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Energetik und Spiritualität
Lesezeit: 11 Minuten

Bahn frei für das Chi

Mehr Energie und Wohlbefinden mithilfe von Meridian-Dehnungsübungen

Wohl jeder sehnt sich danach, sein Leben energiegeladen und voller Vitalität zu meistern. Doch sieht der Alltag vieler Menschen anders aus. Da gibt es Phasen der Überforderung, Erschöpfung und inneren Anspannung, die sich oft auch in Form von Verspannungen oder anderen körperlichen Symptomen zeigen. Aus fernöstlicher Sicht entstehen diese Dysbalancen aufgrund einer Störung im Fluss der den Körper durchströmenden universellen Lebenskraft Chi (auch Qi oder Prana). Wie man den Ausgleich einer solchen Dysbalance mithilfe von Körperübungen unterstützen kann, stelle ich Ihnen im Folgenden vor.

Die Meridiane

In unserem menschlichen Körper zirkuliert die Lebensenergie Chi durch Leitbahnen, auch bekannt als Meridiane, die den gesamten Körper wie ein Netz durchziehen. Kann Chi ungehindert durch den Körper strömen, herrscht Wohlbefinden auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene. Kommt es dagegen durch ungünstige Lebensgewohnheiten zu einer Behinderung des freien Chi-Flusses, kann dies zu Schwierigkeiten führen. Dabei differenziert man Fülle- und Leere-Zustände in den Meridianen (Jitsu bzw. Kyo). In einem Jitsu-Zustand herrscht fühlbare Spannung, die mit einer Stagnation von Energie einhergeht. Im Kyo-Zustand finden wir eine weiche, eher kühle Qualität, die uns auf einen Energiemangel hinweist.

Wieder in Fluss kommen

Spezielle „Meridian-Dehnübungen“ können geeignet sein, um den jeweiligen Zustand in den Meridianen zu definieren und die Harmonisierung des Energieflusses zu unterstützen. Es geht nicht wie bei einer Sportübung oder Trainingsmethode darum, ein bestimmtes Ziel erreichen zu wollen; vielmehr stehen Annehmen, Loslassen und Verweilen im Vordergrund.

Wir dehnen dabei bis zur Grenze, lassen den Atem frei fließen und erweitern sanft die Beweglichkeit. Ein wichtiger Aspekt ist die innere Entspannung und Gelassenheit beim Durchführen der Dehnübungen. Dabei können sich auch körperliche Strukturen wie Muskeln, Sehnen und Faszien lockern. Je nach eigenem Empfinden kann jede Dehnhaltung mehrere Atemzüge beibehalten werden. Mit etwas Routine kann man auch länger verweilen. Während der Dehnung spürt man die einzelnen Spannungslinien, welche den Meridianen zuzuordnen sind, und kann sich darauf konzentrieren. Beim Ausatmen lässt die Spannung etwas nach, stagnierte Energie kann sich lösen. Mit der nächsten Einatmung nimmt der Dehnreiz wieder etwas zu.

Über die Zeit lernt man, bei der Einatmung die Aufmerksamkeit in den Unterbauch und das dort befindliche Kraftzentrum (Hara) zu lenken, wodurch sich der Atem deutlich in Richtung Bauch bewegt. Auf diese Weise lässt sich später der Atem auch in den Brustkorb und in andere Körperbereiche hinein führen.

Makko-Ho-Dehnungen

Die wohl bekanntesten Meridian-Dehnübungen sind die Makko-Ho-Dehnungen. Dabei handelt es sich um japanische Körperübungen, die bereits in den 1980er-Jahren durch den Shiatsu-Lehrer Shizuto Masunaga Bekanntheit erlangten. Sie werden auch heute noch gerne in der Shiatsu-Praxis als Vorbereitung auf eine Behandlung eingesetzt. Es handelt sich um sechs Übungen, bei denen jeweils zwei Meridiane angesprochen werden.

Eine sinnvolle Kombination: Shiatsu, Yoga & Co.

Als Shiatsu-Praktikerin habe ich viele Übungen selbst ausprobiert und eine Mischung aus Makko-Ho, Yoga, anderen Dehnhaltungen sowie Selbstbehandlungstechniken aus dem Shiatsu in einem eigenen Konzept (ChiYou) zusammengestellt, das sich gut in der Praxis bewährt. Außerdem habe ich eine dynamische Übungsabfolge entwickelt, die sich am Kreislauf der Fünf Elemente orientiert. So sind unterschiedliche Dehnhaltungen entstanden, welche die einzelnen Meridiane ansprechen.

Auf den nächsten Seiten stelle ich die Dehnübungen in der Reihenfolge des Chi-Kreislaufs vor (Tab. 1). Sinnvoll ist es, diese zunächst in der hier dargestellten Reihenfolge zu üben und zu beobachten, welche Dehnung leichter und

Wasser Blase, Niere Holz Leber, Gallenblase
Feuer Herz, Dünndarm, Perikard, Dreifacher Erwärmer Erde Magen, Milz Metall Lunge, Dickdarm

Tab. 1: Zuordnung Meridiane/Funktionskreise zu den Fünf Elementen/Wandlungsphasen welche schwerer fällt. Wo sehr viel Jitsu ist, ühlt sich die Dehnung schmerzhafter an und ie Spannungslinie ist besonders intensiv spürar. Meist ist auch das Bewegungsausmaß ingeschränkt. Meridiane im Kyo-Zustand hinegen lassen sich leichter und weiter dehnen.

mgang mit Kyo und Jitsu

ch empfehle, besonderes Augenmerk auf die bungen zu legen, die einem am leichtesten allen, denn in der Traditionellen Chinesischen edizin wird immer deutlich gemacht, dass s wichtig ist, sich zuerst dem Kyo-Meridian uzuwenden. Masunaga schreibt: „Der Kyo-Meridian kann ermittelt werden, indem man überprüft, ob sich der Jitsu-Zustand durch die Behandlung des Kyo-Meridians verbessert.“ Und weiter: „Der Körper korrigiert sich bereitwillig selbst, wenn wir Schmerzen vermeiden, und arbeitet lieber im Sinne der Dynamik unseres Energiesystems als dagegen an.“

Oftmals gibt es auch Seitenunterschiede beim Dehnen der Meridiane. Hier ist es empfehlenswert, erst die einfachere Seite zu dehnen und dann zur anderen Seite zu wechseln. Die stagnierte Energie löst sich durch die Aktivierung der schwächeren Seite meist schon etwas, sodass die Dehnung auf der anderen Seite leichter fällt.

Tipps für die Praxis

Probieren Sie es selbst aus oder schauen Sie im Kontakt mit Ihren Patienten, was sich zeigt und welche Erfahrungen Sie machen. Die Dehnübungen können z.B. als eine Art „Hinweisdiagnostik“ eingesetzt werden, um energetische Ungleichgewichte aufzuspüren. Es ist sehr spannend, sich dazu auch mit den zugehörigen Organen, Gefühlen und Entsprechungen der Meridiane auseinanderzusetzen, um diesen Erkenntnisprozess auf unterschiedlichen Ebenen zu unterstützen und gemeinsam mit den Patienten zu besprechen.

Dehnübungen für die Meridiane

Die Übungen fördern eine bessere Durchlässigkeit und Flexibilität. Blockaden und Ungleichgewichte im Fluss des Chi können so auf sanfte Art und Weise positiv beeinflusst und gesteuert werden.

Lunge (Metall)

Abb. 1 zeigt, wie im Stand der rechte Arm horizontal zur Seite geführt, der Oberkörper zur selben Seite gedreht und der Arm so weit wie möglich nach hinten gestreckt wird. Der Kopf folgt der Bewegung, der Blick geht über die Schulter in Richtung ausgestrecktem Arm. Die Hand des linken Armes liegt auf der rechten Schulter. Gleichmäßig weiter atmen und die Dehnung genießen. Im Anschluss die Arme wieder lösen und die Übung mit der anderen Seite wiederholen. Dann einen Moment nachspüren, wie sich der Brustkorb anfühlt: Ist er wärmer, leichter oder weiter geworden?

Dickdarm (Metall)

Ausgangsstellung ist der Stand, die Füße stehen hüftbreit auseinander (Abb. 2a). Nehmen Sie die Hände hinter den Rücken, verhaken Sie die Daumen ineinander, strecken Sie die Zeigefinger und machen mit den anderen Fingern eine Faust. Atmen Sie tief ein, nehmen Sie den Kopf etwas nach hinten und spüren Sie die Weite im Brustkorb. Mit der Ausatmung den Oberkörper vorneigen, die Beine bleiben gestreckt, die Arme sind gestreckt, die Zeigefinger zeigen senkrecht nach oben (Abb. 2b). Mehrere Atemzüge verweilen, dann den Oberkörper wieder aufrichten, die Arme neben dem Körper hängenlassen. Die Augen schließen und in den Oberkörper hineinspüren. Wie fühlt sich dieser Bereich jetzt an, was hat sich verändert? Danach die Übung wiederholen, diesmal die Daumen dabei andersherum verhaken.

Magen und Milz (Erde)

Ausgangsstellung ist der Fersensitz, beide Knie liegen dicht aneinander. Nun den Oberkörper nach hinten nehmen, mit den Händen oder Unterarmen abstützen, ohne dass die Knie sich vom Boden abheben (Abb. 3a). Wer mag, kann den Rücken ganz am Boden ablegen (Abb. 3b). Ansonsten den Kopf mit nach hinten neigen. Mehrere Atemzüge so verweilen, danach das Gesäß auf den Fersen absetzen und den Kopf vor den Knien sinken lassen. Nach einer Weile wieder aufrichten, die Beine lockern und auf der anderen Seite wiederholen.

Herz (Feuer)

Stellen Sie in der Rückenlage die Beine auf und legen Sie beide Arme in Schulterhöhe angewinkelt auf den Boden, Ihre Handflächen zeigen nach oben, die Finger sind gestreckt. Lassen Sie nun beide Beine nach links

sinken und drehen Sie den Kopf nach rechts (Abb. 4). Mehrere Atemzüge verweilen und die Dehnung im Schulter-Arm-Bereich wahrnehmen. Anschließend die Übung auf der anderen Seite wiederholen.

Dünndarm (Feuer)

Legen Sie Ihren rechten Arm in der Rückenlage
angewinkelt unter Ihren Kopf und erleben Sie die Dehnung im Verlauf des Dünndarmme-
ridians (Abb. 5). Wechseln Sie nach einigen
Atemzügen die Seite.

Blase (Wasser)

Setzen Sie sich mit ausgestreckten Beinen auf den Boden. Diese liegen dicht beieinander, die Zehen werden herangezogen, sodass die Füße senkrecht stehen. Nehmen Sie nun die Arme gestreckt nach oben, falten Sie die Hände und strecken Sie den Oberkörper. Atmen Sie tief ein und lassen Sie bei der Ausatmung den Oberkörper in Richtung Beine sinken. Umfassen Sie mit den Händen Ihre Unterschenkel oder Füße und achten Sie darauf, dass die Knie dicht am Boden bleiben (Abb. 6). Anschließend erfolgt der Seitenwechsel.

Niere (Wasser)

Begeben Sie sich in den seitlichen Ausfallschritt, indem Sie sich zunächst breitbeinig hinstellen und sich dann mit dem Gesäß auf das linke Knie herunterbeugen. Das rechte Bein bleibt gestreckt, die Fußspitze zeigt in Richtung Zimmerdecke (Abb. 7). Verweilen Sie einige Atemzüge in dieser Position und lockern Sie dann die Beine im Stand, bevor Sie die Übung auf der anderen Seite wiederholen.

Perikard (Feuer)

Legen Sie sich auf die linke Seite und winkeln Sie das obere Bein so an, dass die Fußsohle die Kniescheibe des anderen ausgestreckten Beines berührt. Bewegen Sie nun den rechten Arm gestreckt mit langen Fingern im großen Bogen nach rechts oben außen, bis die rechte Schulter den Boden berührt. Das angewinkelte Bein darf sich dabei von der Unterlage abheben. Legen Sie die linke Hand auf das rechte Knie und drehen Sie den Kopf nach rechts, sodass Sie der Hand des rechten Armes mit dem Blick folgen können (Abb. 8). Atmen Sie tief in den Brustkorb hinein und genießen Sie die Dehnung. Kommen Sie anschließend sehr langsam in die Rückenlage zurück und wiederholen Sie die Übung auf der anderen Seite.

Dreifacher Erwärmer (Feuer)

Diese Übung können Sie im Sitzen oder im Stehen machen. Nehmen Sie den rechten Arm angewinkelt vor den Oberkörper und schieben Sie den Ellenbogen mit der anderen Hand weiter nach links herüber (Abb. 9). Verweilen Sie einige Atemzüge in dieser Dehnhaltung, lockern Sie danach beide Arme aus und wechseln Sie die Seite.

Gallenblase (Holz)

Ausgangsstellung ist der Stand. Bewegen Sie den rechten Arm gestreckt seitlich herauf und führen ihn über den Kopf zur linken Seite. Stützen Sie sich mit der linken Hand am linken Oberschenkel ab und überkreuzen Sie mit dem rechten Bein, wenn möglich, das linke Bein, sodass Ihr Körper wie ein Halbmond dasteht. Atmen Sie mehrere Male tief und gleichmäßig in die rechte gedehnte Seite hinein und kommen Sie dann zur Mitte zurück (Abb. 10). Spüren Sie mit geschlossenen Augen nach, wie sich die beiden Seiten nun im Vergleich anfühlen. Wiederholen Sie anschließend die Übung auf der anderen Seite.

Leber (Holz)

Begeben Sie sich in den seitlichen Ausfallschritt, indem Sie sich zunächst breitbeinig hinstellen und sich dann mit dem Gesäß auf das linke Knie herunterbeugen. Das rechte Bein bleibt gestreckt, die Fußsohle verweilt, wenn möglich, am Boden (Abb. 11). Halten Sie diese Position einige Atemzüge und lockern Sie im Anschluss die Beine im Stand, bevor Sie die Übung auf und mit der anderen Seite wiederholen.

Fallstudie

Eine Frau Mitte 30 leidet unter starken Nackenverspannungen, die mit hochstrahlenden Kopfschmerzen und einem Druckgefühl in den Augen verbunden sind. Außerdem hat sie seit längerer Zeit Schlafprobleme, wodurch sie sich erschöpft fühlt und tagsüber immer wieder mit Müdigkeit kämpft.

Dehnübungen

Ich zeige der Patientin die Dehnübungen und nutze diese zur Erkennung der entscheidenden Ungleichgewichte. Es wird deutlich, dass ihr die Übung für den Herzmeridian am leichtesten fällt und jene für den Blasenmeridian sehr unangenehm ist. Dass der Herzmeridian einen Kyo-Zustand zeigt, bestätigen weitere Symptome, z.B. häufiges Herzklopfen, nervöse Anspannung und rasche Ermüdung. Auch wichtige Akupressurpunkte auf dem Herzmeridian zeigen einen Mangelzustand an. Ich empfehle der Patientin, diese Punkte selbst regelmäßig zu behandeln und auch die Dehnübung für den Herzmeridian fortlaufend durchzuführen.

Buch-Tipp
Antje Tittelmeier ChiYou – Bring Deine Energie in Fluss Triskel Verlag

Um die Verteilung der gestauten Energie (Jitsu) im Blasenmeridian zu unterstützen, zeige ich der Patientin weitere Selbstbehandlungstechniken. Im Gespräch berichtet sie, dass sie mit dieser Dehnung schon immer Probleme hatte; zugleich wird ihr bewusst, dass dies womöglich mit bisher unterdrückten Ängsten zu tun haben könnte.

Status quo

Nach einigen Wochen regelmäßiger Übung berichtet die Frau über eine deutlich verbesserte Schlafqualität und ein Nachlassen ihrer Nackenverspannungen. Die Blasenmeridian-Dehnung ist zwar noch mit einem Spannungsgefühl verbunden, der Dehnungsreiz ist aber viel angenehmer geworden. Ich beobachte, dass sie ruhiger und ausgeglichener wirkt, viel fröhlicher ist und wieder mehr Vertrauen in sich selbst gewonnen hat. Sie will sich einen Therapeuten suchen, um tieferliegende Themen anzuschauen und loszulassen.

Fazit

Ich durfte die Erfahrung machen, dass viele Patienten froh sind, wenn sie aktiv etwas tun können, um Heilungsprozesse zu unterstützen und ihr Wohlbefinden zu stärken. Es ist immer wieder erstaunlich, mitzuerleben, wenn mittels regelmäßiger Dehnungen stagnierte Energie in Fluss kommt und Patienten diese mehr und mehr in sich spüren. Gerade Menschen, die sich erschöpft und ausgebrannt fühlen, kann viel Zuversicht geschenkt werden, da sie merken, dass viel mehr Kraft und Vitalität in ihnen steckt als bislang angenommen.

Antje Tittelmeier
Physiotherapeutin, Shiatsu-Praktikerin, Begründerin des „ChiYou“ Eigen-Shiatsu, Autorin
antje@tittelmeier.de

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