STALKING
Psychoterror bis die Seele bricht
Immer mehr Klienten suchen therapeutische Hilfe, weil sie Opfer eines Stalkers geworden sind. Mittlerweile wird die Dunkelziffer der Stalking-Betroffenen bundesweit auf 600 000 bis 800 000 Menschen geschätzt, d.h. etwa jeder zehnte Bürger wird ein Mal in seinem Leben Opfer eines Stalkers. Jedes vierte Stalking-Opfer denkt über Selbstmord nach. 80% der Betroffenen sind Frauen, 20% Männer.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff Stalking?
Viele Menschen haben den Begriff Stalking schon einmal gehört, meist im Zusammenhang mit Prominenten, die von einem Fan verfolgt werden. Aber kaum jemand weiß, dass sich das „wirkliche“ Stalking überwiegend im privaten Bereich abspielt und welche dramatischen Folgen es für die Betroffenen hat. Ursprünglich stammt der Begriff Stalking (engl.: to stalk) aus der Jägersprache und bedeutet „hetzen, jagen und verfolgen“. Seit März 2007 gilt Stalking als Straftatbestand (§238 StGB) und wird definiert als „das willentliche, wiederholte und beharrliche Verfolgen oder Belästigen einer Person, deren physische und psychische Unversehrtheit dadurch unmittelbar, mittelbar oder langfristig bedroht oder geschädigt werden kann“.
Typische Formen dieser Belästigung sind unerwünschte Telefonanrufe, Nachrichten per SMS, E-Mail oder auf dem Anrufbeantworter, „Liebesbeweise“ wie Blumen und Geschenke, hinterlassene Nachrichten am Auto oder an der Haustür, ständiger Aufenthalt in der Nähe oder das Auflauern vor der Wohnung, am Arbeitsplatz oder dem Supermarkt, Sachbeschädigung (Zerstechen der Autoreifen, etc.), Kontaktaufnahme über Bekannte oder Freunde, Drohungen und das Ausspionieren persönlicher Daten. In dramatischen Fällen reicht die Bandbreite bis hin zu körperlichen Gewalt oder Tötung.
Die verschiedenen Typologien der Stalker
Bei den Stalkern handelt es sich größtenteils um Ex-PartnerInnen, die das Ende der gemeinsamen Beziehung nicht akzeptieren können oder wollen. In der Regel geht es ihnen darum, den Partner zurückzugewinnen. Sie zählen zu den zurückgewiesenen Stalkern, die aufgrund eines Gefühls der Demütigung handeln.
Die beziehungssuchenden Stalker leben in der festen Überzeugung, ihre Liebe beruhe auf Gegenseitigkeit. Gesten und Signale des Gegenübers werden fehlgedeutet und bieten immer wieder Anlass, mit dem Objekt der Begierde Kontakt aufzunehmen, auf welchem Weg auch immer (Erotomanie).
Stalking trifft aber auch Ärzte, Rechtsanwälte oder Therapeuten, wenn der Stalker sich aufgrund seiner gestörten Persönlichkeit als das wahre Opfer sieht. Die Hilfe, die angeboten wird, nutzen sie zur fortgesetzten Rache und Befriedigung (rachsüchtige Stalker). In diesen Fällen werden auch oft Internet-Plattformen genutzt, um den Arzt, Rechtsanwalt oder Therapeuten öffentlich zu diskreditieren.
Stalking aus Sicht der Betroffenen
Von Stalking Betroffene sind in einer kranken Welt gefangen und leben in einem unvorstellbaren Kreislauf der Angst. Es ist ein Machtspiel: Je mehr Angst das Opfer hat, desto größer die Befriedigung, der Gewinn des Täters. Meist schweigen die Opfer viel zu lange, weil sie sich schämen und glauben, sie seien selbst schuld an ihrer Situation. Zumeist suchen sie erst dann Hilfe, wenn die Situation für sie ausweglos erscheint und sie vielleicht sogar schon Gedanken hegen, sich selbst zu töten. Für viele Menschen ist eine solche Situation schwer nachvollziehbar und dementsprechend stoßen die Betroffenen auch oftmals auf Unverständnis und Ablehnung, sogar im Kreise der Familie und engsten Freunde. Für Gestalkte ist es unglaublich schwierig zu handeln, weil sie niemals wissen, was als nächstes von der Täterseite kommt, weshalb auch der Schritt einer Anzeige lange gescheut wird.
Folgen für die Opfer
Stalkingopfer erreichen sehr schnell den Punkt, an dem sie weder logisch noch rational handeln können, wenn der Druck des Stalkers zu groß wird. In der Regel wird ihr Leben rund um die Uhr kontrolliert und es gibt keine Privatsphäre mehr, keinen Schutzraum, in den sie sich zurückziehen können. Jedes Klingeln an der Tür, jedes Telefonläuten, jedes Abrufen der E-Mails und jedes Verlassen des Hauses wird zum Albtraum. Die Betroffenen ziehen sich komplett zurück und leben in einer absoluten sozialen Isolation. Denn Stalker betreiben gerne das „zufällige“ Treffen und tauchen dort auf, wo sich das Opfer gerne aufhält. Damit zeigen sie ihre Präsenz und schüchtern die Person immer weiter ein. Für die Opfer sind die Folgen fatal: Sie leiden unter Angststörungen, Panikattacken, Kopfschmerzen, Depressionen, Hypervigilanz, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und in Einzelfällen unter der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS F 43.1) als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.
Die Rolle des Therapeuten
Leider gibt es kein therapeutisches „Patentrezept“, denn die Betroffenen stellen für jeden Therapeuten oder Coach eine große Herausforderung dar. Im Vordergrund findet sich zumeist eine ausgeprägte Angstsymptomatik. Sie erleben sich hilflos in ihrer Situation, haben ein Gefühl des Kontrollverlustes und Angst, verrückt zu werden. Ist der Täter noch aktiv, sollte das höchste Ziel sein, sein Tun zu beenden. Dies ist unerlässlich! Das Opfer sollte unbedingt bestärkt werden, hierfür notwendige Schritte einzuleiten. Als Therapeut oder Coach sollte man sich nicht scheuen, das Opfer an weitere Kontakte wie Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen oder die Polizei zu vermitteln.
Anti-Stalking-Regeln
Es gibt Anti-Stalking- Regeln, die man auch als Therapeut/ Coach kennen sollte und an die sich das Opfer unbedingt halten muss:
- Dem Stalker unmissverständlich klar machen, dass keinerlei weiterer Kontakt gewünscht wird.
- Niemals auf ein letztes klärendes Gespräch einlassen oder ein gemeinsames Treffen. Jede Reaktion seitens des Opfers bietet dem Stalker neue Nahrung. Konsequentes Handeln ist hier unerlässlich.
- Das Umfeld sollte unbedingt informiert werden, Familie, Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen.
- Jede Stalkinghandlung sollte unbedingt dokumentiert werden (Stalking-Tagebuch). Dieses kann vor Gericht ein wertvolles Beweismittel sein.
- Sollte der Stalker das Opfer mit dem Auto verfolgen, die nächste Polizeidienststelle anfahren.
- Unbedingt Anzeige bei der Polizei erstatten.
Ingrid Pfeifer
Leiterin einer Stalking-Beratungsstelle und Buchautorin
info@gemeinsam-gegen-stalking.de
Literaturnachweis
- Mullen, P. E., Pathé, M. & Purcell: „Stalkers and their victims“, Cambridge University Press, Cambridge
- E. Schulte-Markwort, H. Dilling, W. Mombour, H. Schmitt: „Internationale Klassifikation psychischer Störungen, ICD 10, Kapitel V (F)
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