt sich die Einschätzung mit der Frage: liegt hier ein situativ unabhängiges Verhalten vor? Handelt es sich um Reaktionen des Klienten auf die Situation in der Beratung? Worin besteht der Beitrag des Beraters? Das Bekenntnis zum beziehungsvollen Beitrag des Beraters schließt die Verantwortung ein, diese Situation den Möglichkeiten des Klienten gemäß zu gestalten. Damit gehört die Fähigkeit, eine empathisch erschlossene Information über das Erlebnis und Verhalten des Klienten zu bewerten und zu relativieren, zur Kompetenz des Beraters.

Auf der nächsten Stufe bildet der Berater bereits Hypothesen (Annahmen) über den Charakter der Berater-Klienten-Beziehung. Dazu benötigt er:
Informationen über sonstige Eindrücke, Gefühle und Handlungstendenzen, die durch den Klienten bei ihm ausgelöst werden

Er fragt sich:

  • Finde ich den Klienten sympathisch oder nicht,weckt er Interesse,fühle ich mich im empathischen Zugehen behindert?
  • Welches Bild von sich will der Klient in mir entstehen lassen? (Möchte er oder sie hilflos, ohnmächtig oder stark, kämpferisch oder angepaßt, verführerisch oder sexuell unattraktiv oder intellektuell brillant usw. gesehen werden?)
  • Zu welchen Handlungen fühle ich mich durch den Klienten veranlaßt? Welches Beziehungsangebot mache ich dem Klienten? (Ziehe ich mich zurück? Werde ich aktiv oder passiv? Dominiere ich oder ordne ich mich unter?)
  • Welches Verhalten meinerseits scheint durch den Klienten blockiert zu werden? (Fällt es mir situativ schwer, selbst Initiative zu übernehmen, die Initiative dem Klienten zu überlassen, direkt auf den Klienten zuzugehen, ihn zu konfrontieren, eigene Hilflosigkeit zu zeigen, Distanz zu halten usw.) Diese Fragen führen zur tieferen Reflexion des persönlichen Anteils des Beraters am Zustandekommen des Beziehungs-Verhaltens. Er mag sich fragen, ob er dem Klienten zu stark gefordert, zu wenig unterstützt usw. hat. Verfügt der Berater über genügend gesichertes Wissen über die eigene emotionalen Schwierigkeiten im Umgang mit den Problemen, die der Klient thematisiert oder durch sein Verhalten aufwirft, kann er die eigenen Gefühle,Tendenzen als Hilfsmittel zur Bildung des Konzeptes über das interaktionelle (Wechselbeziehungs-) Problem nutzen.

Zusammenfassend istfestzustellen,daß Empathie eine der wichtigsten Eigenschaften des Berater gegenüber dem Klienten darstellt, bewährt hat sich in der Praxis folgendes Vorgehen.

Der Berater

  • stärkt den/die Klienten/in durch Anerkennung
  • regt den/die Klienten/in zur (Re) Konstruktion/Reflexion des Problems an
  • fokussiert auf Ausnahmen
  • hilft dem/der Klienten/in Ressourcen zu erkennen
  • klärt und respektiert Auftrag, Erwartung und Anliegen des/der Klienten/in
  • verändert den Bezugsrahmen des Problems
  • fokussiert auf Defizite/Pathologien
  • lenkt die Aufmerksamkeit auf Zukünftiges
  • regt den/die Klienten/in an, seine/ihre Ziele zu äußern
  • bemüht sich um guten Rapport, Zustimmung/oder Erlaubnis
  • behandelt den/die Klienten/in als kompetenten Experten für sich selbst
  • unterbricht Muster der Situation oder Kommunikation
  • bietet als Experte/in eigene Erklärungen, Deutungen, Lösungen an
  • hilft dem/der Klienten/in seine/ihre Ziele zu spezifizieren
  • fragt nach Unterschieden, die für den/die Klienten/in einen Unterschied machen
  • greift auf oder arbeitet mit Sprache und Metaphern des/der Klienten/in
  • erweitert den Möglichkeitsraum des/der Klienten/in durch Induktion alternativer Bewußtseinszustände
  • regt den/die Klienten/in zum unmittelbaren Erleben des Probleme
  • hilft dem/der Klienten/in etwas ander(e)s zu machen
  • hilft dem/der Klienten/in seine/ihre Ziele im Rahmen eigener Kompetenzen zu operationalisieren
  • lenkt die Aufmerksamkeit auf die Entstehungsgeschichte bzw. Ursachen des Problems
  • regt den/die Klienten/in zum unmittelbaren Erleben des erwünschten Zieles an
  • exploriert die Lebenssituation des/der Klienten/in

Diese Reihe wird in Heft 4 fortgesetzt mit dem Beitrag “Menschen richtig verstehen, um besser beraten zu können”.

 

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