Fallstudie – Veränderung von Denkprozessen mithilfe von Invaluation

v

Klientin

Eine 43-jährige Dame beklagt, sich „unrund“ zu fühlen. Vieles belaste sie sehr, und sie wisse nicht, wie sie damit umgehen solle.

Anamnese

Die Klientin ist verheiratet und Mutter von 3 Kindern (13, 16 und 19 Jahre). Mit ihrem Mann führt sie einen landwirtschaftlichen Betrieb. Das Verhältnis mit der ebenfalls im Gebäudekomplex lebenden, verwitweten Schwiegermutter ist angespannt. Die Klientin fühlt sich ihr gegenüber seit jeher nicht gut genug. Wegen aktuell anfallender Mehrarbeit sieht sie sich gezwungen, ihren Mann noch mehr zu unterstützen, was sie jedoch nicht schafft.

Invaluation®Wir vereinbaren, mit der Gesprächsmethode Invaluation® zu arbeiten. Diese wurde vom Schweizer Hypnosetherapie-Experten Gabriel Palacios entwickelt. Im Gegensatz zur Hypnose spricht die Invaluation® (in = hineinversetzen, valuation = Bewertung) v.a. den Verstand an, nutzt aber auch Ressourcen. Es wird abgefragt, wie man sich in Bezug auf die aktuelle Situation stattdessen fühlen möchte und wann man diese Emotion schon einmal hatte. Diese Ressource kann den weiteren Verlauf unterstützen. Verschiedene Prozessvorlagen und Gesprächstools unterstützen die Eigenverantwortung des Klienten und helfen, ergebnisorientiert aus sich heraus Lösungen zu finden.

Ich wähle für unser Gespräch den „Positivierungsprozess“ und kann mir bereits ihr Problem (Anliegen) notieren: sich nicht mehr unrund fühlen zu wollen. Auf meine Frage, wie sie sich fühlen möchte, entgegnet sie: „Gelassener.“ (Wunschgefühl). Ich möchte wissen, wann sie sich zuletzt so gefühlt hat (Ressource): „Im Urlaub mit Freundinnen in den Bergen.“ Und wie sie sich wieder so fühlen könnte (Übertragung).

Polarität

Auf Letzteres weiß sie keine Antwort, weshalb ich das Gesprächstool „Polarität“ anwende. Dabei wird der Themenkomplex mit ihrer Hilfe in kleine Teilaspekte aufgespalten, welche als positiv oder negativ bewertet werden. Bei einer negativen Einschätzung gibt man zu bedenken, welchen positiven Anteil dieses Thema auch bergen könnte. Das Tool bringt mehr Struktur und Ordnung in die Gedanken der Klienten und kann neue, gewinnbringende Sichtweisen ermöglichen.

Folgende momentan belastenden Teilaspekte ergeben sich:

Wohnsituation: Neben jenem angespannten Verhältnis zur Schwiegermutter kommt zur Mittagszeit auch noch der Schwager vorbei und bringt den gesamten Tagesablauf durcheinander. – Bewertung: negativ Stallsituation: Einige Tiere mussten in letzter Zeit notgeschlachtet werden aufgrund von Unfällen und Krankheitserregern. Dies wird im Rahmen der gemeinsamen Reflexion positiv bewertet, weil es das Miteinander in der Familie gestärkt und alle anderen Tiere vor größerem Schaden bewahrt hat.

Stallumbau: Der Stall ist nicht mehr zeitgemäß, doch immer wieder ändern sich Gesetze und rechtliche Vorgaben. Auch die Vorstellungen in der Familie gehen (teils deutlich) auseinander. – Bewertung: negativ Arbeitsteilung: Die Klientin macht sich aufgrund der Arbeitslast Sorgen um ihren Mann, schafft es aber nicht, ihm unter die Arme zu greifen. Die anfangs negative Bewertung revidiert sie, weil sie die Chance sieht, ihren Mann nach seinen Bedürfnissen zu fragen. Durch ihren bisherigen Einsatz erkennt sie,

dass es doch mehr Wertschätzung durch die Schwiegermutter gegeben hat als gedacht.

Jüngste Tochter: Diese hat eine halbseitige Gesichtslähmung und fühlt sich deshalb nicht so hübsch wie andere Mädchen. Die Klientin möchte sie bestärken und unterstützen, denkt aber, ihr in den letzten Jahren wegen der beiden anderen Kinder zu wenig Zuwendung gegeben zu haben. – Bewertung: negativ

Nächste Schritte

Von 5 belastenden Themen sind 3 mit einer negativen Bewertung übriggeblieben. Ich frage die Klientin, was es an der aktuellen Situation für sie zu akzeptieren gelte und welche Umsetzungsschritte sich für sie ergeben würden. Sie erkennt zum einen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, ihrer Schwiegermutter genügen zu müssen. Zum anderen sei für sie eine Anpassung der Essenszeit ein Schritt, um den Mittagsstress zu minimieren. Außerdem möchte sie ihrer jüngsten Tochter mehr Aufmerksamkeit schenken, hierfür nimmt sie sich konkrete Unternehmungen vor.

Am Ende des Gesprächs berichtet sie erleichtert, dass sich das gefühlte Chaos im Kopf gelöst habe und sie sich nun gelassener fühle.

Verlauf

Zwei Wochen später bedankt sie sich schriftlich. Endlich würde es ihr wieder gelingen, ihr tägliches Workout und 15 Minuten nur für sich einzuplanen. Sie habe auch weniger Stress, weil sie die Büroarbeiten auf einen Tag zusammengelegt habe. Während des vereinbarten Folgetermins 6 Wochen später ziehen wir nochmals detailliert Bilanz:

Wohnsituation: Die Essenszeiten werden gerade umgeplant, wodurch sie nun auch die unangemeldeten Besuche ihres Schwagers entspannter sehen kann.

Stallsituation: Vonseiten der Tierärztin gibt es endlich Entwarnung, alle Abläufe können wieder in geordneten Bahnen verlaufen.

Stallumbau: Es wurden gute Gespräche in der Familie geführt, der Prozess entwickelt sich in eine bessere Richtung.

Arbeitsteilung: Die Klientin fühlt sich entlastet, da ihr Sohn seinen Vater mittlerweile tatkräftig unterstützt.

Jüngste Tochter: Diese nimmt die Zuwendung langsam an und nutzt sie für intensive Gespräche mit ihrer Mutter.

Abschließend wünscht sich die Klientin noch etwas Kraftspendendes. Ich wähle hierfür eine Fantasiereise, sodass sie geistigen Ballast abwerfen und neue Energie tanken kann.

Ausblick

Nach diesem Termin ist die Arbeit an der belastenden Gesamtsituation für die Klientin vorläufig abgeschlossen. Diese fühlt sich inzwischen wieder rund und ausgeglichen. Wir sehen uns erst 4 Monate später zu einer Entspannungshypnose wieder, und ich erfahre, dass sie zuversichtlich in die Zukunft blickt.

Fazit

Die Invaluation® hat das Ziel, Klienten in die Selbsterkenntnis und Umsetzung, aber auch zur Akzeptanz zu bringen. Sobald verstanden wird, dass scheinbar negative Teilaspekte auch positiv bewertet werden können, schrumpft der Berg an Herausforderungen, und die Motivation, sich den übrigen zu stellen, steigt.

Philipp Feichtinger
Heilpraktiker, Hypnose- und Gesprächstherapeut (Invaluation®) in eigener Praxis in Riedau/Österreich, Autor, Dozent an den Paracelsus Gesundheitsakademien
office@nhp-feichtinger.at