Compliance – Therapeut und Patient
Hintergründe in der Beziehung zwischen dem Hilfesuchenden und dem Helfenden
Hp Jan W. Moestel
Die Erwartungen des Kranken an seinen Therapeuten sind uralt; sie beruhen auf einem geradezu archaischen
Habitus, so sehr sie auch im soziokulturellen Zusammenhang der verschiedenen Epochen ihr Gesicht wechseln. Der Mensch
in Not braucht einfach Hilfe, zeigt ein spezifisches Hilfesuchverhalten, und er findet in der Regel seinen Helfer im
fachkundigen und hilfsbereiten Therapeuten.
Mit der Erwartung des Kranken ist daher immer ein ganz besonderer
Anspruch, ja ein ganzes Anspruchsspektrum verbunden, das von idealen Einstellungen geprägt ist.
Angesprochen in
diesem Spannungsfeld ist nicht nur der Experte in Diagnostik wie Therapie, sondern auch der Begleiter und Helfer in
persönlichen Notlagen. Angesprochen ist der Therapeut als Wender in der Not.
Oft ist ein Therapeut notwendig als Wender in der Not!
Er ist nicht der Wender der Not.
Die Rolle von Therapeut und Patient bei der Heilung
Wenn man einen fähigen Therapeuten beim Umgang mit Patienten beobachtet, gewinnt man den Eindruck, daß er den Körper
behandelt und die Seele anspricht.
Körper und Seele sind so eng miteinander verwoben, daß es schwerfällt, eine
Grenze zu ziehen. Die Mediziner analysieren den Körper, so haben sie es in der medizinischen Ausbildung gelernt – 95%
Körper und 5% Seele. Wenn man aber praktiziert, ist das Verhältnis eher 50 zu 50.
Wichtig ist hier, die Person als
einzigartiges Individuum anzusprechen, und dieses Individuum hängt sehr viel stärker von der Seele ab als vom Körper.
Kein Mensch gleicht dem anderen. Gerade das macht die Medizin so reizvoll. Es ist ja weniger der Körper, wodurch die
Menschen sich unterscheiden, als die Seele. In diesem Sinn konzentrierten wir uns ganz anders – oder wenigstens
sollten wir das tun – auf die Seele und ihre Verschränkung mit dem Körper. Verschränkung heißt, wenn jemand Bauchweh
hat, dann stelle ich sehr bald nicht nur die Frage, was in seinem Bauch, sondern auch, was in seiner Seele vorgeht.
Wenn jemand deprimiert ist, dann denke ich auch darüber nach, was sich in seinem Körper abspielt und die Depressionen
hervorrufen könnte.
Körper und Seele sind unentwirrbar miteinander verflochten.
Jeder gute Therapeut will von seinem Patienten wissen, was er mitbringt, was er von mir erwartet, was für ein Mensch
er ist, um abschätzen zu können, wie er aufnehmen wird, was ich ihm sage.
Ein Therapeut ist wie ein Chamäleon,
jedenfalls bemerke ich an mir, daß ich mich verschiedenen Patienten gegenüber völlig verschieden verhalte.
Ich kann
mit einem Patienten nicht umgehen, ihm raten oder helfen, wenn ich nicht weiß, was in ihm vorgeht. Der Kaliumgehalt im
Serum sagt im Verhältnis zur gesamten Persönlichkeit recht wenig aus. Vielleicht erschrickt der eine Patient, wenn er
hört, der Kaliumgehalt sei niedrig, während der andere bei dieser Mitteilung erleichtert ist. Vielleicht ist ein
anderer überhaupt nicht daran interessiert. Ich muß also herausfinden, wie die Patienten meine Informationen
vermittelt haben wollen.
Eigentlich müßte ich ihn fragen:
- „Wollen Sie, daß ich ihnen sage, was Sie tun müssen?” oder
- „Wollen Sie mir erzählen, was Sie gerne täten, um dann von mir zu hören, ob es klug wäre oder nicht?”,
- „Wollen Sie gelenkt oder eher beraten werden?”
Meine Rollen können völlig verschieden sein, ich kann unmöglich erraten, was letztlich erwünscht ist. Ich muß daher wissen, was der Patient mitbringt, welche Bildung und Weltanschauung er hat, welche Werte er vertritt, kurz, wer er ist. Hierzu benötige ich die Anamnese:
Die Anamnese
Adler und Hemmler haben die grundsätzlichen Schwierigkeiten einer umfassenden Anamneseerhebung, die Daten der individuellen Wirklichkeit des Patienten wiedergeben soll, folgendermaßen beschrieben:
„Während der Erhebung der Anamnese muß er (der Therapeut) sich Daten zuwenden, die er in Zusammenhang mit
anatomischen, pathophysiologischen und biochemischen Vorstellungen bringen soll. Diesen Rahmen hat er sich durch
logisches Denken in der Ausbildung erarbeitet. Andererseits muß er sich Daten widmen, die menschliches Verhalten
betreffen … und verbalen Äußerungen, die er nicht nur nach dem Wortlaut aufnehmen darf, sondern nach verdeckten und
verborgenen Bedeutungen erfassen sollte.
Die Eigenschaften liegen diametral auseinander: einerseits logisch,
abstrakt und distanziert zu denken und andererseits mitzufühlen, sich mit dem Patienten zu identifizieren und das
Gesagte in Bilder und ganze Szenen zu übersetzen. Ihre Integration in einem einzelnen Menschen und während eines
Arbeitsganges ist eine schwere Aufgabe, die nie endgültig gelöst ist und die sich bei jeder einzelnen
Anamneseerhebung von neuem stellt.”
Das Konzept der 10 Interviewschritte:
- Vorstellen, Begrüßen
- Schaffen einer günstigen Situation
- Landkarte der Beschwerden
- jetziges Leiden (zeitliches Auftreten, Qualität, Intensität, Lokalisation und Ausstrahlung, Begleitzeichen, intensivierende / lindernde Faktoren, Umstände)
- persönliche Anamnese
- Familienanamnese
- psychische Entwicklung
- Soziales
- Systemanamnese
- Fragen und Pläne
In vielen Fällen erlauben die Interviewschritte 1– 4 bereits eine vorläufige Diagnose. Die Schritte 5– 8 sollen ein Gesamtbild des Patienten wiedergeben. Das Ziel der umfassenden Anamneseerhebung ist es nicht nur, Daten zu sammeln, die eine Diagnose ermöglichen, sondern die individuelle Wirklichkeit des Patienten zu erfassen. Jedes „Schema” ist nur eine Leitlinie. Je unerfahrener der Interviewer ist, um so günstiger ist es, sich möglichst konsequent an vorgegebene Schritte zu halten. Der erfahrene Therapeut kann es sich eher leisten, vom Schema abzuweichen.
Heilung von Krankheit oder Leiden
Was tut ein guter Therapeut im Hinblick auf die Gefühle oder die Seele, um den Prozeß der Heilung zu fördern?
Er
hört zunächst zu, und anschließend spricht er die Gefühle an. Ich erinnere mich an den Fall der Ehefrau eines Kollegen
während unserer Ausbildung. Sie zeigte ein Reihe von uns unerklärlichen Symptomen. Sie war wirklich in schlechter
Verfassung. Deswegen schickten wir sie zu unserem Dozenten, den wir alle bewunderten. Wir warteten gespannt darauf,
was er ihr verschreiben würde. Auf unsere Frage antwortete sie: „Ich soll mir eine Waschmaschine kaufen, weil ich zu
viel im Haushalt arbeite.” Das war seine Diagnose!
Der Unterschied zwischen Krankheit und Leiden
Krankheit bedeutet beispielsweise, daß ich die Leber untersuche und sage: „Sie ist nicht ganz in Ordnung. Auch das Herz hört sich nicht so an, wie es sollte.” Das Leiden ist das, was man empfindet. Wenn der Patient sich gesund fühlt, und ich bin der Meinung, die Leber und das Herz ist nicht in Ordnung, worüber sollten wir dann miteinander reden? Wenn der Patient raucht und sich glücklich dabei fühlt, und ich ihm vierhundert Krankheiten aufzählen kann, zu denen das Rauchen führen könnte, schreibe ich in meine Karteikarte: „Problem: Rauchen”.
Befund und Befindlichkeit
Obwohl jede Konsultation damit beginnt, daß der Kranke dem Therapeuten von seinem Befinden berichtet, die
Erscheinungsweise des Leib-Erlebens also ein unabdingbares Moment in dieser Begegnung zwischen Therapeut und Patient
bildet, fehlt in der Medizin noch völlig eine Theorie des Befindens.
Das Befinden des Kranken ist uns ein
diagnostischer Wegweiser, es ist nicht zuletzt Gegenstand unserer Therapie; es steht eigentlich immer zwischen dem
Therapeuten und dem objektiven Krankheitsbefund, als Vermittler, als Weg zum Patienten, oft auch als Störenfried in
dieser Beziehung. Trotz dieser doch recht interessanten und, wie mir scheint, dominanten Rolle, die die Befindlichkeit
des Menschen spielt, ist alles das, was wir als Befinden, Wohlbefinden, Miß-empfinden antreffen, ein Stiefkind der
Medizin geblieben. Wir pflegen uns nicht unnötig lange bei dem Befinden unserer Patienten aufzuhalten, weil wir hinter
dem Befinden immer gleich schon den Befund suchen und im Auge haben. Extrem ausgedrückt: Wir halten den objektiven
Befund für das „Eigentliche”, das Wichtige, für das, dem wir uns verpflichtet fühlen. Der objektive Befund ist die
vermeintliche Wahrheit. Wir neigen zu der Ansicht, Befinden könne trügen, der Befund jedoch nicht.
Nun kann gerade eine modern verstandene biologische Medizin das Thema von Befund und Befindlichkeit wieder aktualisieren, da der Sinn oder die Berechtigung einer Behandlung mit Arzneimitteln nur dann als positiv bezeichnet werden kann, wenn die Beeinflussung des Befindens erkrankter Menschen als ebenso erstrebenswert wie das Ändern von Befunden gesehen wird.
Sehen wir uns die Tradition der großen Kliniker an, für die die Medizin nicht Distanz, sondern Nähe zum Patienten
bedeutete. Der erste Schritt wahrer Naturwissenschaft, die Beobachtung der Phänomene oder die reine Wahrnehmung war
für die hier gemeinten Ärzte eine unverzichtbare Selbstverständlichkeit, die Diagnose am Krankenbett angestrebtes Ziel
und die Befundmedizin eine ergänzende, flankierende Maßnahme zur Sicherung der gestellten Diagnose oder ihrer
Eingrenzung im Sinne der Differentialdiagnose und schließlich zur Verlaufsdokumentation.
Zeigen doch die meisten
organisch-manifesten Krankheiten neben den für sie typischen Befunden eine oft charakteristische Symptomatik. So sehr
einer „objektiven Medizin” zugestimmt werden kann, daß die Normalisierung der Befunde höchstes Ziel sei, so sehr müßte
ergänzt werden „unter Normalisierung der Befindlichkeit”.
Denn welcher Patient wäre zufrieden, sein ganzes
subjektiv erlebtes Beschwerdebild zu behalten unter dem tröstlichen Hinweis auf normalisierte oder gebesserte Befunde?
Wie oft muß er sogar als Folge (Nebenwirkung) einer Therapie neue Befindensstörungen hinnehmen?
Bei chronischen
Krankheiten zeigt sich die richtige Wahl einer Therapie mit biologischen Heilmitteln fast immer in einem primären
Ansprechen des Befindens oder der Befindlichkeit. Immer wieder überrascht die Situation eines dankbar seine Besserung
erfahrenden und zum Ausdruck bringenden Patienten im Mißverhältnis zu den unverändert pathologischen Befunden. Und
häufig bedarf es eines langen Zuwartens und der kräftigen Überzeugung des richtigen Weges, um dann in großem Abstand
zu der Normalisierung des Befindes auch die der Befunde wahrnehmen zu können.
Das Wahrnehmen des Befindens
Um aber an jemanden überhaupt herankommen zu können, muß man auch seine Sprache sprechen; nur dann versteht der andere, worum es geht und was man will. Es soll ihm ja schließlich signalisiert werden, daß er in seiner Situation ernst genommen wird. Das bedeutet für den Helfer aber keinesfalls, gegenüber jedermann Sympathie und Freundschaft heucheln zu müssen oder sich immer strahlend, dauerhaft belastbar und unverletzlich zu präsentieren. Das eigene Verhalten sollte nur erkennen lassen, daß der andere Mensch als Ratsuchender akzeptiert ist; daß er im Mittelpunkt von Beratung und Behandlung steht und daß man sich bemühen will, das nötige Verständnis für die persönliche Lage und die Störungen der Befindlichkeit aufzubringen.
Über den Zusammenhang von Krankheit und Kultur der Gegenwart
Frau Müller leidet an Übergewicht und Diabetes. Der Arzt diagnostiziert ferner eine Fettleber, eine chronische Bronchitis, Bluthochdruck und eine beginnende Koronarsklerose. Wird er sich damit begnügen, Frau Müller entsprechende Mittel zu verschreiben? Keineswegs, er wird sich vielmehr gezwungen sehen, mit ihr über ihre Lebensweise zu sprechen. Dabei erfährt er Folgendes: Frau Müller hat einen verantwortlichen Posten in einem modernen Industriebetrieb. Damit verfügt sie über ein großes Sozialprestige und einen hohen Lebensstandard. Streß, mangelnde Bewegung, Überarbeitung, das Fehlen menschlicher Kontakte sind aber der Preis dafür. Auch hat sie das Gefühl, ihren eigenen Wertvorstellungen und Leistungsanforderungen nicht zu genügen. Sie ist Kettenraucherin und putscht sich immer wieder mit Bohnenkaffee auf; abends, erschöpft und allein in ihrer Wohnung, sucht sie im Alkohol dem Triebwerk ihres Berufslebens zu entfliehen. Der Therapeut wird ihr nun empfehlen, ihr Leben zu ändern. Aber das ist leichter gesagt als getan.
Alle ihre Leiden wurzeln ja in bestimmten Wertvorstellungen einer Wohlstands- und Leistungsgesellschaft, die sie von dieser übernommen hat und mit denen sie sich identifiziert. Sie will ja das Sozialprestige und das hohe Einkommen und setzt dafür ihre Gesundheit aufs Spiel. Soll sie ihr Leben ändern, so müßte sie auch ihre Wertvorstellungen aufgeben, nach denen sie ihr ganzes Leben einrichtete und geordnet hat – aber welche anderen stehen zur Verfügung? Es ist für sie vielleicht keine Lösung, nur nach ihrer Gesundheit zu leben, denn man lebt ja nicht nur um zu leben, sondern auch dessentwegen, was das Leben lebenswert macht.
Ich weiß, warum ich krank geworden bin
Nicht nur der Therapeut macht sich Gedanken über mögliche Ursachen einer Erkrankung, auch die Patienten und Angehörigen entwickeln ganz bestimmte Vorstellungen über die Genese einer Störung. Mitentscheidend für den Behandlungserfolg ist aber gerade bei seelischen Störungen, ob im Rahmen der Therapie eine Verständigung über Grund und Auslöser der Krankheit möglich ist.
Jeder Therapeut bietet mehr oder weniger offen eine Erklärung für die Störung an und gibt dem Patienten dadurch Hoffnung auf Besserung oder Heilung. Doch schon bevor der Patient sich in Therapie begibt, hat er – ebenso wie seine Angehörigen – im Rahmen der Krankheitsverarbeitung eigene Vorstellungen entwickelt. Bereits in der Wahl des Behandlers kommen diese Vorstellungen zum Ausdruck.
Die Gewichtung der Ursachen durch den Therapeuten hängt ebenso wie sein Therapievorschlag von seiner Ausbildung,
Weltanschauung, theoretischen Orientierung und Erfahrung ab. In der Therapieentscheidung treffen nun vorgefaßte
Meinungen von Patient, Angehörigen und Therapeut zusammen.
Entscheidend für den Patienten ist, inwieweit er sich
mit seinen, unter Umständen von der Therapeutensicht abweichenden, Vorstellungen über die Ursache der Erkrankung vom
Behandler ernstgenommen fühlt, ob er dabei Subjekt bleibt oder Objekt wird, über das hinweg entschieden wird.
Dem
Therapeuten bleibt das Dilemma, mit Patient und Angehörigen zu einem Konsens zu finden, ohne diesen kraft seiner
Autorität oberflächlich zu erzwingen. Besonders schwierig ist dies, wenn er sich selbst über die Ursachen der Störung
im unklaren ist und doch den Betroffenen die Hoffnung nicht nehmen will.
Vom Umgang mit schwierigen Therapeuten
Der Befund einer Untersuchung amerikanischer Wissenschaftler, wonach Ärzte weniger Gefallen an Patienten in einem
schlechten Gesundheitszustand haben, erklärt, warum Patienten in schlechter physischer oder psychischer Verfassung oft
nicht mit ihrer ärztlichen Betreuung zufrieden sind: Ärzte übertragen ihre negativen Gefühle unbewußt auf die
Patienten, worauf diese mit Unzufriedenheit reagieren.
Warum Patienten in einem schlechten Zustand negative Gefühle
bei Therapeuten hervorrufen, liegt auf der Hand: sehr kranke Patienten, die oft reizbar, kaum ansprechbar und
unberechenbar sind, fordern von dem Therapeuten besonders viel Kraft und Aufmerksamkeit.
Ganz anders der Umgang der Ärzte mit zufriedenen Patienten: daß Therapeuten auf unproblematische Patienten besonders positiv reagieren, zeigt eine andere Studie. Die Ärzte sprachen besonders auf diejenigen Patienten an, die sowohl sympathisch als auch kompetent erschienen. Die Ärzte gaben an, daß sie diese Patienten ermutigen würden, sich telefonisch zu melden und noch einmal zur Untersuchung zu kommen. Diese Vorteile könnten zu einer gründlicheren Diagnostik, einer gewissenhafteren Behandlung und letztlich zur Genesung führen.
Die Zufriedenheit des Patienten und die positiven Gefühle des Therapeuten beeinflussen sich also gegenseitig: ein zufriedener Patient wird eher positive Signale aussenden, die dem Arzt ein Gefühl der Bestätigung geben, worauf dieser ebenfalls positiv reagieren wird.
Hausarzt
Wenn wir Therapeuten uns selbst als Medizin verstehen würden, dann würden wir die Menschen anders behandeln. Je
besser man als Patient informiert ist und je besser die Familie versteht, was geschieht, um so eher sind beide in der
Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Information bedeutet Hoffnung. Ein schlechter Therapeut nimmt dem
Patienten die Hoffnung. Als Therapeuten müssen wir den Körper behandeln und gleichzeitig die Seele ansprechen, sowohl
die des Patienten als auch die seiner Familie.
Der alte Hausarzt wußte instinktiv von dem Zusammenhang zwischen
Seele und Heilen. Wenn er fragte: „Wie fühlen Sie sich?”, wollte er nicht nur von Magenschmerzen oder Fieber hören. Er
wohnte in derselben Straße, ging in die Kirche ums Eck, wußte, wo die Eltern arbeiteten, kannte die Verwandten und
Freunde – und er hatte die Gabe zuzuhören. Seine Behandlung war ganzheitlich, als noch niemand den Begriff der
Ganzheitsmedizin kannte.
Compliance – ein Problem der Therapeuten-Patienten-Beziehung
Compliance ist der Grad, in dem das Verhalten einer Person in Bezug auf die Einnahme eines Medikaments, das Befolgen
einer Diät oder die Veränderung des Lebensstils mit dem therapeutischen oder gesundheitlichen Rat
korrespondiert.
Wenn also von Compliance bzw. Non-Compliance die Rede ist, wird damit in erster Linie ein
Teilaspekt des Krankheitsverhaltens des Patienten beschrieben, und zwar die Bereitschaft des Patienten, therapeutische
Anordnungen zu befolgen. Dabei wird ärztlicherseits die Mitarbeit des Patienten während diagnostischer/therapeutischer
Maßnahmen erwartet. Weiters wird vorausgesetzt, daß der Patient im Prinzip das therapeutische und von der jeweiligen
Versorgungseinrichtung vorgeschriebene Diagnose-, Behandlungs- und Verhaltensreglement akzeptiert und befolgt.
Für das Ausmaß der Compliance ist offenbar die Qualität der Interaktion zwischen Therapeut und Patient
ausschlaggebend. Wie sich diese gestaltet, hängt nicht zuletzt von der Informationspolitik des Therapeuten
ab.
Grundsätzlich muß in der Therapeuten-Patienten-Beziehung von einer ungleichen Informationsverteilung
ausgegangen werden. So wundert es nicht, daß Non-Compliance insbesondere dann vorliegt, wenn der Patient weder
hinreichend über seine Krankheit noch über die Art und Wirkung der verordneten Therapie informiert ist. Es wird
allgemein davon ausgegangen, daß das Ausmaß der Compliance u.a. durch eine Verbesserung der
Therapeuten-Patienten-Kommunikation erreicht werden kann.
Die beste Compliance wird durch ein partnerschaftliches,
gegenseitiges Verständnis erreicht.
Es zeugt demnach von einer einseitigen und kurzsichtigen Betrachtung, wenn das Vorliegen von Non-Compliance beim
Patienten ärztlicherseits lediglich als dessen Problem begriffen wird.
Die Verantwortung wird unzulässig auf das
Opfer, den Patienten, abgeschoben. Das Verhalten der Therapeuten ist ein kritischer Faktor, aber indem sie ihr Problem
nach dem Verhalten des Patienten benennen, vermitteln sie ein schiefes Bild. Ein tiefes Verständnis von Compliance
kann nur erlangt werden, wenn sie im Kontext der Therapeuten-Patienten-Beziehung analysiert wird und das Verhalten
beider Akteure gleichermaßen zur Disposition steht.
Einen Grund für Non-Compliance sieht man im mangelnden
Verständnis dessen, was vom Patienten verlangt oder erwartet wird. Dies spielt eine um so größere Rolle, wenn die
geforderten Verhaltensweisen vom Patienten zuvor nicht erlernt worden sind. Auch kann es vorkommen, daß dem Patienten
zwar die Gründe für eine bestimmte Behandlung mitgeteilt worden sind, er diese aber nicht verstanden oder sie nicht
aufgenommen hat.
In unterschiedlichen Situationen tragen also eine Reihe von Faktoren zur Non-Compliance bei:
- zeitaufwendige Aktivität
- schwierig zu erlernende oder schwer zu befolgende Techniken
- Auftreten von Nebeneffekten
- Kosten
- die Behandlung wird für andere sichtbar durchgeführt
- die Behandlung ist aus der Sicht des Patienten ineffektiv
- soziale Isolation
Um also die Wahrscheinlichkeit von Compliance einschätzen zu können, müssen Einstellung, Reaktion und Haltung des Patienten gegenüber seiner Krankheit verstanden werden. Wie jemand seine Krankheit einschätzt, wie er sie erklärt und schließlich damit umgeht, ist in diesem Zusammenhang von ausschlaggebender Bedeutung.
Die Non-Compliance ist eines der großen Probleme in der Arzneimitteltherapie. Welche Möglichkeiten hat der Therapeut,
positiv auf die Compliance seiner Patienten einzuwirken?
Es handelt sich hier primär um ein Kommunikationsproblem
zwischen Therapeut und Patient. Der Therapeut muß im ausführlichen Gespräch dem Patienten erläutern, weshalb er gerade
dieses Medikament verordnet, warum die regelmäßige Einnahme wichtig ist und welche Folgen eine schlechte Compliance
haben kann.
Der Psychologe Di Matteo über die Compliance: „Der Erfolg einer therapeutischen Behandlung ist stark
davon abhängig, inwieweit die Patienten diese befolgen. Doch die Compliance läßt stark zu wünschen übrig: Zwischen 30
bis 60% der Patienten halten sich nicht an Verordnungen – besonders dann, wenn sie mehrmals am Tag Medikamente
einnehmen, Vorbeugemaßnahmen treffen oder ihren Lebensstil gravierend ändern müssen. Bei Langzeitbehandlungen
scheitern sogar 80% daran.”
Heilung – der Therapeut als Medikament
Ein Arzt kann ein gutes Medikament sein. In diesem Zusammenhang ist der Alkoholismus ein gutes Beispiel, weil die
Wissenschaft wenig darüber sagen kann, wie er zu behandeln ist. Wir wissen, daß die Anonymen Alkoholiker vielen
Menschen helfen, aber gerade die Anonymität macht verläßliche Studien unmöglich. Wir verfügen über Medikamente und
Psychotherapie – und wir haben den Therapeuten.
Als Therapeut könnte ich beispielsweise den Rat geben: „Ich bin der
Meinung, Sie trinken zuviel und Sie sollten damit aufhören. Suchen Sie mich einmal pro Woche auf, um mir zu erzählen,
wie es läuft.” Ich habe viele Patienten, die auf diese Weise aufgehört haben zu trinken. In diesem Sinne kann man also
meiner Ansicht nach sagen, daß der Arzt selbst das Medikament darstellt.
Ich glaube, daß der Therapeut oft nicht nur Ersatz für die Arznei sein kann, sondern ein Ersatz mit geringerem Risiko. Ein Teil des Leidens kann Angst sein. Wir sind häufig in der Lage, Ungewißheit und manchmal sogar Angst zu beseitigen.
„Ich habe nie Marketing betrieben, ich habe immer nur meine Kunden geliebt.” (Zino Davidoff)
Warum gehen ältere Menschen zu den Stoßzeiten einkaufen? Warum sitzen so viele Menschen in den Arztpraxen und nehmen
Stunden des Wartens auf sich?
Die Antwort lautet: die Suche nach Kommunikation!
Empathie
Empathie zählt zu den wesentlichen Grundlagen der Kommunikation zwischen Therapeut und Patient. Empathie im weiteren
Sinne bedeutet „einfühlendes Verstehen”. Der Begriff „Einfühlung” kommt dem Begriff „Empathie” sehr nahe, ist mit ihm
jedoch nicht völlig identisch. Einfühlung heißt „das Gefühl des anderen selbst zu erleben und es ihm mitzuteilen, d.h.
mit den Augen des anderen zu sehen, mit den Ohren des anderen zu hören”.
Rogers definiert Empathie folgendermaßen:
„Der Zustand der Einfühlung oder des Sich-Einfühlens besteht darin, den inneren Bezugsrahmen eines anderen genau
wahrzunehmen unter Einschluß der zugehörigen gefühlsmäßigen Komponenten und Bedeutungen, so, als ob man selbst der
andere wäre, ohne aber jemals den Als-ob-Zustand zu verlassen.”
Empathie darf jedoch nicht verwechselt werden mit Mitgefühl, Sympathie oder sogenannter Gefühlsansteckung. Auch entspricht sie nicht dem Begriff der Identifikation. Den wesentlichen Unterschied zur Identifikation bildet die Als-ob-Eigenschaft. Geht sie verloren, handelt es sich um den Zustand der Identifikation und nicht mehr um Empathie.
Einfach gesagt: eine Grundvoraussetzung des therapeutischen Gesprächs ist einfühlendes Verstehen; Mitgefühl und
Mitleid liegen auf einer anderen Bezugsebene. Empathie ist keineswegs nur die Fähigkeit, die Gefühle des anderen
nachzuvollziehen. Die Betonung liegt nicht so sehr auf dem Begriff Gefühl, sondern dem Einfühlungsvermögen in die
Erlebniswelt des Patienten (persönliche Wahrnehmungswelt).
Zwei Bedürfnisse können die Entfaltung der Empathie
erheblich erschweren: das Bedürfnis nach emotionaler Neutralität oder nach Dominanz.
Was brauche ich als Therapeut, um dem Patienten optimale Unterstützung zu geben?
- angenehme Praxisbedingungen
- Zeit ohne große Störungen
- Wahrnehmungstraining
- Kommunikationstechniken
- Compliance (Motivation des Patienten, die Therapie durchzuführen)
Ziel ist der zufriedene Patient durch:
- Aufmerksamkeit
- Verständnis
- individuelle Betreuung
- passende Behandlung
- erfolgreiche Therapie
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