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Psychotherapie
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Logotherapie

In dem folgendem Beitrag, der aus redaktionellen Gründen gekürzt veröffentlicht wird, ist der Versuch zu sehen, die Logotherapie und Existenzanalyse nach Frankl darzustellen. Pater Vinzenz Ganter beschäftigt sich in seinem Beitrag vor allem mit dem Kern der Logotherapie, der geistigen Dimension (geistig-noelisch) die den Menschen erst zum empfindenden Geschöpf macht. Zum therapeutischen Prozeß kann der Mensch den Sinn des Lebens und des Leidens finden, aber er kann den Sinn nicht mit aller Kraft willentlich erzeugen oder erfinden. Zu der Praxis wird die Logotherapie vor allem in der Behandlung von seelischen Störungen empfohlen. Sie bietet sich speziell zur Intervention in Sinn- und Existenzkrisen an.

Logotherapie ist eine psychotherapeutische Behandlungsmethode. Sie ist nicht zu verwechseln mit Logopädie. Sie wird auch sinnzentrierte Psychotherapie genannt. Sie geht zurück auf Viktor E. Frankl (26.3.1905, Wien bis 2.9.1997).
Logotherapie behandelt den Menschen als Einheit in 3 Dimensionen: soma-psychenous (Leib-Seele-Geist). Das logotherapeutische Behandlungskonzept ist entstanden aus der Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse (Freud), mit der Individualpsychologie (Adler) und zum Teil mit der Analytischen Psychologie (C.G.Jung). Frankl gilt als der Begründer der”Dritten Wiener Schule der Psychotherapie” (1948, W. Souzek). Aber nicht in Wien wurde er mit seinem psychotherapeutischen Konzept anerkennend wahrgenommen und positiv bewertet (im Gegenteil). Seine Bewertung hat sich in Österreich erst in den letzten Jahren geändert.
Die Tiefenpsychologie wollte zunächst nichts anderes neben sich haben… Logotherapie wurde als Oberflächenpsychologie gewertet … so als ob sie Probleme in ihrer Ursächlichkeit verneint, und dafür Sinn einredet. Kausale Zusammenhänge sieht auch die Logotherapie. Sie wendet sich aber gegen einen Kausalismus…

Der Mensch als fakultatives Wesen

Merkmale des Geistigen und Personenhaften sind für ihn die Offenheit für die Welt, die Triebungebundenheit, die Fähigkeit zur Stellungnahme zu sich selbst (also Selbstdisziplin) und die Fähigkeit zur Sinnerschliessung. Nach Frankl erhält es den Menschen gesund, wenn er diese Fähigkeiten realisiert. (Der Therapeut ist Helfer zur Sinnfindung, nicht zum Indoktrinieren von Sinn).
Mit Scheler wird Frankl die phenomenlogische Wesensschau zu einer Wertschau: der Mensch kann als Person die Werte gleichsam erfüllen. Sie ziehen ihn an. Er kann ihnen entsprechen. Wertvolles Leben braucht also nicht diktiert zu werden. Durch ein intentionales Fühlen wird das Reich der Werte, die unabhängig vom Menschen sind, zugänglich. Mit Scheler sagt Frankl: was wertvoll und sittlich gut und gefordert ist, kann niemals im Menschen selbst liegen. Um wertvoll zu sein, muß der Mensch aus sich herauswachsen. Er muß psychophysische Bedürfnisse überleben, was zu einer Spannung seiner geistigen und seiner triebhaft vitalen Dimension führt: zwischen Sein und Sollen. Frankl sagt: Der Mensch ist kein faktisches, sondern ein fakultatives Wesen …
Hier ist anzumerken, daß der Mensch auch lebensgeschichtlich (also vom Faktum seiner Biographie her) nicht ganz erklärbar und nicht total therapierbar ist. Insofern wendet sich Frankl gegen den Freud’schen Gedanken, daß die seelischen Krankheiten grundsätzlich in der Kindheit begründet sind. Positiv ausgedrückt: Frankl sagt: Der Mensch ist nicht auf seine Kindheit verdammt. Sie ist kein Schicksal, das ihn irreversibel prägt.
In diesem Sinn ist es nach dem logotherapeutischen Konzept einem ausgewachsenem Menschen möglich, sich dem gegenüberzustellen, also den Ängsten, die etwa aus der Kindheit mitgeschleift werden. Um solchen psychogenen Ängsten zu begegnen, bedarf es dann nicht in jedem Fall ausgiebiger Psychoanalysen, sondern allein der Einsicht, daß Ängste, die ihren Boden in der Kindheit verloren haben, kein Grund mehr sind, so daß der Patient sich dieser Angst gegenüber (in Freiheit) distanzieren (und ihr ins Gesicht lachen) kann.
Logotherapie läßt den Patienten bewußt werden, wer er als Person ist, und was er als Erwachsener kann, wenn er nicht somatisch geschädigt ist. Differentialdiagnostisch ist freilich zu bedenken, daß Angst, die beim Kind (und Erwachsenen) aus einer körperlichen Krankheit hervorgeht, nicht durch diese Selbstdistanzierung behoben werden kann, sondern durch Körperbehandlung. So gibt es endokrinologisch bedingte Psychoneurosen (also Ängste, Zwänge und Mißempfindungen),die durch Medikamente behandelt werden müssen. Ebenso gibt es die sogenannten endogenen Psychosen, die der Psychotherapie begleitend bedürfen.

Getriebenheit hinterfragen

Logotherapeutisch gesehen ist es höchst krisenträchtig, wenn sich der Mensch von Gefühlen (der Angst oder des Zwanges) treiben läßt. Das zeigt sich bei Sexualneurosen, die sich auch darin zeigen, daß forciert etwas erreicht werden soll, weil die Angst da ist, daß es bei der Artikulierung der Sexualität (hic et nunc) nicht klappt. Viele solcher Leiden entstehen unter dem Druck des Gelingens und der Angst, als Schwächling angesehen zu werden, wenn der Geschlechtsverkehr nicht entsprechend gelingt. Daß das Mißlingen ein guter Nährboden für weiteres Mißlingen ist, also einen circulus vitiosus darstellt, braucht nicht besonders bewiesen zu werden. Er ist zu durchbrechen. So wie es die Angst vor dem Sexualakt gibt, so gibt es in vielfacher Weise die Angst vor dem Versagen (vor dem Lehrer, vor den Autoritäten, vor der Blamage …).

Wie aber ist aus diesem Teufelskreis durch den Erwartungsdruck herauszukommen? Doch nurdadurch, daß die Erwartungsangst geringer wird; daß also die Angst vor der Angst abgebaut wird. Frankl verweist hier zunächst auf die “Paradoxe Intention”. Das heißt, der Patient soll sich (unter Aktivierung des Humors) das wünschen, wovor er Angst hat. Wenn körperlich, und auch im Umfeld, nämlich alles in Ordnung ist, gibt es überhaupt keinen Grund für die Angst – das heißt, die Angst ist grundlos: Es gibt keinen Grund für das, wovor sie Angst macht. Insofern gilt es, sie zu durchschauen und sich das zu wünschen, was sie einredet.

  • Im Falle der Sexualstörung heißt das: ich mache mir einen Spaß daraus, daß ich als Schwächling erkannt werde.
  • Im Falle vor Infektionsangst: hoffentlich habe ich bald alle Bazillen an mir.
  • Im Falle der Angst, Menschen mit dem Auto überfahren zu haben: ich habe gerade schon 5 überfahren, gleich werden es wieder welche sein.
  • Bei Erröten, Umfallen, Blamieren… ich freue mich schon, Weltmeister im Rotwerden, Umfallen und Blamiertsein zu werden

Anders ausgedrückt: Das was man forciert erreichen will, wird dereflektiert:

  • ich will gar nicht stark sein
  • ich will gar nicht perfekt sein
  • ich will gar nicht als guter Clown dastehen…
  • ich will vielmehr zeigen, was man noch nie gesehen hat.

Selbstbeobachtung als Falle

Im Blick auf das Gelingen des Geschlechtsverkehrs gilt in der logotherapeutischen Therapie der Gedanke, daß “die Lust” ein Effekt … (ist), der sich nicht… (machen) läßt, (Frankl,Th. u.Th.5.115 f) und grundsätzlich gilt: Die Jagd nach Glück verscheucht sie, und der Kampf um die Lust vertreibt sie. Bei dieser Jagd steht sich der Patient selbst im Weg: “er erzeugt ein Übermaß an Aufmerksamkeit, als auch an Absicht. Der Patient beobachtet sich selbst, er beobachtet (in sexualibus) nicht die Partnerin, er schenkt ihr nicht sich selbst”.
Da auch psychogene Schlafstörungen ihre Ursache in einer forcierten Selbstbeobachtung haben, gilt die Dereflexion auch auf diesem Gebiet. Der forcierten Selbstbeobachtung kann aber auch ein Verbot entgegengestellt werden: der Patient braucht sich dann an seinen sich selbst auferlegten Druck nicht mehr zu halten:
– Koitusverbot
– Schlafverbot
– Leistungsverbot
Frankl schöpfte auch Erkenntnisse aus der kritischen Auseinandersetzung mit der Ontologie des Philosophen Nicolaus Hartmann (1882-1950). Mit Hartmann sieht Frankl den Menschen vielschichtig. Das Bewußtsein (oder das Ethos) des Menschen kann also nicht aus mechanischen Kräften und Kausalzusammenhängen erklärt werden. Das heißt: Kategorien einer niederen Seinsschicht können nicht auf eine höher geartete übertragen werden. Frankl spricht in Anlehnung an Hartmannn von den zwei Gesetzen der Dimensionalontologie, die zu bedenken sind: vgl. ÄS (1987, S.46 ff).

Menschliche Existenz

Es gibt”natürliche Grenzen zwischen den Stufen des Realen” (Hartmann, Aufbau der realen Welt, S. 190). Menschliches Sein besitzt zwar die gleichen Grundmerkmale wie die gesamte lebendige Wirklichkeit, ist aber durch den Geist, der mit der Seele verbunden ist, ein eigenständiger menschlicher Bereich: sein Schicksal ist nicht mit dem der Seele verbunden. Es kann sich über das Seelische erheben (wie ein stehendes Flugzeug).

Eine besondere Rolle spielt für das Menschenbild Frankls die Existenzphilosophie des Arztes, Psychiaters und Philosophen Karl Jaspers (1883-1969). Jaspers vertrat eine Existenzphilosophie, die sich an Kirkegaard ausrichtet. Es ging ihm um den Menschen als Existenz, insofern er sich nämlich durch seine Freiheit zu seinem Selbstsein erhebt und in ihm verwirklicht (vergl. B. Lotz, Existenz und Eksistenz,S.67)

Die Thesen, die Frankl ansprechen, sind:

  • Leben kann nur durch Selbstverwirklichung gelingen
  • mit dem “Bewußtsein – überhaupt” beginnt das ausgesprochen Menschliche, welches sich wesentlich vom dumpfen tierischen Bewußtsein unterscheidet.
  • zum Innersten des Menschen oder zu seiner Existenz gelangt der Mensch durch die Verwirklichung der Freiheit, mit der er sich übernimmt und es mit sich aufnimmt, an die Hand nimmt. Alles andere führt zur Selbstentfremdung.
  • Auf dem Weg zum Sein-selbst kommt der Mensch an Grenzen, denen er nicht ausweichen darf. Sie gehören zu seinem Leben und geben ihm die Möglichkeit zum Überweltlichen, Transzendenten zu kommen.
  • Grenzsituationen, (wie Schuld, Leid, Tod, Kampf) sind (also) Möglichkeiten, um als Mensch zu wachsen. Sie zu verdrängen bedeutet Lebensbeeinträchtigung, Ausharren in Passivität.

Beeinflußt von diesen philosophisch begründeten Gedanken, die Frankl, der schon als dreizehnjähriger Gymnasiast nach dem Sinn des Lebens fragte, weiterführten, baute Frankl sein Menschenbild auf, das ihm zur Grundlage seines ärztlich-psychiatrisch-psychotherapeutischen Handelns wurde.

Sich wertvoll machen

Frankls Grundthese lautet: Der Mensch ist als Person begabt mit Freiheit und Verantwortung. Sein Menschsein kann nur gelingen, wenn er seine Freiheit benutzt und verantwortlich denkt und handelt. Er erfüllt dadurch Sinn, daß er sich wertvoll macht, indem er sich persönlich in den Dienst der Werteverwirklichung stellt, wo und wie auch immer das möglich und zu realisieren ist. Diese Möglichkeiten herauszufinden, ist seine Verantwortung.
Diese seine Werteverwirklichung ist dem Menschen immer möglich – bis zum Tod. Das bedeutet, daß sein Leben niemals sinnlos wird, was sich auf die Psyche und also psychotherapeutisch heilend auswirkt. Die Frage: Was soll mein Leben? kann in dieser Weise immer positiv beantwortet werden: das Leben wird niemals unsinnig. Unter diesem Aspekt kann es auch niemals weggeworfen werden, da dadurch Sinnmöglichkeiten in der Zukunft unterbunden würden. Suizid ist in dieser Sicht verantwortungsloses Verhalten (DD Geisteskrankheiten), da der Mensch mögliche Sinnverwirklichungen ausfallen läßt.
Frankl geht es nicht darum, zu erklären, was der absolute Sinn des Lebens ist. Er versteht sich nicht als Prediger “für eine für alle verbindliche Lebensaufgabe” (ÄS, 5.954). Er versteht sich vielmehr als Helfer und Therapeut, damit der einzelne Mensch am Sinn seines Lebens nicht vorbeigeht: daß er vielmehr als Substantia individua, indivisum in se et divisum a quodlibet alio, sein Sein in der jeweiligen konkreten Situation lebt- als entscheidendes Sein für etwas oder für jemanden, als unersetzbares Wesen.

Das Gewissen als Orientierung

Welches sind die Richtlinien für die Entscheidungen? Frankl spricht vom “Gewissen” als so etwas wie einem Instinkt, der den Menschen orientiert und auf das Sinnvolle hinlenkt. Das Gewissen als “Sinnorgan”, als Leitstern, als Leuchtturm im Meer… “Das Gewissen hat seine Stimme und spricht zu uns – ein unliebsamer phänomenaler Tatbestand” (Frankl ÄS;5.96).
Krankhaft ist eine Hyperakkusis des Gewissens, was zu Übertreibung und zum Perfektionismus führt. Durch das Gewissen ist der Mensch in der Lage, das abzuhören, was hic et nunc gesollt ist. Das übertriebene Abhören führt in Schuldkomplexe und Minderwertigkeitsgefühle. Sie müssen hinterfragt werden.
Insofern führt das Gewissen den Menschen in ein sinnvolles Leben; insofern als es ihm ein Leben ermöglicht, das seiner geistig noetischen Dimension gerecht wird. Das Gewissen vermittelt dies als “Stimme der Transzendenz”, die ihn vom Tier, mit dem er den psychophysischen Unterbau seiner Existenz teilt, unterscheidet.

Aus diesen Gedanken wird deutlich, daß Frank) den Freud’schen Gedanken nicht nachvollziehen kann, daß der Mensch ein lustsuchendes Wesen ist, das nichts anderes möchte, als Unlust zu vermeiden (Gefahr der existenziellen Frustration, die in eine noogene Neurose übergehen kann. Er kann auch die These Freuds nicht nachvollziehen, nach der alles Verhalten des Menschen psychologisch erklärbar oder tiefenpsychologisch analysierbar ist. Denn das geistig Begründete entzieht sich der psychologischen Analyse.
Es sind nämlich nicht allein die unerfüllten Wünsche oder Ängstlichkeiten um das eigene Leben und auch nicht die Infantilismen und frühkindlichen Prägungen, die den Menschen motivieren (Es gibt freilich solche bedingten Momente, die den Menschen eingrenzen). Die menschlichen Akte allein psychologisch zu erklären, sieht Frankl insofern als Reduktionismus, der den Menschen als nichts anderes, denn als reines abreagierendes Wesen sieht, dessen Aufgabe es ist, mit seinen Getriebenheiten einigermaßen zurecht zu kommen.
Nicht die Selbsttranszendenz, das sich Überschreiten auf das Höhere, Wesentliche, Gesollte, Göttliche ist dann das Ziel, sondern das Homöostaseprinzip, nach dem der Mensch darauf aus ist, Spannungen um jeden Preis zu umgehen. (ÄS, S.97) In diesem Sinn ist zum Beispiel auch der Coelibat, wenn er als Sublimation der Sexualität, eben nur als praktizierte sublimierte Sexualität, betrachtet wird, nichts anderes als eine verfeindete Möglichkeit, (durch ein Hintertürchen) zur sexuellen Befriedigung zu kommen und seine Sexualität auszuleben, obwohl die Enthaltsamkeit insofern gelobt ist, als sie Ausfluß einer religiösen Haltung ist, in der ich einen Wert lebe.

Selbstverwirklichung als Problem

In der psychotherapeutischen Sprechstunde erleben wir viele Patienten, die Selbstverwirklichung in nichts anderem als in reiner Triebbefriedigung sehen und so das, was über sie selbst hinausgeht und sie die Höhen des Lebens schmecken läßt, psychologistisch oder egozentrisch abwehren. Viele sind lustbesessen, das heißt, zuständlich orientiert. Ihr oberstes Ziel ist ein angenehmer Zustand (auch, um Agression und Ärger auszuleben, herbeigeführt). Ihr Ziel ist, alle Bedürfnisse ungehindert auszuleben. Dafür leben sie. Nichts anderes als angenehme Gefühle intendieren sie und erstreben einen lustvollen Zustand oder auch ihr subjektives eigenes Glück. Die Logotherapie läßt sie entdecken, daß sie vergessen zu bedenken, daß sich das Glück ergibt, wenn man Voraussetzungen dafür schafft, so daß es sich ereignen kann. Nötig ist, dafür aktiv zu werden… dafür Dispositionen schaffen.

Frankl macht darauf aufmerksam, daß es therapeutisch hoch bedeutsam ist, den Patienten durch Dereflexion wegzubringen von einer solchen Selbstverliebtheit, die sich darin zeigt, daß der Patient keine Frustrationen ertragen möchte, was bis dahin führt, daß er das angenehme Gefühl zum Maßstab dafür macht, daß er etwas tut oder unterläßt (Hyperintention der Lust), und sich in seinem Handlungsspielraum eingrenzt.
In der Konsequenz fallen nämlich alle solchen Akte aus, die wertbezogen sind: die intentionalen Akte, wie sich Frankl ausdrückt, für die man Gründe finden kann. Frank) macht darauf aufmerksam, daß es den Menschen seelisch krank macht und in die existentielle Frustration bis hin zur noogenen Neurose führen kann, wenn er sich nicht überwindet und den Drang nach angenehmen Gefühlen überlebt. Das Sinnvolle ist auch mit unangenehmen Gefühlen möglich. Das ist die logotherapeutische Maxime. Wer sich als Mensch in seiner geistigen Verfaßtheit ernst nimmt, findet z.B. keinen Grund, etwa Liebe zu lassen, nur weil sie auch anstrengend ist.

Gerade auch die Sucht in ihren verschiedenen Schattierungen hat darin ihre Ursache, daß man nicht frei und verantwortlich lebt, sondern gefangen ist von den psychophysischen Bedürfnissen nach einem angenehmen Zustand:

  • vom Bedürfnis nach sexueller Befriedigung
  • vom Bedürfnis nach Essen und Trinken
  • vom Bedürfnis nach Fasten, um bestimmte psychologisch bedingte High-Gefühle zu erleben.
  • überhaupt vom Bedürfnis, sich selbst mehr zu erleben, (durch Drogen verschiedenster Art) = Selbstverwirklichung im negativen Sinn (ich will mich erleben – Egoismusfalle) zum Psychophysikum an ihm (Frankl, “Der Wille zum Sinn” S.116).

Es gehört zum psychotherapeutischen Behandlungsrepertoire der Logotherapie, zu wissen, daß der Mensch – aus seiner noetischen Dimension heraus – erst dann voll sein Menschsein realisiert, wenn er sich nicht treiben läßt von Gefühlen und Stimmungen und auch nicht von physiologischen Vorgängen, die mit innersekretorischen Momenten etwas zu tun haben. Daß ein Mensch z. B. Lust hat auf Sexualität, hat ja mit den Drüsen etwas zu tun. Es gibt hormonale Bedingungen. Der Mensch kann aber entscheiden, wie er mit ihnen umgeht.

Wertvoll, auch sinnvoll wird das menschliche Leben erst, wenn der Mensch die Spannung zwischen Sein und Sinn (oder Sein und Sollen) zugunsten des Gesollten entscheidet, damit es nicht ausfällt. Und es ist bekannt, daß Menschen, die sich nicht für das Wertvolle entscheiden, in der Gefahr sind, sich wertlos zu erleben, so als ob sie für nichts gut sind. Wo der Mensch im Sinne des psychophysischen Parallelismus agiert, entsteht in ihm eine Leere, die oftmals erst an psychosomatischen Symptomen sichtbar wird. Er spürt dann übrigens auch relativ leicht jede körperliche Störung und nimmt sie zu wichtig.
Im Sinn des noopsychischen Antagonismus reagiert der frustrierte Mensch nicht, sondern nimmt sich (durch die Fähigkeit der Selbstdistanz) in seiner Situation wahr, wertet die verschiedenen Möglichkeiten seines Verhaltens, wählt das aus, was hic et nunc der Sinn des Augenblicks ist und verhält sich entsprechend. Insofern ist Logotherapie auch Existenzanalyse: Analyse auf Freiheit und Verantwortung hin (Entdecken: ich bin nicht der Spielball meiner biologischen Grundlagen und faktischen Wesen sondern ein fakultatives Wesen). Er wird also in einer spannungsgeladenen Situation nicht automatisch essen und trinken oder sich sexuell abreagieren, sondern alles lassen, was ihn im Moment oder auf Zukunft hin für das Ganze oder für eine Beziehung unfruchtbar, zerstörerisch oder nichtsnutzig macht. Er wird sich um des Sinnes willen auch nicht leiten lassen von eigensüchtigem Interessen, die sich im Lebensprinzip “erst Ich – dann Du” festmachen lassen. Er wird sich nicht abhalten lassen vom Guten, auch wenn ihm das Schweiß kostet (offen für Religiosität). Er wird geben, auch wenn er dadurch in Unlustsituationen hineinkommt.

Die Spannung auszuhalten zwischen Sein und Seinsollen gehört logotherapeutisch zum Menschsein mit dazu. Bedenke: Es ist nicht sinnvoll, diese Spannung medikamentös zu neutralisieren, um scheinbar beruhigter zu leben. Denn wenn die Spannung bewußt wird, kann sie logotherapeutisch gedeutet werden. Sie zu erleben, ist darum unabdingbare Bedingung seelischen Gesundseins.

Ganzheitlich sehen als Therapeutikum

Logotherapie behandelt den gestörten und kranken Menschen daher dadurch, daß sie den Menschen in seiner Ganzheit als Person sieht, dem als Person vom Schöpfer eine individuelle Eigenheit und Schönheit mitgegeben ist, damit sie im konkreten Leben ihren Ausdruck findet und das Leben bereichert. Zu diesem Eigenem gehört das sich Freuen-Können an dem, was schön ist, sowie das Leiden-Können, an dem, was andere leiden läßt. Es gehört dazu das Lieben-Können als Individuum.
Und so wie der oder die Liebende im geliebten Menschen das Liebenswerte heraussieht, so versucht der Logotherapeut den Menschen im therapeutischen Setting so zu sehen, wie er in seiner Liebenswürdigkeit tatsächlich aussieht. Dadurch lernt sich der Patient langsam und mit Widerständen wieder so zu sehen, wie er wirklich ist, so daß er das wieder neu zur Wirkung bringen kann, was in ihm wertvoll ist.
In der Therapie, in der sich der Patient offenlegt, schaut der Behandler aus dem Patienten das heraus, was in ihm an selbsttranszendenten Möglichkeiten steckt. In der Folge wächst im Patienten auch die Entscheidung, sich anzunehmen und zu seinen wertvollen Dispositionen zu stehen und sie auszuleben (also in die Realität einzubringen). Im Therapeuten erlebt er einen Menschen, der ihn befreit zu dem Menschen, der er wirklich ist.
Dadurch wächst auch sein Vertrauen ins Leben und die Bereitschaft, Frustrationen, Schmerz und Unlust auszuhalten, um des Größeren willen.

Daß Logotherapie insofern eine therapeutische Konzeption ist, die die Übergabe für den Übersinn (Gott) als Epiphänomen disponiert, macht sie gerade auch für religiöse Menschen interessant.

r9803_lt1 Pater Vinzenz B. Ganter arbeitet in eigener Heilpraxis in Neustadt/Wstr.
Ausgebildet in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und in
Logotherapie (nach V. E. Frankl) behandelt er vorwiegend Patienten
mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen.

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