Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis: Angst vor dem Zahnarzt
Patientin
Frau W., 39 Jahre
Anamnese
Die Patientin leidet an einer phobischen Zahnarztangst seit ihrem 17. Lebensjahr. Als Ursache für diese Ängste gibt sie Folgendes an: Wegen eines kieferorthopädischen Eingriffes (Entfernen eines Weisheitszahnes) musste sie im Alter von 17 Jahren zur Behandlung in eine Uniklinik, bei der Sie einen Panikanfall bekam. Sie wurde daraufhin von zwei Ärzten und der Arzthelferin festgehalten und angebrüllt, dass sie sich nicht so dämlich anstellen solle, denn der Eingriff wäre schmerzlos und in wenigen Minuten vorbei. Während der ganzen Behandlung wurde sie mit Gewalt im Behandlungsstuhl festgehalten und der Mund mit einer Klammer am Schließen gehindert.
Frau W. wühlt dieses Erlebnis beim Erzählen emotional so auf, dass dabei ihre Hände zittern, sie bekommt Schweißausbrüche, die Atmung wird schnell und oberflächlich und ich befürchte, dass sie hyperventiliert.
Weiter schildert sie, dass sie im Alter von etwa 10 Jahren von ihrem damaligen Zahnarzt geohrfeigt wurde, weil sie sich „bockig“ anstellte und sie danach nur noch einen Zahnarzt aufsuchte, wenn Schmerzen auftraten und es nicht mehr anders ging.
Therapeuten Auftrag
Der Auftrag ist klar, ich solle sie nur heute Nachmittag und zu zwei weiteren Terminen zum Zahnarzt begleiten und sie dort für die Dauer der Behandlungen hypnotisieren.
1. Sitzung in der Zahnarztpraxis
Ich treffe Frau W. kurz vor 15 Uhr in der Zahnarztpraxis. Ich gebe ihr folgende Anweisung:
„Atmen Sie ganz ruhig ein und aus und versuchen Sie sich dabei auf Ihren Atem zu konzentrieren. Sie sind hier vollkommen sicher, niemand kann Ihnen irgendetwas tun, es wird nur das geschehen, was Sie zulassen. Ich werde Sie jetzt in eine tiefe Trance führen und Sie werden sich dabei ganz entspannt, sicher und geborgen fühlen.“
Dabei nehme ich meine mitgebrachte Taschenlampe, bewege den Lichtstrahl kreisbogenförmig vom Scheitel bis zum Kinn und spreche dabei folgende Sätze: „Während Sie sich ganz auf das Licht konzentrieren, spüren Sie, wie Ihre Arme müder werden, immer müder und müder, ganz müde, dabei verspüren Sie das Bedürfnis, die Augen zu schließen, auch die Augen werden müder und müder, sodass sie sich ganz automatisch schließen und Sie können diese dann nicht mehr öffnen, was Sie aber auch gar nicht müssen.“
Während dieser Worte gehen die Augen ruckartig, innerhalb von etwa zwei Sekunden zu – ein Zeichen der Hypnosewirkung. Dabei bewege ich die Lampe mehrmals stechend auf die Augen zu und sage: „Das wechselnde Licht der Lampe führt Sie jetzt in einen tiefen Trancezustand, immer schneller, immer tiefer, ich zähle jetzt bis 10, dabei werden Sie mit jeder Zahl immer tiefer in eine entspannte Trance sinken und Ihr ganzer Körper wird dabei eine tiefe, angenehme Entspannung spüren. Während der Behandlung werde ich in diesem Raum bleiben und darauf achten, dass nichts geschieht, was Sie nicht wollen.“
Frau W. liegt 45 Minuten während der Prophylaxebehandlung in diesem entspannten Zustand, ohne eine sichtbare Bewegung auszuführen. Ihr Atem ist ruhig, gleichmäßig und der Speichelfluss sehr gering, was mir die Behandlerin voller Erstaunen während der Behandlung mitteilt.
Am Ende der Behandlung hole ich Frau W. wie folgt aus der Trance zurück: „Ihr Unterbewusstsein hat eine völlig neue und positive Erfahrung gemacht und diese Erfahrung können Sie, wenn Sie wollen, immer dann, wenn Sie zu einer Zahnbehandlung gehen, wiederholen. Wenn Sie das möchten, dann brauchen Sie nichts weiter zu tun, als sich jetzt eine Stelle an Ihrem Körper zu suchen und diese Stelle fest drücken.“ Frau W. hat sich ihren Ankerpunkt zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand gesetzt. „Ich werde jetzt langsam von 1 bis 10 zählen und mit jeder Zahl, die Sie hören, werden Sie wacher und wacher, und wenn ich bei 10 angekommen bin, werden Sie die Augen öffnen und völlig entspannt Ihren weiteren Tagesablauf fortsetzen.“
Die Klientin kommt tatsächlich völlig entspannt aus der Trance zurück und ist überrascht, dass schon 45 Minuten verstrichen sind. Sie hat 15 bis 20 Minuten geschätzt.
2. Sitzung in der Zahnarztpraxis
An diesem Tag wird im Oberkiefer eine Karies- und Parodontosebehandlung durchgeführt. Die Behandlung verläuft völlig entspannt ohne das geringste Problem.
3. Sitzung in der Zahnarztpraxis
Unterkieferbehandlung, Karies und Parodontose, Dauer ca. 75 Minuten. Sie kommt etwas erkältet und sichtlich gestresst ein paar Minuten zu spät zum Termin.
Ich führe die Hypnose durch wie oben geschildert. Nach etwa einer Stunde bäumt sich Frau W. angsterfüllt auf, ich muss eingreifen: „Frau W., Sie haben das wie in den vorherigen Behandlungen ganz prima gemacht, die Behandlung dauert nicht mehr lange, ich bin bei Ihnen. Nichts wird Ihnen geschehen, Sie sind immer noch vollkommen sicher, und wenn Sie es wünschen, werde ich Ihre Hand halten oder Sie können, wenn Ihnen das lieber ist, wieder Ihren Ankerpunkt drücken.“
Dabei sinkt der Kopf wieder zurück in den Stuhl, die Augen schließen sich, sie wird wieder ruhig, drückt ihren Ankerpunkt und hält diesen für den Rest der Behandlung.
Nach der Behandlung erzählt Frau W., dass sie heute keine so tiefe Trance erreicht habe wie zuvor, dass ihre leichte Erkältung mit etwas Kopfschmerzen hinderlich ist und sie der heutige Termindruck gedanklich auch daran hindert, in eine tiefe Trance zu gehen.
Abschließende Bewertung
Mein vereinbarter Auftrag ist erfüllt, die Hypnoseinterventionen haben gut gewirkt. Ich denke, dass die Unruhe, mit der Frau W. zur letzten Hypnosebehandlung kam, die leichte Erkältung und die Tatsache, dass ich keine Möglichkeit hatte, vorher mit ihr in Ruhe ein paar Minuten zu reden, die Ursache dafür sind, dass diese letzte Hypnose über die doch lange Dauer von etwa 75 Minuten nicht so tief gewirkt hat.
Literatur
- Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Prof. Dr. Dirk Revenstorf, Dr. Burkhard Peter, ISBN 3-540-67480-2 Springer Verlag
Hans Peter Bauer
Psychotherapeutischer Heilpraktiker, Verhaltens-, Trauma- und Hypnosetherapeut
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