Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis: Generalisierte Angststörung
Patient
Thomas, 45 Jahre
Anamnese
Thomas kommt wegen Angst- und Panikzuständen in meine Praxis. Es ist eine undifferenzierte Angst, d.h. er kann die Auslöser nicht benennen. Seit 2 Monaten ist er arbeitsunfähig. Er ist verheiratet und hat 3 Kinder, die nicht mehr zu Hause leben. Zu seinen 3 Brüdern hat er keinen Kontakt mehr.
Thomas arbeitet im Garten- und Landschaftsbau. Er befindet sich dort in einer ständigen Überlastungssituation, denn er wird oft zu Baggerarbeiten abgezogen, denen er seiner Meinung nach nicht gewachsen ist. „Die Baustelle ist überfüllt mit ausländischen Hilfskräften, deren Sprache ich nicht verstehe. Ich stehe dazwischen.“
Eigentlich könne er die Überlastungssituation auch mit seinem Chef besprechen, erzählt er im anamnestischen Vorgespräch, ihm fehle aber der Mut. Die Überlastungssituation eskalierte 3 Monate bevor er mich aufsuchte. Mit einer Hyperventilationsattacke brach Thomas auf der Arbeitsstelle zusammen und wurde in eine Klinik eingeliefert. Seit der Entlassung ist er arbeitsunfähig, fängt häufig unvermittelt an zu weinen, sitzt in der Ecke und grübelt. Wegen der depressiven Stimmung wird Thomas mit einem Antidepressivum behandelt.
Mir sitzt im Vorgespräch ein Klient gegenüber, der sehr strukturiert wirkt. Zumindest heute keine Spur von depressiver Verstimmung. Die eigentlichen Problemstellungen, die zu seinen besonderen Gefühlszuständen führen, sind ihm bewusst. Im weiteren Verlauf erfahre ich Beeindruckendes zur Entwicklungsgeschichte von Thomas, zu seiner psychogenen Struktur.
Seine Mutter war dreimal verheiratet, vom ersten Stiefvater und seiner Mutter wurde er geprügelt, der Stiefvater war Alkoholiker, er prügelte auch Thomas’ Mutter. Zur Mutter besteht seit 2004 kein Kontakt. Die Stiefväter sind verstorben. Thomas beschreibt, was ihn im Wesentlichen bedrückt:
- Er möchte Kontakt zum jüngeren Bruder haben, der in der Nähe wohnt (er denkt jeden Tag an ihn, der Bruder hatte den Kontakt ohne Angabe von Gründen abgebrochen)
- Er leidet darunter, dass kein Kontakt zur Mutter besteht
- Thomas hat Angst vor Menschen und geht fast nicht mehr aus dem Haus
- Es gibt Situationen, in denen er von seinem Chef gedemütigt wurde
Verdachtsdiagnose
Generalisierte Angststörung F 41.1 in Verbindung mit einer Anpassungsstörung
Therapie
Bei der 1. Sitzung verankere ich in einem leichten Trancezustand eine selbstgewählte Ruhesituation. So ist es möglich, Thomas im therapeutischen Prozess jederzeit wieder in eine Entspannungssituation hineinzubringen. Wie der Zufall so spielt: Zwischen dem Vorgespräch und der 1. Sitzung wurde Thomas von seinem jüngeren Bruder besucht. Thomas hat sich sehr darüber gefreut. Sie wollen sich wieder sehen.
In der 2. Sitzung erzählt Thomas, auf der Geburtstagsfeier seines Bruders habe er seine Mutter wiedergetroffen. Das hat ihn aufgewühlt, aber andererseits auch sehr gefreut. Er hat von der Therapie erzählt, seine Mutter bot ihm an, er könne jederzeit zu ihr kommen. Wir verändern in einem Trancezustand ein Bild aus der Vergangenheit; er wurde von der Mutter geschlagen. Davon macht mein Klient sich bewusst ein Bild, hängt es in Gedanken zu Hause an einer weißen Wand auf und lässt es kleiner werden. Dann lässt er das Bild verschwinden, bis nur noch die weiße Wand zu sehen ist.
In der 3. Sitzung erzählt mein Klient, dass er sich schon zweimal mit seinem Bruder getroffen hat. Die Beziehung scheint sich zu stabilisieren. Thomas möchte ein konstruktives Gespräch mit seinem Chef führen. Er möchte mit seiner Mutter sprechen und ehrliche Antworten haben. Ich verankere bei Thomas das Bild einer erlebten positiven Situation mit seiner Mutter. Thomas geht jetzt häufiger ohne Ängste aus dem Haus.
In der 4. Sitzung erzählt Thomas, er habe bei seiner Mutter in einem persönlichen Gespräch konkrete Themen aus der Vergangenheit angesprochen. Sie sei sehr überrascht gewesen, fühlte sich allerdings auch überfordert. Sie erzählte außerdem Unwahrheiten. Das befriedigt Thomas nicht. Er hat mit seinem Chef telefoniert und ihm von der Therapie erzählt. Sein Chef äußerte viel Verständnis und teilte ihm mit, dass er hinter ihm stehe. Er soll erstmal gesund werden. Ich verändere über die Methode „History-Change“ (NLP) eine Situation aus Thomas‘ Vergangenheit: Im Alter von 12 Jahren hatte er seine Mutter und seinen Stiefvater auf dem Korridor erschreckt. Thomas wird von seiner Mutter mit einem Stock geschlagen, bis der Stock zerbricht. Ich führe ihn in diese Situation hinein, die er jetzt als Film sieht. Vorher erkläre ich ihm, dass er diese Situation jetzt verändern kann. Als Mensch habe er immer mehrere Wahlmöglichkeiten im Verhaltensbereich. Die neue Szene in seinem Film sieht anders aus: Als die Mutter den Arm hebt, um zu schlagen, hält er ihren Arm fest. Sie kann nicht mehr zuschlagen. Eine neue Erfahrung etabliert sich. Thomas erlebt, dass er der Regisseur seiner inneren Bilder sein kann.
In der 5. Sitzung verändere ich auf die gleiche Weise eine erniedrigende Situation durch seinen Chef. Auch hier hatte sich eine Szene des Films seiner persönlichen Erfahrung verändert, indem Thomas auf ihm innewohnende Kompetenzen zurückgriff. In der neuen Szene des Films tritt er seinem Chef selbstbewusst gegenüber. Mein Klient erzählt, dass stabile Beziehungen zum jüngeren Bruder und zur Mutter bestehen. Er fühlt sich wohl und nimmt sich bewusst mehr Zeit für die Familie.
Stand der Dinge
Thomas geht es jetzt gut. Er selbst erklärt, er sei selbstbewusster geworden und aus seinem depressiven Zustand wieder aufgestiegen. Die negativen Bilder im Kopf sind verschwunden. Vieles sieht er heute mit anderen Augen.
Rainer Wieckhorst
Heilpraktiker für
Psychotherapie mit Praxis in Reinbek, Experte für NLP, Angst- und Panikstörungen
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